Ja, ich will es Ihnen genau sagen, warum das wieder sein muss: Wir haben vor vier Wochen eine riesige Debatte um VERA gehabt. Da gab es einen Protestbrief, der zunächst einmal an die Presse ging, und irgendwann erreichte dieser Protestbrief auch den zuständigen Senator. Dann kam die Debatte hier im Abgeordnetenhaus – große Worte. Die Tests wurden geschrieben. Eine Schule hat nicht mitgemacht. Aber die Frage bleibt: Was nun, und was tun, Herr Senator?
Ich meine, da gehört es zu unserer Pflicht – ich sehe es jedenfalls so, auch als Oppositionspolitikerin –, nun zu sagen, wie wir mit den Ergebnissen von VERA umgehen müssen. Deswegen werden wir heute diese beiden Anträge diskutieren und debattieren, denn es ist auch unsere Aufgabe, darüber nachzudenken, wie wir Verbesserungen erreichen können. Wenn Kinder fast vier Jahre lang durch das Berliner Bildungssystem marschieren und die Lehrer in Bezug auf VERA sagen, dass die Kinder eigentlich nichts verstehen, dann ist das das eigentliche Dilemma in dieser Stadt – das rot-rote Bildungsdilemma –, und das können wir nicht auf uns sitzen lassen.
Es geht auch heute nicht darum, Schwarzer Peter zu spielen. Das will ich nicht. Es geht mir und unserer Fraktion darum, VERA als das Instrument zu nutzen, das es ist, nämlich Bildungsforschung und Schulpraxis gewinnbringend zusammenzubringen.
Drei Anträge liegen vor – ja, drei, denn auch der Antrag zur Partnerschaft zwischen Schulen und Universitäten trägt dazu bei, Praxis, Theorie und Forschung besser miteinander zu vereinbaren. Wenn über acht Jahre nach den ersten PISA-Ergebnissen Sinn und Zweck von Bildungsforschung in dieser Stadt grundlegend infrage gestellt werden, dann hat einer seinen Job nicht richtig gemacht, und das ist der Bildungssenator.
Herr Zöllner! Sie haben zum Verdruss der Lehrer beigetragen. Sie und Ihre rot-roten Freunde stehen für eine Reformitis an den Berliner Schulen, die ihresgleichen sucht.
Auf Forschung haben Sie gepfiffen. Die haben Sie nicht angewandt. Dabei war VERA von 2004 bis 2006 ein super Beispiel dafür, denn in diesem Zeitraum wurden bei VERA durch die Lehrer Daten erhoben, die Ihnen hilfreiche Rückmeldungen ermöglichten. Es gab den sogenannten fairen Vergleich, bei dem Lehrer die Leistung ihrer Klasse mit denen von Klassen in ähnlicher Zusammensetzung vergleichen konnten, um nicht Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Ferner haben Lehrer an der Verbesserung ihrer Diagnosegenauigkeit gearbeitet. Sie mussten nämlich bereits vor den Vergleichsarbeiten die Kompetenz ihrer Schüler einschätzen. Ein Feedback war natürlich obligatorisch.
Herr Senator! Seit 2007 – also unter Ihrer Regie – wird beides nicht mehr gemacht, und die Frage ist berechtigt: Warum? Ist es falsch verstandene Pietät, oder ist es ein zu hoher Aufwand? Warum nutzen Sie nicht wenigstens die vorhandenen Merkmale „nichtdeutsche Herkunftssprache“ und „Lernmittelzusatzbefreiung“? So könnten Sie doch den Schulen einen pragmatischen Weg aufzeigen und Ihnen eine fairen Vergleich ermöglichen.
Denn VERA will schulübergreifende Diskussionen provozieren, und VERA will den Wettstreit um die wirksamsten Konzepte herausfordern. Aber da verweigern Sie sich, und die Quittung lag vor einigen Wochen auf Ihrem Tisch. Herr Senator! Ihre Aufgabe war und ist es, den Pädagogen Folgendes deutlich zu machen: Bildungsforschung trägt dazu bei, herauszufinden, unter welchen Bedingungen welche Konzepte wirken und welche nicht. Sie hingegen zwangsverordnen undifferenziert allen Schulen das jahrgangsübergreifende Lernen, denn nach Ihrer eigenen Aussage müsste es ja „theoretisch funktionieren“ – O-Ton des Senators. Herr Senator! Ihr Job als Schulsenator ist es nicht, Theorie zu verordnen, sondern Ihr Job ist es, die Theorie für die Schulpraxis erfolgreich handhabbar zu machen.
Aber Sie machen eben linke Bildungspolitik nach dem Motto: Was für den einen gut und richtig ist, das passt dann auch für alle. – Nein! Mit dieser Auffassung machen Sie einen riesigen Fehler. Sie individualisieren nicht, sondern Sie generalisieren.
Ich sage Ihnen eines: Nur vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich. Ansonsten zählt der Mensch als Individuum, das auch so behandelt werden will.
Einen letzten Satz gestatten Sie mir noch: Der FDP geht es um Pragmatismus und Wirksamkeit statt Ideologie.
Mithilfe der Bildungsforschung müssen passgenaue pädagogische Konzepte identifiziert werden. Wir wollen den Wettbewerb um die wirksamsten Konzepte. Die sind es nämlich, die gute Schule ausmachen. Es sind nicht die ideologischen Einheitsreformen. – Vielen Dank!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stecken europaweit in einer tiefen Finanzkrise. Deshalb müssen alle Länder Europas und auch alle Bundesländer sparen. Jetzt denken Sie: Thema verfehlt oder: Hinkt sie der Aktuellen Stunde hinter? – Nein, mitnichten! Denn überall hört und liest man, dass auf allen Gebieten gespart werden muss. Die Kanzlerin streitet sich mit Roland Koch, ob der Bildungsbereich ausgenommen werden müsste. Und was tut Berlin? – Nein, wir sparen nicht an der Bildung, wir setzen hier eine Priorität, wir denken nicht – wie Niedersachsen – darüber nach, ob man den kostenlosen Kitabesuch wieder rückgängig machen sollte.
Deshalb war ich hocherfreut, als ich gestern früh auf Radioeins ein Interview mit unserem Finanzsenator hörte, in dem er sich klar positionierte und betonte, dass mit ihm ein Sparkurs in der Bildungspolitik nicht möglich sei.
Nun möchte ich ihm dafür danken, aber leider ist er nicht da. Deshalb sende ich von hier meinen Gruß an ihn nach Dresden.
Nun zu Ihren Anträgen, liebe FDP, die auch mit Ausgaben für Bildung zu tun haben! Deshalb eben: Thema nicht verfehlt. – Wir sparen auch nicht an der Fortbildung oder an der Evaluierung. Wir haben ja jetzt nur fünf Minuten für zwei Anträge – Sie wollten ja sogar drei. – Gestatten Sie mir, dass ich mich auf wesentliche Punkte beschränke.
Es ist schon richtig: Muss dass wieder sein, Frau Senftleben? Ich habe meinen Vortrag offiziell VERA II genannt, weil wir in der letzten Sitzung vor 14 Tagen
zehn lange Minuten darüber debattiert haben. Aber immerhin sind Sie mit mir der Meinung, dass es keinen Sinn hat, sich der Durchführung von Vergleichsarbeiten zu verweigern.
Das finde ich schon mal schön! Sie fordern, dass der Senat aus den Ergebnissen Konsequenzen ziehen soll.
Das sage ich Ihnen sofort, Herr Mutlu! – Nach den Ergebnissen der Jahre 2004 bis 2007 werden die Lehrkräfte im Umgang mit Rechenschwäche qualifiziert, und sie lernen die Förderung von Lesekompetenz. In regionalen und schulinternen Fortbildungen werden ihnen neuere methodisch-didaktische Kompetenzen nahegebracht.
Auch die Sprachfeststellung vor Schuleintritt und die verbindlichen Sprachkurse vor der Einschulung – die auch Geld kosten – sind Konsequenzen aus diesen Vergleichsarbeiten. Ich habe hier schon oft festgestellt, dass diese Reformen nicht bereits morgen messbare Ergebnisse bringen können, aber kleinere Fortschritte sind bereits erzielt worden.
Sie wissen genau wie ich, dass wir in den letzten Haushaltsberatungen das Institut für Schulqualität nachhaltig implementiert haben. Es beinhaltet auch ein Portal zur Selbstevaluation von Schulen. Natürlich werden bei dem sogenannten fairen Vergleich – was Sie ja auch fordern – die Merkmale nichtdeutsche Herkunftssprache und Lehrmittelfreiheit berücksichtigt. Die Lehrkräfte erhalten auch unmittelbar nach den Vergleichsarbeiten eine Rückmeldung über das Abschneiden ihrer Klasse bzw. Lerngruppe. Ebenfalls werden für die Lehrkräfte umfangreiche methodisch-didaktische Handreichungen bereitgehalten. Ihr erster Antrag ist deshalb eigentlich obsolet.
Nun zu Ihrem zweiten Antrag. Das ist ja Ihr Steckenpferd. Ich weiß, dass Sie es am liebsten der einzelnen Schule überließen, ob sie die Schulanfangsphase einführen will oder nicht. Aber das geht nun wirklich nicht. Ich habe gerade gestern am Rand einer Trauerfeier mit einem Schulleiter gesprochen, der der Einführung zunächst durchaus kritisch gegenüberstand. Er bat mich nun dringend, alle zu überzeugen.
Es hat zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema jahrgangsübergreifendes Lernen gegeben. Alle
diese Evaluationen waren positiv. Es funktioniert also auch praktisch. Ich habe mich auch vor Ort davon überzeugen können. Im Schuljahr 2004/2005 fingen 18 Grundschulen damit an, jetzt sind wir bei 85 Prozent, 314 Grundschulen angekommen. Ein Aussetzen der verbindlichen flächendeckenden Einführung des jahrgangsübergreifenden Unterrichts in der Schulanfangsphase wäre zu einem Zeitpunkt, an dem die Mehrzahl der Schulen sich bereit zeigt, diesen Weg einzuschlagen, ausnehmend kontraproduktiv.
Dennoch bitte ich um Überweisung dieser beiden Anträge und natürlich auch des dritten, den Sie hier nicht angegeben haben, in den Ausschuss für Jugend, Bildung und Familie. – Ich danke Ihnen!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Dr. Tesch! Es ist nicht die erste Debatte, bei der ich feststellen möchte: Es wäre besser, Sie sprächen mit den Schulleitern nicht bei Trauerfeiern, sondern würden in die Schulen gehen und sich dort einen Eindruck von der Situation machen!