Protokoll der Sitzung vom 31.03.2011

An Ihrer Stelle wäre mir da schon längst ein Kronleuchter aufgegangen, wenn ich eine solche Vorstandssitzung besuche.

[Beifall bei den Grünen – Zuruf von Evrim Baba-Sommer (Linksfraktion)]

Ihre Gegenwehr ist wirklich absurd und gipfelt in obskuren Behauptungen. Dass Berlin nicht die Aufgabe für andere Bundesländer übernehmen will, das ist ja verständlich. Aber haben Sie sich schon mal überlegt, dass man so etwas in gegenseitigen Absprachen mit den anderen Ländern, z. B. auf einer Frauenministerinnenkonferenz, einfach verabreden kann? – Offensichtlich nicht, sonst würden Sie hier nicht eine solche ignorante Verweigerungshaltung einnehmen! So kann man nicht regieren. Sie müssen in der Lage sein, sich auf aktuell abzeichnende Bedarfe einzustellen und zu reagieren.

[Evrim Baba-Sommer (Linksfraktion): Es gibt doch keinen Bedarf!]

Der Bedarf wird aber kommen.

[Evrim Baba-Sommer (Linksfraktion): Legen Sie doch mal Zahlen und Fakten auf den Tisch! Das stimmt doch gar nicht!]

Alles andere wird auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen, und das sind gerade hier die Schwächsten der Gesellschaft. Das sind junge und sehr junge Frauen, die alles verloren haben, die nicht in ihre Herkunftsfamilie zurückkehren können, weil sie dort die schlimmsten Repressalien zu fürchten haben. Wir haben angesichts der bedauerlichen Lage der Opfer von Zwangsverheiratung keinerlei Verständnis für Ihre Haltung und bitten deshalb das Abgeordnetenhaus um die Zustimmung zu unserem Antrag.

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Kofbinger! – Für die SPD-Fraktion hat jetzt Frau Abgeordnete Neumann das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kofbinger! Sie beschreiben hier ein Szenario, das einfach so nicht stimmt.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Sie wollen das wahrscheinlich heraufbeschwören, was Sie hier sagen. So ist das aber nicht.

Wir lehnen Zwangsverheiratung strikt ab und kämpfen dagegen, wo immer sie auftritt. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Bekämpfung der Zwangsverheiratung sowie zur Änderung weiterer aufenthalts- und asylrechtlicher Vorschriften, den der Bundestag vor zwei Wochen angenommen hat, ist unserer Auffassung nach zu kurz gegriffen. Natürlich wollen auch wir die Zwangsverheiratung als eigenen Straftatbestand unter Strafe stellen. Wir lehnen es aber entschieden ab, das eigenständige Aufenthaltsrecht der Frauen an eine vorherige längere Ehedauer zu knüpfen.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Damit wird die Abhängigkeit der Frauen vom Ehepartner verstärkt, Zwangsverhältnisse und Gewalt werden begünstigt – so viel zu schwarz-gelber Bundespolitik!

Nun zu dem Antrag der Grünen: Berlin fördert und unterstützt mehr als alle anderen Bundesländer Einrichtungen zur Beratung und zum beschützten Wohnen von gewaltbetroffenen Frauen. Diese Beratungsstellen und die Wohnungen stehen natürlich auch den Opfern von Zwangsverheiratung zur Verfügung. Wir haben sechs Frauenhäuser mit 317 Plätzen und 40 dezentrale Zufluchtswohnungen mit 115 Plätzen. 2008 haben 1 723 Frauen und 1 698 Kinder in diesen Unterkünften Schutz gesucht. Ich verweise in diesem Zusammenhang noch mal, Frau Kofbinger, auf die Broschüre vom Berliner Arbeitskreis gegen Zwangsverheiratung. Hier stehen die Beratungsstellen drin. Hier stehen die Zufluchtswohnungen. Hier ist alles enthalten. Und dort können sich die Frauen, die Opfer von Zwangsverheiratung sind, auch hinwenden und werden kompetent beraten. Natürlich hätte niemand was dagegen, wenn es noch mehr Einrichtungen gäbe. Doch wer hemmungslos Geld für weitere Einrichtungen verspricht, der läuft schnell Gefahr, das Geld von bereits bestehenden und gut arbeitenden wieder einsammeln zu müssen. Das wollen wir nicht. Wir wollen hier Planungssicherheit. Außerdem wollen wir die Frauen in den bestehenden Einrichtungen integrieren und nicht isolieren. Unsere jetzigen Einrichtungen haben ein hohes Maß an interkultureller Kompetenz. Der Antrag der Grünen ist dementsprechend unseriös und wieder mal ein bloßer Schaufensterantrag.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Der Handlungsbedarf, den die Grünen anscheinend erwecken wollen, ist nicht gegeben. Ich bitte deshalb, den Antrag abzulehnen.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Neumann! – Für die CDU-Fraktion hat jetzt Frau Abgeordnete Görsch das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Jeder Mensch hat das Recht, frei zu entscheiden, wen er heiratet. Das gilt für Mädchen und für Jungen gleichermaßen, unabhängig von Herkunft, Religion, Hautfarbe und Alter. Doch die Realität sieht teilweise ganz anders aus. In allen Ländern und Kulturen werden junge Menschen gegen ihren Willen verheiratet, auch in Deutschland. Zwangsverheiratung ist eine Form der Sklaverei, eine Form von häuslicher und sexualisierter Gewalt, von welcher vor allem Mädchen und junge Frauen, aber auch Jungen betroffen sind. Laut Umfragen in Berlin und Stuttgart in 50 Einrichtungen im Jugendhilfe- und Migrationsbereich waren in Berlin 230 und in Stuttgart 120 Fälle von Zwangsverheiratung eindeutig dokumentiert. Diese Daten sind aber von 2003, inzwischen überholt von der Gegenwart. 2007 waren es bereits 378 in Berlin erfasste Fälle. Laut Aussage des Türkischen Bundes in BerlinBrandenburg e. V. sind ca. die Hälfte der in Deutschland geschlossenen Migrantenehen partiell Zwangsehen. Die Dunkelziffer ist sehr hoch. Die Betroffenen sind oft suizidgefährdet, da sie ihre Situation als ausweglos betrachten. Viele gegen ihren Willen verheiratete Frauen suchen Schutz in Kriseneinrichtungen. Das ist auch gut so. Doch diese Kriseneinrichtungen sind einfach zu wenig.

[Beifall bei der CDU – Beifall von Anja Kofbinger (Grüne) und Astrid Schneider (Grüne)]

Dafür ist dieser Antrag für vorgeschlagene Wohnprojekte richtig und wichtig. Sie ermöglichen Schutz und Betreuung der Schutzsuchenden. Sie ermöglichen gefahrlosen Zugang und Aufenthalt und kostenlose Beratung. Von Zwangsverheiratung Betroffene sind nicht nur Millionen Mädchen weltweit, die kurz vor oder nach der Pubertät zwangsverheiratet werden, in Afrika kommen immer noch sehr häufig Kinderehen vor. Die sexuelle Verfügung für den aufgezwungenen Ehemann führt zu Vergewaltigung und Missbrauch. Zwangsheirat oder arrangierte Ehe, das ist jetzt hier die Frage. Das sollte man wirklich unterscheiden. Hier muss ein solches Wohnprojekt ansetzen und Rat und Hilfe für betroffene Mädchen und Frauen, auch für deren hilflose Verwandten, bieten. Je mehr Menschen einbezogen werden, umso besser die Chance für eine Lösung. Es wird eine Ergänzung zu den schon bestehenden Beratungsangeboten in Berlin: 3 Onlineberatungsangebote, 7 Beratungsstellen und Schutzeinrichtungen, 9 individuelle Ansprechpartnerinnen in Neukölln, 18 Kriseneinrichtungen und Frauenhäuser.

Jungen und Männer und Zwangsheirat – auch Männer können betroffen sein. Inzwischen gibt es eine Männerinitiative, trotzdem eine Männerinitiative gegen

Zwangsehen, auch in Berlin. Der Türkische Bund sucht noch freiwillige Mitarbeiter.

Warum wird zwangsverheiratet? – Zur Lösung der Situation und richtigen psychologischen Betreuung in den Wohnprojekten sind die Motive der Zwangsheirat wichtig. Motive sind: Die Kinder sollen gut versorgt sein. Oft haben Eltern das Gefühl, Einfluss über ihre Kinder zu verlieren. Sie sollen durch eine schnelle und ausgewählte Heirat wieder auf den richtigen Weg kommen.

[Beifall bei der CDU]

Die Eltern fürchten den Verlust ihres Gesichts in der Community, wenn die Tochter eine Freundschaft mit einem Jungen eingeht oder ihre Jungfräulichkeit verliert. So entlässt eine schnelle Heirat die Eltern aus der Verantwortung und verfestigt die traditionellen Machtverhältnisse. Diese Motive bewusst zu machen, verlangt langfristige und geduldige Aufklärungsarbeit, die unter anderem in solchen Einrichtungen geleistet wird. Was getan werden kann – neben Schutz und Beratung in Kriseneinrichtungen und Frauenhäusern –, ist, das Bewusstsein für dieses Thema in den einzelnen Communities zu wecken, zu thematisieren und explizit zu verurteilen. Mediatoren dazu auszubilden, wird zukünftig sehr hilfreich sein.

Der Bundestag beschloss am 17. März das Gesetz zur Bekämpfung der Zwangsverheiratung und setzte damit ein wichtiges Signal gegen Parallelgesellschaften.

[Beifall bei der CDU]

Die CDU-Fraktion unterstützt diesen Antrag nach zusätzlichen Wohnprojekten. – Danke!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Görsch! – Für die Linksfraktion hat jetzt Frau Abgeordnete Baba-Sommer das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um es kurz zu machen: Diesen Antrag werden wir ablehnen.

[Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Kurt Wansner (CDU): Das ist ja entsetzlich!]

Es ist wieder einmal ein typischer Schnellschussantrag der Grünen-Fraktion, der nicht einmal zu Ende gedacht ist.

Was soll die Forderung nach einer Zufluchtswohnung in Berlin, wenn wir doch ein funktionierendes und hochprofessionell arbeitendes System von Hilfsstrukturen in Berlin samt Unterbringungsmöglichkeiten haben? Natürlich brauchen von Zwangsverheiratung bedrohte Frauen oder

Zwangsverheiratete eine sichere Bleibe. Berlin verfügt über genügend solcher Unterkünfte,

[Zuruf von der CDU: Ha, ha!]

vielmehr nehmen Berliner Zufluchtseinrichtungen wie Papatya sogar Frauen aus anderen Bundesländern auf.

[Margit Görsch (CDU): Waren Sie mal im Papatya?]

Ja! Das war ich. In Berlin wurde bisher noch keine von Zwangsverheiratung Betroffene in einer Zufluchtseinrichtung wegen Überbelegung abgewiesen. Eine aktuelle Nachfrage bei Papatya bestätigte das. Die Forderung der Grünen nach Einrichtung eines Wohnprojekts für Opfer von Zwangsverheiratung wird der Komplexität des Problems nicht gerecht.

[Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Es kommt neben der anonymen Unterbringung vielmehr darauf an, praktische Unterstützung für den Lebensalltag anzubieten und geeignete Schutzeinrichtungen zu vermitteln. Das betrifft etwa die Schule, Ausbildung und Berufsausbildung. Handlungsbedarf besteht hier lediglich hinsichtlich einer angemessenen Anwendung des Jugendhilferechts und länderübergreifender Unterbringungskonzepte. Kurz gesagt: Wir brauchen kein weiteres Wohnprojekt, sondern die Weiterführung unseres hochprofessionell arbeitenden Hilfesystems für Opfer von häuslicher Gewalt und Betroffene von Zwangsverheiratung.

Liebe Grünen! Wieder einmal an Sie adressiert: Ich möchte Sie abermals bitten, uns mit unqualifizierten Anträgen

[Oh! von der CDU]

wie diesem in Zukunft zu verschonen. – Danke!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Vielen Dank, Frau Baba-Sommer! – Für die FDPFraktion hat jetzt Herr Abgeordneter Thiel das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Frau Neumann! Ich habe nicht ganz verstanden, was der Beginn Ihrer Ausführungen mit Ihrem Antrag zu tun hatte. Sie hatten selbst danach übergeleitet und gesagt: Jetzt komme ich zum Antrag. Aber auf eines möchte ich hinweisen: Erst die jetzt amtierende Bundesregierung, die christlichliberale Regierung, hat es geschafft, den Straftatbestand der Nötigung für Zwangsverheiratung enger zu fassen.

[Beifall bei der FDP]