Protokoll der Sitzung vom 28.01.2010

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ja nichts Neues, dass Sie Oppositionsanträge per se schlecht finden. Frau Dr. Tesch! Ich hätte mir aber gewünscht, dass Sie vielleicht mal das rot-rote Konzept vorstellen und uns erklären, was dieser rot-rote Senat seit über acht Jahren in puncto Arbeitszeitgerechtigkeit in dieser Stadt getan hat.

[Mieke Senftleben (FDP): Nichts!]

Nichts! Null haben Sie getan. Aber Sie stellen sich hierhin und tun so, als hätten Sie auch noch Ahnung von der Materie. Das war nichts, Frau Kollegin!

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Ich hätte von Ihnen erwartet, dass Sie sagen: Wir haben gerade eine große Reform angefasst, die wir jetzt umsetzen wollen, und als nächstes wollen wir uns endlich mal der Arbeitszeitthematik annehmen und Lösungen präsentieren, auf die Berlin, die Lehrerinnen und Lehrer, die

Eltern und die Schülerinnen und Schüler in dieser Stadt warten, weil das, was wir aus dem Jahr 1999 haben, längst nicht mehr up to date ist.

Hier muss mehr getan werden: Es muss mehr getan werden, um mehr Arbeitszeitgerechtigkeit zu erzielen – ohne Frage –, es muss aber auch mehr getan werden, um Elternarbeit leisten zu können, um individuelle Förderung zu ermöglichen und Gespräche mit Schülerinnen und Schülern führen zu können. Dazu gehört vielleicht sogar eine Fort- und Weiterbildungsverpflichtung. Auch Präsenzzeiten gehören dazu. Sie sind in der Regierung. Fassen Sie diese Probleme an, statt sich hier hinzustellen und zu sagen, wie schlecht die Anträge der Opposition sind!

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Zu dem Antrag der CDU kann ich nur sagen: Ich musste schmunzeln. Ich habe Sympathien für ihn. Das ist aber kein Wunder. Als Herr Steuer ihn unlängst als großen Wurf angekündigt hatte – angeblich gemeinsam mit dem VBE erarbeitet –, habe ich etwas besonderes erwartet. Als ich mir den Antrag aber angesehen habe, musste ich feststellen, dass er fast Wort für Wort von einem GrünenAntrag vom März 2007 abkopiert ist. Lieber Herr Steuer! Ich habe kein Problem damit. Wir können an dieser Stelle gern gemeinsam kämpfen, und vielleicht werden wir Grüne es wie in der Frage der Schulstrukturreform schaffen, Rot-Rot davon zu überzeugen, dass hier neue Wege gegangen werden müssen, um in der Schule Arbeitszeitgerechtigkeit herzustellen, aber auch all den Anforderungen und Erfordernissen, die der Lehrerberuf heute mit sich bringt, gerecht zu werden. Das ist notwendig. Das ist überfällig.

Es gibt einen Lichtblick: Im Zuge der Schulstrukturreform ist in der Tat eingeführt worden, dass die Lehrer und Lehrerinnen der Sekundarschulen nur eine Unterrichtsverpflichtung von 26 Wochenstunden haben. Richtige Maßnahme! Aber können Sie mir bitte erklären, warum das nicht auch für die Grundschule gut ist? Warum soll das nicht auch gut sein für das Gymnasium? Warum geht man nur diesen halben und keinen ganzen Schritt?

In diesem Zusammenhang müssen wir auch über Arbeitsplätze für Lehrkräfte reden. Wenn wir von Präsenzzeiten sprechen, müssen wir selbstverständlich die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Lehrerinnen und Lehrer vor Ort in der Schule die Möglichkeit haben, auch tatsächlich den Anforderungen, die an sie gestellt werden, zu erfüllen.

Im Zentrum unseres Interesses muss stehen, wie sich die Arbeitszeit der Lehrerinnen und Lehrer an den pädagogischen Erfordernissen der Schule orientiert. Es muss auch um das Schülerwohl gehen und nicht nur um irgendwelche Interessen vielleicht der GEW oder der fiskalischen Erwägungen eines Finanzsenators, der natürlich gern an dieser Stelle etwas würde kürzen wollen.

Man darf nicht vergessen, dass man das Thema Arbeitszeit hier zwar in den letzten Jahren nicht angefasst hat, aber man hat etwas anderes getan: Man hat zwei Mal die Lehrerarbeitszeit erhöht, man hat etliche Teilungsstunden gestrichen, man hat Ermäßigungstatbestände gestrichen. Das alles ist kontraproduktiv gewesen. Die Zahl der dauerkranken Lehrer ist exorbitant gestiegen. Wir haben einen Unterrichtsausfall, auch wenn da teilweise vertreten wird. Es ist dennoch ein qualitativer Unterschied. Deshalb sage ich auch im Hinblick auf den Erfolg der Schulstrukturreform: Packen Sie dieses Thema an! Warten Sie nicht! Die Stadt kann nicht warten, die Eltern können nicht warten. Die Schülerinnen und Schüler und die Lehrkräfte brauchen das. Deshalb lassen Sie uns gemeinsam nach Wegen suchen, wie wir hier mehr Arbeitszeitgerechtigkeit schaffen können! Lassen Sie uns gemeinsam schauen, wie wir die Lehrerarbeitszeit so verändern –

Kommen Sie bitte langsam zum Schluss!

das ist mein letzter Halbsatz –, dass am Ende die Schülerinnen und Schüler etwas davon haben und wir nicht nur geredet haben, Frau Kollegin Tesch!

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Vielen Dank! – Das Wort für die Linksfraktion hat der Abgeordnete Zillich.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich lasse jetzt einmal die B-Noten weg, wer von wem hier abgeschrieben hat. Es ist ein wichtiges Anliegen, das der CDU-Antrag aufgreift. Er ist zwar nicht der erste, der das aufgreift, aber es ist wichtig. Einerseits geht es natürlich um die Frage von Arbeitszeitgerechtigkeit in dem Sinne, dass Lehrerinnen und Lehrer unterschiedliche Arbeitszeitverpflichtungen in den unterschiedlichen Schulformen haben, andererseits auch darum, dass sie dort unterschiedliche Belastungen beispielsweise mit Korrekturen haben.

Viel wichtiger ist aber ein anderer Aspekt. Viel wichtiger ist der Aspekt, dass wir mit dem derzeitigen Arbeitszeitmodell der Realität des Berufs als Lehrer nicht mehr gerecht werden. Es entspricht auch nicht den Anforderungen, die wir an Lehrer stellen und im Interesse der Kinder stellen müssen.

[Beifall des Abg. Sascha Steuer (CDU) – Mieke Senftleben (FDP): Sie haben ja etwas verstanden!]

Wenn man ein Modell hat, das ausschließlich die 45 Minuten Unterricht als Maß kennt, berücksichtigt das eben nicht, was an Nachbereitungen und Korrekturen einerseits

notwendig ist, aber auch nicht das, was an individueller Förderung stattfinden muss. Gespräche mit Schülerinnen und Eltern, Teamarbeit und Schulentwicklung bleiben außer Betracht.

Wir entwickeln immer mehr Schulen zu Ganztagsschulen. Das ist notwendig und stellt neue Anforderungen an Lehrer. Es stellt auch einen Veränderungsbedarf bezogen auf das Selbstverständnis der Schulen dar und nicht nur bezogen auf die Wissensvermittlung im Unterricht. Es geht darüber hinaus. Wir brauchen eine neue Arbeitszeitregelung, wissen aber auch, wie schwierig das ist.

[Mieke Senftleben (FDP): Das wissen wir schon seit acht Jahren!]

Ja, ist ja gut. Sie sind gleich an der Reihe. – Wir wissen, dass in keinem Bundesland eine befriedigende Lösung gefunden worden ist.

Ich will an der Stelle ein paar Worte zu dem CDU-Antrag sagen. Er bezieht sich auf ein Modell, das gemeinsam mit dem VBE, dem Verband für Bildung und Erziehung, entwickelt worden ist.

Herr Zillich! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mutlu?

Ja, unbedingt.

Ich kann das, was Sie sagen, unterschreiben. Alles, was Sie aufgezählt haben, ist richtig. Sie sind seit 2001 in dieser Stadt in der Regierung mit der SPD. Was sind Ihre Vorschläge, abgesehen von den Vorschlägen der CDU und der Grünen oder der FDP? Welche Vorschläge für ein neues Arbeitszeitmodell in dieser Stadt haben Sie?

Bitte sehr, Herr Kollege Zillich!

Herr Mutlu! Ich versuche gerade, in meiner Rede darauf hinzuweisen, dass es nicht so einfach ist, ein Modell zu entwickeln. Es ist ein schwieriger Aushandlungsprozess. Dabei bleibe ich an dieser Stelle auch. Ich begrüße ausdrücklich, dass die CDU das vorliegende Modell vorgelegt hat. Es ist deswegen gut, weil man ein Modell hat, worüber man reden kann, auch konkret darüber reden kann, welche Veränderungen das tatsächlich bewirken würde. Es ist auch deswegen gut, weil man daran sieht, dass die Frage nicht so einfach zu lösen.

Positiv ist insbesondere, dass man versucht, in diesem Modell die Tätigkeiten, die neben dem Unterricht von

Lehrern zu leisten sind, abzubilden. Es ist eben auch so, dass es zunächst ohne eine Entlastung an Unterrichtsverpflichtung einhergeht. Jahreszeitarbeitskonten, wie vorgeschlagen, können ein sinnvolles Element sein. Ob sie allein ausreichen, ist die Frage. Ein Modell, das vorsieht, von der 45-Minuten-Unterrichtsstunde hin zu einer Zeitstunde an Unterricht zu gehen, ist diskussionswürdig. Aber auch daraus ergibt sich die Frage, was das für die Schulorganisation bedeutet. Schränkt es die Schulen in der Möglichkeit ein, flexibel nach pädagogischen Erfordernissen den Schulalltag zu gestalten? Wenn nicht, wo soll dann die Entlastung in der Vorbereitungszeit herkommen, wenn es nicht einschränkt? Vorgeschlagen ist eine Faktorisierung der Unterrichtsverpflichtung, um den unterschiedlichen Belastungen in unterschiedlichen Fächern und Schulstufen gerecht zu werden. Was das aber nun genau für die Musiklehrerin oder den Deutschlehrer heißt, wird eben genau nicht gesagt. Das muss man sich einfach einmal anschauen. Auf die Frage des Ganztagsbetriebs gibt es schlicht keine Antwort. Das ist dort nicht benannt und klammert sich weiter fest an den Pflichtstunden.

Ich begrüße, dass ein Vorschlag auf dem Tisch liegt. Das ist auch nicht der einzige. Wir werden darüber reden müssen. Wir stehen vor dem allgemeinen Problem, dass wir bei allen Modellen, über die wir reden, eine Entlastung in der Unterrichtsverpflichtung finanzieren müssen. Wir haben für die Haupt- und Realschullehrer im Rahmen der Schulstrukturreform eine erhebliche Entlastung. Jede weitere Entlastung steht in Konkurrenz auch zu anderen Notwendigkeiten im Bildungsbereich. Damit werden wir umgehen müssen.

Zu allerletzt: Das ist ein entscheidender Punkt in der Frage der Herangehensweise. Ich bin fest davon überzeugt, dass es nicht ausreicht, abstrakte Modell zu entwickeln. Es ist letztlich eine Frage, die die Tarifparteien klären müssen. Es wird eine Frage, die zwischen dem Senat und den Gewerkschaften in Tarifverhandlungen zu klären ist. Das wird nicht mehr einfach zu verordnen sein, erst recht, wenn wir uns von der Verbeamtung von Lehrern verabschieden wollen. Dass weder der Senat noch die Gewerkschaften dies zum Thema der gegenwärtigen Tarifverhandlungen gemacht haben, legt den Verdacht nahe, dass beide die Einschätzung haben, dass es kein ganz so einfach zu lösendes Problem ist. Wenn wir jetzt in der Ausschussberatung dazu beitragen können, Modelle anzubieten, die in eine solche Debatte eingehen können, sollten wir das tun. – Danke schön!

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Vielen Dank, Herr Zillich! – Frau Senftleben!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Herren, meine Damen! Vier Punkte haben mich als Lehrerin immer total genervt. Es waren die lieben Nachbarn und Freunde, die mich immer beneidet haben, dass ich schon mittags zu Hause war und dass ich so unendlich viele Ferien hatte. Eigentlich hat sich in den letzten 25 Jahren so richtig nichts geändert, denn Herr Schröder, ehemals Bundeskanzler, hat immer noch gesagt, wir seien faule Säcke.

Als Punkt zwei habe ich nie verstanden, warum ausschließlich Unterrichtszeit als Arbeitszeit berechnet wird. Elternarbeit, Elterngespräche waren für mich als Lehrerin immer ausgesprochen wesentlich. Die wurden gar nicht in die Berechnung einbezogen. Mit anderen Worten: Man kann es tun, man kann es aber auch lassen. Wir wissen alle, viele lassen es.

Drittens habe ich mich immer tierisch darüber geärgert, dass die unterschiedliche Vor- und Nachbereitungszeit der jeweiligen Fächer überhaupt nicht berücksichtigt wurde. Das spielt auch bis heute keine Rolle. Das finden nicht nur die Kollegen völlig in Ordnung, sondern offensichtlich auch die Kollegin Frau Dr. Tesch.

Viertens verstehe ich immer noch nicht, warum Leistung in der Schule nicht belohnt wird.

[Andreas Gram (CDU): Verstehe ich auch nicht!]

Hier brauchen wir mir Ehrlichkeit, insbesondere in den letzten beiden Punkten. Es geht nicht nur um Arbeitszeitgerechtigkeit, sondern auch um Leistungsgerechtigkeit. Als aktive Bildungspolitikerin habe ich die Praxis nicht vergessen, die Lehrerarbeitszeit frühzeitig thematisiert. Siehe da, wenn man mit den Lehrern unter sechs oder acht Ohren sprachen, gaben sie mir in allen Punkten recht und sagten: Machen Sie doch einmal, Frau Senftleben! – Und ich machte. 2002 hat die FDP den Antrag zur Arbeitszeitregelung für Lehrer eingebracht. Wir wissen um die Umstrukturierung, dass es Probleme gibt – Herr Zillich, Sie haben recht. Deswegen haben wir den Antrag offen, aber mit einer klaren Zielvorgabe formuliert, ein Konzept vorzulegen.

Und nun Frau Dr. Tesch, sehr verehrte Kollegin, erinnern Sie sich noch an Ihre goldenen Worte? Ich möchte sie mit Erlaubnis des Präsidenten noch einmal vorlesen:

Dieser Antrag der FDP-Fraktion liest sich auf den ersten Blick als vernünftiger Vorschlag. Er hinkt jedoch der Zeit hinterher.

Hört, hört! –

Wir haben diese bereits in den Koalitionsvereinbarungen festgelegt und werden es in dieser Legislaturperiode auch umsetzen! Die FDP braucht diesen Antrag gar nicht zu stellen.

Was ist denn, Frau Dr. Tesch? Was ist in den letzten Jahren eigentlich passiert? – „Nüscht“, wie der Berliner sagt.

[Beifall bei der FDP]

Sie hatten die Möglichkeit, neue Wege zu gehen und neu zu denken, aber da haben Sie eine Blockade.

[Özcan Mutlu (Grüne): Ist alles zu schwer!]