Protokoll der Sitzung vom 08.03.2012

Eine namentliche Abstimmung ist mit Namensaufruf durchzuführen. Ich bitte Herrn Kollegen Brauer netterweise, die Namen der Damen und Herren Kollegen Abgeordneten aufzurufen. Bitte die Umschläge, die Sie gleich ausgehändigt bekommen, nicht zukleben. Das haben wir hier alles schon erlebt. Die Stimmkarten werden Ihnen durch die Mitglieder des Präsidiums ausgegeben. Ich weise darauf hin, dass die tatsächliche Stimmabgabe erst nach Namensaufruf möglich ist. Nur so ist ein reibungsloser und geordneter Wahlgang möglich. Aber wir kennen das ja nun langsam auch alle. Die Urnen sind eindeutig gekennzeichnet vor Frau Kollegin Michels, eine Urne für die Ja-Stimmen, eine Urne für die NeinStimmen dort, wo die Kollegin Thamm steht, und eine Urne für die Enthaltungen sowie für die nicht benötigten restlichen Karten und Umschläge.

Ich eröffne die Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – damit wir auch wissen, über was wir abstimmen. Der Fachausschuss hat mehrheitlich gegen Grüne, Linke und Piraten die Ablehnung empfohlen. – Es tut mir leid, das ist so. – Ich bitte mit dem Namensaufruf zu beginnen, Herr Kollege Brauer!

[Aufruf der Namen und Abgabe der Stimmkarten]

Hatten alle anwesenden Mitglieder des Hauses die Möglichkeit abzustimmen? – Das scheint der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Präsidiumsmitglieder, die Auszählung vorzunehmen. Für die Dauer der Auszählung wird die Sitzung unterbrochen.

[Auszählung]

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne wieder die Sitzung. Bevor ich das Ergebnis bekannt gebe, weise ich aus gegebenem Anlass darauf hin, dass Missgunst- oder Beifallskundgebungen von der Zuschauertribüne nicht gestattet sind.

Ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: Abgegebene Stimmen: 138, Ja-Stimmen: 58, Nein-Stimmen: 80. Damit ist der Antrag abgelehnt.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 9:

Langzeiterwerbslose Menschen müssen Chancen auf Arbeit behalten

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit, Integration, Berufliche Bildung und Frauen vom 16. Februar 2012 Drucksache 17/0181

zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Annahme einer Entschließung Drucksache17/0025

Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Das Wort hat Frau Kollegin Bangert. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ein erstaunlicher Vorgang, aber arbeitsmarktpolitisch agiert Rot-Schwarz auf Berliner Ebene nahezu identisch wie Schwarz-Gelb im Bund. Sie vollziehen auf Landesebene vergleichbar drastische Kürzungen im arbeitsmarktpolitischen Haushalt. Um fast 41 Millionen Euro wird der Etat von 2011 auf 2012 abgesenkt. Hinzu kommen noch einmal rund 4 Millionen Euro im Jahr 2013. Das macht minus 45 Millionen Euro für aktive Arbeitsmarktpolitik in Berlin. In keinem anderen Ressort wird vergleichsweise so viel Geld gestrichen wie in der Arbeitsmarktpolitik. Das ist auch der wahre Grund, weshalb Sie unserem Antrag nicht zustimmen können und wollen, denn Sie verfahren exakt so wie Schwarz-Gelb im Bund, auch Sie betreiben Haushaltskonsolidierung auf Kosten erwerbsloser Menschen.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN – Beifall von Elke Breitenbach (LINKE)]

Schlimmer jedoch ist, dass es für den Arbeitsmarktetat noch keinerlei Konzepte gibt. Wir sprechen hier von rund 88 Millionen Euro, 56 Millionen Euro für Beschäftigungsförderung und 36 Millionen Euro für öffentlich geförderte Beschäftigung im Jahr 2012. Diese 88 Millionen Euro haben Sie bisher im Rahmen der Haushaltsberatungen noch mit keiner einzigen konkreten Maßnahme unterlegt. Wir fragen uns, wie Sie insbesondere langzeiterwerbslose Menschen durch Qualifikation und Integration auf den Arbeitsmarkt bekommen wollen. Statt eine arbeitsmarktpolitische Gesamtstrategie gemeinsam mit der Regionaldirektion zu entwickeln, streitet sich die SPD um die Höhe des Mindestlohns bei öffentlich geförderter Beschäftigung. Im Rahmen der Mindestlohninitiative im Bundesrat konnten Sie sich nicht gegen ihren Koalitionspartner CDU durchsetzen, nun eröffnen Sie einen Nebenschauplatz bei der öffentlich geförderten Beschäftigung.

Es wird Ihnen aber nicht gelingen, mit der Mindestlohndebatte von der arbeitsmarktpolitischen Konzeptionslosigkeit abzulenken.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Denn während Sie sich mit sich selbst beschäftigen – was Sie immer uns vorwerfen –, läuft an Ihnen die Berliner Arbeitsmarktpolitik der Regionaldirektion und der Jobcenter vorbei. Weder die Regionaldirektion noch die Jobcenter und schon gar nicht die Erwerbslosen haben die

Zeit, um abzuwarten, bis der Berliner Senat sein arbeitsmarktpolitisches Konzept vorlegt. Die Regierungskoalition und die zuständige Senatsverwaltung sind so mit sich selbst beschäftigt, dass sie gar nicht mitbekommen, dass zum Beispiel die Bürgerarbeitsplätze kontinuierlich von den Jobcentern besetzt werden, weil der Zeitdruck besteht, dies bis zum 1. Mai 2012 zu tun. Bei der Besetzung der Plätze ist der Mindestlohn gar kein Thema, denn sie werden für 975 Euro Arbeitnehmerbrutto für 30 Stunden vergeben. Elke Breitenbach hat hierzu eine Mündliche Anfrage gestellt und ausgerechnet, dass wir auf einen Stundenlohn von 5,50 Euro kommen. Von Ihren 8,50 Euro sind wir damit weit entfernt.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Damit ist zumindest für das Programm Bürgerarbeit Ihre Mindestlohndiskussion über 8,50 Euro eine scheinheilige Debatte, denn es kann bei diesem Programm gar nicht mehr umgesetzt werden. Ich sage Ihnen auch: Mit dem Programm Bürgerarbeit mit seinen insgesamt 3 842 Plätzen, die 1 400 eingerechnet, die Sie noch zusätzlich bekommen, schaffen Sie keinen auf Dauer angelegten öffentlichen Beschäftigungssektor, den Berlin so dringend braucht. Die Bürgerarbeitsplätze werden längstens bis zum 31. Dezember 2014 gefördert. Spätestens dann sind wir wieder beim Punkt null und fangen von vorn an. Aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt, und vielleicht haben Sie bis dahin die Erarbeitungsphase für Ihr Projekt „BerlinArbeit“ abgeschlossen, und wir wissen dann endlich, welches arbeitsmarktpolitische Konzept Rot-Schwarz in Berlin verfolgt und mit welchen Maßnahmen insbesondere langzeiterwerbslose Menschen eine Chance auf Arbeit erhalten sollen.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Vielen Dank, Frau Kollegin! – Als Nächste, für die SPDFraktion, Frau Abgeordnete Monteiro!

Liebe Menschen aller drei Geschlechter! Menschen suchen nach dem richtigen Weg. Abgeordnete sind Menschen in den Regierungsfraktionen, in der Opposition. Frau Bangert! Zu Ihrem Entschließungsantrag haben Sie jetzt nicht gesprochen. Das finde ich eigentlich ganz gut, weil dort doch mehr der Verweis auf den Bund im Mittelpunkt steht und zu den spezifischen Ansätzen nur am Rande etwas. Aber, wie gesagt, das war jetzt nicht Inhalt Ihrer Rede – was zu begrüßen ist.

Meine Fraktionskollegin Ülker Radziwill hatte in der ersten Lesung Ihren Antrag als das bezeichnet, was er ist, nämlich der Versuch, einen Keil zwischen die Koalitionspartner zu treiben. Natürlich kann man als Opposition aus jeder Kritik an der Bundesregierung einen Antrag für

das Berliner Parlament machen, natürlich können die Regierungsfraktionen jeden Antrag der Opposition wegstimmen. Was mich interessiert, ist folgende Frage: Wie schaffen wir es gemeinsam, aus Schein wieder Debatte und aus Ritualen zielführende Arbeit zu machen?

Richtig ist, dass weniger Bundesmittel eine aktive Arbeitsmarktpolitik in Berlin erschweren, und ebenso wahr ist, dass auch die doppelte Summe Geld keine Garantie dafür ist, Langzeitarbeitslose in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Sie haben die Zahl selbst genannt: 88 Millionen Euro. Das ist keine geringe Summe. Ich kenne sehr viele Menschen, die reden, ohne etwas zu sagen zu haben. Insofern freue ich mich, dass die Senatorin den umgekehrten Weg geht und erst einmal die Arbeit macht und – wie sie es angekündigt hat – uns im April ihr Konzept für „BerlinArbeit“ vorstellt. Dabei ist sie übrigens in enger Abstimmung mit der Regionaldirektion der Bundesagentur, wie ich aus eigenen Gesprächen weiß.

Die Argumente zum Entschließungsantrag wurden in der ersten Lesung und der Ausschussberatung ausführlich ausgetauscht. Es ging um Berlins Kritik am Gesetzgebungsverfahren des Bundes, die Auswirkungen der Instrumentenreform, die Bedeutung von Qualifizierung und Unterstützung für Langzeitarbeitslose.

Eine kritische Opposition ist das Salz in der Suppe der Demokratie. Genauigkeit ist gefragt, beim Salzen, beim Regieren und beim Opponieren. Frau Bangert! Ich schätze Sie wirklich sehr, aber was Sie an Text und Argumentation im Antrag geliefert haben, das war alles andere als genau.

[Felicitas Kubala (GRÜNE): Haben Sie ihn denn gelesen?]

Ich habe ihn sehr genau gelesen, und deshalb weiß ich, dass da nicht nur Phrase an Phrase gereiht ist, sondern noch mehr an Ungenauigkeit. Bei der Benennung der Regierungsfraktion im Bund lassen Sie einfach die CSU unter den Tisch fallen – okay, das kann vorkommen –, bei Ihnen hat der Arbeitsmarkt Bedürfnisse, und der Bundesregierung wollen Sie durch Qualifikation, Unterstützung und Integration eine Perspektive eröffnen. Gerade letzteren Aspekt möchte ich Ihnen nicht ausreden, aber dennoch denke ich, Opposition und Regierung können und werden in den zweiten 100 Tagen noch besser werden. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Vielen Dank! – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt Frau Kollegin Breitenbach – bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Monteiro! Der Antrag hat nicht nur zwei Punkte, der Antrag hat drei Punkte. Der dritte Punkt war die Forderung der Grünen nach einem landeseigenen Programm, in dem sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze für Erwerbslose geschaffen werden. Wir hatten einen entsprechenden Änderungsantrag zu dem Grünen-Antrag eingereicht, in dem wir gesagt haben: Sozialversicherungspflichtig reicht uns nicht; wir möchten gern Mindestlohnbedingungen. Dieser Änderungsantrag steht heute leider nicht mehr zur Entscheidung. Von daher können wir dem Antrag der Grünen auch nicht zustimmen; denn wir brauchen Mindestlohn.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Damit sind wir bei dem eigentlichen Thema, das uns seit Wochen beschäftigt: Mindestlohn. Wie halten wir es mit dem Mindestlohn, für wen soll es denn Mindestlohn geben? – Frau Radziwill sagte in der ersten Lesung: Wir wollen Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren. – Die Fragen: Wie wollen Sie das machen, liebe Koalition? Unter welchen Bedingungen wollen Sie das machen? – haben Sie auch nicht beantwortet.

Der Regierende Bürgermeister ist nicht mehr da, aber gestern auf einem Empfang bei der Regionaldirektion

[Bürgermeister Frank Henkel: Da ist er!]

da hinten steht er, okay! – hat er noch mal deutlich gemacht: Der Senat setzt auf Masse statt auf Klasse. Das vielgepriesene Jobwunder, die Berlin-Arbeit, wird den Niedriglohnbereich ausweiten. Frau Bangert hat es schon gesagt: 975 Euro erhalten die Beschäftigten, bei einer Arbeitszeit von 40 Stunden; 30 Stunden Arbeit, 10 Stunden Qualifikation, die zwingend vorgesehen sind. Real also 5,50 Euro die Stunde. Das hat mit Mindestlohn nichts mehr zu tun.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Aber nach Auffassung von Teilen der Koalition muss das ja auch nicht so sein. Das sind ja Beschäftigte im zweiten Arbeitsmarkt. Lieber Regierender Bürgermeister! Was haben die mit Mindestlohn zu tun? – Und dann frage ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD: Ist das eigentlich keine richtige Arbeit? – Dann sollten Sie einfach mal zu den Stadtteilmüttern, zu den Kiezlotsen, zu den Verkehrsbegleitern, zu den vielen ÖBS-Beschäftigten gehen und ihnen das genau so sagen! Das scheint jetzt aber einigen in der SPD-Fraktion aufgefallen zu sein. Und jetzt gibt es eine hauchdünne Mehrheit, die sagt: Mindestlohnbedingungen auch im öffentlich geförderten Bereich. Bravo! Bravo, liebe Kolleginnen und Kollegen, aber Mindestlohnbedingungen nur für 30 Stunden! Wir bleiben dabei, nur für 30 Stunden. Die Qualifizierung soll unbezahlt erfolgen, die Menschen bleiben abhängig vom

Jobcenter. Der Sinn eines Mindestlohns ist allerdings – das sagte ich schon das letzte Mal –, dass Menschen von ihrer Arbeit leben können. Und das können die Menschen auch mit dem neuen Beschluss der SPD nicht. Das ist eine Mogelpackung. Die Menschen gehen ins Jobcenter, erhalten dort die Kosten der Unterkunft. Und damit, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, sparen Sie nicht mal Kosten für den Landeshaushalt. Das Einzige, was Sie jetzt machen wollen: Sie demütigen die Beschäftigten im öffentlichen Bereich.

Und damit komme ich zum Schluss. Wenn ich mir die SPD-Seite angucke, dann lese ich dort: „Wer gut arbeitet, soll einen guten Lohn erhalten. Deshalb Mindestlöhne.“ Und dann kann ich dort weiter lesen: „In Deutschland muss es gerechter zugehen.“ Gerechter geht allerdings anders!

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Prof. Korte. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bund hat im vergangenen Jahr die Arbeitsmarktinstrumente der Bundesagentur für Arbeit umgestaltet. Dies führte aber gerade nicht zu einem sozialen Kahlschlag, wie es Grüne und Linke wieder und wieder und auch heute erneut behaupten. Diese Neuordnung war notwendig, und sie war ein unerlässlicher Schritt. Zu Beginn der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise in den Jahren 2007, 2008 hat die Bundesregierung das Geld für die Arbeitsvermittlung kräftig erhöht. Wir hatten deshalb während der Wirtschaftskrise seit 2008 außergewöhnlich viel Geld im System der Arbeitsmarktpolitik. Damit sollten die Auswirkungen der Krise auf den deutschen Arbeitsmarkt gering gehalten werden. Sie kennen die Erfolge: Berlin ist hervorragend durch die Krise gekommen. Die Arbeitslosenzahlen sinken auch jetzt noch beständig.

[Sabine Bangert (GRÜNE): Stagnieren!]

Und das haben wir auch dem vorsorgenden Handeln des Bundes zu verdanken.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Jetzt sollen diese Ausgaben einfach zurückgeführt werden auf das Niveau von 2007 vor der Krise, und das kann man nicht als eine exzessive Kürzung darstellen.