Protokoll der Sitzung vom 09.09.2010

Nein! Ich will Ihnen sagen, was ich gesagt habe, und das können Sie nachlesen: Sie akzeptieren die Benachteiligung der Gymnasien,

[Özcan Mutlu (Grüne): Nein!]

und zwar in Ihrer Zustimmung ohne Wenn und Aber zur Strukturreform und zur Verwendung der K-II-Mittel, die nämlich ausschließlich der Sekundarschule zugute kamen.

[Beifall bei der FDP – Özcan Mutlu (Grüne): Das stimmt nicht!]

Wenn Sie Reformen an Gymnasien einfordern, dann müssten Sie eigentlich auch wissen, dass Reformen auch ausgestattet werden müssen und dass der Rahmen stimmen muss, sonst können sie nämlich nicht funktionieren. Wenn Sie also mehr von Gymnasien erwarten, dann müssen die Gymnasien letztendlich auch besser ausgestattet werden. Hier kann ich nur sagen: Wer A sagt, muss auch B sagen!

Nun zu Ihrem letzten Beispiel Hoover-Realschule. Verehrter Kollege Mutlu! Da geht mir ein bisschen die Hutschnur hoch, denn das verschönen Sie sehr. Ich erinnere mich noch an die Sendung von Sabine Christiansen, als Frau Claudia Roth, die Gutfrau an sich, da saß und sich tierisch aufregte, und die Schüler und Schülerinnen saßen da und sagten: Es geht uns gut dabei. Wir wollen das. – Und da können Sie sich auch nicht hier hinstellen, Kollege Mutlu, und sagen: Hoover hat ein Gebot eingeführt.

[Özcan Mutlu (Grüne): Ein Verbot!]

Ein Verbot! Hoover hat auch nicht gesagt: Wir verbieten es –, sondern Hoover hat diese Regelung gemeinsam in der Schulkonferenz so beschlossen, wie sie hinterher durchgeführt wurde.

Herr Ratzmann! Wir gucken uns jetzt mal an. Sie wissen genau, wovon wir jetzt reden, und deswegen will ich jetzt lieber Schluss machen. – Danke!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Gelächter bei den Grünen – Volker Ratzmann (Grüne): War das eine Einladung?]

Vielen Dank! – Das Wort hat nunmehr Herr Senator Prof. Zöllner.

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Das Thema dieser aktuellen Stunde lautet: „Start der Sekundarschule leider mangelhaft. Berlin braucht jetzt endlich eine Qualitätsoffensive für Schule und Kitas. Das ist der beste Weg für die Integration!“. Die korrekte Beschreibung der Situation in Berlin ist aber erstens: In Berlin ist im Gegensatz zu anderen Bundesländern – ich muss auch den Schlenker machen, sehr verehrte Frau Pop, und an Hamburg erinnern – der Start in die neue Schulstruktur nicht nur geglückt, sondern er stößt auf eine breite Akzeptanz. Diese Schulstruktur ist nach Meinung aller, und zwar parteiübergreifend und auch nach Meinung der entsprechenden pädagogischen Experten, der einzige zukunftsfähige Ansatz, um das Problem der Integration zu lösen.

Zweitens ist eine korrekte Situationsbeschreibung, dass auch nach Ansicht der Frage- oder Themensteller der Bildungssenator offensichtlich recht hat, wenn er im Oktober ein Qualitätspaket vorlegen will. Es besteht auch kein Zweifel, dass wir neben einer Struktur – wir haben darüber geredet, oder ich habe es erwähnt – der Sekundarschule, die eine Voraussetzung ist, und neben der Tatsache, dass man bereit sein muss, wenn eine größere Anzahl von Schülerinnen und Schülern vorhanden ist, die einer besonderen, intensiven Betreuung bedürfen – beides ist in Berlin vorbildlich gegeben –, ein neues Verständnis von Qualitätsmanagement brauchen.

[Beifall von Dr. Felicitas Tesch (SPD)]

Das ist jetzt keine Selbsteinschätzung. Das sind Tatsachen, die sich objektiv belegen lassen. Es gibt nirgendwo in der Bundesrepublik Deutschland auch bei kleineren Reformen eine so durchgehende Zustimmung zu einer Reform – angefangen von den Schülern über die Eltern und die Lehrer, von Verbänden jeglicher Couleur – wie in Berlin zu dieser Schulstrukturreform.

Sehr verehrte Frau Pop! Es ist fast ein bisschen peinlich, wenn Sie hier dem Senat, wenn Sie mir vorwerfen, dass es erstens nicht schnell genug gegangen ist und wir zweitens nicht auf Akzeptanz stoßen. Dann erinnere ich noch mal im Einzelnen daran, was in dem Land, wo Ihre Partei Verantwortung trägt, passiert ist, wo unter viel günstigeren Rahmenbedingungen, weil sowohl die finanziellen Verhältnisse, die immer die Stolpersteine darstellen, als auch die kritischen inhaltlichen Fragen durch Koalitionsverhandlungen geklärt waren, eine Schulstrukturreform offensichtlich so gefahren worden ist, dass nicht nur eine Stadt, sondern auch die Koalition in Hamburg fast gespalten worden und gescheitert wäre.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion]

Uns hier in diesem Zusammenhang gute Lehren zu geben, ist fast ein parlamentarischer Treppenwitz. Auch die anderen Fälle sind objektiv belegbar.

Ich bestreite nicht, dass es Einzelfälle gibt in diesem Zusammenhang, die nicht so funktioniert haben, wie wir es gerne möchten. Ich bestreite nicht, dass es im Baubereich Schwierigkeiten gibt. Wen wundert es, wenn es dieser Senat geschafft hat, dass in den Jahren 2009 bis 2011 über eine Milliarde Euro für den Schulbau zur Verfügung stehen werden, dass dann nicht jede Baumaßnahme in den Sommerferien absolviert werden kann? Wenn es Einzelfälle gibt, dass Verantwortliche vor Ort in Kreuzberg nicht da sind, um darauf zu achten, dass der Schulstart gelingen kann, dann ist das bedauerlich – ich gehe dem nach –, aber dann ist es nicht Verantwortung des Landes, dass dieses in Ordnung kommt.

Ich bestreite nicht, dass es auch beim Schulstart und der Bildung von Klassen in Steglitz-Zehlendorf oder Tempelhof-Schöneberg zu offensichtlichen Unzulänglichkeiten gekommen ist, die Vorschriften und Gesetzen nicht entsprechen. Ja, es gibt solche Fälle. Wir sind aktiv geworden und haben darauf hingewiesen. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren von den Grünen und von der CDU, Sie kennen die Verantwortlichen besser – auch persönlich – und können mit ihnen darüber reden, wie sie zustande gekommen sind, und Sie können mir dabei helfen, damit ich diese Missstände im Einzelnen abstelle. Das gehört auch dazu, wenn wir eine offene Aussprache in einem solchen Zusammenhang führen.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Frau Pop! Wenn Sie schon das große Fass aufmachen und sagen: Da gibt es eine Gesamtverantwortung des Regierenden Bürgermeisters –, so will ich die Einzelbeispiele, die Frau Tesch und Herr Zillich aufgezählt haben, jetzt nicht wiederholen. Ich will sie Ihnen nur noch mal im Gesamtzusammenhang darstellen: Es gibt kein Bundesland, das gezielt so viele zusätzliche – ich betone: zusätzliche – Ressourcen in dem Bereich der Integration bereitstellt wie das Land Berlin. Integration bezieht sich für mich auf die Integration und die Hilfe für junge Menschen, die aus bildungsfernen Schichten kommen und nicht automatisch mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund gleichzusetzen sind. Wir geben mehr als 100 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich in den Kinder- und Jugendbereich – allein 16 Millionen Euro durch die entsprechenden Zuschläge für Kinder mit Migrationshintergrund in den Kitas. In der Schule sind es weit mehr als 100 Millionen Euro pro Jahr, die wir zusätzlich für eine bessere Personalausstattung investieren.

[Özcan Mutlu (Grüne): Aber mit welchem Ergebnis?]

Herr Mutlu! Mit dem Ergebnis, dass eine Klasse, die ungefähr 31 Stunden in der Woche Unterricht hat, 9 Stunden – das sind fast 30 Prozent – mehr bekommt. Das heißt, in 30 Prozent der Stunden kann die Klasse geteilt werden, um eine besonders intensive Unterrichtung zu machen, wenn in dieser Klasse eine bestimmte Anzahl

von Kindern – 80 oder 90 Prozent – mit ndH oder Lehrmittelbefreiung vorhanden ist.

[Özcan Mutlu (Grüne) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Da können Sie es auch an einem konkreten Beispiel ablesen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Senator?

Wenn ich den gelobt habe, den ich in diesem Zusammenhang loben will, dann gestatte ich die Zwischenfrage. – Ich meine, ein Bildungssenator kann dazu etwas beitragen. Ich habe mich zumindest angestrengt. Aber eine solche Politik mit einer solchen Schwerpunktsetzung ist nur möglich mit einem Regierenden Bürgermeister, der das zu einer zentralen Aufgabe seiner Regierungszeit gemacht hat und der eben nicht nur über Integration redet, sondern sie in den Bereichen, wo sie möglich ist, praktiziert.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

So! Herr Mutlu! Und jetzt freue ich mich auf Ihre Zwischenfrage. Weil Sie bei meinen Vorrednern und Vorrednerinnen zu kurz gekommen sind, sollen Sie Ihre Chance haben.

Ich möchte auf das zurückkommen, was Sie gesagt haben. Sie sagen, Sie investieren viel in den Bereich der Integration, Sprachförderung, Schule, Kitas. Das will ich gar nicht in Abrede stellen. Als ich nach den Ergebnissen gefragt habe, meinte ich: Wie können Sie uns, nachdem Sie so viel in diese Bereiche investieren, erklären, dass immer noch ein hoher Anteil von Kindern die Schule ohne einen Abschluss verlässt? Wir haben eine Abbrecherquote von 30 Prozent bei Migrantenkindern. Wie erklären Sie, dass wir bei PISA, VERA oder IGLU im Länderranking regelmäßig ganz unten sind? Wie erklären Sie uns, dass Kinder, obwohl sie zur Kita gehen, bei der Sprachstandsmessung zu 50 Prozent immer noch kein Deutsch können – etc.?

Bitte sehr, Herr Senator!

Jetzt muss ich aufpassen, dass man uns nicht unterstellt, dass wir uns absprechen, Herr Mutlu! Denn das, was Sie gesagt haben, leitet direkt über zu dem Punkt, den ich jetzt ansprechen wollte.

[Heiterkeit bei der SPD]

Außer der Tatsache, dass Ihre Feststellung nicht ganz korrekt ist, weil wir bei den Tests auch immer zu denjenigen gehören, die am meisten leistungsstarke Schülerinnen und Schüler haben, gibt es dieses Problem, dass wir leider auch am meisten von denjenigen haben, die besonders leistungsschwach sind.

Damit komme ich zu dem dritten Punkt: Wir dürfen nicht denken, dass wir nur mit der Verteilung von Zusatzausstattungen und Wohltaten dieses Problem lösen, sondern wir brauchen ein Qualitätspaket, das sich an den Prinzipien des Qualitätsmanagements orientiert: Ziele setzen, Maßnahmen ergreifen, gucken, ob man die Ziele erreicht hat, und zwar selbstkritisch durch sich selbst und andere, und dann von Neuem anfangen! Bei diesem Qualitätspaket geht es um Hilfen, es geht letztlich um Unterstützung, und – das wird dieses Parlament auch beschäftigen – es geht damit möglicherweise auch darum, den Betroffenen Unannehmlichkeiten zu bereiten, wenn die Ziele nicht erreicht sind.

[Mieke Senftleben (FDP): Ja!]

Deswegen ist das nur in einem Paket zu machen und nicht durch Einzelmaßnahmen. Ich bin gern bereit, Hinweise entgegenzunehmen. Wir werden dann sehen, inwieweit Hinweise, die Sie angeführt haben, in ein solches Paket gehören. Dann sollten wir die Wohltaten, aber auch die möglicherweise unangenehmen Sachen gemeinsam tragen, weil nur das den Erfolg verspricht.

[Mieke Senftleben (FDP): Sehr richtig!]

Lassen Sie mich zu den zwei Punkten, die Sie im Einzelnen erwähnt haben, einige Bemerkungen machen! Herr Steuer, der nicht mehr da ist, und Frau Senftleben – –

[Sascha Steuer (CDU): Was? Hier! – Andreas Gram (CDU): Erste Reihe!]

Oh, Entschuldigung! Ich suche Sie immer auf Ihrem Platz. Ich bitte um Entschuldigung. – Es ist nicht so, dass ich nicht sehe, dass es viele Einzelfälle gibt. Aber zur Wahrheit gehört auch dazu, dass die anekdotische Evidenz, die ich nicht bestreite, kein korrektes Gesamtbild wiedergibt.

[Beifall bei der SPD]

Zweitens rede ich es auch nicht schön. Ich habe öffentlich gesagt – es sind auch Journalistinnen und Journalisten im Raum –, dass im Gegensatz zu den vorangegangenen Jahren ein größeres Maß an Unruhe in den Schulen herrscht, was nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, dass die Streubreite – im Sinne derjenigen Schulen, die weniger als 100 Prozent haben, und derjenigen, die mehr haben – viel größer ist. Ohne die Ursachen im Einzelnen analysieren und beweisen zu können, glaube ich, dass zwei Gründe dazu beitragen: Zum einen wurde in diesem Jahr Widersprüchen in Bezug auf die Schulwahl in viel stärkerem Maße als in den vergangenen Jahren stattgegeben. Das führt beispielsweise schlagartig dazu, dass plötzlich eine Klasse mehr gebildet werden muss. Ich werde jetzt nicht sagen, wer dafür Verantwortung trägt.

Frau Senftleben! Zum anderen sind wir bei der letzten Welle der Einstellungen relativ spät dran. Herr Steuer! Diese 70 sind eingestellt. Sie müssen nur noch zugeordnet werden, um dann eine fast hundertprozentige Versorgung im Durchschnitt zu erreichen. Die entsprechenden Umsetzungen sind noch zu machen.

Hier wird nichts schöngeredet, sondern hier werden die Fakten korrekt beschrieben und die Bewältigung der Probleme geschildert. Wenn wir fair miteinander umgehen und Sie einen Bildungssenator haben, der sagt, dass das in diesen Bereichen zutreffend ist, wäre es schön, wenn Sie als Opposition in Bezug auf die Schlüsselaussage: „100 Prozent im Durchschnitt!“ auch sagen könnten: Das hat er versprochen, und das hat er auch gehalten.

Auch die Lehrerrekrutierung ist ein vielschichtiges Thema. Frau Senftleben! Alle pragmatischen Zwischenlösungen machen wir, und ich bin bereit, sie in Zukunft zu machen. Sehr verehrter Herr Steuer! Der Hintergrund aber, dass es in Frankfurt so schnell geht, dass sie die Zusage haben, liegt daran, dass in Hessen die Not, die entsprechenden Lehrerstellen zu besetzen, noch größer ist als in Berlin. Der Kampf zwischen den Südwestländern Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz geht bis auf’s Messer, obwohl sie alle letzten Endes verbeamten.

Auch zu VERA einige kurze Bemerkungen: Sie, die Sie das kritisch angesprochen haben, sind doch Bildungspolitiker, und dann müssten Sie doch wissen, dass VERA das Ziel hat, der internen Schulentwicklung zu dienen, und nicht so angelegt ist, einen Vergleich zwischen Ländern und Schulsystemen zu machen. Es ist nun mal so, dass solch ein wissenschaftlicher Ansatz nur eine Antwort auf eine Frage gibt, die man gestellt hat. VERA will nicht beantworten, welches System besser oder schlechter ist, sondern VERA will nur den Schulen helfen. Insofern sollten Sie nicht diese Schlussfolgerungen ableiten.

Wenn man überhaupt etwas über VERA sagen kann, dann kann man die Ergebnisse mit den Mindeststandards vergleichen, die bei der Normierung gemacht worden sind, und dann kann man höchstens sagen, dass sich die Berliner Schülerinnen und Schüler im Mittelwert bewegen. So erreichen Sie in Mathematik in Berlin 63,8 Prozent der Mindeststandards. Im Bundesvergleich liegt der Wert bei 61 Prozent. Da sind sie also ein bisschen besser. In Deutsch – Lesen – liegen die Bundeswerte bei 67,8 Prozent, in Berlin liegt der Wert bei 62 Prozent. Ich habe daraus nie – obwohl ich da etwas hätte machen können, wenn ich verantwortungslos mit einem solchen Ergebnis umgegangen wäre – abgeleitet, dass das der Beweis dafür ist, dass wir unheimlich aufgeholt haben und inzwischen Mittelfeld geworden sind.