Zur Beratung steht den Fraktionen nach unserer Geschäftsordnung eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zu. – Für die Fraktion der CDU hat Herr Kollege Steuer das Wort. – Bitte schön, Herr Steuer!
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In der neuesten Statistik zur Gewalt an Schulen haben sich die Zahlen in den letzten fünf Jahren versechsfacht. Gegen
über dem letzten Jahr haben sie sich fast verdoppelt. Ein trauriger Höhepunkt war der Gewaltexzess am Rande einer Schulfeier vor zwei Wochen. Ein Polizist in Zivil wurde dort fast totgeprügelt. Angesichts dieser vom Senat vorgelegten Zahlen und der Brutalisierung der Schulgewalt sind wir es leid, uns mit Ihnen über die Zahlen zu streiten, um das ganz deutlich zu sagen.
Gerade erst wieder bestritt die schulpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Frau Dr. Tesch, vor der Tür, dass die Zahlen tatsächlich gestiegen seien. Ich sage Ihnen ganz klar: Hören Sie auf, die Gewalt klein zu reden oder zu beschönigen!
[Beifall bei der CDU und der FDP – Uwe Doering (Linksfraktion): Dramatisieren müssen Sie aber auch nicht!]
Herr Doering! Ich habe dem Neuköllner Schüler in die Augen gesehen, der 14 Tage lang nicht mehr zur Schule ging, weil er schreckliche Angst um sein Leben hatte, und der erst wieder zur Schule gehen konnte, nachdem er in Treptow-Köpenick einen Ersatzschulplatz gefunden hat. So ist die Realität in dieser Stadt, Herr Doering. Hören Sie auf, sie klein zu reden!
[Beifall bei der CDU und der FDP – Dr. Martin Lindner (FDP): Uns geht es um Menschen, euch geht es um Sachen!]
Es gibt einen Zuwachs und eine Brutalisierung der Schulgewalt, und damit müssen wir umgehen. Deshalb beantragen wir heute als CDU-Fraktion ein Paket aus erstens Prävention und zweitens Repression. Um es ganz deutlich zu sagen: Beides gehört zusammen und lässt sich nicht voneinander trennen.
Auch wenn mittlerweile unumstritten ist, dass unter den delinquenten Jugendlichen die Zahl der Jugendlichen mit Migrationshintergrund überproportional ist, bedeutet dies selbstverständlich nicht, dass Ausländer quasi von Geburt an gewalttätiger sind als Deutsche. Nein! Es sind die sozialen, familiären und gruppendynamischen Bedingungen, die bei Jugendlichen aus ausländischen Familien meist prekärer sind. Geringere Ausbildungschancen, keine positiven Vorbilder, mangelnde Erziehungskompetenz vieler Eltern kommen hier zusammen. Diese Kinder sind Opfer, und wir müssen verhindern, dass sie zu Tätern werden.
Deshalb müssen wir die Schulen ertüchtigen, mehr für Gewaltprävention zu tun. Deshalb brauchen die Schulen in den Innenstadtbezirken Schulpsychologen, und alle Schulen in den Innenstadtbezirken brauchen Sozialarbeiter. Dies ist mittlerweile eine Binsenweisheit, die wir durchsetzen und wollen müssen, und es ist nicht vernünftig, dass der Bildungssenator dieses Ziel in der letzten Woche bereits aufgegeben hat. Nein! Hierfür wollen wir uns einsetzen – Sozialarbeiter an alle Schulen!
Die Lehrer sind auch deshalb am Ende ihrer Kräfte, weil sie die Erziehungsdefizite der Eltern nicht mehr ausgleichen können. Damit Lehrer sich aber auf den Unterricht konzentrieren können, brauchen sie dringend diese Sozialarbeiter zur Entlastung.
Darüber hinaus wollen wir Streitschlichterprogramme, und zwar an mehr Schulen, als es jetzt der Fall ist, eine bessere Verzahnung von Kita und Grundschulen, früher ansetzende Erziehungsmaßnahmen und mehr individuelle Förderung für Kinder mit Verhaltensstörungen und Lernschwächen. Deshalb ist auch die brutale Kürzung der Hilfen zur Erziehung in den letzten fünf Jahren als größte Einsparmaßnahme – mit 40 % dieses Titels – nicht richtig gewesen und wird sich negativ auswirken.
Präventive Arbeit ist komplex, und die Ergebnisse sind nicht sofort zu erkennen. Dennoch sind sie unerlässlich und wirken nachhaltig gegen Gewalt. Aber wenn man erfolgreich sein will, muss man auch etwas gegen die delinquenten Jugendlichen tun, die immer gewalttätig sein werden, weil Prävention nicht alle Kinder und Jugendlichen erreichen wird. Diesen Jugendlichen müssen wir klarmachen, was der Staat nicht bereit ist mitzumachen.
Wenn Straftäter immer jünger werden, muss auch das Strafmündigkeitsalter sinken. Wenn es für Berliner Kinder und Jugendliche nur vier Plätze zur Vermeidung von Untersuchungshaft in Brandenburg gibt, dann ist das zu wenig, denn diese Plätze sind vernünftig. Lieber geht ein Kind, ein Jugendlicher eine Zeit lang in ein geschlossenes oder offenes Heim mit intensiver pädagogischer Betreuung, als dass es zum Schluss im Knast landet. Lieber Prävention und vernünftige Maßnahmen im Vorfeld durch Heimunterbringung anstatt nachher jahrelanger Knast.
Die Ergebnisse zeigen auch, dass es erfolgreich ist, denn die Rückfallquote der Kinder, die in diesen wenigen, nur vier Plätzen in Brandenburg untergebracht sind, ist wesentlich geringer als die Rückfallquote derjenigen, die entweder gar keine Maßnahme erhalten oder im Gefängnis waren. Also: Heimunterbringung geschlossen und offen, aber in Berlin! Das brauchen wir – mehr als vier Plätze.
Wir wollen keine Schnellschüsse, deshalb haben wir heute zwei Maßnahmepakete vorgelegt, die sich sehr intensiv mit dem Thema befassen, und ich sage Ihnen auch, warum es absolut notwendig ist.
Entschuldigung, Herr Kollege, aber Ihre Redezeit ist leider abgelaufen, sodass Sie jetzt zum Schluss kommen müssen!
Vielen Dank! – Da ich gerade bei meinem letzten Satz war, will ich mich jetzt auch bemühen, nur diesen letzten Satz zu Ende zu bringen. Weil wir beides brauchen, Repression und Prävention, legen wir Ihnen dieses Maßnahmenpaket heute vor, diese beiden Anträge. Es geht darum, die friedfertigen Kinder und Jugendlichen in der Stadt zu schützen, denn jeder einzelne Berliner Schüler, unabhängig davon, ob die Zahlen dramatisch steigen oder nicht, hat ein Recht darauf, ohne Angst in die Berliner Schule gehen zu können. – Danke sehr!
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! – Sehr geehrter Herr Kollege Steuer! Wenn man den Antrag der CDU zum Sofortprogramm Gewaltprävention liest, dann ist an dem Antrag nur eines konsequent, und zwar die Begründung des Antrags. Die Begründungs ist äußert kurz und knapp, genau wie der qualitative Ansatz, den Sie hier vortragen.
Bevor ich auf den Antrag kurz eingehe, möchte ich noch einmal auch für Sie die Datenlage darstellen, die Sie bestimmt von der Senatsverwaltung für Bildung erhalten haben. Die Stadt diskutiert nicht zu Unrecht über Jugendgewalt und auch über Jugendgewalt an Schulen. Im Schuljahr 2005/2006 meldete jede Schule im Durchschnitt 1,6 Vorfälle von Gewalthandlungen. Es wurden insgesamt 1 573 Vorfälle gemeldet. Nun kann man, wenn man diese Zahlen mit den Meldungen des Vorjahres vergleicht, feststellen, dass die Anzahl der Meldungen um 76 % zugenommen hat. Sie haben aber nicht verstanden, und das ist Ihr Irrtum, Herr Steuer, dass es um die Anzahl der Meldungen von Gewaltvorfällen geht. Es geht nicht darum, ob die Gewalt gestiegen ist, sondern wir sind froh, dass die Gewaltvorfälle überhaupt erst einmal gemeldet werden.
Seit 1995/96 besteht die Meldepflicht der Berliner Schulen. Seit 2003 wurde die Meldepflicht in einem Rundschreiben, das auch Sie, Frau Senftleben, bestimmt schon gelesen haben, noch einmal explizit vorgegeben, und dann stellen Sie fest, dass sich im Jahr 2003 im Vergleich zum Vorjahr die Meldezahlen um 62,6 % erhöht haben.
Wir sind – das sagte ich eben – froh, dass diese Hellzahlen vorgelegt werden und nicht im Verborgenen bleiben.
Wie kann man darauf reagieren? – Man kann es wie die CDU machen und ein Sofortprogramm fordern. Wenn man den Antrag liest, wird deutlich, dass die CDU populistisch auf einem aktuellen Thema herumreitet, aber vom Kern nichts versteht. Sie haben weder die Ursachen und die Folgen verstanden noch wissen Sie anscheinend, wie Gewaltprävention an Berliner Schulen erfolgt.
Die Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung setzt die Vorschläge, die die CDU aufgeschrieben hat, seit Jahren um. Es gibt an 20 % der Berliner Schulen Streitschlichter. Im Jahr 2005/2006 wurde das BuddyProgramm eingeführt, das das soziale Miteinander an Schulen fördert und damit den schulischen Konsens gegen Gewalt festigt. Sie fordern Trainingskurse, aber diese gibt es bereits. Sie verkennen auch, dass die Trainingskurse nicht für jeden Schüler geeignet sind. Sie fordern zudem, dass die Namen der delinquenten Schülerinnen und Schüler mitgeteilt werden. Das geht auch heute schon, und zwar vor Ort bei den Schulpsychologen. Der Senat hat zum Glück schon vor Jahren gehandelt.
Die Lehrer werden in Veranstaltungen in Kooperation mit der Polizei fortgebildet. Es gibt das Berliner Konfliktlotsenprogramm. Die Berliner Polizei und mittlerweile auch die Rechtsanwaltskammer sind wichtige Kooperationspartner. Es gibt zudem Abteilungen für Intensivstraftäter, die die von Ihnen angesprochenen Täter sehr schnell verurteilt.
Wenn der dringliche Antrag erstens so dringlich und zweitens so inhaltlich qualitativ wäre, wie Sie vorgeben, dann frage ich mich, warum sich die CDU keine eigenen Gedanken gemacht hat.
Die Berliner CDU schreibt ab, und zwar von der Konferenz gegen Jugendgewalt, die letzte Woche in Hamburg stattfand. Diese Konferenz hat 100 Forderungen zum Thema Jugendgewalt vorgelegt. Die Berliner CDU ist nicht in der Lage, sich eigene Gedanken zu machen, wie man mit dem Problem im Land Berlin umgehen sollte, und muss abschreiben. Herzlichen Glückwunsch, liebe Kollegen der CDU!
Wir wollen keine Einzelfallgesetzgebung. Wir wollen nicht jedes Mal, wenn es zu einem Vorfall an einer Berliner Schule kommt, nach schärferen Maßnahmen rufen.