Protokoll der Sitzung vom 25.02.2010

Als Letztes: Wir sind hier auch als Umweltpolitiker zuständig. Ich mache mir auch um die Umwelt Sorgen, denn was passiert jetzt bei der Reinigung und Wiederverwendung des stark kontaminierten Streuguts? Welche Umweltwirkungen hat das? Wie ist denn die Belastung unseres Wassers durch den auftauenden Müll und den Dreck und die Tonnen von Hundekot in dieser Stadt? – Wir

dürfen nach den Eis- und Schneeproblemen nicht noch Umwelt- und Wasservergiftung erzeugen. Das ist die Herausforderung, nachdem der Schnee getaut ist. Lassen Sie uns gemeinsam im Ausschuss darüber reden, wie wir diese zusätzlichen Probleme vermeiden können. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Schmidt! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Vorabüberweisung haben Sie bereits eingangs zugestimmt. Nunmehr empfiehlt der Ältestenrat die Überweisung zusätzlich und federführend an den Ausschuss für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz, wozu ich keinen Widerspruch höre.

Ich rufe auf die

lfd. Nr. 4 e:

I. Lesung

Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz

Vorlage – zur Beschlussfassung – Drs 16/2965

Das ist die Priorität der Fraktion Die Linke unter dem lfd. Tagesordnungspunkt 8.

Ich eröffne die I. Lesung. – Für die Beratung stehen den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion Die Linke. Der Herr Abgeordnete Klemm hat jetzt das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute ist ein guter Tag für Berlin. Der Senat hat dem Parlament sein neues Ausschreibungs- und Vergabegesetz zur Beratung vorgelegt. Mit dem Gesetz werden umfassende Regelungen zum Berliner Vergabewesen und zu bei Ausschreibungen zu beachtenden Grundsätzen geschaffen. Wir werden mit den zu dem Gesetz erlassenden Verordnungen ökologische Kriterien bei Auftragsvergaben definieren.

[Heidi Kosche (Grüne): Da haben wir aber auch lange drängeln müssen!]

Wir stärken Unternehmen, in denen besonders Frauen gefördert werden. Und wir unterstützen auch insbesondere Unternehmen, die verstärkt Ausbildungsplätze bereitstellen.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Vor allem schaffen wir mit dem Gesetz mehr Gerechtigkeit. Wir sagen, Leistung muss sich lohnen.

[Mieke Senftleben (FDP): Ah! – Gelächter bei der CDU]

Leistung lohnt sich nur, wenn sie gut entlohnt wird. Von Arbeit muss man bzw. frau auch leben können. Dafür steht die Linke im Bund wie im Land.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Deshalb wird in dem Gesetz die Bindung an die nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz fixierten Löhne festgelegt. Soweit es für bestimmte Branchen keine Tarifverträge gibt oder die dort vorgesehenen Tarifverträge unter dem Lohn von 7,50 Euro pro Stunde liegen, wird ein Mindestlohn von 7,50 Euro in dem Gesetz festgeschrieben. Wobei ich zu den 7,50 Euro für die parlamentarische Beratung schon sagen will, dass wir uns dabei an den Mindestlohnforderungen des DGB orientiert haben, dass der DGB jetzt auch über diese Forderung diskutiert, dass da eine andere Zahl im Raum steht und dass wir in der parlamentarischen Beratung darüber reden müssen, diese 7,50 Euro dann an die Neuforderung, nämlich 8,50 Euro, anzupassen, was allerdings auch bedeutet, dass wir uns über die damit verbundenen Mehrkosten und über deren Deckung im Parlament und in der Regierung Gedanken machen müssen.

Mit dem Gesetz wirken wir dem zunehmenden Trend des Einsatzes von Niedriglohnkräften entgegen. Außerdem stärkt das neue Vergabegesetz den fairen Wettbewerb. Es bekämpft Wettbewerbsverzerrung zwischen Unternehmen, die ihre Arbeitskräfte nach den in Berlin geltenden Tarifen entlohnen, und andere Unternehmen, die deutlich geringere Entgelte zahlen. Und es verhindert, dass Löhne für eine Ganztagsbeschäftigung am Ende vom Arbeitsamt aufgestockt werden müssen. Es ist nicht gerecht, wenn Arbeitgeber die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schlecht bezahlen, dafür noch indirekt subventioniert, also vom Staat belohnt werden. Wie ich heute in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken aus dem Bundestag lesen musste, sind immerhin zehn Prozent der Jobs, die bundesweit aufgestockt werden müssen, Jobs, die entweder direkt am öffentlichen Dienst hängen oder indirekt über den öffentlichen Dienst bezahlt werden.

Zugleich greifen wir mit dem Gesetz auch eine aktuelle Debatte der FDP auf, die unter dem wertneutralen Begriff „Sozialstaatskritik“ mit Blick auf die NRW-Wahl angezettelt wurde. Der Bundesaußenminister irrlichtert im Moment durch die politische Landschaft und fordert, dass diejenigen, die keine Arbeit haben und auf staatliche Hilfe angewiesen sind, so mies unterstützt werden, dass sie dazu gezwungen werden, Arbeit unter allen erdenklichen Umständen und allen erdenklichen und unerdenklichen Konditionen annehmen zu müssen. Das, was da im Moment unter dem Motto, man wird ja so etwas in Deutschland noch sagen dürfen, daherkommt, würde in Konsequenz eine Gehaltsspirale nach unten in Gang setzen. Mancher, der heute solchen Forderungen von Guido Westerwelle am Stammtisch noch zustimmt, wird sich die Augen reiben, wenn er dann irgendwann einmal sein Kündigungsschreiben für seinen eigenen Job bekommt und dazu ein Arbeitsangebot in einer ausgegründeten

Firma, wo er dieselben Aufgaben macht, aber entschieden schlechter bezahlt wird.

Wir wollen diese Spirale nach unten nicht. Wir stehen für das Gegenteil. Steigende Löhne schaffen mehr Gerechtigkeit und kurbeln dazu die Binnenkonjunktur an.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Am 30. März 2008 war Berlin mit seinem Vergabegesetz bundesweit ganz vorn mit dabei. Nach dem Rüffert-Urteil mussten wir neu nachdenken. Jetzt – und da bin ich mir sicher – haben wir einen Weg gefunden, der bei allen Unwägbarkeiten von Gerichtsentscheidungen doch schon dazu führen wird, dass wir armutssichere Löhne bei öffentlichen Aufträgen in Berlin erfolgreich einführen können. Wir sind in unserem zweiten Anlauf zum Berliner Vergabegesetz –

Herr Abgeordneter Klemm! Wenn Sie bitte zum Schluss kommen möchten!

Ich bin beim letzten Satz. – zwar nicht mehr die Schnellsten, dafür – und das zeigt der Blick ins Gesetz, in die Paragrafen – bundesweit einmal wieder als Berlin die Besten. – Danke schön!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Klemm! – Für die CDUFraktion hat jetzt der Herr Abgeordnete Melzer das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Klemm! Ich möchte weniger auf das eingehen, was Sie gesagt haben, sondern stärker auf das eingehen, was Sie nicht oder weniger deutlich gesagt haben.

[Gernot Klemm (Linksfraktion): Ich hatte nur fünf Minuten! ]

Erste Feststellung: Sage und schreibe zwei Jahre haben Sie gebraucht – nach dieser krachenden Niederlage vor dem Europäischen Gerichtshof –, um uns heute eine neue Vorlage des Vergabegesetzes zu präsentieren.

[Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion): Gute Arbeit! Wir sprechen mit unserem Koalitionspartner!]

Da ich heute viele Glückwünsche zum Geburtstag bekommen habe, sage ich an der Stelle auch mal: Herzlichen Glückwunsch, dass Sie es nach zwei Jahren endlich geschafft haben! – Aber nach diesen zwei Jahren hätte ich mir dann auch gewünscht, dass ein bisschen mehr Substanz dabei gewesen wäre.

[Beifall bei der CDU]

Sie haben in der Vergangenheit, in den letzten zwei Jahren, zu einem Regelungsvakuum beim Vergabegesetz beigetragen, und auch jetzt ist gähnende Leere und ein Vakuum festzustellen, wenn es um die Fragen geht: Wie kann man zusätzliche bürokratische Hürden vermeiden, statt neue zu schaffen? Wie wird die Einhaltung dieses Gesetzes wirksam und effektiv kontrolliert? – Und insbesondere: Wie können wir über die Vergabepolitik mittelständische Betriebe unterstützen und für regionale Wirtschaftsförderung sorgen? – All das ist in der Vorlage von SPD und Linke mit keinem Wort erwähnt, und das kritisieren wir.

[Beifall bei der CDU – Beifall von Volker Thiel (FDP)]

Herr Klemm! Auch an die Reihen der SPD! Die Vergabepolitik ausschließlich zu einer Mindestlohndebatte zu machen zeigt deutlich, dass Sie die wirtschaftspolitische Bedeutung der Vergabepolitik immer noch nicht verstanden haben. Deswegen hat z. B. die Vereinigung der Unternehmensverbände recht, wenn UVB-Hauptgeschäftsführer Amsinck heute formuliert:

Die Wirtschaftlichkeit ist in den Hintergrund geraten, und vergabefremde Aspekte dominieren.

Die IHK attestiert dem Berliner Senat, dass im Vergabegesetz die Interessen der mittelständischen Wirtschaft eindeutig zu kurz kommen. Weiter sagt IHK-Geschäftsführerin Bähr – Zitat –:

Das vonseiten des Senats betonte Ziel, das Vergabegesetz mittelstandsfreundlich weiterzuentwickeln, bleibt weitgehend ein Lippenbekenntnis.

Wir fordern Sie heute auf: Schluss mit diesen Lippenbekenntnissen! Sorgen Sie endlich dafür, dass auch die Vergabepolitik mittelstandsgerecht wird! – Wir als CDU haben dazu konkrete Vorstellungen vorgelegt: regionale Unternehmensförderung, Vergabe in Fach- und Teillosen, Entbürokratisierung, einheitliche Regelungen in Bieterlisten! – All das kommt in Ihrem Gesetz nicht mehr vor, und deswegen ist es an dieser Stelle schon mal ein schlechtes Gesetz.

[Beifall bei der CDU – Beifall von Volker Thiel (FDP)]

Neben der inhaltlichen Diskussion steht natürlich die Frage im Raum, ob dieses Gesetz rechtssicher ist. Im September, kurz vor den Bundestagswahlen – man erinnere sich –, haben wir im Abgeordnetenhaus mit den Stimme von Linke und SPD einen Beschluss bekommen, der das Vergabegesetz als EU-rechtskonform ansah. Wohlgemerkt, zu einem Zeitpunkt, wo das Gesetz noch nicht mal dem Parlament vorlag! Wir haben seinerzeit als CDU-Fraktion gesagt: Wir geben keinen Freifahrtschein. – Wir sehen heute, dass wir recht behalten haben.

[Beifall bei der CDU]

Wir haben beim Wissenschaftlichen Parlamentsdienst ein Gutachten in Auftrag gegeben. Seit wenigen Tagen – seit Mitte Februar – liegt dieses Gutachten vor. Wenn ich mir

nun ansehe, wie rechtssicher demnach Ihr Gesetz ist, kann ich aus diesem Gutachten zitieren:

Hingegen erscheint die in § 1 Abs. 3 des Gesetzentwurfs vorgenommene Tariftreueregelung bei der Vergabe von Leistungen über öffentliche Personenverkehrsdienste als

ich fasse zusammen –

mit den Grundsätzen der Rüffert-Entscheidung nicht, jedenfalls nicht rechtssicher vereinbar.