Protokoll der Sitzung vom 22.03.2007

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Danke schön, Herr Kollege Jahnke, für die Begründung! – Nunmehr hat der Wirtschaftssenator und Bürgermeister Herr Senator Wolf das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der 1. Mai 2004 mit dem Beitritt Polens war nicht nur für Polen ein historisches Datum, sondern es war auch ein wichtiges und einschneidendes Datum für Berlin. Mit dem Beitritt Polens zur Europäischen Gemeinschaft ist ein weiterer Schritt zur Überwindung der Folgen der deutschen und der europäischen Teilung vollzogen worden.

Berlin hatte vor dem Zweiten Weltkrieg intensive Austauschbeziehungen mit Städten wie Stettin, Posen, Breslau auf wirtschaftlichem, wissenschaftlichem und kulturellem Gebiet. Wenn man sich die Verkehrsinfrastruktur ansieht, sieht man: Historisch verliefen die Verkehrsströme von diesen Städten auf Berlin zu.

Wir haben jetzt nach dem Beitritt Polens die Chance, in dieser grenzübergreifenden Region wieder Verflechtungsbeziehungen auf wirtschaftlichem, kulturellem und wissenschaftlichem Gebiet zu entwickeln und damit zu einer grenzübergreifenden, wettbewerbsfähigen Wachstumsregion in Europa zu werden – eine gemeinsame Wirtschaftsregion, die grenzübergreifend organisiert ist, wie wir das z. B. an der deutsch-französischen Grenze oder im Aachener Gebiet im Dreieck zwischen der Bundesrepublik, den Niederlanden, Belgien und den Beneluxstaaten insgesamt haben. Ich glaube, es muss die Aufgabe der Berliner Politik sein, diese Chance zu nutzen und die Kooperationsbeziehungen in guter Nachbarschaft weiterzuentwickeln.

Dass wir davon profitieren und dass Polen davon profitiert, zeigen die wirtschaftlichen Zahlen und die Entwicklung nach dem 1. Mai 2004. Die Exporte von Berlin nach Polen sind im Jahr 2006 um 28,9 % gestiegen, und auch die Importe aus Polen haben eine Steigerung von 12,2 % erfahren. Daran sieht man: Es tut sich etwas in der Region. Der Austausch intensiviert sich, und an dem Wachstum, das in unserem Nachbarland Polen existiert, können wir partizipieren und unseren Beitrag dazu leisten.

Wir haben in den letzten Jahren auch festgestellt, dass das Interesse von Unternehmen an Wirtschaftskontakten nach Polen deutlich gestiegen ist. Wir haben darauf reagiert, indem wir die Instrumente zur Unterstützung von Berliner Unternehmen beim Markteintritt in Polen weiterentwickelt haben. Wir haben die Länderinformationen intensiviert, wir haben die Beratung ausgeweitet und intensiviert, und wir haben Unterstützung bei Kontaktvermittlung über Kooperationsbörsen, u. a. bei Messen, geleistet. Die kleinen und mittelständischen Unternehmen haben über das Projekt TEICO-NET, das von der IBB organisiert wurde und EU-finanziert ist, ihre Kooperation verbessert. Wir haben gemeinsam mit der ZAB Technologietage auf der Messe in Poznań durchgeführt. Wir haben im

Rahmen des Projekts „Planvoll ins Ausland“ in Kooperation mit der Investitionsbank und dem UVB entsprechende Seminare und Expertencoachings durchgeführt. All dies sind Maßnahmen, die kleine und mittelständische Unternehmen aus Berlin beim Markteintritt in Polen unterstützt und begleitet haben. Damit haben wir einen Beitrag dafür geleistet, dass die wirtschaftlichen Chancen von Berliner Unternehmen genutzt werden können.

Die Investitionsbank bietet als Wirtschaftsförderbank des Landes Firmen mit einer Betriebsstätte in Berlin und damit auch jeder hier ansässigen polnischen Firma ihr gesamtes Leistungsspektrum an. Unter einem Dach können und sollen hier Unternehmen Beratung in Finanzierungsfragen, Coaching, Unterstützung und den Zugang zu den monetären Förderprogrammen erhalten.

Gleichzeitig haben wir mittlerweile eine ganze Reihe von Berliner Unternehmen, die erfolgreich auf den polnischen Märkten unterwegs sind und dort Niederlassungen gegründet haben. Das sind nicht nur die Großen wie Schering, Berlin Chemie oder Alba, sondern es sind in zunehmendem Maße klein- und mittelständische Unternehmen aus Berlin, auch Handwerksunternehmen, die sich in Polen engagieren, dort Niederlassungen gründen oder mit polnischen Kooperationspartnern Vereinbarungen abschließen und z. B. ihre Wettbewerbsfähigkeit durch Kooperationsprojekte und die damit verbundene Mischkalkulation verbessern.

Wir haben gleichzeitig in Berlin einen deutlichen Anstieg der Unternehmen mit polnischem Hintergrund – Herkunft aus Polen – in nahezu allen Branchen. Nach dem Beitritt ist die Zahl dieser Unternehmen von 2004 auf 2005 um 130 %, also nahezu explosionsartig, gestiegen. Bei der Industrie- und Handelskammer waren im Jahr 2006 ca. 3 000 polnische Unternehmen gemeldet. Dabei handelt es sich vornehmlich um Einzelunternehmen mit mehrheitlich deutschen Kundenbeziehungen.

Im Bereich des Handwerks haben wir nach der Handwerksnovelle ebenfalls einen deutlichen Anstieg der Anmeldungen im nichtmeisterpflichtigen Gewerbe. 30 % davon gehen auf polnische Unternehmen zurück.

Diese Unternehmen sind häufig sehr klein. Häufig sind es Ein-Personen-Gesellschaften. Deshalb hatten wir auch im letzten Jahr eine Diskussion über Scheinselbstständigkeit. Ich will mich aber an dieser Stelle klar positionieren und sagen: Man darf nicht all diese polnischen Unternehmen, die sich hier gemeldet haben, als Scheinselbstständige diffamieren. Natürlich wird es den einen oder anderen Fall geben. Die genaue Zahl ist nicht erfasst. Berlin hat an dieser Stelle eine klare Position bezogen. Wer die Umgehung der nichtexistenten oder nicht vollständig existenten Arbeitnehmerfreizügigkeit verhindern will, wer Scheinselbstständigkeit als Umgehungstatbestand verhindern will, der muss dafür sorgen, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit möglichst rasch vollständig hergestellt wird,

[Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und der FDP]

aus meiner Sicht in Verbindung mit der Einführung eines Mindestlohns, denn nur dann können wir wirklich von den Freiheiten des europäischen Binnenmarks in dieser Region profitieren und werden auch nicht polnische Arbeitnehmer oder polnische Selbstständige in den grauen oder schwarzen Bereich abdrängen. Deshalb hat sich Berlin als einziges Bundesland gegenüber der Bundesregierung in diesem Sinne positioniert.

[Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Das hat sich in Polen auch herumgesprochen, und es wird dort durchaus positiv zur Kenntnis genommen, dass das Land Berlin hier eine klare Position eingenommen hat. Wir werden diese klare Position auch in den folgenden Diskussionen einnehmen.

[Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und der FDP]

Gleichzeitig besteht eine Reihe von bilateralen Regelungen, mit denen die Arbeitsaufnahme für polnische Arbeitnehmer in der Bundesrepublik und in Berlin ermöglicht wird, z. B. im Rahmen von Werkvertragskontingenten, Grenzgängerregelungen und Saisonarbeit. Zugleich können polnische Bürger als EU-Bürger Anträge auf Erteilung einer Arbeitserlaubnis stellen, wenn der entsprechende Bedarf nachgewiesen ist. Sie werden, wie es bei EU-Bürgern üblich ist, gegenüber Drittstaatlern bevorzugt behandelt. In Berlin lebende Polen mit Arbeitserlaubnis haben gleiche Chancen auf Zugang zum Arbeits- und Bildungsmarkt wie alle anderen in diesem Land lebenden Bürger.

Was die Kooperation im Bildungssektor angeht, so bildet Polen einen geographischen Schwerpunkt der Zusammenarbeit der Berliner Hochschulen mit Mittel- und Osteuropa. Im Jahr 2006 konnte wieder eine Reihe neuer Hochschulpartnerschaften mit Polen aufgenommen werden, so beispielsweise zwischen der Universität der Künste Berlin und der Technischen Universität Stettin im Bereich Architektur. Es gab Partnerschaften zwischen der Kunsthochschule Berlin-Weißensee und der Industrial- Design-Fakultät der Kunstakademie in Warschau sowie zwischen der Technischen Fachhochschule Berlin und der Technischen Akademie Warschau im Bereich des Studentenaustausches und der Politechnika Krakowska im Rahmen eines SOKRATES-Projekts. Sie sehen, auch im Austausch von Hochschulen und Universitäten entwickeln sich intensive Kooperationen.

Meine Damen und Herren! Sie sehen, es hat sich in den letzten drei Jahren einiges getan. Auch der Senat hat einiges unternommen, um diese Kooperation zu befördern. Von zentraler Bedeutung war dabei die Initiative für eine regional ausgerichtete Oder-Partnerschaft.

Berlin hat die Initiative ergriffen, um gemeinsam mit Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern auf der deutschen Seite und den Woiwodschaften Westpommern, Großpolen, dem Lebuser Land und Niederschlesien eine neue Form der regionalen Kooperation auf den Weg zu bringen. Kern der Zusammenarbeit im Rahmen der Oder

Partnerschaft sind zunächst konkrete wirtschaftsbezogene Projekte in den Bereichen Verkehr, Logistik, Innovation und Tourismus. So ist es auf der gemeinsamen Wirtschaftskonferenz verabredet worden, die im April letzten Jahres stattgefunden hat. Wir haben einen Prozess der konkreten, langfristigen Zusammenarbeit eingeleitet, für den Berlin und hier die Wirtschaftsverwaltung die Koordination übernommen hat.

Wir unternehmen im Rahmen dieser Oder-Partnerschaft gemeinsame Initiativen gegenüber den nationalen Regierungen und der Europäischen Union zur Beschleunigung wichtiger Schienenprojekte für den deutsch-polnischen Raum, so zum Beispiel für die Strecken Berlin – Breslau, Berlin – Stettin und die Schienenanbildung des Flughafens BBI an Westpolen. Sie alle wissen, dass bei der Verkehrsinfrastruktur noch einiges im Argen liegt, bevor die Potenziale dieser Region wirklich genutzt werden können. Deshalb gilt es, ein gemeinsames Lobbying sowohl gegenüber den nationalen Regierungen als auch gegenüber der Europäischen Kommission auszunutzen. Es geht darum, alle Potenziale einer koordinierten Angebots- und Fahrplangestaltung einschließlich einfacher Tarifregelungen auszuschöpfen. Zahlreiche Fahrzeitverkürzungen durch Fahrplanoptimierungen sowie weitere Verbesserungen wie zum Beispiel die Fahrradmitnahmemöglichkeit im Berlin-Warschau-Express konnten bereits zum Fahrplanwechsel am 10. Dezember 2006 erreicht werden. Darüber hinaus nutzt der Senat laufende EU-Programme um kurzfristig Verbesserungen des Eisenbahnverkehrs zwischen Berlin und Polen zu erarbeiten. Im Rahmen des Projekts Via Regia werden derzeit Lösungsvorschläge für kurzfristige und kostenneutrale Verbesserungen im Bahnverkehr auf der Strecke Berlin – Breslau vorbereitet. Das Projekt Rail Baltica widmet sich dem Eisenbahnverkehr Berlin – Posen – Warschau – Baltikum. Die Oder-Partner beabsichtigen, über das INTERREGIV-Förderprogramm der Förderperiode 2007 bis 2013 weitere Verbesserungen des öffentlichen Verkehrs nach estpolen zu erzielen. W

Ein zweiter wesentlicher Arbeitsstrang innerhalb der Oder-Partnerschaft ist das Gebiet Tourismus. Neben Überlegungen für ein Leitbild und der Gestaltung einer Regionalmarke für das von der Oder-Partnerschaft umfasste Gebiet als touristische Region werden von Berliner Seite Marketingaktivitäten entwickelt, die spezifisch auf Polen ausgerichtet sind. So hat die Berlin Partner GmbH im Jahr 2004 in Kooperation mit der Berlin Tourismus Marketing GmbH und der Deutschen Zentrale für Tourismus eine Kampagne zur EU-Erweiterung gestartet. Mit der Unterstützung eines Berliner Unternehmens ist mit den Städten Breslau, Stettin, Posen, Danzig und Krakau eine Outdoor-Kampagne umgesetzt worden, in deren Rahmen die Städte für den gegenseitigen Besuch geworben haben. Seit 2004 bietet die BTM ihre Internetseite auch in der polnischen Sprachfassung an. Im Rahmen der Marketingkampagne „Winterzauber Berlin“ werden vorrangig die Nachbarländer Deutschlands beworben, wobei Polen als entwicklungsfähiger Markt eine besondere Aufmerksamkeit genießt.

Zur Entwicklung einer gemeinsamen Region, zur Nutzung der Potenziale einer gemeinsamen Region gehört die Fähigkeit zur Kommunikation, mit anderen Worten die Fähigkeit, sich in der gleichen Sprache verständigen zu können. Wir können an dieser Stelle von Glück sagen, dass viele unserer polnischen Nachbarn und Freunde des Deutschen eher mächtig sind als dies umgekehrt der Fall ist. Deshalb sind Maßnahmen zu unterstützen, die die Zwei- beziehungsweise Mehrsprachigkeit der polnischen und aus Polen stammenden Bevölkerung in Berlin stärker als bisher für eine intensive Kooperation und Zusammenarbeit von Berlin und Polen nutzen. Wo polnische Kunden angesprochen werden sollen, ist der Einsatz polnischsprachiger Mitarbeiter beziehungsweise Mitarbeiterinnen sinnvoll. Da Berlinbesuche für polnische Reisende eine Selbstverständlichkeit geworden sind – 40 % aller Umsätze ausländischer Kunden im Berliner Handel entfallen auf polnische und russische Touristen – reagieren viele Berliner Händler entsprechend und stellen polnischsprachiges Personal ein. Gleiches gilt für viele Berliner Unternehmen, die bereits polnischsprachige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beschäftigen. Sie können hier auf ein gutes Angebot zurückgreifen, die polnische Community in Berlin – meist gut integriert – zählt etwa 100 000 bis 130 000 Menschen. Je mehr Menschen die Sprache des jeweils anderen Landes beherrschen, desto größer ist die Bereitschaft, sich mit dem anderen Land zu befassen und um so größer sind die Möglichkeiten, die Potenziale der Kooperation zu nutzen. Deshalb liegt es auch im Interesse des Wirtschaftsstandorts Berlin, wenn Polnisch bei der deutschen Bevölkerung stärker verbreitet werden kann. Ich werbe deshalb nachdrücklich dafür, Angebote zu nutzen, die polnische Sprache an den Schulen, den Universitäten und im Rahmen der beruflichen Fort- und Weiterbildung zu lernen. Wir sollten die Schüler- und Studentenaustauschprogramme intensivieren, deutschpolnische Schulpartnerschaften ausbauen und deutschpolnische Projekte an Schulen und Universitäten intensivieren und nutzen. [Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und den Grünen]

In Berlin gibt es Angebote zur Aus- und Weiterbildung für Arbeitssuchende, die mit dem Erlernen der polnischen Sprache gekoppelt sind. So bietet die Staatliche Wirtschaftsfachschule Nachwuchskräften die Möglichkeit, nach dem erfolgreichen Abschluss einer kaufmännischen Berufsausbildung die Zusatzqualifikation als staatlich geprüfte Betriebswirtin oder Betriebswirt für Außenwirtschaft und Marketing mit einer zusätzlichen Sprachvermittlung – unter anderem in Polnisch – zu verbinden. An Berliner Gesamtschulen, Realschulen und Gymnasien kann Polnisch bei entsprechender Nachfrage als zweite oder dritte Fremdsprache unterrichtet werden. Beispiele sind die Robert-Jungk-Oberschule und die Gabriele-vonBülow-Oberschule. An der Goerdeler-Grundschule wird im Rahmen des Konzepts der Europaschule Polnisch ab der 1. Jahrgangsstufe für deutsch- und polnischsprachige Kinder angeboten. Die Weiterführung dieses bilingualen Konzepts findet an der Robert-Jungk-Schule statt. Im berufsbildenden Bereich bietet das Oberstufenzentrum Bü

rowirtschaft und Verwaltung seit 2001 eine spezifische Ausbildung für Kaufleute für Bürokommunikation mit dem Schwerpunkt Polnisch an. Die Auszubildenden erhalten hier neben intensivem Sprachunterricht auch Unterricht in der Landeskunde Polens, in deutsch-polnischer Geschichte und Kultur sowie nach Möglichkeit eine Ausbildungsphase in Polen.

Auch die Verwaltungen Berlins entwickeln intensive ressortspezifische Kooperationen und Kontakte zu Polen. Neben den Kooperationen im Rahmen der OderPartnerschaft erfolgen im Rahmen des gemeinsamen trilateralen Arbeitsprogramms zwischen Berlin, Brandenburg und der Woiwodschaft Großpolen regelmäßig Treffen zum Erfahrungsaustausch über konkrete Projekte der Zusammenarbeit auf den Gebieten Raumordnung, Verkehr, Tourismus, Wirtschaft, Bildung, Wissenschaft und Hochschulen.

Ich glaube, dass diese Beispiele zeigen, an wie vielen Stellen Berlin versucht, die Möglichkeiten und Potenziale der Kooperationen mit Polen zur Entwicklung einer gemeinsamen Region zu nutzen. Es ist aus meiner Sicht wichtig und notwendig, dass jeder und jede in der Stadt versteht, welche Potenziale, welche wirtschaftlichen Potenziale in einer guten Nachbarschaft und Zusammenarbeit mit Polen existieren. In Polen gibt es ein dynamisches Wachstum. Die polnischen Unternehmen sind in ihrer Entwicklungsphase an einem Punkt angelangt, an dem sie zunehmend Interesse daran haben, auf den bundesdeutschen und westeuropäischen Markt zu gehen. Wir haben das zusammen mit einer Delegation von Berlin Partner im Dezember in Warschau mit polnischen Unternehmen intensiv diskutiert. Ich glaube, Berlin hat eine Chance, sich als eine Stadt zu positionieren, die international ist, die Verständnis hat für die Bedürfnisse polnischer Unternehmerinnen und Unternehmer, die deutlich macht, dass sie eine sich entwickelnde Community von polnischen Bürgerinnen und Bürgern hat und vor allem auch eine Gemeinschaft sich entwickelnder polnischer Unternehmen und sich damit als der Ort anbietet, an dem sich die wachsenden polnischen Unternehmen den bundesrepublikanischen und westeuropäischen Markt erschließen. [Beifall bei der SPD]

Wir haben gute Chancen. Berlin ist die östlichste der westeuropäischen Metropolen. Es ist aber gleichzeitig so, dass Berlin die westlichste Metropole Osteuropas ist. Diesen Vorteil und dieses Alleinstellungsmerkmal sollten wir nutzen. Wir sollten verstärkt unseren Blick nach Osten richten, um Menschen zusammenzubringen, um Kooperationen zu entwickeln. Polen nimmt dabei als unser unmittelbarer Nachbarstaat, gerade einmal 60 Kilometer von Berlin entfernt, einen besonderen Stellenwert ein.

Wir haben die Osterweiterung der Europäischen Union begrüßt, und wir profitieren in Berlin auf vielfältige Weise davon. Als Metropole haben wir Partnerschaften mit Polens Hauptstadt. Als Teil der Hauptstadtregion richten wir unsere Beziehungen auch auf die unmittelbare Grenz

region und die dortigen Städte aus. Politisch wie wirtschaftlich können wir gemeinsam mit unseren polnischen Partnern stolz auf das Erreichte zurückblicken. Darauf können wir aufbauen, wenn es darum geht, auch über verschiedene politische Konstellationen hinweg die Beziehungen zwischen Berlin und Polen weiterzuentwickeln.

Wenn an diesem Wochenende hier in unserer Stadt der 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Gründungsurkunde der Europäischen Union gefeiert wird, so sehen wir mit Genugtun und mit Optimismus auf das, was Berlinerinnen und Berliner gemeinsam mit unseren Freunden aus Polen an Verständigung und Zusammenarbeit zur gegenseitigen Bereicherung erreicht haben. Das bringen wir für die Zukunft einer friedlichen, einer sozialen und wirtschaftlich prosperierenden Zukunft der Europäischen Union zum beidseitigen Interesse ein. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Beifall von Mirco Dragowski (FDP)]

Danke schön, Herr Senator! – Zur Aussprache steht den Fraktionen eine Redezeit von bis zu zehn Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion Die Linke in Person von Herrn Doering. – Herr Doering, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor fast genau drei Jahren, als die Erweiterung der EU am 1. April 2004 kurz bevorstand, gab es hier im Haus zu diesem Ereignis im Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten zahlreiche Debatten im Plenum und am 29. April 2004 auch eine Regierungserklärung. In einer Entschließung „Zusammenarbeit Berlins mit den neuen EU-Mitgliedsstaaten ausbauen“ hat das Abgeordnetenhaus den Senat unter anderem aufgefordert, die Zusammenarbeit mit den grenznahen westpolnischen Woiwodschaften auszubauen und die grenzübergreifende Zusammenarbeit zu vertiefen. Drei Jahre nach dem EU-Beitritt Polens können wir feststellen, es haben sich auch in unserer Region neue Perspektiven der Zusammenarbeit ergeben, und das nicht allein im wirtschaftlichen Bereich und auf Unternehmen bezogen, wenn ich das einmal selbstkritisch in Bezug auf den Titel unserer Großen Anfrage bemerken darf. Es geht bei den Beziehungen zu unseren polnischen Nachbarn um mehr als nur Zahlen und Fakten aus dem Wirtschaftsbereich.

Wir haben im Mai 2004 nicht bei Null angefangen. Berlin pflegte bereits eine intensive Städtepartnerschaft zu Warschau. Schon vor dem Beitritt Polens zur EU hat es eine Vielzahl von wirtschaftlichen und kulturellen Kontakten zwischen Berlin, dem Land Brandenburg und den westpolnischen Woiwodschaften gegeben, dabei insbesondere mit den urbanen Zentren Szczein, Wrocław und Poznań. Seit Januar 2004 besteht mit der Woiwodschaft Westpommern und der Stadt Szczecin einen enge Zusammen

arbeit auf Arbeitsgruppenebene, der auch Brandenburg beigetreten ist. Seit April 2004 wurde diese Zusammenarbeit durch eine Vereinbarung zwischen Berlin, Brandenburg und der Woiwodschaft Wielkopolskie über die Zusammenarbeit dieser Regionen vertieft. Dazu hat der Wirtschaftssenator gerade einiges ausgeführt. Hier konnte vereinbart werden, dass Projekte im Bereich Verkehr, Wirtschaft, Tourismus, Kultur, Gesundheit und Bildung sowie Wissenschaft und Hochschule in eine Kooperation einfließen sollten und ein intensiver Erfahrungsaustausch stattfinden soll.

Dennoch ist es Fakt, dass sich mit der EU-Mitgliedschaft Polens neue, größere Chancen, aber auch Notwendigkeiten eröffneten, diese Beziehungen zu intensivieren und institutionell auszugestalten. Hier den Stand zu bestimmen, ist ein Ziel unserer Großen Anfrage. Die Beantwortung der Großen Anfrage durch Senator Wolf hat deutlich gemacht, welch positive Entwicklung dabei eingetreten ist.

Ich möchte die bereits vom Senator angesprochene Wirtschaftskonferenz vom April 2006, seinerzeit unter dem Titel „Oderregion“, erwähnen. Dazu hatten die Wirtschaftsminister Brandenburgs und der Wirtschaftssenator gemeinsam eingeladen. Diese Konferenz war mit über 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern nicht nur gut besucht, sondern man hat, was viel wichtiger ist, die Kooperation zwischen der Hauptstadtregion, MecklenburgVorpommern und dem westlichen Polen noch einmal einen Qualitätsschub versetzt. Sie war verbunden mit der Absicht, eine begrenzte Anzahl von Leitprojekten umzusetzen, und auf der Konferenz entwickelten Fachforen konkrete Vorschläge für grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Schwerpunkte waren zunächst die Themen Innovation und Technologietransfer, Kooperationsbeziehungen zwischen kleinen und mittleren Unternehmen, Tourismus, Verbesserung der grenzüberschreitenden Verkehrsverbindungen sowie der Bereich Logistik. Das aufgebaute Netzwerk hat erfolgreich weitergearbeitet und sich im September 2006 in Wrocław darauf verständigt, künftig von der „Oder-Partnerschaft“ zu sprechen, eine wie ich finde, sehr gute Entscheidung, denn das Wort Partnerschaft betont für mich ganz besonders die Gleichberechtigung aller Beteiligten.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Nach unserer Auffassung soll die Kooperation im Rahmen der Oder-Partnerschaft mittel- und langfristig zu einem innovativen wissensbasierten Wirtschaftsraum entwickelt werden, der sich mit anderen europäischen Wirtschaftsräumen messen kann. Ich finde es außerordentlich hervorhebenswert, dass sich beispielsweise die atmosphärischen Probleme auf nationaler Ebene auf die Kooperation mit den Regionen und Städten nicht negativ ausgewirkt haben.

In diesem Zusammenhang möchte ich aus aktuellem Anlass erwähnen: Für meine Fraktion und für mich ganz persönlich sind solche partnerschaftlichen, freundschaftlichen, gleichberechtigten Beziehungen die einzige akzep

table und notwendige Konsequenz aus der Geschichte unserer beiden Länder.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Diese Beziehungen zu pflegen, auszubauen und mit Leben zu erfüllen, ist für mich ein Teil der historischen Verantwortung, die wir Deutschen gegenüber unseren polnischen Nachbarn haben. Freundschaftliche Beziehungen sind zunächst einmal Worte, die mit Leben erfüllt werden müssen. Lebendig werden sie durch die Menschen, durch Kontakte und den Austausch im wirtschaftlichen, sozialen, sportlichen und kulturellen Bereich. Dafür müssen die Menschen einander verstehen und sich gegenseitig erreichen können. Die Sprache und die Verkehrsverbindungen, unsere Fragen 4 und 7 der Großen Anfrage, beziehen sich darauf, sind also nicht zu unterschätzen.

Gerade in der Sprache – Senator Wolf sprach auch gerade darüber – haben die Berlinerinnen und Berliner Nachholbedarf. Sie beherrschen in weit geringerem Maß die polnische Sprache als umgekehrt die polnische Bevölkerung die deutsche. Hier sollte der Senat intensiv prüfen, welche Angebote, Polnisch zu lernen, ausgebaut werden können. Der Senator hat hier gerade eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet, die aufgegriffen werden sollten.

Zur Verbesserung der Bahnverbindungen zwischen Berlin-Brandenburg und Westpolen arbeiten seit 2006 die betroffenen Länder, Woiwodschaften und Großstädte enger zusammen. Ein Runder Tisch Bahnverkehr soll sich unter anderem der Verbesserung von Tarifangeboten und besserer grenzüberschreitender Abstimmung der Fahrpläne widmen. Dabei wurde schon zum Fahrplanwechsel 2007/2008 einiges erreicht und konnten Fahrzeiten zum Teil erheblich verkürzt werden.

Ein Problem liegt uns als Linksfraktion besonders am Herzen: die Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerfreizügigkeit. Auch hierzu hat der Senator schon einiges gesagt. Es geht darum, dass Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen aus Polen nicht in die Situation der illegalen Beschäftigung und Scheinselbständigkeit geraten. Es geht auch darum, Lohndumping zu verhindern. Umgekehrt geht es darum, Freizügigkeit für deutsche Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in den Beitrittsländern zu erreichen und so eine wirtschaftliche faire wie sozial gerechte Wettbewerbssituation zu schaffen.

[Beifall bei der Linksfraktion]