Protokoll der Sitzung vom 01.09.2011

[Christoph Meyer (FDP): Sie sind das Risiko!]

Es gibt tatsächlich Risiken in diesem Haushalt, und das ist die Bundesregierung, die mit Risiken in unseren Haushalt einwirken kann, denn wir wissen, dass auf Druck von Rösler Frau Merkel neue Steuerschenkungen vornehmen will in einer Größenordnung von 6 Milliarden Euro. Das können sie gerne machen, aber nicht zu Lasten der Länder, denn das Geld fehlt uns dann in unseren Kassen, insbesondere zur Finanzierung von Kitas und Schulen.

[Beifall bei der SPD – Christoph Meyer (FDP): Hat das jemand behauptet?]

Das ist das Risiko! Wirken Sie auf Ihre Bundesregierung ein, damit unsere Haushaltslöcher nicht größer werden!

Dieser Haushalt setzt ganz klar politische Schwerpunkte. Er räumt Baustellen ab, die wir parlamentarisch immer inhaltlich diskutiert haben, insbesondere im Bereich der Schulstrukturreform und der Kitaplätze. Auch die Investition in die Kitaqualität ist ausfinanziert. Bei der Kitafinanzierung durchbrechen wir die Grenze von 1 Milliarde Euro und sind dabei bundesweit spitze. Das ist politische Prioritätensetzung! Auch wenn Sie sich die I-Planung anschauen, sehen Sie dort die Priorität bei Bildung, Wissenschaft und Forschung. Die Sozialausgaben sind ausfinanziert, und das große Thema Sicherheit im öffentlichen Personennahverkehr findet eine Lösung im Haushalt mit zusätzlichen Polizeistellen in diesem Bereich. Auch über die Finanzämter haben wir oft im Parlament diskutiert, darüber, dass wir mehr Betriebsprüfer brauchen – das wird durch eine Umschichtung von Verwaltung Richtung mehr Betriebsprüfer sichergestellt. Auch die Investitionsmittel, die ich als ein Konjunkturprogramm für das Land Berlin sehe, das Arbeitsplätze schafft, werden mit 1,5 Milliarden Euro verstetigt.

Das sind die Zahlen, die die Finanzplanung und auch der Haushalt hergeben. Darüber hinaus haben wir in vielen anderen Bereichen einiges geleistet. Ich will hier einige wenige Beispiele nennen.

Es geht auch darum, mit den Ressourcen, die wir haben, effizient umzugehen. Wir haben es insbesondere im Bereich Facility-Management geschafft, in den letzten Jahren klare Effizienzgewinne durch Standort- oder Flächenoptimierung zu erzielen. Dort ist es uns gelungen, 200 Millionen Euro einzusparen. Das ist gutes Geld, das wir inhaltlich ausgeben können. Wir haben also dort eingespart, wo es nicht wehtut.

Genauso haben wir im Verwaltungsbereich abgebaut, aber auch an den Beteiligungen des Landes Berlin. Dort sind wir mit über 500 Millionen Euro Defizit gestartet, was unseren Haushalt belastet hat. Heute erwirtschaften unsere Eigenbeteiligungen ein Plus von über 300 Millionen Euro. Auch das hat Wechselwirkungen mit unserem Haushalt. Das ist ein Plus, und das ist auch ein Erfolg der rot-roten Regierung.

Ich habe gestern sehr gespannt zugehört, was denn die Oppositionsparteien bieten, welche Ideen sie haben, was sie bringen. Mein Gott, Herr Esser! Die BIH rein- oder rausgerechnet – das macht, mit Verlaub, noch nicht einmal eine Kommastelle nach der Null aus. Auch wenn man sich die anderen Vorschläge anschaut, dann sind es wirklich ziemlich kleinteilige Themen gewesen, die Sie angebracht haben. Das ist aber auch Ihr gutes Recht. Denn am Ende legt der Senat einen Haushaltsplanentwurf vor, und wir im Parlament beraten im Detail. Dabei haben wir alle unsere Wunschlisten. Das ist, denke ich, klar. Überdies seien wir hier miteinander ganz ehrlich: Nach den Wahlen wird eine neue Regierung im Rahmen der Haushaltsberatungen eigene Schwerpunkte setzen und das eine oder andere im Haushalt verschieben und verändern, wie das auch in den letzten Jahren geschehen ist. Aber es wird nicht so sein, dass der gesamte Haushalt völlig über Bord geworfen wird. Da hat der Senator recht. Das, was hier vorliegt, ist eine solide und gute Vorlage für eine neue Regierung, um Haushaltsberatungen durchzuführen.

Lassen Sie uns jetzt erst einmal diesen Entwurf in dieser Form zur Kenntnis nehmen! Ich vermisse, wie gesagt, die großen Konzepte der Opposition, die große Kritiklinie. Das, was hier vorliegt, ist die Kontinuität in der Haushaltspolitik, ist der Versuch, die großen Linien zu halten. Ich denke, wir sind es unseren Kindern und Kindeskindern schuldig, dass wir solide Finanzen für Berlin sicherstellen. Das haben wir die letzten Jahre gemacht, und das macht auch dieser Haushalt. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Danke schön, Frau Kollegin Kolat! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nunmehr Herr Esser das Wort. – Bitte schön, Herr Esser!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Nußbaum! Es gibt Augenblicke, da sehne ich mich nach Ihrem Vorgänger zurück. Jetzt, nach Ihrer Rede, ist so einer. Das hätte nämlich erstens den Vorteil, dass der gute Herr Sarrazin keine Zeit mehr hätte, ausländerfeindliche Bücher zu schreiben,

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion]

und es hätte zweitens den Vorteil, dass Berlin dann wieder einen Finanzsenator hätte, der sich engagiert, bis ins

Detail um die tatsächliche Kassenlage kümmert und nicht vornehmlich darum, irreführende Darstellungen über die Finanzsituation Berlins zu entwerfen und zu verbreiten.

[Beifall bei den Grünen – [Zuruf von Senator Dr. Ulrich Nußbaum]

Ja, eben haben Sie, Herr Nußbaum verkündet, der aktuelle Primärüberschuss von einer halben Milliarde Euro hätte Berlin in die Erste Bundesliga guter Haushaltspolitik katapultiert. Darf ich Sie daran erinnern, dass der Primärüberschuss in den Jahren 2007 und 2008 schon einmal bei zwei Milliarden Euro gelegen hat, also dem Vierfachen von heute?

[Senator Dr. Ulrich Nußbaum: Das war vor der Krise!]

Wo waren wir denn dann, vor Ihrer Zeit, Herr Nußbaum? In der Champions League? Oder gar schon im finanzpolitischen Himmel? – Natürlich nicht. Wir waren einfach schon damals, genau wie heute, in der Haushaltsnotlage. Man sieht daran nur – und da hatten Sie mit Ihrem Zwischenruf völlig recht –, wie abhängig die Haushaltssalden von der Konjunktur sind und dass Einnahmen aus dem Solidarpakt Ost eine bestimmende Größe für den Berliner Haushalt sind.

Wir verlieren aber in den nächsten Jahren den Einnahmevorteil aus dem Solidarpakt Ost, wie wir alle wissen. Deshalb liegt das nachhaltig tragfähige Ausgabenniveau Berlins bei der jetzigen Struktur des Länderfinanzausgleichs noch immer bei 95 Prozent der Hamburger Ausgaben. Das ist die erste haushaltspolitische Zielzahl, die wir erreichen und dauerhaft halten müssen. Die Schuldenbremse schreibt uns vor, ab 2020 ausgeglichene Haushalte zu schreiben. Das ist die zweite haushaltspolitische Zielzahl, die wir erreichen und dauerhaft halten müssen. Also: die Ausgaben auf 95 Prozent des Hamburger Niveaus einpegeln und das strukturelle Defizit auf null fahren.

Das ist der Maßstab, Herr Nußbaum. Alle anderen Haushaltstabellen aus Ihrem Haus oder sonst woher sind dagegen kalter Kaffee.

[Beifall bei den Grünen]

Schlimmer als kalter Kaffee – und deswegen habe ich mich auch so aufgeregt – ist allerdings Ihre Behauptung, Herr Nußbaum, die Ausgaben in Ihrem Haushaltsplan würden um 0,3 Prozent pro Jahr steigen. Diese Aussage wird auch nicht dadurch richtiger, dass Sie sie ständig wiederholen. Dann muss man eher sogar fürchten, dass Sie mit Absicht die Unwahrheit sagen und nicht aus Versehen. Denn in Wahrheit steigen die Ausgaben nicht um 0,3 Prozent, sondern um durchschnittlich 1,25 Prozent pro Jahr.

[Zuruf von Dilek Kolat (SPD)]

Sie haben in Ihrer Rechnung, bezogen auf das Jahr 2013, einfach Ausgaben in Höhe von 400 Millionen Euro unterschlagen, darunter, Frau Kolat, die 140 Millionen für das Bankendesaster aus den neunziger Jahren. 400 Millionen Euro in der Zahl, die Sie kommunizieren, einfach zu un

terschlagen, ist bewusste Irreführung der Öffentlichkeit. Gegenüber der Bevölkerung ist das verwerflich, und gegenüber den Abgeordneten hier im Haus ist das verantwortungslos, weil es Illusionen über den haushaltspolitischen Spielraum schürt, über den Berlin verfügt.

[Beifall bei den Grünen]

Selbsttäuschung kann man sich in Haushaltsfragen nicht leisten. Wir segeln an der Oberkante des Verantwortbaren mit dem Haushaltsentwurf, der uns auf dem Tisch liegt. Wer immer nach dem 18. September zusammensitzt, um eine neue Regierung zu bilden, wird deshalb auf keinen Fall mit einer höheren Neuverschuldung aus den Verhandlungen herauskommen dürfen, als jetzt im Haushaltsplan steht. Das ist der einzige Punkt, Herr Nußbaum, an dem ich Ihnen ausdrücklich zustimme.

Das wird verdammt schwer werden. Denn zahlreiche politische Probleme, die gelöst werden müssen – ob man will oder nicht –, sind in diesem Haushalt nicht enthalten. Der Senat hat sich bei diesem Entwurf den erforderlichen Entscheidungen entzogen, und Sie beweisen damit eigentlich nur, dass sich die politische Kraft von Rot-Rot komplett erschöpft hat.

[Beifall bei den Grünen – Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Frau Künast läuft mit dem Füllhorn durch die Stadt!]

Am stärksten fällt auf, dass in dem Entwurf rein gar nichts zur Lösung des S-Bahn-Problems steht. Das Chaos löst sich bekanntlich nicht von allein, sondern bedarf der offenen Hand der Politik. Wenigstens eine Bürgschaft für den haushaltsfernen Erwerb der S-Bahnzüge hätte ich von den Parteien der Rekommunalisierung erwartet.

[Beifall bei den Grünen – Zuruf von Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion)]

Davon angestachelt habe ich daraufhin nach den anderen Wahlversprechen der SPD geguckt, etwa danach, was, wie gesagt, jetzt mit der S-Bahn ist, was denn zum Rückkauf von Wasser, Gas, Strom und Wohnungen drinsteht und über die Frage Ihres wunderbaren Mietenairbags und des Neubauprogramms, von dem vorhin von Seiten des Regierenden Bürgermeisters die Rede war, was sich im Übrigen zusammen locker auf sieben bis acht Milliarden Euro addiert. Was finde ich? – Angesichts der Haushaltslage natürlich nichts davon.

[Zuruf von Dilek Kolat (SPD)]

Dafür aber, Frau Kolat – und ich denke, dafür tragen Sie ein gerütteltes Maß Verantwortung –, die dümmste aller denkbaren Maßnahmen im Bereich Rekommunalisierung: Sie wollen tatsächlich 224 Millionen Euro ausgeben, um den Rest der Immobilienfonds der Bankgesellschaft zu kaufen, um dann mit dieser tollen Geldanlage in den nächsten fünf Jahren laut Finanzplanung 700 Millionen Euro Verlust zu machen.

Ich glaube, liebe Leute von der SPD, über den richtigen Umgang mit den Folgen des Bankenskandals werden wir uns noch einmal in Ruhe unterhalten müssen. Dann würde

ich Ihnen vor allem empfehlen, die Amnesie zu verlieren, dass Sie in den neunziger Jahren nicht in dieser Stadt regiert hätten, dass Sie nicht die Gründung der Bankgesellschaft beschlossen hätten, dass Sie nicht die Auflage dieser Immobilienfonds gebilligt hätten und dass Sie im Übrigen auch nicht die Entscheidung als Berliner Regierung gegen die Opposition für Schönefeld und gegen Sperenberg getroffen hätten.

[Beifall bei den Grünen]

Als nächstes bin ich dann darüber gestolpert, dass dieser Haushalt genau wie der letzte vom geradezu feudalen Machtanspruch des Herrn Wowereit geprägt ist, den wir vorhin auch rednerisch hier bestaunen durften. Inmitten der haushaltspolitischen Dürre bekommen die Theater Zuwächse von 8 Prozent, der Friedrichstadtpalast sogar von 28 Prozent. Die anderen Zuwendungsempfänger, die Sozial- und Jugendprojekte, gucken stattdessen in die Röhre. Während Herr Körting sich die 200 zusätzlichen Polizisten komplett aus der Rippe der sächlichen Verwaltungsausgaben schneiden muss, leistet der Regierende Bürgermeister keinen vergleichbaren Beitrag in seinem Etat.

Ich habe den rot-roten Senat schon vor zwei Jahren etwas despektierlich, aber leider nicht ganz unzutreffend, mit einem Pavianfelsen verglichen. Erst frisst da der Chef, und die Kleinen müssen dann mit dem verbliebenen Rest zufrieden sein oder gucken ganz in die Röhre und müssen weinen. Ich kann Ihnen versichern: Mit uns Grünen machen Sie das nicht, Herr Wowereit.

[Beifall bei den Grünen – Wolfgang Brauer (Linksfraktion): Ich habe noch keine weinenden Paviane gesehen, Herr Kollege!]

Das Herz des Regierenden Bürgermeisters für Tiere ist aber offenbar nicht ganz so groß wie für Theater, vielleicht, weil die Knutscheschweinchen kein Wahlrecht haben. Jedenfalls kürzen Sie deren Futtergeld um 2 Millionen Euro, obwohl der Tierpark schon heute chronisch defizitär ist, und die vom Tierpark erhofften Investitionen, um das Blatt durch ein neues Konzept und mehr Besucher vielleicht zu wenden, sucht man im Haushalt vergeblich. Ja, wollen Sie denn, wie damals mit Herrn Sarrazin, im Tierpark wieder Giraffen schlachten? Das war bekanntlich eine seiner dümmeren Ideen, die allein schon am Tierschutzgesetz scheitern musste.

Was ich dann allerdings zum guten Schluss zugeben muss: Für die Landesbibliothek hat Ihre Macht nicht mehr gereicht, Herr Wowereit. Da erklären Sie auf einer Pressekonferenz, die Bibliothek würde in der nächsten Legislaturperiode gebaut. Der „Tagesspiegel“ veröffentlicht dann gleich brav schöne Bildchen. Ich gucke daraufhin in den Haushaltsplan und traue meinen Augen nicht, denn die Bibliothek steht dort nur als Platzhalter. Von 270 Millionen Euro Gesamtkosten sollen 263 Millionen Euro ab 2016 ausgegeben werden. Ihre Bibliothek, Herr Wowereit, ist ein Windei, das bestenfalls als Wahlkampfthema in fünf Jahren taugt.

[Beifall bei den Grünen – Senator Dr. Ulrich Nußbaum: Wollen Sie nun die Bibliothek oder nicht?]

Vielleicht ist das auch ganz gut so, denn von den Kosten für die Bibliothek kann man 14 Jahre lang die zusätzlichen 400 Lehrer finanzieren, die wir Grüne fordern.

[Dilek Kolat (SPD): Das sind Investitionsmittel!]

Das wäre eine sinnvolle Geldanlage, denn der Schaden durch Unterrichtsausfall ist für das betroffene Kind im späteren Leben sehr groß, der finanzielle Aufwand, um dies zu vermeiden, ist hingegen klein, nämlich 20 Millionen Euro oder 1 Promille des Berliner Haushalts. Wer wie Sie, wegen 400 Lehrern einen öffentlichen Krakeel beginnt, der hat finanzpolitisch nicht alle Tassen im Schrank, auch wenn er sonst geistig völlig fit ist. Vermutlich handelt es sich dabei um eine Art von Wahlkampfkoma.

[Beifall bei den Grünen – Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): 400 Lehrer, 500 Polizisten, 1 Staatssekretär!]

Ich komme zum Schluss: Was lernen wir daraus? – Ja, die Eckzahlen des Haushalts stehen, und man kann sie auch nicht verschlimmern und verschlimmbessern.

[Zurufe von der Linksfraktion]