Protokoll der Sitzung vom 07.10.2010

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich frage den Senat:

1. Wie viele Exemplare der Handreichung „Islam und Schule“ wurden an die Schulen verteilt?

2. Warum hat sich der Senat nicht für eine klare Linie im Umgang mit dem Islam in der Schule entschieden, sondern schlägt stattdessen vor, dass Klausuren auch außerhalb des Ramadan geschrieben werden könnten, um muslimische Schüler nicht zu überbeanspruchen?

Das Wort zur Beantwortung hat der Bildungssenator. – Bitte schön, Herr Prof. Zöllner!

Herr Präsident! Herr Kollege Steuer! Zur Frage 1: Die erste Auflage der Handreichung „Islam und Schule“ betrug 8 000 Exemplare. Alle Berliner Schulen wurden mit jeweils acht Exemplaren beliefert. Auf Nachfrage von einzelnen Schulen wurden ihnen bis zu 80 weitere Exemplare geliefert. Wegen der großen Nachfrage ist bereits eine zweite Auflage in Vorbereitung. Die Handreichung kann außerdem von jedem Interessierten auf der Homepage meiner Verwaltung gelesen und bei Bedarf heruntergeladen werden.

Zur Frage 2: Die Handreichung „Islam und Schule“ stellt eine Hilfestellung für die Schulen in Konfliktsituationen und keine generelle, präzise Handlungsanweisung dar. Sie soll gerade dazu beitragen, den schulischen Alltag in der Bewältigung seiner vielfältigen Herausforderungen zu erleichtern und im Interesse eines friedlichen und konstruktiven Miteinanders potenzielle Probleme zu lösen, die im Einzelfall eben immer individuell anders sind. Dazu gehört auch der Respekt vor dem islamischen Bekenntnis und den damit einhergehenden religiösen Gebräuchen.

Sehr geehrter Herr Steuer! Sie müssen dann auch genau lesen, was dazu in der Handreichung steht – und in diesem Falle darf ich zitieren –:

Grundsätzlich darf das Fasten nicht als Entschuldigung für Regel- und Pflichtverletzungen im Schulalltag herhalten.

Oder an einer anderen Stelle:

So könnten Tests und Klausuren, wenn möglich,

ich betone: wenn möglich –

so organisiert werden, dass sie nicht in die Fastenzeit fallen oder zumindest in den frühen Unterrichtsstunden stattfinden. … Dabei sollte das Fasten jedoch nicht … zur Norm erhoben werden: Schließlich fasten viele Muslime nicht, oder sie tun es auf individuelle Weise, die nicht … mit dem Schulalltag kollidiert.

Sie sehen genau das, was ich eingangs gesagt habe: Das heißt, die Schulen entscheidungs- und handlungsfähig zu machen in diesem Feld, das einer feinfühligen Handlung bedarf und letzten Endes dort, wo es akzeptabel ist, auch ein Eingehen auf die Sitten und Gebräuche der anderen zulässt.

Danke schön, Herr Senator! – Jetzt gibt es eine Nachfrage des Kollegen Steuer. Dazu hat er das Wort.

Danke sehr! – Herr Senator! Wundern Sie sich angesichts eines solchen Hü und Hott in der Broschüre nicht über Integrationsmängel und auch deutschenfeindliche Ausfälle, wenn es an anderer Stelle etwa heißt:

Gegebenenfalls ließe sich die Nützlichkeit von Klassenfahrten auch islamisch begründen: So können im Klassenverband islamische Prinzipien wie Gemeinschaftlichkeit und Solidarität eingeübt werden.

oder auch:

… das Lehrpersonal sollte gleichgeschlechtlich sein. Zudem sollte während des Mädchensports möglichst kein männliches Lehrpersonal, Hausmeister oder Badeaufsicht die einsehbaren Räumlichkeiten betreten.

Worin bestand denn nun die Frage, Herr Kollege Steuer?

[Lars Oberg (SPD): Das weiß er selber nicht!]

Der Satz fing mit den Worten an: „Wundern Sie sich angesichts … nicht …?“.

Ach so, also ob er sich wundert! – Herr Senator! Wundern Sie sich? – Bitte schön!

[Heiterkeit bei der SPD]

Herr Steuer! Wir handeln jetzt in der Fragestunde ein sehr schwieriges und bedeutendes Problem ab. Deswegen laufen wir Gefahr, wenn ich kurz und präzise antworte, dem Ganzen einen Eindruck von Schnippischkeit zu geben oder möglicherweise dass ich ihm nicht die Bedeutung beimesse. Deswegen muss ich mir die Zeit nehmen, Ihre Frage, weil ich sie ernst nehme, ausführlich zu beantworten. Ich sage: Es gibt kein Hü und Hott, sondern es gibt ein sehr schwieriges Problem. Es gibt überhaupt keinen Zweifel daran, dass in dieser Gesellschaft die Diskriminierung von anderen – weil Sie Deutschfeindlichkeit oder auch in der umgekehrten Richtung angesprochen haben – nicht tolerabel ist. Dieses gilt ohne Wenn und Aber in jede Richtung für jeden. Es gilt auf der einen Seite, dass es in diesem Staat keine Diskriminierung, keine Gewalt und kein Mobbing gegen Ausländer geben darf. Und es darf keine Gewalt, kein Mobbing oder Ähnliches gegen Deutsche geben.

[Beifall bei der SPD und den Grünen]

Dieses ist aber kein schulisches Problem in dem Sinne, dass es die Schule verursacht oder zu verantworten hat. Dieses ist ein gesellschaftliches Problem, mit dem die Schule sich auseinandersetzen muss und bereit ist, sich auseinanderzusetzen. Das Land Berlin hat dieses seit langem erkannt. Es hat erkannt – und zwar auf beiden Seiten –, dass es nur eine Lösung geben wird: dass man auf der einen Seite den anderen in seinem Anderssein akzeptiert, dass auf der anderen Seite aber auch die Lebensform, in der man lebt, in Berlin, in unserem Wertesystem der Bundesrepublik Deutschland, die Grundfeste sein muss. Dieses ist nicht durch Befehl erreichbar – in diesem Fall leider nicht. Es ist nicht durch Sanktionen erzwingbar. Es ist nur dadurch erreichbar, dass man auf die anderen Menschen zugeht. Unsere Mitbürger, die von woanders herkommen, müssen bereit sein, sich zu unseren Werten zu bekennen. Auf der anderen Seite müssen wir, wenn wir deutschen Hintergrund haben, akzeptieren, dass es ein Wertesystem geben kann, das anders ist als unseres, aber trotzdem mit den Grundrechten der Bundesrepublik Deutschland vereinbar ist.

Jetzt komme ich zu dem präzisen Punkt, den Sie angesprochen haben: Dazu kann sehr wohl eine gemeinsame Klassenfahrt dienen, wenn man miteinander redet und feststellt, dass in vielen Bereichen des Islam in seinen großen Schattierungen das Wertesystem fast mit unserem identisch ist, dass man sich nicht auseinanderdividieren muss, sondern viel mehr Gemeinsamkeiten hat, als man glaubt. Das ist die Voraussetzung dafür, dass wir im Einzelfall nicht damit kämpfen müssen.

Insofern ist es schlecht, solche Probleme in einer Fragestunde, in einem kurzen Für und Wieder abzuhandeln, sondern wir sollten gemeinsam sehen, dass sich das Problem nicht nur über Einzelprogramme – die ich jetzt aufzählen könnte; ich habe sie ja fast auswendig gelernt – lösen lässt. Durch das Aufzählen von Sozialarbeitern löse ich das Problem auch nicht, sondern ich löse es durch eine Schule, in der die Grundwerte der Bundesrepublik Deutschland in jedem Fach eine Rolle spielen und in der wir ein Fach haben, in dem man gemeinsam über Werte redet. Und das ist das Fach Ethik.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Danke schön! – Der Kollege Mutlu hat noch eine Nachfrage – und dazu das Wort.

Herr Senator! Meine Frage geht in eine ähnliche Richtung. Wie erklären Sie den Umstand, dass es neben der gedruckten Fassung dieser Islam-Handreichung mit ungefähr 25 Seiten im Internet noch eine weitere Version mit über 100 Seiten mit einem Interview eines sehr umstrittenen Imams und mit Texten einer umstrittenen Organisation wie die Islamische Föderation existiert? Was erhoffen Sie sich als Hilfe für die Lehrkräfte, wenn derart umstrittene Organisationen und Personen sich dort breit in einem zehnseitigen Interview darstellen können?

Herr Senator! Bitte schön!

Herr Mutlu! Wie ich mir das erkläre? – Ich respektiere die Beschlüsse dieses Parlaments.

[Zuruf von Özcan Mutlu (Grüne)]

Eine ernsthafte Antwort: Ich respektiere nicht nur die Beschlüsse dieses Parlaments, sondern ich führe sie selbstverständlich auch aus. Die von Ihnen zitierte Schrift ist übrigens im Moment noch nicht im Internet, aber sie wird ins Internet kommen.

[Özcan Mutlu (Grüne): Schlimm genug!]

Es gibt einen Beschluss dieses Parlaments aus dem Jahr – das glaube ich aus der Erinnerung – 2005. Das Parlament hat damals beschlossen, eine Kommission einzurichten. Dieses Parlament hat beschlossen, wie die Kommission zusammengesetzt wird. Ich habe darauf keinen Einfluss gehabt. Und diese Kommission, zusammengesetzt aus Damen und Herren, die möglicherweise eine Ansicht vertreten oder Interviews geben, die ich nicht kontrollieren kann, hatten nach der Konstitution auf Parlamentsbeschluss letzten Endes die Möglichkeit, dieses in einer gemeinsamen Schrift niederzulegen. Da auch ich der Meinung bin, dass das, was damals aufgrund eines Parlamentsbeschlusses zustandegekommen ist, im Einzelfall zumindest nicht zwingend förderlich für die Problembewältigung in der Schule ist, habe ich mich entschlossen, diese Handreichung zu machen – genau aus diesem Grund. Und das andere kann ich nicht verheimlichen, weil Sie mich natürlich fragen können, was aus dem Bericht der Kommission geworden ist. Den muss ich dann vorlegen. Er wird über das Internet zugänglich sein. Das ist die einfache, etwas komplizierte Erklärung dafür, dass zwei solche Dinge existieren.

[Özcan Mutlu (Grüne): Das Parlament hat das nicht beschlossen!]

Danke schön!

Jetzt geht es weiter mit der Frage Nr. 8 der Kollegin Clara Herrmann der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu dem Thema

Freiwilligendienste ausbauen statt Freiwilligen Zivildienst einführen

Bitte schön, Frau Herrmann!

Danke, Herr Präsident! – Ich frage den Senat:

1. Wie bewertet der Senat die Pläne der Bundesregierung, einen bundesweiten Freiwilligen Zivildienst einzuführen, in ihrer Auswirkung auf die bisherigen Programme von Freiwilligendiensten wie Freiwilliges Soziales Jahr und Freiwilliges Ökologisches Jahr sowie auf deren Träger und Einsatzstellen im Land Berlin?

2. Wird sich der Senat z. B. über eine eigene Bundesratsinitiative für einen massiven Ausbau der Freiwilligendienste einsetzen, bzw. wie wird er sich zu den Anträgen des Landes Rheinland-Pfalz und des Freistaates Bayern verhalten?

Danke schön, Frau Kollegin! – Jetzt hat der Bildungssenator wieder das Wort. – Bitte, Herr Prof. Zöllner!

Herr Präsident! Frau Herrmann! Zu Frage 1: Pläne zu bewerten, zumal, wenn sie nur über eine Presseerklärung vom 23. August in Eckpunkten bekannt sind, ist etwas schwierig, aber ich will es trotzdem versuchen.

Der möglichen Aussetzung der Wehrpflicht folgt die mögliche Aussetzung des Zivildienstes. Der Bund hat deshalb zur Kompensation parallel zu den bestehenden Jugend-Freiwilligendiensten die Einführung eines Freiwilligen Zivildienstes vorgeschlagen. Grundsätzlich sehe ich die Einführung eines Freiwilligen Zivildienstes mit ca. 35 000 Plätzen – der übrigens für alle Generationen geöffnet werden soll – etwas kritisch, zumal die Gefahr besteht, dass durch diesen Freiwilligen Zivildienst unnötige Doppelstrukturen zu den Jugend-Freiwilligendiensten geschaffen werden, wenn das Spektrum der Einsatzstellen und auch die Dauer des Dienstes mit denen der JugendFreiwilligendienste identisch sein sollen. Erhalten derzeit die Träger der Freiwilligendienste pro gefördertem Platz zwischen 72 Euro und 153 Euro pro Monat, soll der Freiwillige Zivildienst mit etwa 500 Euro pro Monat bezuschusst werden. Das Land Berlin favorisiert primär eine Stärkung des Jugendfreiwilligendienstes. Diese Möglichkeit des freiwilligen Engagements Jugendlicher und junger Erwachsener hat sich ohne Zweifel bewährt. Neben dem aktiven Engagement für die Bürgergesellschaft ist es für die Jugendlichen und die jungen Erwachsenen auch ein Bildungsjahr, welches sich an Lernzielen orientiert. Die Stärkung der Jugendfreiwilligendienste beinhaltet sowohl eine Erhöhung des bundesweiten Zuschusses für das FSJ als auch dessen quantitativen Ausbau. Eine Ausweitung auf alle und damit auch für die vom Land anerkannten Träger sollte ebenso erfolgen. Die Zukunft der Jugendfreiwilligendienste wurde auch mit den in Berlin aktiven Trägern des Freiwilligen sozialen Jahres im Rahmen einer Sitzung zur Entwicklung der Jugendfreiwilligendienste am 6. Oktober breit diskutiert. Auch von den Trägern wird die Einführung eines Freiwilligen Zivildienstes nicht befürwortet.

Zur Ihrer Frage 2: Das Land Berlin hat sich bereits im Vorfeld dem Antrag und Konzept von Rheinland-Pfalz angeschlossen, welches einen einheitlichen freiwilligen sozialen Dienst vorschlägt, der sich auch an den etablierten Jugendfreiwilligendiensten orientiert. Bisherige Zivildienstplätze könnten dann zu Plätzen des freiwilligen sozialen Dienstes umgewidmet werden.

Danke schön, Herr Senator! – Jetzt gibt es eine Nachfrage der Frau Kollegin Herrmann. – Bitte schön, Frau Herrmann!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Vom Grundsatz her teile ich Ihre Auffassung, Herr Senator Zöllner. Sie wissen