Protokoll der Sitzung vom 22.02.2007

Wir wissen sehr genau: Absolute Sicherheit gibt es nicht. Wer den Menschen vorgaukelt, der Staat könnte absolute Sicherheit garantieren, ist unredlich. Die Bedrohungslage durch den internationalen Terrorismus ist unverändert. Diese Botschaft auszugeben, ist wichtig, weil sie im Umkehrschluss auch bedeutet, dass es im Moment keine erkennbaren Hinweise darauf gibt, dass in Berlin konkret Anschläge geplant werden.

[Volker Ratzmann (Grüne): Das hätte man doch mit einer Presseerklärung sagen können!]

Das hätte man auch mit einer Presseerklärung sagen können, es gibt aber zudem, Herr Ratzmann, eine aktuelle Debatte im Bundesgebiet über das Luftsicherheitsgesetz und über Online-Durchsuchungen. Wir haben die Situation, dass der Berliner Innensenator Vorsitzender der Innenministerkonferenz und deshalb an federführender Stelle tätig ist. Es ist durchaus sinnvoll, Kollege Ratzmann, und dürfte im Interesse der Grünen-Fraktion sein, wenn das Berliner Parlament mit großer Mehrheit den Innensenator mit seiner besonnenen und durchaus bürgerrechtlichen Linie unterstützt.

[Demonstrativer Beifall von Volker Ratzmann (Grüne)]

Dafür allein ist diese Aktuelle Stunde sinnvoll.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Die Sicherheitslage in Berlin ist gut, trotz des Panikgeredes von Herrn Henkel. Jeder, der versucht, die Sicherheitslage schlechtzureden, das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger zu verunsichern, schafft selbst Unsicherheit.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Gerade eine Partei, die meint, sie sei die Sicherheitspartei in dieser Stadt, sollte sehr vorsichtig damit sein, wie sie die Sicherheitsbehörden der Stadt verunsichert und in die Defensive bringt.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Berlin als weltoffene und liberale Metropole zu erhalten und auszubauen, ist das Ziel dieser rot-roten Koalition. Das heißt auch, dass wir uns bei jeder Eingriffsbefugnis

des Staates gegenüber den Bürgern sehr genau überlegen müssen, ob sie zielführend ist.

Der Kollege Kleineidam hat anhand der bundesweit geführten Debatten bereits auf einige Dinge hingewiesen. Was die Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Luftsicherheitsgesetz geplant hat und jetzt erneut in die Debatte einbringt, widerspricht unserem Verständnis des Grundgesetzes, in dem es in Artikel 1 heißt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ – Es ist schlicht und einfach zynisch, in einer Situation, in der möglicherweise 200 Menschenleben gegen 5 000 oder 10 000 Menschenleben aufgerechnet werden, in der Logik von Kollateralschäden zu denken. Wir müssen gegen diese Logik vorgehen, wenn wir die Demokratie und das Grundgesetz verteidigen wollen.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Beim Thema Online-Durchsuchungen gibt es neben den grundsätzlichen Erwägungen, die der Kollege Kleineidam zum Vortrag gebracht hat, auch noch ganz praktische. Die Online-Durchsuchungen funktionieren nur dann, wie Praktiker sagen, wenn man vom DAU ausgeht.

[Volker Ratzmann (Grüne): Genau, Cookies löschen!]

Der DAU ist der „Dümmste Anzunehmende User“. Um einen Trojaner zu verschicken, zu installieren, muss der User dreimal sein Einverständnis erklären, dass der Trojaner installiert wird. Kein Mensch kann glauben, dass internationale Terroristen so grottendumm sind, dass so etwas funktionieren könnte. Aber gleichzeitig schafft man eine Situation, mit der man den Überwachungsstaat anruft. Es gibt viele Möglichkeiten, Herr Henkel, was Sicherheitsbehörden tun könnten, aber ist es nicht sinnvoll, dass sie alles können dürfen. Denn eine Lehre meiner Partei aus dem Zusammenbruch des Realsozialismus in der DDR ist die, dass der Zweck nicht jedes Mittel heiligt.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Mario Czaja (CDU): Welch absurder Vergleich!]

Eines ist mir in dieser Debatte besonders wichtig, das ist der Diskurs über den Islamismus. Mich hat es erschreckt, als nach der Bilanz des Innensenators zur Sicherheitslage die „Berliner Morgenpost“ die Überschrift „5 700 radikale Islamisten nur allein in Berlin“ ersonnen hat, die in keinem direkten Bezug zum Inhalt des Artikels steht. Was bedeutet das? – Es gibt circa 215 000 Menschen muslimischen Glaubens in der Stadt – und 5 700 Islamisten. Wir wissen laut Verfassungsschutzbericht, dass davon 200 bis 300 gewaltbereit sein könnten, wovon aber die Mehrheit in Organisationen organisiert ist, die Gewalt im Ausland ausüben und nicht in der Stadt. Wir haben demnach kein Bedrohungspotential von 5 700 Islamisten, woraus sich ableiten ließe, dass der Islam eine besondere Bedrohung darstellt. Richtig ist – und das wäre eine Überschrift wert gewesen –, dass dieser Innensenator und dieser Senat so vernünftig sind, auf die Muslime in dieser Stadt zuzugehen, mit ihnen zu diskutieren, ihnen Anerkennung entgegen zu bringen und sie damit im Rahmen der demokratischen Gesellschaft ernst zu nehmen. Das ist sinnvoll, das ist praktische Sicherheitspolitik. Es ist wesentlich besser

und vernünftiger, als mit Repression, Drohungen und irgendwelchem militantem Aufgemuskel den Menschen gegenüberzutreten.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Mir ist es wichtig, auf Folgendes hinzuweisen: Wir haben nach den Anschlägen auf das World Trade Center auch in der Bundesrepublik eine Sicherheitsdebatte gehabt – bekannt unter dem Motto „Otto-Pakete“, die jetzt fortgesetzt wird unter dem Rubrum „Schäuble-Pakete“. Wir müssen sehr genau prüfen und auch im Land Berlin sehr genau überlegen, was sich von den noch unter Rot-Grün verabschiedeten Sicherheitspaketen bewährt hat und an welcher Stelle übertrieben worden ist. Herr Henkel, Sie haben das Stichwort Rasterfahndung genannt. Was hat die Rasterfahndung, solange sie durchgeführt wurde, gebracht? – Nichts außer Verunsicherung. Sie ist kein taugliches Mittel, um herauszufinden, ob irgendjemand einen terroristischen Anschlag plant oder an der Vorbereitung eines solchen beteiligt gewesen ist. Deshalb muss man so etwas evaluieren und schauen, was sinnvoll ist. Ein demokratischer Rechtsstatt muss in der Lage sein, bestimmte gesetzliche Regelungen, die nicht zielgenau sind und einen unverhältnismäßigen Eingriff in Bürgerrechte darstellen, zurückzunehmen. Für diese Debatte wünsche ich mir, dass Berlin auf der Seite der Bürgerrechte und der Verhältnismäßigkeit Vorreiter ist. – Danke schön!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Vielen Dank! – Das Wort für die Fraktion der Grünen hat Herr Dr. Ratzmann – bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das unberechtigte Führen eines Doktortitels ist strafbar. Deswegen möchte ich das hier richtig stellen: Ich habe keinen.

Sehr geehrter Wolf! Auch trotz Ihrer Ausführungen erschließt sich mir nicht, warum wir eine allgemeine Debatte zu Bürgerrechten heute in der Aktuellen Stunde führen müssen.

[Beifall bei den Grünen]

Diese Debatte mit den von Ihnen vorgetragenen Beispielen führen wir seit ungefähr eineinhalb Jahren.

[Evrim Baba (Linksfraktion): Das kann man gar nicht oft genug tun!]

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz ist über ein Jahr her. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum großen Lauschangriff ist einige Zeit her. Es gibt keinen einzigen aktuellen Anlass, warum wir in einer Aktuellen Stunde des Berliner Abgeordnetenhauses zum Thema „Bekämpfung des Terrorismus und der organisierten Kriminalität“ reden sollten.

[Beifall bei den Grünen – Evrim Baba (Linksfraktion): Dann reden Sie doch nicht!]

Zudem beklagen Sie sich auch noch darüber, dass sich Herr Henkel hinstellt und das erzählt, was er immer erzählt. Ich kann nur sagen, Herr Wolf: So etwas kommt von so etwas. Wenn Sie verhindern wollen, dass es zu einer Verunsicherung kommt, dürfen Sie nicht über Themen reden, von denen Sie genau wissen, dass sie in dieser Art und Weise von Seiten der CDU dargestellt und missbraucht werden. Ich weiß gar nicht, worüber Sie sich beklagt haben. Ich finde es auch nicht besonders verwunderlich, lieber Herr Wolf, dass sich gestern Journalisten gemeldet haben, die nach einer Erklärung fragten, warum das Abgeordnetenhaus heute in der Aktuellen Stunde über Terrorismusabwehr und organisierte Kriminalität reden muss.

[Beifall bei den Grünen – Stefan Liebich (Linksfraktion): Dann reden wir doch gar nicht mehr darüber!]

Ich finde es nicht verwunderlich, Frau Baba, dass Ihr Parlamentspräsident, der bei Ihnen in der Fraktionssitzung gewesen ist, nichts anderes zu sagen wusste, als die Erklärung, es ginge hier heute um Jugendgewalt.

[Zurufe von der Linksfraktion – Michael Müller (SPD): Sagen Sie einmal Inhaltliches!]

Er war nicht bei Ihnen, er war wahrscheinlich in der anderen Regierungskoalitionsfraktionssitzung. – Ich frage mich schon, warum Sie das Thema Jugendgewalt unter dem Thema Terrorismusbekämpfung diskutieren wollen.

[Beifall bei den Grünen und der FDP – Christian Gaebler (SPD): Machen wir doch gar nicht!]

Ich finde es geradezu absurd, Frau Hertel, dass Sie zur Begründung des Themas und der Aktualität dieser Diskussion auf den europäischen Polizeikongress, der vom 13. Februar bis 14. Februar in der Stadt stattgefunden hat, rekurrieren.

Wenn man sich einmal anschaut, was die Damen und Herren dort diskutiert haben, findet man so schöne Panels und Arbeitsgruppen wie „The Security Architecture of the G8-Summit in Germany“. Wir diskutieren jetzt also über die Protestveranstaltung, die gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm unter dem Stichwort Terrorismusbekämpfung stattfinden soll. – Herzlichen Glückwunsch, meine Damen und Herren von der rot-roten Koalition, kann ich nur sagen!

[Beifall bei den Grünen]

Natürlich gibt es das eine oder andere zu der Frage der Sicherheit in dieser Stadt zu sagen. Ich kann mir auch dieses oder jenes vorstellen. So kann ich mir sehr gut vorstellen, über die Situation der Berliner Feuerwehr zu reden. Herr Körting, Sie hätten einmal zu der Personalversammlung vor zwei Tagen kommen sollen. Da brannte die Luft. Es wurde ein neues Einsatzkonzept vorgestellt, die ganze Feuerwehr steht kopf, und wer ist nicht da? – Es ist unser

Herr Innensenator. Das nennt man also Führungsqualität in Sicherheitsfragen in Berlin. Mit der Sicherheit in dieser Stadt ist es wirklich nicht sehr weit her.

Ich kann gut nachvollziehen, dass sich viele Leute die Frage stellen, was hier eigentlich geht. Ich kann mir auch vorstellen, dass wir über organisierte Kriminalität sprechen. Wir können beispielsweise darüber reden, dass der Bankenprozess dem Ende entgegenstrebt und es fraglich ist, ob es zu einer Verurteilung kommt. Das ist eine Frage im Rahmen der organisierten Kriminalität, die man sich einmal stellen sollte. Wir können auch darüber diskutieren, was die Berliner Justiz getan hat.

[Beifall bei den Grünen – Michael Müller (SPD): Dann melden Sie die Themen doch einmal an!]

Ich kann mir auch gut vorstellen, über organisierte Kriminalität im Zusammenhang mit den Preisabsprachen von Baufirmen bei der Ausgestaltung der Entwicklungsgebiete zu reden. Das ist ein Thema von organisierter Kriminalität, über das man hier in der Stadt reden kann. Aber dazu habe ich vonseiten der Regierungsfraktion überhaupt nichts gehört.

Entschuldigung, Herr Müller! Es war Ihre Aktuelle Stunde, die Sie angemeldet haben. – Es gibt einfach keine Bedrohung und keinen aktuellen Bezug zur Terrorismusbekämpfung und organisierter Kriminalität. Ich kann Ihnen sagen, dass es sehr viele Themen gibt, von denen die Berliner sicher hören wollen, dass die Politik darüber diskutiert. Es gibt beispielsweise Themen wie den Arbeitsplatzabbau bei Schering, die Schließung des Flughafens Tempelhof, den Klimaschutz und die Positionierung Berlins dazu. Das sind die Themen, die die Stadt interessieren. Sie haben dieses Thema gewählt, weil die rot-rote Regierung zu den brennenden Fragen in dieser Stadt nichts zu sagen hat. Das ist die ganze Wahrheit.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Sie drücken sich seit nunmehr 100 Tagen davor, in dieser Stadt Regierungsverantwortung zu übernehmen. Diese Stadt hat mehr und vor allem Anstrengungen verdient und nicht einen solchen Dämmerschlaf, wie wir ihn im Moment von Ihrer Seite erleben. Sie unternehmen stattdessen den kläglichen Versuch, sich mit solchen Themen aus der Verantwortung zu stehlen. Das hat diese Stadt nicht verdient. Die Quittung dafür werden Sie erhalten. – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Vielen Dank, Herr Ratzmann. – Für die FDP-Fraktion hat Herr Jotzo das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von PDS und SPD!