Protokoll der Sitzung vom 25.11.2010

[Zuruf von Emine Demirbüken-Wegner (CDU)]

Die Kernaufgabe liegt darin – ich sage es noch einmal ausdrücklich für Sie –, dass eine Mutter in vertrauter Atmosphäre zu einer anderen Mutter geht und dort über Dinge redet, über die man normalerweise nicht spricht – Aufklärungsarbeit, Schule, wie sieht es aus mit der Notwendigkeit für junge Frauen, dass sie die Schule besuchen und ihr Studium absolvieren. Man bespricht all das in einer vertrauten Atmosphäre. Die Mütter selbst haben auch sogenannte Integrationserfahrungen und sprechen oft über eigene Probleme oder Missstände. Das, was Sie sagen, Frau Demirbüken-Wegner, hat nichts mit dem eigentlichen Kern Ihrer Überschrift zu tun. Sie sprechen von Stadtteilmüttern und werden dem Projekt damit nicht gerecht. Das Projekt hat ja auch einen gewissen sozialdemokratischen Bezug in Neukölln, wo es wirklich gut läuft.

[Zuruf von Emine Demirbüken-Wegner (CDU) – Zurufe von den Grünen – Gelächter bei der CDU]

Sie sagen im Antrag:

Für das Projekt ist mit einem Träger, der in dieser Art von Integrationsarbeit erfahren ist, ein Konzept zu entwickeln.

Gehen Sie hin und entwickeln Sie doch mit Trägern Konzepte, oder ist die CDU mittlerweile nicht mehr vernetzt vor Ort?

[Emine Demirbüken-Wegner (CDU): Habe ich schon!]

Bringen Sie sich ein, gehen Sie hin!

[Emine Demirbüken-Wegner (CDU): Sie sind ein schlechter Kopierer!]

Viele Kolleginnen und Kollegen haben Bezüge zu manchen Projekten – gehen Sie hin, entwickeln Sie etwas mit den Trägern vor Ort, dann brauchen Sie keine Senatsvorlage und auch keinen Auftrag an den Senat.

[Beifall bei der SPD – Zuruf von Michael Schäfer (Grüne)]

Vielen Dank! – Das Wort hat nun Frau Abgeordnete Kofbinger von Bündnis90/Die Grünen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin ein wenig überrascht, dass ein so positives Thema, das Sie in die Debatte gebracht haben – mit Priorität!, als grüne Feministin war ich natürlich begeistert, einen solchen Antrag von Ihnen zu finden –,

[Andreas Gram (CDU): Machen wir nur Ihretwegen!]

Sehr nett, Herr Gram, das merke ich mir! –

dass der zu solchen Verwerfungen führt zwischen den beiden großen „fast noch“ Volksparteien. Nichtsdestotrotz, ich nehme es vorweg: Auch wir finden natürlich das Projekt Kiezväter gut. Was ich bei Ihrer Auseinandersetzung, die ja weit mehr als jeweils fünf Minuten Redezeit gedauert hat, gerne von Ihnen gehört hätte: Es gibt dieses Projekt Kiezväter mehrfach in Berlin, Kazim Erdogan, unser aller Freund, hat das wunderbar umgesetzt.

[Emine Demirbüken-Wegner (CDU): Können Sie noch mehr nennen?]

Frau Demirbüken-Wegner! Am 1. Januar gehen diese gut ausgebildeten 20 Kiezväter auf die Straße. Sie sind von März an geschult worden, im Dezember erhalten sie ihre Urkunden – da werden wir uns wohl alle im Rathaus Neukölln treffen –,

[Emine Demirbüken-Wegner (CDU): Schön!]

und wir werden sie beglückwünschen und mit Wohlwollen und der Unterstützung unserer Parteien begleiten und uns freuen, dass sie da sind. Deshalb verstehe ich Ihren Antrag auch nicht ganz – Herr Saleh hat es schon gesagt. Allerdings hat er auch gesagt, das sei ein sozialdemokratisches Projekt – das wüssten wir aber! Das glaube ich nicht, und ich weiß auch gar nicht, ob Herr Erdogan das weiß, der wird bestimmt ganz schön überrascht sein, wenn er den Auszug Ihrer Rede liest.

In Neukölln gibt es sie, wir sind begeistert. Warum gibt es sie? – Ich habe Ihnen hier ein Schriftstück mitgebracht, ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der BVV Neukölln vom 4. März 2008. Da steht: Stadtteilväter! So wurde das initiiert. So viel dazu; manchmal ist eine Genese, ein geschichtlicher Abriss ganz wünschenswert.

[Beifall bei den Grünen]

Es geht auch überhaupt nicht darum, wenn man etwas richtig macht, ob die eine Partei oder die andere das erfunden hat.

[Zurufe von der SPD, der Linksfraktion und der CDU]

Bei Ihnen geht es darum, das weiß ich. Bei uns geht es nicht darum. Aber man muss auch einmal bei der Wahrheit bleiben. Wir haben uns auf jeden Fall sehr gefreut.

Aber das muss ich auch sagen: Es gibt nicht nur Kazim Erdogan, es gibt in Moabit auch Mohamed Zaher und im Wedding Chandan Khajuria, auch den netten Herrn Rudik, der sich vor allem mit jungen Männern mit RomaHintergrund auseinandersetzt. Wir haben wunderbare

Menschen in der Stadt, aber wir müssen sie auch fördern. Dafür ist Ihr Antrag, muss ich sagen, leider nicht konkret genug. Wir werden ihn sicherlich ganz wohlwollend im Integrationsausschuss besprechen, das ist klar. Aber wir hätten es gern zugespitzter und konkreter, weil es ein wichtiges Thema ist.

Ich gehe noch einmal darauf ein: Dass Sie diesen Antrag gestellt haben, hat mich besonders gefreut. Es gibt das Projekt „Kulturen im Kiez“, wie Sie auch wissen, im Wedding. Die machen seit 2008 diese Aus- und Fortbildung. Das ist ein sehr gutes Projekt. Aber was passiert mit ihm? – Es wird abgewickelt. Es gibt dort eine halbe Stelle für eine Projektmitarbeiterin, und genau die wird gestrichen. Da gibt es einen inneren Zusammenhang mit der Frage, die heute Ulrike Neumann gestellt hat. Das ist eine von den Betroffenen, die jetzt durch die ganzen Einsparungsmaßnahmen leider dieses Projekt nicht mehr weiterführen kann. Da wäre doch, Herr Saleh, Ihr Engagement und das Ihrer Fraktion gefragt: Das darf ja wohl nicht sein, dass „Kulturen im Kiez“ diesen halben Arbeitsplatz verliert und dieses wunderbare Projekt nicht mehr weiter fortführen kann!

Wenn wir alle gemeinsam das hinkriegen, glaube ich, hat dieser Antrag – ob er jetzt gut oder schlecht ist –, einen wunderbaren Zweck erfüllt. Da nehme ich Sie gerne beim Wort. Wir haben ja alles schriftlich, zum Nachlesen, und ich freue mich, dass Sie da eine Förderung wahrscheinlich ermöglichen können. Gefördert wird dieses Projekt ja von „Aufbruch Neukölln“, das stimmt. Das ist aber ein eingetragener Verein, der bekommt kein Geld dafür. Es wird gefördert durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und dem Bundesministerium des Inneren. Es wäre eine schöne Sache, wenn sich auch der Senat da mit Geldern beteiligen könnte. Denn alles, was es an Problemen gibt, schaffen unsere Stadtteilmütter und Kiezväter nicht von der Straße. Wir müssen da noch sehr, sehr intensiv investieren, damit nämlich die Probleme von morgen nicht heute schon ihren Anfang nehmen. Deshalb bitte ich Sie, sich mit diesem Projekt weiter zu beschäftigen und es finanziell zu unterfüttern. Das wäre eine wunderbare Sache.

Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist bereits zu Ende!

Das ist mein letzter Satz. – Es geht bei diesen Kiezvätern in erster Linie darum, dass die Gesellschaft geschlechterdemokratischer umgebaut wird. Das finde ich natürlich hervorragend.

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank! – Für die Linksfraktion hat jetzt Frau Breitenbach das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch wir reihen uns in diejenigen ein, die sagen: Die „Stadtteilmütter“ sind tatsächlich ein sehr erfolgreiches Projekt.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Das gilt übrigens auch für die Nachbarschaftslotsen, die Kiezlotsen, die Integrationslotsen, die Elternlotsen oder wie immer sie auch heißen mögen. Diese Arbeit wird in vielen Bezirken schon verrichtet, und sie trägt überall dazu bei, dass es sehr gute Integrationsarbeit gibt.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Ich bedaure zutiefst, dass Sie offensichtlich diese ganzen Projekte nicht kennen, die dazu beitragen, dass Familien bei vielen Alltagsproblemen geholfen wird. Viele Menschen mit Migrationshintergrund werden auf Ämter oder zum Arzt begleitet. Es wird bei Schulden oder bei Mietproblemen geholfen. Die Lotsen bieten auch Energieberatung für Menschen mit geringem Einkommen an. Es gibt Gesundheitsprävention. Dort werden außerdem Seniorenfrühstücke, Müttertreffs und Väterkurse organisiert, und es gibt eine enge Kooperation mit unterschiedlichen Schulen. Dort werden dann auch Deutschkurse sowohl für Väter wie Mütter angeboten. Auch werden Eltern und Lehrer zusammengebracht. Die dort beschäftigten Frauen und Männer haben Migrationshintergrund und bringen eine ausgesprochen große interkulturelle Kompetenz mit.

Frau Breitenbach! Es liegt eine Wortmeldung von Frau Demirbüken vor, und sie könnte, wenn Sie das wünschen, jetzt das Wort nehmen.

Ich wünsche das unbedingt.

Vielen Dank, Frau Kollegin Breitenbach! – Wenn Sie die „Stadtteilmütter“ so loben und so sehr von ihnen eingenommen sind, kann ich dann davon ausgehen, dass Sie die „Stadtteilmütter“ endlich mit einem Titel im Haushalt versehen werden und sich die Volkshochschulen das nicht alle zwei Jahre aus den Rippen schneiden müssen, was unsere Forderung seit Jahren ist?

[Beifall von Andreas Statzkowski (CDU)]

Auf die Finanzierung wäre ich sowieso noch gekommen. Noch einmal: Die „Stadtteilmütter“ sind ein Projekt. Die Arbeit, die sie leisten, wird in vielen Bezirken von ähnlichen Projekten geleistet. Ich mache da keinen Unterschied. Aber was die Finanzierung angeht, darauf komme ich gleich noch.

Was ich jetzt noch sagen wollte, was wichtig ist: Die Menschen, die diese Lotsenarbeit machen, die kennen nicht nur die staatlichen Regelleistungen – die des Gesundheitssystems, des Schulsystems, des Sozialsystems –, sie sind vor allem auch noch in der Lage, anderen Menschen diese Regelleistungen näherzubringen. Darin liegt der große Erfolg dieser ganzen Projekte. Sie tragen dazu bei, dass Menschen mit Migrationshintergrund in staatliche Regelleistungen hineingeführt und begleitet werden, und das ist ein zentral wichtiger Punkt.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Damit werden nämlich Wege in die Gesellschaft geöffnet, die es durch keinen Integrationskurs gibt, durch kein Flugblatt und übrigens auch durch keinerlei Sanktionen. Ich sage es noch einmal: In diesen Projekten arbeiten Männer und Frauen. Insofern wurde Ihrem Antrag, was das angeht, schon nachgekommen.

Ich halte Ihren Antrag aber auch aus einem anderen Grund für unnötig. Wir machen das schon, und ich glaube, es ist etwas anderes nötig. Alles Gute hat viele Väter und Mütter. Deshalb möchte ich noch einmal darauf hinweisen: Die meisten dieser Lotsenprojekte haben als Projekt im öffentlich geförderten Beschäftigungssektor in Berlin begonnen.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Die Oppositionsparteien finden den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor falsch und lehnen ihn ab. Ich aber sage Ihnen: Wer diese Arbeit erhalten und verstetigen will – die der „Stadtteilmütter“ oder der Kiezlotsen –, muss sich für die Erhaltung und Verstetigung des Berliner ÖBS einsetzen, denn gerade dieser ist in Gefahr.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Der ÖBS setzt auf langfristige und existenzsichernde Arbeit, und wir alle wissen, dass die Arbeit der „Stadtteilmütter“ und der Kiezlotsen nur über Langfristigkeit erhalten werden kann, weil sie auf Vertrauen und Kontinuität basiert. Deshalb ist es wichtig zu versuchen, dass diese Langfristigkeit über den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor erhalten wird und dass die Menschen, die diese wirklich gute Arbeit machen, von ihrer Arbeit auch leben können.