Meine Fraktion und ich sind tief bestürzt angesichts der schrecklichen Spuren, die das schwerste Erdbeben in der japanischen Geschichte und die dadurch ausgelöste Flutwelle hinterlassen haben. Das gilt auch für die dramatischen Entwicklungen, die sich derzeit im Inneren des Atomkraftwerks Fukushima abspielen. Der japanischen
Bevölkerung gehört im Angesicht dieser dreifachen Katastrophe unsere uneingeschränkte Solidarität. Wir beten für die Betroffenen und die Angehörigen der Tausenden zu beklagenden Opfer.
Niemand kann wissen, ob nicht in den Minuten, in denen wir hier debattieren, eine weitere Verschlechterung der Situation eintritt, ob das, was wir heute hier diskutieren, überhaupt bis morgen Bestand hat. Aber die verzweifelte Situation bringt auch das Große im Menschen zum Vorschein. Ich bewundere es, wie sich Hilfskräfte und Techniker unter schwersten gesundheitlichen Risiken gegen eine noch schlimmere Katastrophe stemmen. Gott möge verhindern, dass es dazu kommt!
Aber Japan ist nicht allein, auch wenn die Ohnmacht des Menschen vor der Natur selten so unverkennbar ist wie heute. Niemand lässt es kalt, was er an den Bildschirmen sieht, was an immer neuen Hiobsbotschaften in den Zeitungen zu lesen ist. Das Schicksal der japanischen Bevölkerung ist eine Herausforderung und eine Verpflichtung für uns alle!
Was ist jetzt zu tun, und was können wir tun? – Kollege Müller hat – wie ich finde – bereits zu Recht darauf hingewiesen – ich habe mich auch gewundert –, dass in dieser Woche in einem Zeitungskommentar bezweifelt worden ist, ob dieses Thema überhaupt ins Abgeordnetenhaus gehört. Dazu kann ich nur sagen: Solidarität und Mitgefühl machen vor Ländergrenzen nicht Halt! In dieser schweren Stunde sollten wir alle fest an der Seite Japans stehen!
Gerade eine Stadt wie Berlin, die in der Vergangenheit so viel Hilfe von außen erfahren hat, sollte in dieser Situation helfen, wo sie nur helfen kann. Diese Solidarität gilt nicht nur unserer Partnerstadt Tokio, die im größten Metropolenraum der Welt liegt und unmittelbar bedroht ist, sondern sie gilt allen Japanerinnen und Japanern. Wir brauchen jetzt eine Luftbrücke der Solidarität, und deshalb möchte ich an dieser Stelle auch an die Spendenbereitschaft der Berlinerinnen und Berliner appellieren. Japan ist ein hochtechnologisiertes Land, die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt, aber das entlässt uns nicht aus der Verantwortung, unsere Freunde zu unterstützen. Es gibt viele Bereiche, in denen geholfen werden kann. Über 100 000 Kinder sind nach Angaben von Kinderhilfsorganisationen obdachlos, Zehntausende sind von ihren Eltern getrennt. Viele Menschen haben alles verloren und sind auf der Flucht aus den Krisenregionen. Diesen Menschen müssen wir helfen. Wir können und sollten einen Beitrag dazu leisten, ihre Not nach dieser unfassbaren Katastrophe zu lindern.
Aber die Debatte ist nicht nur auf unmittelbare Solidarität beschränkt. Es geht auch um weitergehende Fragen. Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass die Entwicklung in Japan auch hier in Deutschland zu einer tiefen Verunsicherung führt. Mit diesen Ängsten spielt man nicht, und
deshalb möchte ich an dieser Stelle zum Ausdruck bringen, dass mir einige Interviews und Äußerungen in den letzten Tagen sehr missfallen haben. Ich meine, jeder Versuch, aus der Situation eines Landes, das in den Abgrund schaut, politisches Kapital zu schlagen, sollte sich verbieten.
Eines ist aber klar: Nach Japan wird es eine breite gesellschaftspolitische Debatte über die Zukunft der Atomkraft geben, und diese Debatte hat auch schon begonnen.
Wir sind bereit, diese Debatte zu führen – nicht hektisch, nicht in einer aufgehitzten Atmosphäre, sondern sachlich, wie es eine solche Situation eben auch erfordert.
Dabei darf das Augenmaß nicht verlorengehen. Der deutsche Energiemix ist derzeit noch zu knapp einem Viertel auf Kernenergie angewiesen, und diese Kapazitäten können wir nicht über Nacht abschalten. Deutschland und Berlin sind eben auch in Zukunft auf bezahlbare Energien angewiesen, und das können und dürfen wir nicht infrage stellen.
Kernenergie ist und bleibt dabei für die Union nur eine Brückentechnologie, weil sie trotz ihres wichtigen Beitrags zur Energieversorgung Risiken birgt – ungeachtet der ausgeprägten Sicherheitsphilosophie in Deutschland. Richtig ist, dass es absolute Sicherheit nicht gibt, und die Katastrophe in Japan hat ein neues Fragezeichen gesetzt. Die Brücke ist instabiler geworden.
Es bringt wenig, wenn wir uns darauf zurückziehen, dass Deutschland erstens nicht von Tsunamis bedroht ist und zweitens anders als Japan nicht in einer der gefährlichsten Erdbebenregionen liegt und dass unsere Atomkraftwerke nach bisherigem menschlichen Ermessen sicher sind. Deshalb ist es richtig, dass wir innehalte und uns die Zeit nehmen, die Situation zu bewerten. Deshalb ist es richtig, dass die Bundeskanzlerin schnell auf die verheerende Situation in Japan reagiert hat. Das dreimonatige Moratorium und das Abschalten von älteren Reaktoren müssen wir dazu nutzen, die Sicherheitsstandards in den Kraftwerken noch einmal gründlich zu überprüfen.
Die Vorkommnisse in Japan werden den Prozess der Energiewende mit Sicherheit beschleunigen – d. h. auch den Weg in das Zeitalter der erneuerbaren Energien. So sehr es darüber einen Konsens geben sollte, so sehr müssen wir uns auch darauf verständigen, dass für einen solchen Weg massive Investitionen erforderlich sind und dass wir auch neue Stromtrassen und intelligente Netze benötigen, die den Strom dorthin bringen, wo er gebraucht wird. Auch das müssen wir den Menschen ehrlich sagen. Wer die Energiewende will, der muss auch zum
Wir wissen auch, dass wir unseren Strombedarf aus unregelmäßigen erneuerbaren Energieträgern heute noch nicht decken können und dass wir einen Verzicht auf die Atomkraft vorerst mit mehr Kohle, mit mehr Öl und Gas erkaufen müssten. Es bringt nichts, wenn wir in Deutschland isolierte Entscheidungen treffen. Wir brauchen einen europäischen Dialog über die Zukunft der Kernkraft und der Energieversorgung. Es würde nichts an der Situation verändern, wenn Deutschland die Energiewende beschleunigt, während unsere europäischen Nachbarn neue Kernkraftwerke bauen, die nicht unseren hohen Sicherheitsstandards entsprechen.
Im Gegenteil: Neue Kraftwerke in Frankreich oder Polen sind sicherheitsrelevant für Deutschland und Berlin. Auch das gehört zur Wahrheit in einer solchen Diskussion.
Über diese Dinge werden wir weiter zu reden haben. Aber ich bin überzeugt, dass die Situation am Ende des dreimonatigen Moratoriums ohnehin anders sein wird, als sie sich vor Japan dargestellt hat. Wir müssen die Verunsicherung der Menschen aufgreifen, und wir dürfen nicht so tun, als ob nichts vorgefallen wäre. Deshalb appelliere ich an dieser Stelle noch einmal an Sie alle: Lassen Sie uns die Konsequenzen sachlich diskutieren! Lassen Sie uns nicht mit Schaum vorm Mund argumentieren, und lassen Sie uns trotz der entsetzlichen Bilder aus Japan nicht die energiepolitische Realität in unserem Land und in Europa verdrängen! In den letzten Tagen ist vieles denkbar geworden, aber es muss auch machbar und für die Menschen sicher und beherrschbar sein. – Vielen Dank!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte im Namen meiner Fraktion den Menschen in Japan, in unserer Partnerstadt Tokio unser Beileid, unser Mitgefühl und unsere Solidarität aussprechen. Ich glaube, niemand kann sich der Wucht der Bilder entziehen, die uns seit dem 11. März erreichen. Ich möchte betonen, dass die Ursache für die schrecklichen Bilder, für die vielen Todesopfer, die Verwüstungen und all das Leid ein Erdbeben und ein Tsunami waren. Es war eine Naturkatastrophe. Angesichts dieser Naturkatastrophe stellt sich nicht die Frage nach politischer Schuld oder Verantwor
tung. Mancher Streit, den wir hier im Hause und auch in der Koalition haben, verliert an Bedeutung, wenn wir uns das unermessliche Leid, das diese Katastrophe bringt, vor Augen führen.
Wir wissen heute noch nicht, wie viele Menschen schon allein durch das Erdbeben und den Tsunami sterben mussten und wie viele alles verloren haben – ihre Familie, ihre Freunde, ihre Wohnung und ihre Lebensgrundlage. Tausende Menschen werden vermisst, Tausende sind obdachlos. Noch immer erschüttern zum Teil schwere Nachbeben die Erde, und die Menschen leben in ständiger Angst. Wenn jetzt zu diesem unermesslichen Leid auch noch ein atomarer GAU oder, wie es derzeit möglich scheint, vielleicht ein Super-GAU kommt, übersteigen das Ausmaß dieser Katastrophe und vor allem die Folgewirkungen meine Vorstellungskraft.
Selbstverständlich haben wir auch in der Koalition – Kollege Müller hat es schon angesprochen –, darüber nachgedacht, ob es sinnvoll ist, über eine Katastrophe am anderen Ende der Welt hier in unserem kleinen Landesparlament eine Aktuelle Stunde durchzuführen. Nicht nur die Grünen haben das gefragt, sondern auch manche Journalisten: Was hat dieses Thema in der Aktuellen Stunde des Abgeordnetenhauses zu suchen? – Ich sage ihnen: Nicht allein, dass Tokio unsere Partnerstadt ist, dass viele Menschen, die hier leben, ihre Wurzeln, Freunde und Verwandte in Japan haben, dass es viele Menschen gibt, deren Kolleginnen und Kollegen, Freundinnen und Freunde oder Verwandte gerade in Japan sind, und dass viele Menschen in Berlin ein Zeichen der Solidarität mit den Menschen in Japan auch aus diesem Hause erwarten, wäre schon Grund genug für eine Aktuelle Stunde hier im Abgeordnetenhaus. Es kommt jedoch noch hinzu, dass die Menschen in Berlin, obwohl sich das alles auf der anderen Seite der Erde abspielt, angesichts dieser Katastrophe und dieser Bilder verunsichert sind.
Wir alle sind gut beraten, uns zu fragen, was diese Zäsur für uns bedeutet. Wäre eine ähnliche Katastrophe auch hier möglich? Wären wir auf ein solches Schreckensszenario vorbereitet? Allerspätestens hier steht auch die Frage nach politischer Verantwortung, und zwar hier bei uns, in der Bundesrepublik und in Berlin.
25 Jahre nach Tschernobyl ist uns allen wieder vor Augen geführt worden, dass das Restrisiko einer atomaren Katastrophe keine einfache statistische Rechengröße ist. Es kann tatsächlich passieren, und zwar nicht bei einem alten russischen Reaktor, der angeblich nicht auf westlichem Standard betrieben wurde,
sondern bei einem Reaktor einer der Hightech-Nationen, wenn nicht sogar der Hightech-Nation, nämlich Japan. Dass angesichts dieser Katastrophe die japanische Regierung und die Behörden offensichtlich in vielerlei Hinsicht bis zu der einfachen Frage der Informationspolitik ü
Es gab gute, wissenschaftlich fundierte Gründe, die Diskussion über den Atomausstieg zu führen. Trotz der Halbherzigkeit des Ausstiegs des rot-grünen Atomkompromisses sollte der Weg zumindest in die richtige Richtung führen. Es war ein schwerer Fehler der Bundesregierung, sich im Oktober des letzten Jahres auch noch aus dem mühsamen Ausstiegskompromiss zu verabschieden.
Um durchschnittlich zwölf Jahre ist die Laufzeit der 17 Kernkraftwerke in Deutschland damit verlängert worden, bei Kernkraftwerken mit Beginn des Leistungsbetriebs bis einschließlich 1980 um acht Jahre, bei den jüngeren Kernkraftwerken um 14 Jahre, und das mit einer Begründung, die so lächerlich ist, dass man sich fragen muss: Für wie dumm hält die Bundesregierung die Menschen in diesem Land? Da wird allen Ernstes behauptet, um den Weg zu einer sauberen, sicheren und bezahlbaren Energieversorgung schneller gehen zu können, um diese Brücke schneller überqueren zu können, wie die CDU im Bundestag formulierte, würde man mit der Verlängerung der Laufzeit den volkswirtschaftlichen Nutzen, den die Kernenergie habe, abschöpfen. Wer da was abschöpft, will ich hier gar nicht näher beleuchten. Gregor Gysi hat dazu in der Bundestagsdebatte gesagt, dass dieser Beschluss die Gesellschaft spaltet. Ich zitiere:
… und zwar so offenkundig durch eine Klientelpolitik, wie es das nur selten gegeben hat. Vier Konzerne werden gewinnen, und Millionen und Abermillionen Menschen werden verlieren.
Die Linke hat sich immer für den konsequenten Ausstieg aus der Atomenergie eingesetzt, gegen den nichts, aber auch gar nichts spricht, nicht der angebliche Bedarf an Atomenergie, nicht die angeblichen anderen technischen Hürden, die gerne herangezogen werden. Ich bin froh, dass das Land Berlin mit anderen Bundesländern am 28. Februar 2011 eine Verfassungsklage gegen die Verlängerung der Laufzeiten eingereicht hat. Niemand kann uns vorwerfen, auch Sie, Herr Henkel, nicht, wir würden diese schreckliche Katastrophe in Japan zum Anlass nehmen. Nein, es ging und es geht darum, den Ausstieg aus dem Ausstieg zu kippen, und es geht auch darum, dass eine solche weitreichende und einschneidende Entscheidung nicht vorbei an den Ländern getroffen werden darf.
Berlin tritt der Bundesratsinitiative zur Rücknahme der Laufzeitverlängerung bei, die gegenwärtig von verschiedenen Bundesländern vorbereitet wird. Das hat der Senat am Dienstag beschlossen. Da hat Rot-Rot eine ganz klare Haltung, nicht nur am Montag vor dem Bundeskanzleramt, auch im Bundesrat und auch hier im Hause. Diese
Haltung hatten wir vor der Katastrophe in Japan. Diese Haltung ist auf ganz grauenhafte und erschütternde Weise bestätigt worden. Ich hätte darauf gerne verzichtet.
Das Wort von der Kernenergie als Brückentechnologie, Herr Henkel, hat seit einigen Tagen einen besonders furchtbaren Beigeschmack. Ehrlich gesagt, ich bin erschüttert, zu welch seltsamem Aktionismus die Ereignisse in Japan bei der Bundesregierung führen. Ich muss das ganze Hin und Her der letzten Tage hier nicht noch mal darstellen. Wir haben das alle genau verfolgt.
Jetzt gibt es ein dreimonatiges Moratorium zur Aussetzung der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke. Während dieser Zeit soll eine umfassende Sicherheitsüberprüfung aller AKWs durchgeführt werden. Für diese drei Monate werden alle sieben bis 1980 gebauten AKWs vorübergehend stillgelegt. Abgesehen davon, dass das nicht wirklich rechtssicher ist, was da verabredet wird, galt Fukushima auch als sicher, war auch sicherheitsüberprüft. Die Risiken galten als vertretbar. Es wird Zeit, mit der Selbstbelügerei und dem Herumeiern aufzuhören.