Herr Kollege Zillich! Ich finde es grundsätzlich falsch, wenn der Staat ihnen vorschreiben will, wie sie glücklich werden. Aber ich finde es richtig, dass ich eine Auswahl an Möglichkeiten habe, und deshalb wollen wir Bildungsgänge, zwischen denen die Schüler sich frei entscheiden können.
Ihre Frage ist daher falsch. Niemand soll aufgeteilt werden, sondern individuelle Bildungsangebote vorfinden. Ich sehe mich da in großer Einigkeit mit dem Ersten Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, Herr Zillich!
[Beifall bei der CDU – Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Das ist keine Antwort, das ist Rumeierei!]
Genauso wichtig wie die Gymnasien und das Abitur sind uns die schwächeren Schüler in dieser Stadt. Sie dürfen nicht einfach in den Sekundarschulen untergehen, wie es
heute häufig an den Grundschulen und Gesamtschulen passiert. Wer bisher eine Hauptschule besucht, geht dort in eine Klasse mit 17 Schülern. In der Sekundarschule werden es 25 Schüler sein, und nun sagen Sie: Den Hauptschülern wird durch das Duale Lernen geholfen. Wie das geschieht, das sagen Sie nicht. Das Duale Lernen ist so viel oder wenig wie die Schulen letztlich daraus machen werden. Sie überlassen das Konzept den Schulen und schlagen ein Sammelsurium von Ausgestaltungen vor. Anstatt klare Umsetzungskonzepte vorzugeben, wie das bisherige Produktive Lernen – also eine echte Verknüpfung von Unterricht und außerschulischer Praxis –, geht in der rot-roten Sekundarschule auch das Werken oder der Girls’ Day, der einmal im Jahr für Mädchen dieser Stadt stattfindet. Es ist wahr, der Girls’ Day soll auch als Duales Lernen gelten, und das ist so lächerlich, dass es eigentlich schon traurig ist. Deshalb wollen wir als CDU ein echtes Duales Lernen, das sich weitgehend am produktiven Lernen orientiert, also Praxisklassen, für die die Schüler sich entscheiden können, die eine echte Praxis außerhalb der Schule mit dem Unterricht verknüpfen.
Es wird nicht reichen, nur die Schulstruktur zu ändern. Genauso wichtig wie die Struktur ist auch der Inhalt, also die Anzahl der Lehrer, der bauliche Zustand der Schulen, die pädagogischen Konzepte und Profile der Schulen, das Lehr- und Lernmaterial. Ohne gute Rahmenbedingungen, ohne ausreichende Anzahl von Lehrkräften ist jede Schulreform zum Scheitern verurteilt. Und es ist ein schlechter Scherz, Herr Senator, dass nur 90 Lehrer ausreichen sollen, um die Mammutreform dieses Jahrzehnts abzusichern. Wie immer werden die Defizite dieser Schulreform die Schülerinnen und Schüler in Berlin auszubaden haben.
Neben Veränderungen im Oberschulbereich brauchen wir auch Reformen in der Grundschulen. Wir wollen vor allem beim Schuleintritt etwas für die Schülerinnen und Schüler tun, um ihre Startchancen zu verbessern. Daher beantragen wir die Einrichtung von Sprachförderklassen. Alle Schüler sollen vor Schuleintritt einen Sprachtest absolvieren und ggf. in eine Sprachförderklasse gehen, damit man verhindert, dass Schüler jahrelang im Unterricht in verschiedenen Fächern sitzen und ihm nicht folgen können. Die Schüler, die in einer solchen Sprachförderklasse für den regulären Unterricht fit gemacht wurden, gehen so schnell es geht wieder in eine Regelklasse. So umfangreich ist das Gesetzeswerk, das wir heute vorlegen, im Gegensatz zum rot-roten Modell, das sich ausschließlich auf die Oberstufen konzentriert.
Lassen Sie mich zum Ende noch auf ein Thema zu sprechen kommen, das manch einer vielleicht amüsant findet – ich finde, es ist ein böses Omen für die Reform. Sie haben schon vor Monaten diese Broschüre zu Ihrer Schulstrukturreform vorgelegt und verteilen lassen. Es ist erstens eine Stillosigkeit, eine Broschüre zu drucken, die eine Reform beinhaltet, die wir heute erst beschließen.
Aber nicht nur das: Unter verschiedenen U- und SBahnlinien, die Sie hier vorne abgebildet haben, heißt die Broschüre „Bildungsfahrplan“. Dieses Stilmittel zieht sich durch die ganze Broschüre. Auf Seite 20 heißt es dann in der Überschrift „Platzkarten für alle“. Schöne Fahrpläne und bunte Bilder – aber es fährt nichts. Das kennen wir vom S-Bahnchaos. Am Ende könnte es so kommen: Platzkarten für alle – aber die Durchsage lautet: Der Zug entfällt.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Steuer! – Für die SPDFraktion hat jetzt Frau Abgeordnete Dr. Tesch das Wort. – Bitte sehr!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am letzten Donnerstag, heute vor einer Woche, erlebten wir im Bildungsausschuss eine Sternstunde. Nach zahlreichen Diskussionen und Anhörungen konnten wir endlich die Schulstrukturreform auf den Weg bringen. Dies ist ein Meilenstein in der Bildungspolitik. Das Presseecho war durchaus positiv.
Es gibt nämlich eine breite Zustimmung in der Stadt für unsere Schulstruktur. Sie reicht von der GEW bis zu IHK und Handwerkskammer. Sogar Herr Mutlu beantragte ein Wortprotokoll, um diese historische Sitzung für die Nachwelt festzuhalten. Ich bin Ihnen dafür sehr dankbar, Herr Mutlu.
Wir wagen mit dieser Reform einen Riesenschritt, der endlich zur Chancengleichheit beitragen und die Abhängigkeit von sozialer Herkunft und Bildungsabschluss stoppen soll. Wir reagieren auf Missstände, die wir seit Jahren diskutieren. Dabei handelt es sich vor allem um drei Ziele: Wir wollen die Abbrecherquote der Berliner Schülerinnen und Schüler deutlich verringern. Wir wollen die Abiturientinnen- und Abiturientenquote deutlich erhöhen, und wir wollen die Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft deutlich verringern.
Alle Bildungsexperten sind sich einig, dass ein längeres gemeinsames Lernen zum Abbau von Chancenungleichheit beiträgt. Dies ist auch ein wahrer Beitrag zur Integrationspolitik. Wir geben keine einzige Schülerin und keinen einzigen Schüler auf. Egal, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, egal, aus welcher sozialen Schicht sie kommen – wir wollen alle individuell fördern und fordern und ihre persönlichen Potenziale voll ausschöpfen. Dies kommt der gesamten Gesellschaft zugute.
Mit dieser Gesetzesänderung wird den Problemen der Hauptschule begegnet, die zur Restschule geworden ist. Im letzten Schuljahr wurden nur noch sieben Prozent der Schülerinnen und Schüler an einer Berliner Hauptschule angemeldet. Diese Schülerinnen und Schüler wissen, dass sie stigmatisiert sind und selbst mit Schulabschluss kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Da sie keine Motivation haben, gehen sie teilweise auch gar nicht mehr zur Schule. Die Schuldistanz erreicht bei Hauptschülerinnen und Hauptschülern oft die Marke von 25 Prozent. Ihre tatsächliche Leistungsfähigkeit und -bereitschaft ist aber viel höher. Mit der neuen integrierten Sekundarschule werden wir ihnen zu neuen Chancen verhelfen, und wir entlassen sie eben nicht in die Arbeitslosigkeit.
Dazu wird auch das Duale Lernen beitragen, das in der integrativen Sekundarschule verstärkt wird. Eine frühere Praxisorientierung war stets auch ein Anliegen der Wirtschaft, die sich neben den beruflichen Schulen als Kooperationspartner angeboten hat. Vorbild hierfür ist das Produktive Lernen, das wir nun auch in das Gesetz aufgenommen haben, indem wir einem Änderungsantrag der FDP zustimmten. – Frau Senftleben ist jetzt gar nicht da, wo ich ihr etwas Positives zurufen wollte.
Die Einrichtung der integrierten Sekundarschule ist aber nicht gleichzusetzen mit einer einfachen Abschaffung der Hauptschule. Durch die Fusion von Haupt-, Real- und Gesamtschule errichten wir eine völlige neue Schulform, in der sich Schülerinnen und Schüler aller Leistungsniveaus wiedertreffen werden.
Besonders die Realschulen werden von dieser Reform profitieren. Bereits heute haben zwei Drittel der Realschülerinnen und Realschülerinnen eine Hauptschulempfehlung. Um diese Kinder können sich die Lehrerinnen und Lehrer besser kümmern, da die Klassengröße der Sekundarschulen auf 25 begrenzt ist. Durch diese Reform wird es gelingen, mehr Schülerinnen und Schüler zum mittleren Schulabschluss zu führen.
Die Reform kommt aber auch den leistungsstarken Schülerinnen und Schülern zugute, die wir immer mitnehmen, an die wir immer denken und die uns sehr am Herzen liegen.
Sie können sich alle Wahl-, Landes- und Bundesparteitagsprogramme von uns durchlesen. Sie werden immer das Plädoyer finden, die Schwächeren zu fördern und die Stärkeren zu fordern.
Das geschieht auch mit dieser Reform. Berlin steht zwar mit seiner Abiturquote ganz gut im bundesdeutschen Vergleich da, aber im internationalen Vergleich müssen wir unbedingt nachbessern. Deshalb ist es wichtig zu betonen, dass wir kein zweigliedriges Schulsystem ein
führen, auf das alle Schülerinnen und Schüler von vornherein aufgeteilt werden. Nein, wir schaffen zwei gleichwertige Schulformen mit denselben Bildungsstandards, an denen alle Abschlüsse gemacht werden können. Durch die Möglichkeit, an der Sekundarschule in 13 Jahren zum Abitur zu gelangen, erhoffen wir uns auch eine deutliche höhere Abiturientenquote in der Stadt.
Es gibt eine Reihe von bildungsbewussten Eltern, die trotz einer Gymnasialempfehlung ihre Kinder auf einer Sekundarschule anmelden wollen, da sie dort aufgrund der geringeren Stundentafel mehr Zeit für sich und etwaige Hobbys haben.
Das hat sogar in der „BZ“ gestanden, Frau Senftleben. – Außerdem werden alle Sekundarschulen Ganztagsschulen, in denen sich Unterricht und Freizeitangebote abwechseln. Dadurch erhalten alle Schülerinnen und Schüler eine verbesserte Betreuung und intensivere Förderung.
Für den gebundenen Ganztagsbetrieb werden den Schulen zusätzlich zwei Lehrerstellen und dreieinhalb zusätzliche Erzieher- oder Pädagogenstellen bereitgestellt. Alle Schülerinnen und Schüler bekommen in der Schule ein Mittagessen.
Die Schulen können aber auch im offenen Ganztagsbetrieb organisiert werden. Dann haben sie die Möglichkeit, am Nachmittag mit Sportvereinen, Musikschulen oder anderen Einrichtungen zu kooperieren.
Auch die Gymnasien profitieren von unserer Reform. Zunächst wird ein Gymnasium pro Bezirk zur Ganztagsschule.
Diese Tendenz wird in Zukunft sicherlich noch zunehmen. Auch erhalten bereits jetzt die Gymnasien stückweise Mensen, in denen den Schülerinnen und Schülern ein Mittagessen angeboten werden kann.
Durch die Reform stärken wir auch die einzelnen Schulprofile. Zwar gelten für das kommende Schuljahr noch die alten Aufnahmekriterien. Ab dem Schuljahr 2011/2012 können die Schulleiter aber bis zu 70 Prozent der Schülerinnen und Schüler selbst auswählen. Der Elternwille wird weiter berücksichtigt, und wir schaffen damit willkürliche Regelungen wie die Auswahl nach dem BVG-Fahrplan ab.
Da sind wir uns ja einmal in einem Punkt einig, Frau Senftleben! – Wir befinden uns mit der Abschaffung der Vielgliedrigkeit im Schulsystem in guter Gesellschaft. Inzwischen gehen zehn von 16 Bundesländern diesen Weg. Nachdem wir heute diesen großen Wurf verabschiedet haben werden, ist es unsere Aufgabe, die Umsetzung konstruktiv zu begleiten. Dies geschieht zur Zeit in
den Bezirken noch unterschiedlich, aber ich bin überzeugt, dass sich auch die letzten gallischen Dörfer von unserer Schulreform überzeugen lassen. „Gallische Dörfer“ – das ist wohl zu positiv besetzt. Ich meine also, die letzten Zögernden werden sich auch noch von unseren Argumenten überzeugen lassen.
In meinem Bezirk ist bereits eine Broschüre angefertigt worden, die alle künftigen Schulen in ihren unterschiedlichen Profilen veranschaulicht. Sie erfreut sich bei den Eltern großer Beliebtheit, die so gut auf die künftige Schulstruktur vorbereitet werden.
Gestatten Sie mir noch ein Wort zu dem CDU-Antrag zur Lernmittelfreiheit, der hier auch behandelt werden soll. Ich war damals aus bildungspolitischen Gründen gegen die Abschaffung der Lernmittelfreiheit, sah es aber aus finanzpolitischer Sicht ein. Nun aber, da das Verfahren an vielen Schulen gut läuft, sehe ich keine Veranlassung, die Lernmittelfreiheit wieder einzuführen. Die Lernmittelfonds funktionieren gut, und außer der Tatsache, dass es einige säumige Elternteile gibt, finden alle Beteiligten das Verfahren gut.