Protokoll der Sitzung vom 23.06.2011

Viele haben es schon gemacht, und ich finde, auch wir als Abgeordnete sollten uns bei ihnen dafür und diese Leistung herzlich bedanken.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Wir haben in Berlin mittlerweile eine ausgesprochen vielfältige und lebendige ethnische Ökonomie. Das ist nicht allein die klassische Dönerbude, das sind auch ITUnternehmen oder Werbefirmen, das sind Ärztinnen und Ärzte, das sind Rechtsanwälte, das sind erfolgreiche Künstlerinnen und Künstler oder – wie wir in diesem Hause sehen – auch Politikerinnen und Politiker. Menschen mit Migrationshintergrund sind in allen Lebensbereichen. Die Realität dieser Stadt bricht z. B. auch mit dem Bild, dass die türkischstämmigen Menschen alle Gemüsehändler oder Kopftuchmädchen sind.

[Özcan Mutlu (Grüne): Von welcher Seite denn?]

Eine Reduzierung darauf – und das konnten wir die letzten Monate immer wieder hören – zeigt, dass immer noch Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Religionszugehörigkeit oder ihrer Weltanschauung diskriminiert und ausgegrenzt werden. Dagegen sollten wir alle uns auch weiterhin wehren.

[Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion – Beifall von Raed Saleh (SPD)]

Trotz all der schweren Bedingungen, die wir heute von vielen gehört haben, und trotz aller Widrigkeiten haben es große Teile der migrantischen Bevölkerung Berlins geschafft, zu einem wichtigen Teil dieser Gesellschaft zu werden. Das ist eine riesige Leistung in einer historisch kurzen Zeit, und sie wurde oftmals und immer wieder gegen den Widerstand des deutschen Establishments erbracht.

Die Integrationspolitik Berlins fußt heute auf völlig anderen Paradigmen. Integration heißt eben nicht Anpassung und Unterwerfung unter irgendwelche Leitkulturen. Integration ist ein zweiseitiger Prozess, bei dem sich alle verändern müssen. Das setzt auch voraus, dass man sich gegenseitig als gleichberechtigt anerkennt und gleiche Möglichkeiten und gesellschaftliche Teilhabe hat. Auf Bundesebene sind wir davon tatsächlich weit entfernt. Aber wenn die CDU so aktiv in diesem Bereich ist, werden wir sicherlich noch viel erleben, dass beispielsweise das Kommunalwahlrecht eingeführt wird

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

oder dass das Staatsangehörigkeitsrecht verändert wird – alles Sachen, die Voraussetzungen für ein gleichberechtigtes Zusammenleben in diesem Land sind. Ich bin sehr gespannt, was passiert.

Auf Landesebene haben wir mit dem Partizipations- und Integrationsgesetz und den beiden Integrationskonzepten, genau so mit der Kampagne „Berlin braucht dich!“ und dem Aktionsplan gegen Rassismus politische Rahmenbedingungen für dieses gleichberechtigte Zusammenleben auf gleicher Augenhöhe geschaffen. Dafür werden wir auch in Zukunft weiter stehen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Vielen Dank, Frau Kollegin Breitenbach! – Das Wort für die Fraktion der Grünen hat die Kollegin Bayram.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Berlin ist die Hauptstadt der Integration. 50 Jahre Anwerbeabkommen mit der Türkei – das beschäftigt uns heute in der Aktuellen Stunde. Ich will gleich mit dem Beitrag von Herrn Wegner anfangen und muss sagen, man hätte sich in der Vergangenheit gewünscht, dass Ihre Fraktion den Fokus, den Sie eingenommen haben, öfter eingenommen hätte. Denn es ist nicht zu leugnen, dass tatsächlich in der Vergangenheit auch Gutes auf den Weg gebracht wurde – Sie haben einzelne Namen genannt –, aber leider ist es nicht so, dass sich das, was bei Ihnen im privaten Umfeld durch die erfolgreiche Werbung wohl gut zustande gekommen ist, auf alles übertragen lässt. Insoweit bleibt mir erst einmal zu wünschen, dass Ihre Stimme mehr Gehör findet und dass die CDU sich sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene ihrer Verantwortung für die Migrantinnen und Migranten in Deutschland bewusst wird und die Lebensumstände verbessert. Das geht über Mehrstaatigkeit, über die Abschaffung der Sprachtests usw. Wir können uns darüber in Ruhe unterhalten.

[Beifall bei den Grünen]

Mehrmals wurde es schon erwähnt: Vor 50 Jahren wurde durch ein Abkommen für viele Menschen eine Weiche

gestellt, die ihr Schicksal veränderte. Auch meine Biografie ist von diesem Abkommen geprägt. 1969 kam meine Mutter als ausgebildete Krankenschwester und Hebamme nach Deutschland und arbeitete in Textil- und Metallfabriken. Sie arbeitete im Schichtbetrieb und im Akkord. Als Mitglied der IG Metall stritt sie für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen. Das Rentenalter erreichte sie leider nicht. Nur ein Jahr nach meiner Mutter kam mein Vater – ausgebildeter Lehrer. Er hatte das Glück, dass er eine Beschäftigung im Staatsdienst fand.

Als ich kürzlich im Kino den Film „Almanya“ sah, fühlte ich mich in die Zeit meiner Kindheit zurückversetzt. Sogar der Wandteppich meiner Eltern fand sich in diesem Film wieder. Der Film zeigte eindrücklich, wie lustig und traurig zugleich die Erfahrung der sogenannten Gastarbeitergeneration waren. Diese Erlebnisse haben mich geprägt und auch sensibilisiert. Ich sehe es deshalb auch als meine Aufgabe, genauer hinzuschauen und anzusprechen, was stimmt, und eben auch, was nicht stimmt.

[Beifall bei den Grünen]

Dabei ist mir wichtig, die Erfahrungen der Eltern- und Großelterngeneration nicht als Vorwurf und Mahnung zu verstehen, vielmehr gebührt ihnen unser Respekt für ihre Leistung und ihren Mut. Ihren Anteil an der Geschichte unseres Landes sollten wir, so wie es unser Bundesvorsitzender Cem Özdemir vorgeschlagen hat, durch ein Migrationsmuseum kenntlich machen.

[Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Wir haben tatsächlich ein Berlin, das multikulturell ist, das vielfältig ist, das sehr vielen unterschiedlichen Lebensläufen Raum gibt. Wir können uns daran freuen, und wir wollen es auch weiterhin gestalten.

Wenn allerdings die Regierungsfraktionen dieses Thema zur Aktuellen Stunde machen, fragt man sich zwangsläufig: Was haben Sie in den letzten fünf bzw. zehn Jahren getan haben, um die Menschen zu unterstützen oder das Anliegen der Würdigung der Leistung dieser Menschen voranzubringen? Sie hatten fast zehn Jahre Regierungszeit, und der Kollege Raed Saleh sowie die Kollegin Elke Breitenbach hatten jeweils zehn Minuten Redezeit. Ich kann resümieren: zu wenig, eindeutig zu wenig und manchmal eben auch das Falsche!

[Beifall bei den Grünen]

Deswegen finde ich es schon ganz schön mutig, sich hinzustellen und so zu tun, als hätten Sie sich um die Integration verdient gemacht.

[Beifall bei den Grünen – Beifall von Dr. Sebastian Kluckert (FDP)]

Leider, muss ich sagen – und das werden Ihnen auch in Ihren Reihen viele Menschen sagen –, ist in manchen Bereichen das Gegenteil der Fall: Buschkowsky, Sarrazin und Co. sind Berliner SPD-Markenzeichen für Ausgrenzung, Rassismus und Intoleranz.

[Beifall bei den Grünen – Beifall von Emine Demirbüken-Wegner (CDU)]

Nicht unerwähnt lassen will ich auch, dass zu dem allen der Regierende Bürgermeister sich immer weggeduckt hat, wenn es darum gegangen wäre, zum Thema Integration und Migration Stellung zu beziehen. Als Sarrazin durch Berlin zog und Folien auflegte, wie viel mehr Geld Berlin hätte, wenn Migrantinnen und Migranten keine staatlichen Leistungen bezögen, lange noch bevor er sein schreckliches Buch geschrieben hat! Er hat auch geschwiegen und sogar sein Publikationstermin verlegt, als das ganze Land über Sarrazins Ausschluss debattierte.

[Lars Oberg (SPD): So ein Quatsch!]

Wegducken und aussitzen statt regieren und gestalten – das ist in Berlin Chefsache und Markenzeichen, auch bei der Integration, was bedeutet: Nichts tun!

[Vereinzelter Beifall bei den Grünen – Beifall von Emine Demirbüken-Wegner (CDU)]

Deshalb hat es mich auch gar nicht gewundert, als ich jetzt las, dass er vor einigen Tagen seine Sicherheitsleute als „Kümmeltürken“, so wie Kümmeltürken arbeitend, bezeichnete. Dafür wäre eine Entschuldigung wirklich überfällig.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion]

Und ich habe noch keine gehört. Da geht es auch nicht darum, wie man ein Kosewort für seine Sicherheitsleute findet.

Jetzt möchte ich gerne zu Ihnen, Frau Integrationssenatorin, etwas sagen: Seitdem ich Sie in Ihrer Funktion erlebe, habe ich den Eindruck, dass Sie nicht angekommen sind

[Beifall bei der CDU]

und Ihnen insbesondere das, was wir den Verwaltungen durch das Integrationsgesetz empfehlen, gut tun würde, nämlich ein Kurs in interkultureller Öffnung, Training oder in Diversity. Das würde eine Perspektive auf Ihr Arbeitsfeld ermöglichen, wo man oft nicht weiß, was vor sich geht und wie man ansetzen soll, um etwas zu verändern.

[Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Integrationskonzepte, die nicht umgesetzt werden, und jahrelange Bemühungen um die interkulturelle Öffnung der Verwaltung, deren Scheitern uns ein Integrationsgesetz bescherte, von dem ein halbes Jahr nach Inkrafttreten keine Wirkung ausgeht! Sie können vortragen, falls es anders ist.

Aber richtig wütend macht mich, dass sich die Versäumnisse bei den Integrationsangeboten aus der Zeit der sogenannten Gastarbeitergeneration nun beim Zuzug der Menschen aus Rumänien und Bulgarien wiederholen. Aktuell diese Woche konnte man wieder lesen, welche Probleme sich ergeben. Keiner fühlt sich zuständig. Die Menschen bleiben sich selbst überlassen. Keiner erfährt eine Unterstützung. Das ist unmöglich.

[Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Derzeit leben etwa 460 000 Menschen ohne deutschen Pass in Berlin. Die Hürden für einen Pass steigen, die Motivation dagegen sinkt. In den letzten fünf Jahren wurden 76 000 Euro für die Einbürgerungskampagne ausgegeben, doch seit 2006 ist die Zahl der tatsächlichen Einbürgerungen um 40 Prozent gesunken. Die von Ihnen eingesetzten Instrumente wirken nicht. Das wird Ihnen auch in dem Evaluationsbericht bescheinigt, den zu behandeln sich die Koalitionsfraktionen in der letzten Ausschusssitzung geweigert haben. Ich zitiere kurz aus der Stellungnahme der Vereine:

Die an der Evaluation beteiligten Vereine kommen daher zu dem Schluss, dass Sinn und Zweck der Evaluation verfehlt wurden. Der Prozess und die Ergebnisse bergen die Gefahr, Ausschluss zu fördern und Konkurrenz zu erzeugen, anstatt eine realitätsnahe Bestandsaufnahme und Qualitätserhöhung der integrationspolitischen Arbeit zu gewährleisten.

Diese Stadt kann sich eine Integrationspolitik à la Rot-Rot nicht mehr leisten.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Wir brauchen eine Regierung, die die Themen ernst nimmt und die Herausforderungen angeht. Das heißt: migrationsorientierter Vollzug der Bundesgesetze, echte Antidiskriminierungsgesetze und Positivmaßnahmen, politische und gesellschaftliche Partizipation, würdiger Umgang mit Neumigrantinnen und -migranten – egal, ob Flüchtlinge, Fachkräfte oder nachziehende Familienangehörige.

Frau Kollegin! Denken Sie an die Zeit!

Ich komme zum Schluss. – Meine Vision für Berlin ist, dass wir unsere Stadt vielfältig, tolerant und kreativ gestalten. Dafür stehen wir, und Sie werden heute dazu noch die Gelegenheit haben, indem Sie unserem Antrag zur bezirklichen Wahlrechtsmöglichkeit für alle Migrantinnen und Migranten zustimmen. – Danke schön!

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank! – Der Kollege Saleh erhält das Wort für eine Kunzintervention.