Protokoll der Sitzung vom 22.03.2012

Der von Kommissarin Viviane Reding am 25. Januar vorgestellte Entwurf – COM(2012) 11 final – ist dagegen schon deutlich aufgeweicht. Als Beispiel seien die in Artikel 79 vorgesehenen Strafzahlungen genannt, die von 5 Prozent auf 2 Prozent des Unternehmensumsatzes gesenkt wurden, die Minimalstrafe wurde gestrichen. Auch die Artikel 42 ff., die eine Weitergabe von Daten an Drittstaaten regeln, wurden wohl auf Druck aus den USA weitgehend entschärft. Das bestärkt die in unserem Antrag formulierte Befürchtung, dass Frau Reding ihren Anspruch, die in Deutschland geltenden hohen Standards auf europäischem Niveau zu erhalten, im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens nicht aufrechterhalten kann.

Es ist ganz klar, wir brauchen EU-weiten Datenschutz auf hohem Niveau. Fraglich ist nur, ob die Ersetzung der bisher bestehenden und unzureichenden EU-Datenschutzrichtlinie 95/46/EG durch eine Datenschutzverordnung der geeignete Weg ist. Die Beschlussempfehlung der

Ausschüsse des Bundesrates vom 19. März an das Plenum sieht das ähnlich wie unser Antrag:

… die Aufnahme der vorgeschlagenen Verordnungs-Regelungen in die Fortführung der bestehenden Datenschutzrichtlinie … (würde) … im Interesse von Rechtssicherheit und Vollzugstauglichkeit den Fortbestand nationaler Regelungen erlauben.

Eine EU-Verordnung ist im Gegensatz zur EU-Richtlinie nach dem Inkrafttreten in allen EU-Staaten geltendes Recht. Nach einer Übergangsfrist von zwei Jahren dürfen alle ihr entgegenstehenden nationalen Regelungen nicht mehr angewendet werden. Dagegen ist eine EU-Richtlinie innerhalb von drei Jahren vom Gesetzgeber der Mitgliedsstaaten in nationales Recht zu gießen.

Neben der immer noch fehlenden Gesetzgebungshoheit des EU-Parlaments ist auch die Schwierigkeit nicht zu unterschätzen, die die Anwendung eines europäischen Gesetzes in den nationalen Rechtssystemen mit verschiedenen Standards und Traditionen hat. Ein aktuelles Beispiel liefert die EU-Lebensmittelverordnung: Die Bundesregierung ist der Ansicht, dass diese Verordnung auch für Tagesmütter gilt. Die EU-Kommission bestreitet das. Im Zweifel kann hier nur der EU-Gerichtshof Klarheit schaffen. Im Gegensatz zum Bundesverfassungsgericht können aber betroffene Bürger das oberste EU-Gericht in der Regel nicht direkt anrufen.

Es ist zwar beklagenswert, dass viele EU-Staaten auch 15 Jahre nach Erlass der ersten EU-Datenschutzrichtlinie bei der materiellen Rechtsdurchsetzung große Defizite haben. Das spricht allerdings auch nicht dafür, dass dies bei einer EU-Verordnung viel besser werden wird. Dagegen besteht die ernsthafte Gefahr, ein Datenschutzniveau des kleinsten gemeinsamen Nenners in Europa zu schaffen, das dann auch für Deutschland gilt.

Mit einer verschärften Richtlinie könnte das deutsche Niveau noch gehoben werden, und alle EU-Staaten wären gehalten, ihre Rechtssysteme tauglich für den Datenschutz zu machen. Dies würde auch durch entsprechende Debatten in den lokalen Parlamenten befördert, die in der Öffentlichkeit wesentlich präsenter sind als die europäischen Gesetzgebungsgremien. Dies liegt leider auch an der mangelnden demokratischen Legitimation: Während der EU-Rat die Rolle des Bundestages einnimmt, kann das EU-Parlament im Widerspruchsfalle nur einen Vermittlungsausschuss anrufen. Wann kommt endlich eine Verordnung, die das ändert?

Unser Antrag hat zum Ziel, den Senat noch vor dem Bundesratsplenum am 30. März auf den grundsätzlichen Erhalt des Berliner Datenschutzniveaus zu verpflichten. Es bleibt aber seine Aufgabe, die geeigneten Mittel und Wege dafür zu bestimmen.

Der vorliegende Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen fordert dagegen den Senat zu einer Subsidiaritätsrüge auf. Das ist eine Möglichkeit, die wir auch erwogen haben. Leider bleibt der Antrag dabei auf der formalen Ebene und geht nicht auf die inhaltlichen Probleme des europäischen Gesetzgebungsprozesses und des aktuellen Standes der EU-Verordnung ein.

Ich freue mich, dass durch unsere Initiative die Diskussion auch bei SPD und CDU in Gang gekommen ist. Ihr Änderungsantrag geht grundsätzlich in eine ähnliche Richtung wie unser Antrag. Deshalb können wir auch der von der Koalition geänderten Version zustimmen, da es wichtig ist, dem Senat hier einen Handlungsrahmen vorzugeben.

Anliegen des Antrags der Piratenfraktion ist es, dass sich der Senat für die Stärkung des Datenschutzes auf der EUEbene einsetzt. Anlass des Antrags ist der Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, kurz: Datenschutz-Grundverordnung.

Mit der Umsetzung dieser Grundverordnung besteht die Gefahr einer Absenkung des in Deutschland und Berlin geltenden Datenschutzniveaus. Der Senat soll sich für die Novellierung der bestehenden Datenschutzrichtlinien der EU einsetzen. Mit der bestehenden Datenschutzrichtlinie bleibt der hohe Datenschutzstandard im Land Berlin ungefährdet erhalten. SPD und CDU haben übrigens in der Koalitionsvereinbarung auch auf das hohe Datenschutzniveau in Berlin verwiesen und wollen sich für seinen Ausbau einsetzen. Damit ist der vorliegende Antrag der Piratenfraktion für die Koalitionsfraktionen eigentlich zustimmungsfähig.

Unabhängig von der inhaltlichen Bewertung der Datenschutz-Grundverordnung ist der Vorgang ein klassischer Fall von Subsidiaritätskontrolle. Der Verordnungsvorschlag der Kommission ist daher auch den Fraktionen des Abgeordnetenhauses im Februar als Frühwarndrucksache des Bundesrats 52/1/12 mit Ablauffrist zum 10. April zugeleitet worden. Wenn der Senat also der Intention des Antrags folgen will oder soll, dann kann er in dem dafür vorgesehenen Verfahren im Bundesrat einen Antrag auf Erhebung einer Subsidiaritätsrüge stellen bzw. einem solchen Antrag zustimmen. Der Verordnungsvorschlag ist in der vergangenen Woche bereits in den Ausschüssen des Bundesrats behandelt worden, und es wurden hier bereits Empfehlungen für eine ausführliche Stellungnahme des Bundesrats beschlossen. Aus diesen Stellungnahmen geht hervor, dass der Bundesrat der Auffassung ist, dass der Vorschlag mit dem Subsidiaritätsprinzip nicht in Einklang zu bringen ist. In der entsprechenden Drucksache 52/1/12 heben der federführende Europaausschuss sowie der Innen- und der Rechtsausschuss hervor,

dass die Verordnungsrichtlinie zu einer nahezu vollständigen Verdrängung der mitgliederstaatlichen Datenschutzregelungen führt. Wörtlich:

Ein unionsweit einheitliches Datenschutzniveau kann dagegen auch weiterhin durch eine Fortentwicklung der bislang geltenden Datenschutzrichtlinie erreicht werden.

Genau diese Position einzunehmen bzw. zu übernehmen, dazu fordert der vorliegende Antrag den Senat auf.

Für den weiteren zeitlichen Ablauf des Vorgangs muss beachtet werden, dass die Beschlussempfehlungen der Bundesratsausschüsse bereits am 30. März im Bundesrat abgestimmt werden. Der Senat wird sein Abstimmungsverhalten auf seiner Sitzung am 27. März festlegen. Angesichts der Terminlage macht es überhaupt keinen Sinn, den Antrag in die Ausschüsse zu überweisen. Wenn die Koalition ihre eigene Koalitionsvereinbarung ernst nimmt, dann ist heute eine fraktionsübergreifende Mehrheit auch mit den Stimmen von SPD und CDU gegeben, und wir können den Antrag sofort abstimmen.

Der Antragsteller hat die sofortige Abstimmung beantragt. Ich lasse zunächst über den weiter gehenden Änderungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU abstimmen. Wer dem Änderungsantrag seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Linken, CDU und SPD. Wer ist dagegen? – Grüne und Teile der Piraten. Damit ist der Antrag angenommen.

Ich lasse nunmehr über den Antrag der Piratenfraktion Drucksache 17/0226 unter Berücksichtigung der soeben beschlossenen Änderung abstimmen. Wer dem Antrag mit der geänderten Überschrift und in der neuen Fassung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind SPD, CDU, Linke und die Piraten. Wer ist dagegen? – Die Fraktion der Grünen. Enthaltungen? – Eine Enthaltung von Herrn Claus-Brunner. Damit ist der Antrag in dieser Fassung angenommen.

Die lfd. Nrn. 27 und 28 stehen auf der Konsensliste.

Das war unsere heutige Tagesordnung. Die nächste Sitzung findet am Donnerstag, dem 26. April 2012 um 13 Uhr statt. Ich wünsche Ihnen allen ein frohes Osterfest und einen guten Heimweg.

Die Sitzung ist geschlossen.

[Schluss der Sitzung: 21.11 Uhr]

Anlage 1

Namentliche Abstimmung

Zu lfd. Nr. 15 a):

Kein Flughafenknast auf dem Großflughafen BER „Willy Brandt“

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/0102

Fraktion der SPD

Arndt, Dr. Michael nein

Becker, Franziska nein

Buchholz, Daniel nein

Buchner, Dennis nein

Czyborra, Dr. Ina nein

Eggert, Björn nein

Flesch, Kirsten nein

Harant, Renate nein

Haußdörfer, Ellen nein

Heinemann, Sven nein

Isenberg, Thomas nein

Jahnke, Frank nein

Jauch, Andy nein

Karge, Thorsten nein

Karsten, Nikolaus nein

Kitschun, Dr. Susanne nein

Kleineidam, Thomas -

Kohlmeier, Sven nein

Köhne, Irene nein

Kolat, Dilek -

Kreins, Ole nein