Protokoll der Sitzung vom 09.09.2010

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Özcan Mutlu (Grüne): Integration, genau! – Michael Schäfer (Grüne): Sie haben wohl vor der Debatte Angst!]

Bildung ist der beste Weg zur Integration, und der intellektuelle Tiefgang von SPD-Politikern, die Finanzsenatoren waren und sich weder in der Bildungspolitik noch in der Integrationspolitik durch irgendeinen nennenswerten Vorschlag ausgezeichnet haben, ist in den letzten Wochen offenbar geworden.

[Beifall bei den Grünen]

Kein einziger bildungspolitisch vernünftiger Vorschlag von Herrn Sarrazin, der jetzt für seinen vermeintlichen Heldenmut gefeiert wird, endlich die scheinbar unbequemen Wahrheiten auszusprechen!

Er hat ja vielleicht unbequeme Wahrheiten ausgesprochen, aber er hat insbesondere – und darüber reden wir – Integrationsprobleme und Bildungsprobleme biologistisch begründet und damit zementieren wollen. Davon muss man sich distanzieren. Das sollten wir hier alle tun!

[Beifall bei den Grünen]

Frau Kollegin! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Oberg?

Nein! – Von Ihnen, Herr Wowereit, wird jetzt erwartet, dass Sie das Schlüsselthema Integration und Bildungspolitik endlich anpacken, denn seit neun Jahren regieren Sie hier in dieser Stadt. Zur Integrations- und Bildungspolitik ist Ihnen bislang nur eingefallen, dass Sie Ihre Kinder nicht auf Kreuzberger Schulen schicken würden. Was für ein Armutszeugnis!

[Beifall bei den Grünen – Zuruf von Christian Gaebler (SPD)]

Integration und Bildungspolitik wurde zwar auch – wie so vieles – zur Chefsache ausgerufen, doch außer Stückwerk ist wenig herumgekommen. Aktuell streitet die zuständige Senatorin Bluhm mit der SPD über ein sogenanntes Integrationsgesetz, das absurderweise die entscheidende Frage von Integrationspolitik, nämlich die Bildungspolitik,

absolut außen vor lässt. Ich finde, dass wir alle miteinander auf eine andere Ebene kommen müssen.

[Lars Oberg (SPD): Machen Sie mal!]

Die alten Debatten, die zwischen verhärteten Fronten erbittert geführt werden, helfen uns hier nicht weiter. Die einen retten sich noch heute darin, dass man die Migranten wieder wegschicken könne, wenn sie sich falsch benehmen. Manch andere verniedlichen die Probleme der Einwanderung, und beides ist falsch, weil wir so nicht weiterkommen.

[Beifall bei den Grünen]

Wir alle stehen in der Verantwortung, Probleme zu benennen. Wir dürfen dies nicht den „Das-wird-man-jawohl-sagen-dürfen-Typen“ à la Sarrazin überlassen. Es gibt Zehntausende von Erfolgsgeschichten von Menschen mit dem berühmten Migrationshintergrund. Hier im Raum befinden sich etliche von ihnen, und zwar in allen Fraktionen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass wir uns oft genug gegen vielfältige Widerstände, offene und verdeckte Diskriminierung und Anfeindungen durchbeißen mussten. Wir erscheinen immer noch eher als Ausnahme denn als Regel. Das muss sich ändern.

[Beifall bei den Grünen]

Natürlich ist es beunruhigend, wenn soziale Randlage, Bildungsarmut und ethnische Herkunft immer häufiger geballt zusammenkommen. Hier liegt für uns alle jede Menge sozialer und politischer Sprengstoff! Wir benötigen einen neuen Konsens in der Politik und in der Bevölkerung. Dafür müssen wir uns alle gemeinsam stark machen.

[Zuruf von Christian Gaebler (SPD)]

Es muss uns allen klar sein, Herr Gaebler: Sie können sich nicht vor dem Thema wegducken!

[Zuruf von Christian Gaebler (SPD)]

Sie können sich nicht wegducken! Es muss uns allen klar sein, dass Integration nur funktionieren kann, wenn sie mit der Chance auf Aufstieg aus eigener Kraft und durch Bildung verbunden ist.

[Beifall bei den Grünen – Zurufe von der SPD]

Das bedeutet auch, dass Integration eine Anstrengung ist. Gerade wir Grünen sagen das besonders deutlich. Wir kämpfen zu Recht seit Jahren für die Rechte von Migrantinnen und Migranten, wir haben aber auch erkannt, dass mit Multikulti keineswegs gemeint ist, dass jeder machen kann was er will.

[Christian Gaebler (SPD): Das ist nicht das Thema! – Zurufe von der SPD]

Heute sagen wir: Integration verlangt der Aufnahmegesellschaft viel ab.

[Christian Gaebler (SPD): Das ist Ihr Thema, nicht unseres!]

Integration verlangt von den Migrantinnen und Migranten deutliche Anstrengungen für den Spracherwerb.

[Christian Gaebler (SPD): Unser Thema ist nicht gewählt worden! – Zurufe von der SPD]

Sie müssen den Wert von Bildung und beruflicher Qualifikation anerkennen. Wir müssen uns mit langem Atem an die Lösungen machen! Also sparen Sie sich mal Ihren Atem dafür auf, Herr Gaebler!

[Beifall bei den Grünen]

Ja, zu lange ist über Grundsätzliches gestritten worden! Konkrete Integrationspolitik ist versäumt worden. Das können wir nicht innerhalb von wenigen Jahren aufholen.

[Zuruf von Lars Oberg (SPD)]

Es gibt keine Patentrezepte, auch wenn Sie, Herr Oberg, sicher gleich Gegenteiliges behaupten werden! – Wir werden vermutlich auch Unterschiedliches machen müssen. Wir müssen bessere Angebote machen und die öffentliche Autorität stärken. Die größte und wichtigste Baustelle ist die Bildungsfrage. Der soziale Aufstieg gelingt nur mit Bildung. Eigentlich sollten das die Sozialdemokraten am besten wissen, aber offensichtlich ist Ihnen das entfallen!

[Beifall bei den Grünen – Beifall von Dr. Uwe Lehmann-Brauns]

Integration und Teilhabe können nur über das Erlernen der deutschen Sprache erfolgen. Die Sprache ist der Schlüssel zur Gesellschaft, zu Bildung und zum Arbeitsmarkt. Wer kann das besser wissen als die Migrantinnen und Migranten, die in diesem Land erfolgreich sind. Der Ausbau und die Qualifizierung der Sprachförderung in Kitas und Schulen ist deshalb eine der wichtigsten bildungspolitischen Aufgaben der kommenden Jahre. Die jetzt wieder vorgetragene Forderung nach einer Kitapflicht soll doch nur vom Versagen dieser Koalition in der Kitapolitik ablenken!

[Beifall bei den Grünen – Bravo! von den Grünen]

Personalverbesserungen in den Kitas mussten erst durch das Volksbegehren erstritten werden. Unser grüner Vorschlag für einen Kitagutschein, der automatisch allen Eltern zugeschickt wird, ohne bürokratische Hürden, ohne 16 Seiten Antrag stellen zu müssen, der den Kitabesuch für alle öffnen würde, dieser Vorschlag ist von Rot-Rot abgelehnt worden.

[Zuruf von Mieke Senftleben (FDP)]

So ernst meinen Sie das mit der Stärkung der Kitas! Wir benötigen Schulen, die stärker als heute nicht nur Wissen vermitteln, sondern Erziehungsaufgaben übernehmen, die als Ganztagsschulen die Kinder und Jugendlichen nachmittags von der Straße holen, die sich zum Stadtteil öffnen und zu Familienzentren werden, um die Eltern zu erreichen.

[Mieke Senftleben (FDP): Olle Kamellen!]

Gerade in benachteiligten Stadtteilen brauchen wir Magnetschulen, damit die Eltern nicht mit den Füßen abstimmen, was zur Zeit der Fall ist. Deshalb müssen wir diese

Schulen besonders attraktiv machen. Das gilt eben nicht nur für Rütli!

[Beifall bei den Grünen]

Da fragt man sich schon: Kann das dieser Senat eigentlich noch leisten? In der Stadt reden alle über den vergeigten Schulstart – kein Wunder, wenn die größte Schulreform seit Langem erst im Frühjahr durch das Parlament gebracht wurde, weil sich die Koalitionsfraktionen ewig nicht einigen konnten. Genügend Zeit für gründliche Vorbereitung blieb nicht. Die Folgen können wir nun täglich in der Zeitung lesen.

[Zuruf von Mieke Senftleben (FDP)]

So schafft man keine Akzeptanz für eine große Schulreform, Herr Zöllner!

[Beifall bei den Grünen – Steffen Zillich (Linksfraktion): Das ist ganz schön dreist!]

Die anderen Probleme beschäftigen uns auch schon lange: Sprachfördermittel kommen nicht bei den Kindern an, die dieser Förderung bedürfen; Lehrerstellen für die Sprachförderung werden oft vor Ort aus Not zweckentfremdet und als Vertretungsreserve verwendet. Seit Jahren werden die Mittel für Sprachfördermaßnahmen nicht auf ihre Wirksamkeit überprüft. Wir finden, dass es nicht sein kann, dass die Schulqualitätsfragen bei einer Strukturreform stehen bleiben können. Wir müssen jetzt die Bildungsqualität in den Mittelpunkt stellen.

[Mieke Senftleben (FDP): Ach!]

Wir benötigen eine Qualitätsoffensive für alle Schulen und für die Kitas.

[Beifall bei den Grünen]