Protokoll der Sitzung vom 11.12.2008

Wir haben nach wie vor die Situation, dass der Finanzmarkt und das Kreditwesen nicht funktionieren. Trotz Finanzmarktstabilisierungsgesetz ist die Situation so, dass der Interbankenhandel nicht funktioniert und die Banken ihren Geschäftsverkehr bzw. ihre Liquidität mit der Zentralbank abwickeln, aber zwischen den Banken existiert immer noch kein Vertrauen. Das macht deutlich, dass das Finanzmarktstabilisierungsgesetz in der Form, wie es geschnürt wurde, offensichtlich nicht hinreichend ist. Anders als in anderen Ländern wurde hier keine Verpflichtung für die Banken vorgesehen, unter diesen Schirm zu gehen, weil sich die Bundesregierung nicht getraut hat, konsequente Schritte zur Teilverstaatlichung zu gehen, mit denen man auch auf die Geschäftspolitik der Banken hätte Einfluss nehmen können. Ich glaube, es ist dringend notwendig, konsequenter zu sein, wenn wir wollen, dass eine Kreditklemme verhindert wird und das Kreditwesen und der Finanzmarkt wieder in Gang kommen.

[Beifall bei der Linksfraktion – Beifall von Christian Gaebler (SPD)]

Das, was uns bevorsteht, markiert eine gravierende Zäsur – eine Zäsur, nach der das neoliberale Modell der Weltwirtschaft, wie wir es die letzten 20 Jahre erlebt haben, sein Ende erreicht hat. Es ist faktisch kollabiert.

[Ramona Pop (Grüne): Finden Sie es gut, wie es jetzt ist?]

Dieses Modell beruhte auf dem Glauben, man erziele wirtschaftlichen Erfolg dadurch, möglichst viel auf der Angebotsseite zu tun, Kosten, Löhne, Regulierungen abzuschaffen, den Sozialstaat zurückzudrängen und staat

liche Aufgaben und soziale Sicherungssysteme zu privatisieren. – Herr Lindner, Sie nicken. Schauen Sie sich an, was mit dem Pensionsfonds geschieht, bei dem gigantische Summen in spekulative Geschäfte geflossen sind, was zu der derzeitigen Finanzmarktkrise mit ihren realwirtschaftlichen Auswirkungen beigetragen hat!

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Wir hatten in dieser Zeit eine gigantische Umverteilung zwischen den Einkommen aus Arbeit und den Vermögenseinkommen, die zu spekulativen Zwecken verwendet wurden. Wenn man die Parole ausgibt: Wir müssen eine Eigenkapitalrendite von 25 Prozent erzielen! –, dann ist klar, dass das nicht funktionieren kann,

[Zuruf von Henner Schmidt (FDP)]

denn nirgendwo in der Realwirtschaft kann man nachhaltig eine Eigenkapitalrendite von 25 Prozent erzielen. 25 Prozent Eigenkapitalrendite geht nur durch Spekulation, und Spekulation geht irgendwann zu Ende, und die Blase platzt. Das ist das Problem, vor dem wir heute stehen. Deshalb muss hier reguliert werden.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Schmidt von der FDP?

Ja, bitte!

Herr Senator! Ist Ihnen bekannt, dass die von Ihnen per Verordnung festgelegte Eigenkapitalrendite der Wasserbetriebe in der Großenordnung von 25 Prozent liegt? Wie passt das zu dem, was Sie gerade sagten?

[Beifall bei der FDP]

Bitte, Herr Senator!

Herr Schmidt! Erstens: Es ist nicht richtig, dass die Eigenkapitalrendite der Wasserbetriebe 25 Prozent beträgt. Zweitens: Wir haben bei den Berliner Wasserbetrieben eine Sondersituation. Es handelt sich um einen teilprivatisierten Monopolbetrieb, dem enge gesetzliche Grenzen auferlegt wurden. Das wurde von mir – und auch von der FDP – immer kritisiert.

Ich rede von dem, was als Parole für das Wirtschaften im Bankensektor ausgegeben wurde, und den Renditen, die

für die Banken als Benchmark festgelegt wurden. Das hat dazu geführt, dass immer weniger Realinvestitionen stattgefunden haben und in spekulative Anlagen investiert wurde. Darüber reden wir hier.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Obwohl in der Bundesrepublik manchmal so dargestellt, ist es nicht so, dass es sich um ein amerikanisches Problem handelte. Die Bundesrepublik war immer dabei: erstens bei der Deregulierung der Finanzmärkte und zweitens bei der Finanzierung der faulen Kredite in den USA im Gefolge der Deregulierung. Allein deshalb, weil es eben kein US-amerikanisches, sondern ein weltweites Problem ist, hat die Deregulierung der Finanzmärkte so stark auf unser Bankensystem zurückgeschlagen.

Was bedeutet das im Detail für Berlin? Was hat Berlin zu erwarten? – Gegenwärtig stellen wir fest, dass die Aufträge in der Industrie rückläufig sind. Es gab ein Minus von 12 Prozent im letzten Quartal. Wir können davon ausgehen, dass gegenwärtig noch die Auftragsbücher abgearbeitet werden, aber sich der Rückgang der Auftragseingänge im nächsten Jahr auswirkt. Wir sehen das bereits daran, dass Daimler die Weihnachtsferien verlängert und OSRAM und die Automobilzulieferer Kurzarbeit anmelden. Wie sich das auf die Wachstumsperspektiven des nächsten Jahres auswirkt, hängt stark davon ab, welche Maßnahmen auf der Bundes- und Europaebene getroffen werden.

Ich teile die Auffassung von Frau Eichstädt-Bohlig, dass das Maßnahmenpaket der Bundesregierung aus gutem Grund nicht Konjunkturprogramm heißt, denn es ist kein solches. Es ist vom Volumen her unangemessen, und die Maßnahmen gehen inhaltlich weitgehend fehl. Ein wirkliches Konjunkturprogramm müsste ein Volumen von mindestens einem, besser zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts haben. Das sagen mittlerweile alle Ökonomen. Selbst der Sachverständigenrat, der nicht verdächtig ist, der Linken anzuhängen, kritisiert das Maßnahmenpaket der Bundesregierung und sagt, es sei in seiner Dimension unzureichend, simuliere Aktivität und sei dem Problem nicht angemessen.

[Franziska Eichstädt-Bohlig (Grüne) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Wenn Leute wie Joseph Stiglitz, Paul Krugman und andere die Bundesregierung kritisieren und zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts fordern, dann macht das deutlich, dass wir – allein bezüglich des Volumens – weit hinter dem Notwendigen zurückbleiben. Dieses Programm wird keine konjunkturelle Wirksamkeit entfalten. Die Debatte, die die Bundesrepublik gegenwärtig mit der Europäischen Kommission führt und bei der die Europäische Kommission ein koordiniertes Konjunkturprogramm vorschlägt und verlangt, dass die Bundesrepublik mindestens 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in ein solches Programm investiert, macht deutlich, dass wir weit hinter den Notwendigkeiten zurückbleiben.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau EichstädtBohlig?

Ja!

Herr Senator! Es freut mich, dass Sie bezüglich der Kritik an dem Programm meiner Meinung sind. Ich habe aber dennoch folgende Fragen: Haben Sie dem Programm im Bundesrat zugestimmt? Welche finanziellen Auswirkungen wird dieses Programm auf das Land Berlin haben?

Bitte, Herr Senator!

Wir haben im Bundesrat versucht, den Vermittlungsausschuss anzurufen. Dieser Antrag wurde abgelehnt. Danach haben wir das Konjunkturprogramm in der Abstimmung abgelehnt.

Ein erhebliches Problem des Konjunkturprogramms ist, dass es erhebliche Belastungen auf die Länder und Kommunen abwälzt. Wahrscheinlich wird das geringe Volumen des Programms nicht wirksam, weil es bei den Kommunen, die teilweise unter Kommunalaufsicht stehen, nicht ausgabenwirksam wird. Vielmehr wird es zu weiteren Einsparungen führen und sich damit selbst konterkarieren.

[Senator Dr. Thilo Sarrazin: 600 Millionen Euro Ausfall!]

Der Kollege Sarrazin wirft gerade ein, dass das Programm der Bundesregierung einen Ausfall in Höhe von 600 Millionen Euro bringt. Ich empfinde es schon als Posse, wenn gestern erklärt wurde, wir hätten nun ein Konjunkturprogramm, nämlich die Pendlerpauschale. Da zeigt sich die vollständige Konzeptionslosigkeit, wenn man eine politisch nicht gewollte Maßnahme zu einem Konjunkturprogramm erklärt – quasi als Windfall-Profit. Hier wird die Hilflosigkeit zum Programm erklärt.

[Beifall bei der Linksfraktion und den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Man muss jetzt gar nicht weiter auf dieses Programm im Einzelnen eingehen. Wenn ein Programm vor allem bei Investitionsanreizen oder z. B. bei der Kraftfahrzeugsteuer ansetzt – nach dem Motto: „Wir geben euch ein paar Hundert Euro an Steuervergünstigungen, wenn ihr euch ein neues Auto anschafft.“ –, stellt sich doch die Frage, wer in der gegenwärtigen Situation die Entscheidung für den Kauf eines Autos mit einem Preis von 20 000 oder 30 000 Euro von einer Steuervergünstigung in Höhe von

200 oder 300 Euro abhängig macht. Das sind pure Mitnahmeeffekte, die konjunkturpolitisch keinerlei Wirkung haben und obendrein die Länderhaushalte belasten.

[Beifall bei der Linksfraktion und den Grünen – Volker Ratzmann (Grüne): Die ökologische Seite beachten!]

Das Problem liegt gegenwärtig nicht auf der Angebotsseite, sondern daran, dass die Nachfrageseite zusammenzubrechen droht. Deshalb muss etwas zur Ankurbelung der Nachfrage getan werden. In einer ersten Phase geht es dabei um die Ankurbelung des Konsums. Wir müssen deshalb die Massenkaufkraft stärken. Dazu sind mehrere Maßnahmen in der Diskussion, die mehr oder weniger tauglich sind. Wenn nur einmal eine ergriffen würde! Das fängt mit einer befristeten Reduzierung der Mehrwertsteuer an. Eine weitere Möglichkeit sind die Konsumschecks. Das Argument, hierbei entstehe nur ein kurzfristiges Strohfeuer, trifft nicht zu. Wir brauchen im nächsten Halbjahr spürbare Impulse, denn das langfristige Investitionsprogramm, das ich auch für notwendig halte, wird im ersten Halbjahr nicht greifen, weil es gar nicht vorbereitet ist. Man kann es beschließen, aber es wird nicht so schnell umgesetzt werden. Deshalb ist es notwendig, in der ersten Phase deutliche Impulse für die Massenkaufkraft und für die Massennachfrage zu setzen, um die Konjunktur zu stabilisieren.

Das Argument, dass dabei möglicherweise die Nachfrage in das Ausland geht, ist volkswirtschaftlich abstrus. Die ganze Zeit über wird gefeiert, dass die Bundesrepublik Deutschland Exportweltmeister ist. Aber die Bundesrepublik Deutschland hat auch die Aufgabe, ihren Beitrag zur Stabilisierung der weltweiten Nachfrage zu leisten. Wir können nicht auf der einen Seite in die gesamte Welt exportieren und die Exportüberschüsse einkassieren, um anschließend zu sagen: Kauft deutsch! – Das ist in dieser Situation falsch. Wir müssen auch etwas für die weltwirtschaftliche Stabilisierung tun.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Da haben wir eine Verantwortung, und darüber sollten auch die Grünen einmal nachdenken.

In der zweiten Phase brauchen wir ein Investitionsprogramm für die Infrastruktur, für die Bildung, für die Gesundheit und für den Klimaschutz. Dann werden wir in der Lage sein, einigermaßen sinnvoll und wirkungsvoll diesen Abschwungtendenzen zu begegnen.

Was heißt das für Berlin, und was kann Berlin tun? – Es ist schon mehrfach gesagt worden, dass sich Berlin isoliert und mit seinen beschränkten Möglichkeiten dieser Entwicklung nicht generell entgegenstellen kann. Wir können aber einzelne Maßnahmen ergreifen, um gemeinsam mit anderen Ländern und dem Bund wirkungsvoll Akzente zu setzen und angesichts der Abschwungtendenzen gegenzusteuern.

Ich möchte im Folgenden fünf Punkte nennen, die aus meiner Sicht notwendig sind und die wir auch schon angepackt haben: Erstens haben wir gegenwärtig das Problem, dass das Kreditwesen und der Finanzmarkt nach wie vor nicht funktionieren und die Gefahr einer Kreditklemme nach wie vor nicht gebannt ist. Sie wird in dem Maße zunehmen, wie Unternehmen in realwirtschaftliche Schwierigkeiten kommen, wenn die Nachfrage einbricht. Deshalb haben wir bei der IBB begonnen, mit den Geschäftsbanken Gespräche und Verhandlungen über Globaldarlehen zu führen, mit denen diesen vonseiten der IBB Liquidität zur Verfügung gestellt wird – mit der Auflage, diese zu günstigen Konditionen an klein- und mittelständische Unternehmen in der Region weiterzugeben.

Wir werden zudem in Kooperation mit der Bürgschaftsbank Berlin-Brandenburg das Bürgschaftsinstrumentarium einsetzen, wenn klein- und mittelständische Unternehmen nicht die Sicherheiten beibringen können, die jetzt von den Banken verstärkt gefordert werden.

Ferner sind wir dabei, bei der IBB zu prüfen, inwieweit wir die gegenwärtig sehr starke Orientierung der IBBProgramme auf Finanzierung und Förderung von Investitionen stärker gegenüber der Betriebsmittelfinanzierung öffnen können, denn diese wird in der nächsten Phase ein größeres Problem als die Investitionsfinanzierung sein – d. h. die Sicherung von alltäglicher Liquidität für die Unternehmen. Das sind die ersten Schritte, die wir unternehmen, um das Kreditwesen in Berlin funktionsfähig zu erhalten und das öffentliche Instrumentarium dafür einzusetzen.

Zweitens stellt sich die Frage, was wir über den öffentlichen Haushalt erreichen können. Es ist eine Selbstverständlichkeit, aber ich sage es an dieser Stelle noch einmal, weil ich auch immer wieder danach gefragt werde: Dieser Senat wird nicht der Krise hinterhersparen, sondern wir werden unsere Ausgabenlinie halten, und wenn Einnahmen aufgrund der Wirtschaftskrise einbrechen sollten, heißt das nicht, dass wir diesen verlorengegangenen Einnahmen hinterherkürzen, sondern wir werden die Ausgabenlinie halten und damit einen Beitrag zur konjunkturpolitischen Stabilisierung leisten.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Wir werden im nächsten Jahr alle Anstrengungen dafür unternehmen, dass die Investitionen, die in den Haushaltsplan eingestellt sind, auch ausgeschöpft werden. Ich habe gestern mit dem Regierenden Bürgermeister vereinbart, dass wir uns als Senat im ersten Quartal des nächsten Jahres einen Überblick über den Stand des Investitionsgeschehens, über die Vorplanung der vorgesehenen Investitionen und den Abruf der Investitionsmittel verschaffen und dann gegebenenfalls im ersten Quartal bei den Investitionen, wo absehbar ist, dass sie nicht ausgeschöpft oder rechtzeitig begonnen werden, auf andere Maßnahmen umsteuern, um dafür zu sorgen, dass im Gegensatz zu den letzten Jahren die Investitionsmittel vollständig ausgeschöpft werden.

[Franziska Eichstädt-Bohlig (Grüne): Das hättet ihr schon vor sechs Jahren machen müssen!]