Protokoll der Sitzung vom 03.03.2011

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Und das Bundesverfassungsgericht – das werden wir erleben – wird sich auch erneut damit beschäftigen müssen.

[Zuruf von Andreas Gram (CDU)]

Lieber Herr Steuer! Wenn Sie immer von den traurigen Kinderaugen reden und davon, was die Bundesregierung so Tolles macht, sage ich Ihnen: Die Bundesregierung tut nämlich jetzt nur so, als würde sie viel für die Kinder tun. Auch hier wurden die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts komplett ignoriert. Was hat das Bundesverfassungsgericht gesagt? – Das soziokulturelle Existenzminimum der Kinder soll in den Regelsätzen abgebildet und mit den Regelsätzen gesichert werden. Was haben wir? – Statt ausreichende Regelsätze, daran wurde nämlich nichts geändert, gibt es nun das sogenannte Bildungs- und

Teilhabepaket. Es wurde schon ganz viel gesagt, was es da alles Tolles gibt und wie toll es ist.

[Mieke Senftleben (FDP): Ist auch richtig!]

Ob das Geld dafür ausreicht, um sich überhaupt in einem Sportverein anzumelden oder in einer Musikschule zu singen, das möchte ich mal gerne sehen.

Zweitens werden die Eltern immer zum Amt rennen müssen, jede einzelne Leistung beantragen müssen.

[Zuruf von Mieke Senftleben (FDP)]

Alles wird individuell geprüft, und dann wird es alles schön mit dem Anbieter abgerechnet. Was heißt es denn in erster Linie? – Eine Riesenbürokratie mit entsprechenden Kosten! Daher, liebe FDP, das lässt sich gar nicht unbürokratisch umsetzen, was Sie jetzt hier einfach so verlangen.

[Mieke Senftleben (FDP): Natürlich!]

Das wurde von Ihrer Bundesregierung verhindert. Und auch deshalb, wegen dieses Bildungs- und Teilhabepakets war es richtig, dem nicht zuzustimmen.

[Björn Jotzo (FDP): Oh!]

Jetzt komme ich noch mal zu dem, was die Kommunen jetzt so Tolles alles kriegen. Ja, die Kommunen werden jetzt endlich von den Kosten der Altersarmut entlastet werden, und das ist richtig, denn die Kosten der Grundsicherung sind gestiegen, und sie werden weiter steigen, und zwar in erster Linie wegen der Politik der Bundesregierung, die nach wie vor prekäre Beschäftigung und auch den Niedriglohnsektor vorantreibt, die nach wie vor hinnimmt, dass Frauen für gleichwertige Arbeit weniger Geld kriegen, die nach wie vor dazu beiträgt, dass die Altersarmut weiterhin steigen wird.

Jetzt habe ich Ihnen einige Gründe genannt, warum es richtig war, diesem Kompromiss nicht zuzustimmen. Dieser Kompromiss ist teuer. Dieser Kompromiss ist bürokratisch. Dieser Kompromiss ist diskriminierend. Er verbessert nicht die Lebenssituation der Erwerbslosen, auch nicht die ihrer Kinder. Er hält ihnen Leistung vor, auf die sie Anspruch hätten. Und er treibt das Armutsrisiko weiter voran. Und deshalb war es richtig, diesem Kompromiss nicht zuzustimmen. Und deshalb ist es richtig, Ihrer Entschließung nicht zuzustimmen.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Björn Jotzo (FDP): Können Sie eigentlich noch schlafen?]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Breitenbach! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Frau Abgeordnete Pop das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man die Überschrift Ihres Antrags liest, wäre man fast versucht zu sagen, ja, das muss man machen, denn das Bildungspaket jetzt zügig umzusetzen, ist ja richtig, keine Frage!

[Mieke Senftleben (FDP): Ach!]

Sie verschweigen allerdings, dass es natürlich nicht nur darum geht. Es geht natürlich auch und insbesondere um die Regelsätze für Menschen, die vom Arbeitslosengeld II leben.

[Zuruf von Uwe Doering (Linksfraktion)]

Und die Überschrift verschleiert, dass es im Kern natürlich darum geht, einem nicht verfassungsfesten und intransparenten Gesetz zuzustimmen, und das werden wir an dieser Stelle nicht tun. Es ist schon ausgeführt worden, die Referenzgruppe, auf deren Grundlage sich die Regelsätze berechnen, ist mehr als fragwürdig, denn das Arbeitslosengeld II berechnet sich sozusagen auf Grundlage von Arbeitslosengeld-II-Bezieherinnen und -Beziehern. Das ist, glaube ich, ein Zirkelschluss, der nicht zugelassen ist. Die willkürliche Streichung diverser Ausgabengruppen wie Eisdiele, Mobilität, öffentlicher Nahverkehr ist auch fragwürdig, ob das überhaupt machbar ist. – Das mit der Zwischenfrage lassen wir mal um diese Uhrzeit lieber sein.

[Beifall bei den Grünen – Mieke Senftleben (FDP): Schade eigentlich!]

Den Widerspruch, dass die SPD dem Kompromiss zustimmt, obwohl sie, um Kurt Becks Worte zu zitieren, noch letzte Sorgen um die Verfassungsmäßigkeit hat, das muss die SPD mit sich selber ausmachen, finde ich.

[Beifall bei den Grünen]

Sie von CDU und FDP werden aufpassen müssen, damit nicht wieder vor dem Verfassungsgericht zu scheitern.

[Zurufe von der CDU und der FDP]

Die SPD wird sich dann sicherlich in die Büsche schlagen. Sie wird dann nämlich nicht dabei gewesen sein wollen. Ob die 5-Euro- und dann die 3-Euro-Regelsatzerhöhung die angemessene Antwort auf die Frage des Existenzminimums ist, das wird vermutlich das Verfassungsgericht wieder klären. Wir werden uns demnächst sicherlich im neuen Vermittlungsausschuss wiedersehen.

Beim Bildungspaket sind in der zweiten Verhandlungsrunde tatsächlich Verbesserungen erzielt worden. Der Kreis der Bezieherinnen und Bezieher ist vergrößert worden. Es gibt jetzt zumindest die Hoffnung, dass das Geld dort ankommt, wo es gebraucht wird, nämlich bei Eltern, Kindern und den Familien. Allerdings war die Bundesregierung nicht bereit, in die soziale Infrastruktur zu investieren. Es bleibt dabei, dass über ein kompliziertes Abrechnungssystem irgendwie individuelle Leistungen ausgezahlt werden sollen. Besser ist natürlich, dass die Kommunen jetzt die Möglichkeit haben, das Bildungspaket umzusetzen, weil die Jobcenter bei allem Respekt darin keine Kompetenz haben, die Jobcenter das nicht

auch noch übernehmen müssen. Wir können jetzt in Berlin selber entscheiden, wie die konkreten Angebote umgesetzt werden. Da habe ich bei Frau Breitenbach schon gemerkt, da gibt es wieder mal die eine oder andere Zaghaftigkeit. Diese Chance, finde ich allerdings, sollten wir ergreifen.

Aber auch die Ausführungen von Herrn Dr. Zöllner heute Mittag haben mich etwas ratlos zurückgelassen. Es wurden jetzt etliche Arbeitsgruppen gebildet. Ich möchte daran erinnern, 180 000 Kinder haben seit Anfang des Jahres Anspruch auf diese Leistungen. Da frage ich schon mit Verlaub, wann diese Arbeitsgruppen, die sich, glaube ich, gestern zum ersten Mal getroffen haben, eine von der Vielzahl dieser Arbeitsgruppen, wann die überhaupt ein Ergebnis vorlegen werden. Nichts Genaues weiß man. Vielleicht sollen doch die Jobcenter die Aufgabe übernehmen. Das würde allerdings alles ad absurdum führen, finde ich zumindest.

[Beifall bei den Grünen]

Es droht ein Bürokratiemonster. Bislang weiß noch niemand, wann und wo über welche Anträge beschieden wird. Die Jobcenter haben Anträge da liegen, von denen niemand weiß, wer sie zu entscheiden hat. Das wird sich in der nächsten Woche hoffentlich alles schnell zeigen.

Am deutlichsten stellt sich natürlich die Frage bei dem Mittagessen. Hier finanziert das Land Berlin das Mittagessen mit 17 Euro im Monat. Die Eltern zahlen 23 Euro. Gibt es überhaupt noch Bundesmittel für dieses Mittagessen? Kümmern Sie sich darum? Oder streicht das Land Berlin dann einfach seinen eigenen Zuschuss und sagt, der Bund finanziert ja jetzt mit? Das ist, glaube ich, eine der zentralen Fragen, die sich hier stellen wird, ob in mehr Qualität mit dem Bildungspaket investiert wird oder ob das Land Berlin sich aus der Verantwortung für Jugend- und Kinderarbeit ziehen wird und das alles dem Bund und der komplizierten und bürokratischen Frage Bildungspaket überlässt. Daran werden wir Sie messen, ob Sie mehr Qualität oder ob Sie sich als Land Berlin selber einen schlanken Fuß machen werden. Darauf werden wir achten.

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Pop! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die antragstellende Fraktion beantragt die sofortige Abstimmung. Wer dem Antrag Drucksache 16/3906 seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen von FDP und CDU. Gegenprobe! – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Fraktionslose Abgeordnete sehe ich nicht mehr. Letzteres war die Mehrheit. Damit ist dieser Antrag so abgelehnt.

Tagesordnungspunkt 27 wurde bereits als Priorität der Fraktion der SPD unter der lfd. Nr. 4.4 beraten.

Meine Damen und Herren! Das war unsere heutige Tagesordnung. Die nächste, 79. Sitzung findet am Donnerstag, dem 17. März 2011 um 13 Uhr statt.

Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche allen einen guten Heimweg.

[Schluss der Sitzung: 20.18 Uhr]

Anlage 1

Konsensliste

Vorbehaltlich von sich im Laufe der Plenarsitzung ergebenden Änderungen haben Ältestenrat und Geschäftsführer der Fraktionen vor der Sitzung empfohlen, nachstehende Tagesordnungspunkte ohne Aussprache wie folgt zu behandeln:

Lfd. Nr. 7: Erste Lesung

Berliner Hinterlegungsgesetz (BerlHintG)

Vorlage – zur Beschlussfassung – Drs 16/3883

an Recht

Lfd. Nr. 8: Erste Lesung

Gesetz zum Fünften Staatsvertrag über die Änderung des Landesplanungsvertrages

Vorlage – zur Beschlussfassung – Drs 16/3890

an StadtVerk