Protokoll der Sitzung vom 08.03.2007

Ich gebe zu, das Thema ist wichtig. Aber ich finde, es gibt wichtigere Themen in dieser Stadt. Ein Thema wäre das Steinkohlekraftwerk gewesen. Das interessiert auch die Grünen. Ich frage mich nach der letzten Aktuellen Stunde, die auch so ein bisschen ins Leere gelaufen ist, ob wir unsere Aufgaben nicht etwas ernster nehmen müssen.

[Bärbel Holzheuer-Rothensteiner (Linksfraktion): Das ist unglaublich!]

Das kann ruhig unglaublich sein. – Ich sage ganz deutlich, dass wir uns das nach der letzten Aktuellen Stunde fragen müssen. Aber ich freue mich trotzdem. Ich habe nämlich einen anderen Aspekt für meine heutige Rede gewählt.

[Wolfgang Brauer (Linksfraktion): Ersparen Sie uns das!]

Gehen Sie doch raus! Das können Sie gern tun, Herr Brauer. Das steht Ihnen frei. –

[Beifall bei der FDP]

Ich möchte heute die Frage genauer untersuchen: Warum besteht bei jungen Frauen kein Interesse an – –

[Christian Gaebler (SPD): Liegt es an den wenigen Frauen bei Ihnen, dass Sie nicht über Frauen reden wollen?]

Wie bitte, Herr Gaebler? – Ich möchte über Frauenpolitik reden. Hören Sie mir zu! Wissen Sie, es ist einfach blöde. Nehmen Sie zur Kenntnis: Die FDP-Fraktion besteht aus 12 Mitgliedern und einer Frau! Das ist so, und das wird wahrscheinlich in dieser Legislaturperiode auch einfach so bleiben.

[Beifall bei der FPD]

Sie können das Thema natürlich immer wiederkäuen. Es hilft aber nichts. – Ich möchte mich heute mit der Frage beschäftigen: Warum besteht bei jungen Frauen so wenig Interesse an Veranstaltungen, die sich mit frauenpolitischen Themen befassen? Diese Frage sollten wir uns einmal stellen. Gleichstellungspolitik scheint in der jungen Generation nicht diesen Stellenwert zu besitzen wie in unserer, in der meinigen. Das liegt sicherlich daran, dass sich in puncto Gleichberechtigung schon eine Menge getan hat.

[Christian Gaebler (SPD): Aber nicht bei der FDP!]

Es liegt daran, dass die jungen Frauen heute in ihrer eigenen Situation keinen akuten Handlungsbedarf erkennen können. – Frau Vizepräsidentin, ich bitte darum, dass die Herren entweder hinausgehen oder einfach den Mund halten. Das halte ich für eine Form der Höflichkeit.

[Beifall bei der FDP, der CDU und den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Das müssten die Herren eigentlich auch selbst wissen. – Aber, Frau Senftleben, Sie gehen immer wieder darauf ein. Deswegen war es schwer zu beurteilen. – Ich bitte trotzdem darum zu beachten, dass jetzt Frau Senftleben das Wort hat.

Die meisten jungen Frauen tun heute das, was sie wollen. Wenn sie Maschinenbau studieren wollen, so tun sie das.

[Christian Gaebler (SPD): Wenn Sie im Parlament sein wollen, kommen sie zumindest bei der FDP nicht hinein!]

Sie üben den erlernten Beruf aus, und einige von ihnen machen auch Karriere. Es redet ihnen niemand mehr hinein, und das, Herr Gaebler, ist die beste Voraussetzung für eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in unserer Gesellschaft.

[Beifall bei der FDP]

Entschuldigung, Frau Senftleben! – Ich muss Sie noch einmal unterbrechen. Herr Zackenfels möchte eine Zwischenfrage stellen.

Nein, Herr Zackenfels, ich habe schon so viele Zwischenrufe beantwortet – jetzt reicht es!

[Christian Gaebler (SPD): Sie bekommen noch eine Minute dazu!]

Es hat sich etwas geändert. Die Normalität ist eine andere geworden. Denke ich an meine eigene Familie, da hat der Großvater, geboren 1885, noch seinen Töchtern verordnet, was sie zu lernen haben. Meine Eltern ermöglichten den Söhnen ein akademisches Studium, bei den drei Töchtern sah das ein bisschen anders aus. Da ging es um Lehrerin oder PTA oder MTA. Für meinen Mann und für mich ist es völlig normal, dass unsere vier Töchter – aber selbstverständlich auch der Sohn – die Berufswahl selbstständig und eigenverantwortlich treffen können.

[Beifall bei der FDP]

Unsere Gesellschaft hat sich verändert, und das in nur drei Generationen. Sie ist weg von den berüchtigten drei K´s und hin zu einer Frauenrolle, in der die qualifizierte Berufsausbildung selbstverständlich geworden ist. Genau das ist die eigentliche Voraussetzung zur gleichberechtigten Partizipation der Frauen an gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Prozessen.

Ich komme zurück zur Frage, warum sich heute so wenig junge Frauen für Frauenpolitik interessieren und engagieren. Die Antwort ist ernüchternd und einfach. Der Zeitpunkt, an dem die Versäumnisse nicht geleisteter Frauenpolitik sichtbar werden, hat sich verschoben. Er ist nicht zu Schulzeiten oder zu Beginn der Ausbildungszeit. Hier sind die Stärken der Frauen überhaupt nicht mehr zu übersehen! Es ist auch nicht der Einstieg in das Berufsleben. Auch da haben sie inzwischen alle Chancen, die es gibt.

Das Hallo-wach-Erlebnis kommt dann, wenn es um die schlichte Frage der Familienplanung geht, wenn der Wunsch nach Familie da ist und wenn der Beruf Spaß macht. Damit befinden wir uns mitten in der laufenden Diskussion über Krippenplätze, Gebärmaschinen, lebensferne, geistliche, bizarre Debatten und Kommentare oder einfach nur Kauderwelsch.

Dabei haben wir eine starke Familienministerin und eine schwache Kanzlerin.

[Beifall bei der FDP und bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Frau von der Leyen ist eine der wenigen Politikerinnen, die nämlich nicht wie eine Blinde von der Farbe redet. Sie ist authentisch. Sie weiß, wovon sie spricht. Sie ist wahrhaftig. Das ist in der Politik selten. Das scheint einige – insbesondere Herren – kräftig zu ärgern. Ich wünsche Frau von der Leyen Durchhaltevermögen. Unsere Unterstützung hat sie.

[Dr. Friedbert Pflüger (CDU): Unsere auch!]

Die Unterstützung der eigenen Leute fehlt offensichtlich. Endlich – sage ich – wird Familien- und Frauenpolitik neu gedacht, denn der Zustand der Kinderbetreuung in unserer heutigen Gesellschaft ist nicht akzeptabel.

Die Kanzlerin verpasst hier gerade eine riesige Chance. Es nutzt nämlich nichts, nach mehr weiblichen DaxVorständen zu rufen. Darauf hat und soll die Politik wahrlich keinen Einfluss haben. Wenn die Kanzlerin allerdings die Familienministerin weiterhin im Regen stehen lässt und den Herren der Schöpfung das Wort überlässt, verhindert sie geradezu weibliche Dax-Vorstände.

[Beifall bei der FDP und bei der SPD– Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Frau Senftleben! Darf ich unterbrechen? Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pflüger?

Herr Pflüger, bitte, gern!

[Heiterkeit]

Ich finde es zunächst sehr nett, Frau Kollegin, dass Sie mir eine Möglichkeit der Zwischenfrage einräumen. Ich möchte mich für das Lob für Frau von der Leyen bedanken. – Stimmen Sie mir zu, dass der Fraktionsvorsitzende der CDU im Berliner Abgeordnetenhaus Frau von der Leyen ausdrücklich unterstützt und dass Frau Merkel sowie das CDU-Präsidium die Position von Frau von der Leyen einmütig unterstützt haben und deshalb die von Ihnen vorgenommene Differenzierung vielleicht dem taktischen Kalkül der FDP, aber nicht der Realität entspricht?

Verehrter Herr Kollege Pflüger! Ich weiß, dass Sie die Position von Frau von der Leyen unterstützen. Ich hätte Sie gleich darum gebeten, die Kanzlerin zu überzeugen. – Die momentane Debatte bleibt skurril und schadet den jungen Frauen und Vätern, die die notwendige Wahlfreiheit wollen und brauchen. Wahlfreiheit heißt nämlich, gemeinsame Verantwortung für Kinder zu übernehmen, Lebensplanung! Sie bedingt gleichzeitig ein anderes Rollenverständnis der Väter. Genau diese Wahlfreiheit zu schaffen ist die Aufgabe der Politik, sonst wird das Erwachen der jungen Frauen bitter werden. Bei allen Erfolgen darf nicht unerwähnt bleiben, dass Frauen immer noch weniger als Männer in gleichen Positionen verdienen. Der Anteil an Führungspositionen ist immer noch marginal. Das ist alles schon erwähnt worden. Das ist in diesem Fall so richtig.

Es liegt zum einen an den eben beschriebenen Verhältnissen, zum anderen aber auch noch an dem manchmal recht antiquierten Rollenverständnis der Väter. Wenn der Vater

zu Hause bleibt, gilt er für viele seiner Kollegen als Weichei. Er hat Angst, im Job etwas zu verpassen. Es ist auch Aufgabe der Arbeitgeber, diese Hürde zu überwinden. Väter sollen auch ohne Abstriche Elternzeit in Anspruch nehmen können, wenn sie es wollen.

Wie wir an der aktuellen politischen Debatte sehen, ist Frauen- und Familienpolitik weder Gedöns noch Spartenpolitik. Es sind vielmehr zentrale gesellschaftspolitische Fragen, die wir beantworten müssen.

Jetzt komme ich zu den Anträgen. In der freien Wirtschaft hat man es schon begriffen, dass es notwendig ist, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Gesellschaft zu fördern. Das ist gesellschaftlich und ökonomisch sinnvoll. Es gibt zahlreiche, vorbildhafte Beispiele: Teilzeit-, Betreuungsangebote, Flexibilisierung der Arbeitszeit. Einige Schritte sind getan, andere müssen hinzu kommen. Die Wirtschaft will nicht mehr auf die Kompetenzen von Frauen verzichten. Gut ausgebildete Frauen, die wir haben, werden gebraucht. Hier in Berlin – Herr Senator, darauf können Sie gleich antworten –, haben wir trotz Landesgleichstellungsgesetz und Gender Mainstreaming in den Aufsichtsräten der landeseigenen Betriebe zu wenig Frauen. Es gibt eine, haben wir gerade gehört. Meine Herren Senatoren, an dieser Stelle sind Sie gefragt. Dieses Problem wäre ganz einfach zu lösen.

Was ist mit den Karrierechancen für Frauen im öffentlichen Dienst? – Auch da hapert es. Nach wie vor werden im öffentlichen Dienst Mann und Frau nach Dienstalter befördert und eben nicht nach Leistung. Jede Frau, die Elternzeit nimmt, hat automatisch Nachteile und wird es wohl kaum schaffen, dann mit ihren männlichen Kollegen gleichzuziehen. Wenn sie aber die Chance haben, dass Leistung zählt, dann haben sie echte Chancen. Sie wissen genau, dass sie sie auch ergreifen.

Verehrte Kollegen von Rot-Rot, kehren Sie erst vor Ihrer eigenen Tür und schreiben Sie nicht den DaxUnternehmen vor, wen sie einzustellen haben!

[Beifall bei der FDP]

Jetzt freue ich mich, dass ich noch ein wenig etwas zur Historie sagen kann, Frau Baba. Berlin ist in der Gleichstellungspolitik Vorbild, Berlin ist weitsichtig, Berlin kümmert sich um die Frauen. Das kann man heute schön im „Tagesspiegel“ nachlesen. Berliner Frauen sind selbstbewusst, sie sind in der Gesellschaft gut repräsentiert. Da gibt es eine gute Tradition, auch von liberalen Frauen gegründet. Das hat nicht nur ausschließlich etwas mit Clara Zetkin zu tun, verehrte Frau Baba. Erinnert sei hier an Helene Lange, Gertrud Bäumer, Hedwig Dohm, MarieElisabeth Lüders. Sie alle haben sich für gleiche Bildungschancen eingesetzt. Das waren richtig schlaue Frauen. Schon damals erkannten sie, dass Bildung das A und O für die gleichberechtigte Teilhabe von Mann und Frau ist. Das müssen wir einmal bedenken. Im Nachhinein sehen wir die Leistung dieser Frauen, die noch vor Clara Zetkin lebten.

Frau Senftleben, Sie müssen langsam zum Ende kommen!

Ein anderer Name ist Lieselotte Funke. Sie hat die erste Enquete-Kommission zum Thema Gleichberechtigung im Bundestag eingebracht. Sie war eine Liberale. Carola von Braun, die erste Frauenbeauftragte hier in Berlin, initiierte das Frauenforschungsförderungsprogramm und führte den Berliner Frauenpreis ein. Sie hat dazu beigetragen, dass die Situation in Berlin heute so ist, wie sie ist. Sie ist nicht die schlechteste. Das wurde von allen konstatiert.

[Beifall bei der FDP]

Ich komme zum Schluss. – Starre Quoten, Überregulierung und Gängelung der Wirtschaft bringen uns nicht weiter. Wir müssen an die Wurzeln des Problems. Diese liegen eindeutig in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, für Frauen gleichermaßen wie für Männer. Dafür müssen auch wir uns heute stark machen. – Herzlichen Dank!