Jetzt, Herr Czaja, versuchen Sie hektisch, Notunterkünfte in Einrichtungen einzurichten, die zum Wohnen ungeeignet sind, die jedem Maßstab einer menschenwürdigen Unterkunft spotten. Dort reichen zum Beispiel die Sanitäreinrichtungen nicht aus, oder existieren gar keine Duschräume. Für die Kinder gibt es nicht ausreichend Schulplätze. Nicht alle Bezirke sind bereit, Verantwortung für eine menschwürdige Unterbringung von Flüchtlingen zu übernehmen. Auch das haben Sie sich lange angesehen, ohne zu handeln. Gerade die Bezirke, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, konfrontieren Sie mit vollendeten Tatsachen, mit der Folge, dass die Bezirke kaum noch die Möglichkeit haben, eine entsprechende Infrastruktur zu schaffen, und Sie lassen diese Bezirke damit allein.
Herr Czaja! Sie können nicht einmal garantieren, dass die Flüchtlinge die Notunterkünfte nach kürzester Zeit verlassen können. Sie haben gar keine geeigneten Unterbringungsmöglichkeiten.
Das ist Ihnen offenbar alles egal. Sie ignorieren warnende Hinweise bezüglich des Umfelds ebenso wie die Forderungen nach menschenwürdiger Unterkunft. Sie beteiligen sich nicht mal an den anstehenden Bürgerversammlungen, die übrigens in der Regel sehr unschön sind. Es wäre nämlich Ihr Job, gegen die Vorurteile Flüchtlingen gegenüber vorzugehen. Auch da machen Sie nichts.
Stattdessen organisiert Ihre Partei Veranstaltungen, bei denen im Beisein der NPD über Flüchtlingsunterkünfte im Bezirk abgestimmt wird.
Wenn vorhin gesagt wurde, man wisse es nicht genau, empfehle ich Ihnen, einfach nachzufragen. Dann werden Sie Genaueres erfahren.
Nach der Veranstaltung der CDU in Rudow – wen wundert es – wurde die NPD auch gleich aktiv und hetzt seitdem gegen diese Unterkunft.
Auch Sie, meine Damen und Herren der CDU, haben im letzten Jahr den Konsens gegen Rechtsextremismus unterschrieben. Falls Sie es vergessen haben: Damit haben Sie die Diskussion mit Vertreterinnen und Vertretern von diskriminierenden Positionen genauso abgelehnt wie rassistische Zuschreibungen und das Austragen gesellschaftlicher Problemlagen auf dem Rücken von Minderheiten. Genau das passiert jetzt aus Ihren eigenen Reihen. Wer schweigt, stimmt zu.
Das passt übrigens alles zu der Neuauflage der alten Politik der CDU. Ihre Bundestagsfraktion der CDU und der CSU-Innenminister sprachen gestern im Bundestag – wenige Stunden, nachdem das Denkmal für die ermordeten Roma und Sinti eingeweiht wurde – von massivem Asylmissbrauch, besonders bei den Flüchtlingen aus Mazedonien und Serbien. Dabei handelt es sich in erster Linie um Roma, die vor Rassismus und Armut fliehen. Innenminister Friedrich – mein Kollege Taş hat vorhin schon darauf hingewiesen – fordert seit Neuestem auch die Kürzung der Leistungen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein Aufruf zum Verfassungsbruch. Einen schönen Innenminister haben Sie da gestellt!
Wir brauchen keine weiteren Verschlechterungen für Asylsuchende und Flüchtlinge. Wir brauchen eine Wende in der Asyl- und Flüchtlingspolitik. Der Marsch der vielen Flüchtlinge hat gezeigt, wie verzweifelt ihre Lage ist. Flüchtlinge müssen in diesem Land in Sammelunterkünften leben, und die Angst vor der Abschiebung ist immer dabei. Sie dürfen in der Regel nicht arbeiten, sie erhalten
nicht die notwendige medizinische Versorgung. Die Residenzpflicht verbietet ihnen, sich im Land frei zu bewegen. Sie haben kaum Möglichkeiten, an dieser Gesellschaft teilzuhaben. Dazu trägt das Asylbewerberleistungsgesetz besonders bei. 20 Jahre nach dem verheerenden Asylkompromiss wird es endlich Zeit, dass dieses Ausgrenzungs- und Diskriminierungsgesetz abgeschafft wird.
In diesem Sommer hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass Asylsuchende mit den Leistungen, die ihnen hier gewährt werden, keine menschenwürdige Existenz führen können und dass das Gesetz deshalb dem Grundgesetz widerspricht. Jetzt ist die Bundesregierung am Zuge. Mehrere Bundesländer fordern – wir finden, zu Recht – im Bundesrat die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Wir wollen, dass Berlin dabei ist. Flüchtlinge sollen in die bestehenden sozialen Sicherungssysteme aufgenommen werden, und es ist nur folgerichtig, dass dies jetzt von mehreren Ländern gefordert wird.
Würde das Asylbewerberleistungsgesetz abgeschafft werden, wäre das eine enorme Verbesserung für Flüchtlinge und für ihre Integration in diese Gesellschaft.
Meine Damen und Herren der Koalition! Ihnen liegt heute ein gemeinsamer Antrag der Oppositionsparteien vor, diese Bundesratsinitiative zu unterstützen. Wir alle tragen die Verantwortung dafür, dass Flüchtlinge die gleichen Rechte und Perspektiven in dem Land erhalten, in dem sie Schutz und Zuflucht gesucht haben. Stimmen Sie dem Antrag zu!
Danke, Frau Kollegin Breitenbach! – Für die Fraktion der SPD hat jetzt die Kollegin Radziwill das Wort. – Bitte schön, Frau Kollegin!
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Ich will meine Rede damit beginnen, dass wir der Leistung der Flüchtlinge, die einen Marsch quer durch die Republik gemacht haben, um uns auf die Situation und auf die Problematik von Flüchtlingen in unserer Gesellschaft und in Europa hinzuweisen, Anerkennung und Solidarität zollen.
Ich denke, dass wir die Lebensumstände, die Sorgen und Nöte von Menschen, die Schutz und Hilfe in unserer für viele reichen Gesellschaft suchen, ernst nehmen und Hilfestellung leisten sollten. Dafür sind unsere Gesetze gut aufgestellt.
Heute liegt ein Antrag vor, der von drei Oppositionsfraktionen unterschrieben wurde und versucht, aus dem, was das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, eine gemeinsame Bundesratsinitiative zu machen. Wir sollen uns entscheiden, das Asylbewerberleistungsgesetz in der jetzigen Form abzuschaffen. Den Antrag haben Sie uns heute kurzfristig vorgelegt. Die Koalition wird ihn ernsthaft beraten, aber eine Sofortabstimmung heute nicht mitmachen. Ich will auch erklären, warum.
Wenn das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung, die es in diesem Jahr getroffen hat, vor einem oder zwei Jahren getroffen hätte, unter einer anderen Konstellation, unter Rot-Rot oder anders, hätte wir diese Diskussion in der Form nicht gehabt. Aber in der jetzigen Konstellation müssen wir koalitionsintern noch einige Sachen beraten.
Wir werden das sehr ernsthaft machen. Es tut gut, sich in der jetzigen Beratung vor Augen zu führen, was genau das Bundesverfassungsgericht entschieden hat. Ich habe mir aus dem Internet die Leitsätze zum Urteil ausgedruckt. Ich will sie Ihnen kurz vorlesen, damit alle den gleichen Kenntnisstand haben und wir gut in die Beratung einsteigen können. Es wird dort festgehalten, erstens, dass Artikel 1 Abs. 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Artikels 20 Abs. 1 des Grundgesetzes ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums garantiert. Es wird festgehalten, Artikel 1 Abs. 1 des Grundgesetzes begründet diesen Anspruch als Menschenrecht, er umfasst sowohl die psychische Existenz des Menschen als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen
und ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. Das Grundrecht steht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu. Der dritte Punkt: Falls der Gesetzgeber bei Festlegung des menschenwürdigen Existenzminimums die Besonderheiten bestimmter Personengruppen berücksichtigen will, darf er bei der konkreten Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen nicht pauschal nach dem Aufenthaltsstatus differenzieren. Eine Differenzierung ist nur möglich, sofern deren Bedarf an existenznotwendigen Leistungen von dem anderer Bedürftiger signifikant abweicht und dies folgerichtig in einem inhaltlich transparenten Verfahren anhand des tatsächlichen Bedarfs gerade dieser Gruppen belegt werden kann.
Hier ist ganz eindeutig die Bundesebene gefragt und gefordert, diese, wie ich finde, richtige und wichtige Entscheidung umzusetzen. Wir als Land Berlin werden von unserer Ebene her aus meiner Sicht auch richtig die Unterstützung bieten, aber wir müssen noch koalitionsintern beraten, was das denn in der Folge bedeuten könnte. Für mich persönlich als sozialpolitische Sprecherin heißt das, dass wir die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes machen können, weil das Bundesverfassungsgericht das eindeutig sagt, aber es bedarf eben noch mal einiger Überzeugungsarbeit. Ich habe dafür viel Sympathie. Ich habe viele in der SPD und auch in der Fraktion, die dafür sehr viel Sympathie haben. Beratung und Überzeugungsarbeit sind dort sinnvoll.
Wir müssen aber auch, wenn wir das machen, bewerten, was es bedeutet. Wir müssen dafür sorgen, dass die Asylverfahren beschleunigt werden. Wir müssen auch dafür sorgen, dass der Zugang zum Arbeitsmarkt für die Menschen gesichert ist. Wir müssen dafür sorgen, dass Integrationsangebote viel früher angeboten werden. Wir müssen dafür sorgen, dass auch ein Spracherwerb viel früher angeboten werden kann, denn falls der Aufenthaltsstatus dann ermöglicht wird, ist die Unterstützung einer frühen Integration sinnvoll.
Der Kollege Reinhardt kann gerne fragen, aber ich wollte eigentlich noch etwas ausführen. Kann der Kollege Reinhardt warten?
Vielen Dank, Frau Kollegin Radziwill! – Ich freue mich sehr, dass Sie schon in die Richtung gehen, dass Sie sagen, Sie können sich eine Unterstützung der Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes vorstellen.
Die Frage ist: Sind Sie sich bewusst, dass, wenn Ihre Überzeugungsarbeit zu lange dauert, es unter Umständen nicht zu einer Überzeugung bis zur Bundesratssitzung kommt, sich Berlin damit eventuell enthält und daran eventuell der Antrag im Bundesrat scheitern könnte?
Es steht uns ja frei, wenn die Beratungen abgeschlossen sind, auch eine eigene Bundesratsinitiative auf den Weg zu bringen. Auch die Bundesregierung ist hier gefordert, schnellstens zu handeln. Hier sind mehrere Ebenen gefragt.
Diese Sorge habe ich nicht. Ich möchte ganz gerne, dass wir den Menschen entsprechend gute, sinnvolle Hilfeleistung anbieten.
Es wurde hier noch mal erwähnt, dass der Senat nicht gehandelt habe. Ich möchte versuchen, das ein bisschen zu widerlegen, denn gerade der Regierende Bürgermeister hat sich auch ganz massiv dafür eingesetzt, dass wir die Situation für die Menschen, die bei uns Asyl suchen, verbessern und eine menschenwürdige Unterbringung ermöglichen. In den letzten Tagen hat der Senat einiges an Anstrengungen unternommen und hier zum Teil Notunterkünfte eingerichtet, aber auch massiv die Forderung an die Wohnungsbaugesellschaften gestellt, Wohnungen zur Verfügung zu stellen.