Protokoll der Sitzung vom 08.11.2012

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! – Danke für diesen guten Zwischenruf, Herr Kollege! Ich habe vorhin auch einen Zwischenruf gemacht. Ich habe, als der Kollege Langenbrinck geredet hat, dazwischengerufen und gefragt: Welches Parteibuch hast du?

[Heiterkeit bei den GRÜNEN]

Er hat gesagt: SPD. Ich habe mich gefragt: Wie kopflos ist die SPD inzwischen, dass jeder hierher kommen kann und im Namen der SPD so einen Quatsch verbreiten darf?

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Es ist unglaublich! Das, was ich gehört habe, haut mich vom Hocker. Ich bin seit zwölf Jahren Mitglied dieses Hauses,

[Daniel Buchholz (SPD): Viel zu lange!]

aber einen SPD-Abgeordneten solche Maßnahmen fordern zu hören, Law and Order bis zum Geht-nicht-mehr, am besten gleich nach der ersten Fehlstunde in den Knast, also das haut mich um.

[Beifall bei den GRÜNEN – Wolfgang Brauer (LINKE): Das traut sich noch nicht einmal die CDU!]

Ich gucke in Richtung Senatorin und in Richtung des Staatssekretärs, der aus Kreuzberg kommt, und frage: Ist das die SPD, von der auch Sie reden? – Ich habe meine Zweifel. Ich habe meine Zweifel aus ganz einfachen Gründen. Der Kollege Langenbrinck hat mehrere Fragen aneinander gereiht, ganz ohne Begründung. Als ich sie las, dachte ich: Na ja, vielleicht kommt ja etwas bei der Debatte. Ich habe aber konkrete Maßnahmen, Ideen und Vorschläge vermisst. Außer eines: Denjenigen, die nicht in die Schule gehen, die fünf Tage Schule schwänzen, kommen wir am besten gleich mit der Polizei und dem Jugendgericht. Leute, wo leben wir?

Ihre Anfrage, lieber Kollege Langenbrinck, vom Sommer dieses Jahres, die zu meiner Überraschung sehr ausführlich von der Senatsverwaltung beantwortet worden ist, ganz akribisch – wie viele Kinder in welchen Bezirken der Schule fern bleiben –, hat eines gezeigt: dass der Bezirk Neukölln, aus dem auch Sie kommen, dreimal so viele Schulschwänzer oder schuldistanzierte Kinder hat wie die anderen Bezirke. Ihr Law-and-Order-Mann, das HB-Männchen Buschkowsky, hat in Neukölln alle möglichen Register gezogen – Polizei nach Hause geschickt,

Bußgelder verhängt –, und trotzdem haben Sie dreimal mehr schuldistanzierte Kinder als zum Beispiel der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg,

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN – Benedikt Lux (GRÜNE): Hört, hört!]

wo nicht gleich die Polizei nach Hause geht. All diese Dinge müssten Ihnen doch zu denken geben. All diese Dinge müssten Sie darüber nachdenken lassen, weshalb diese Maßnahmen nicht greifen. Ich kann Ihnen das sagen, es ist ganz einfach: Mit solchen Maßnahmen kriegen Sie die Eltern nicht. Mit solchen Maßnahmen beeindrucken Sie auch die Schüler nicht. Die denken: Okay, dann werde ich eben mit der Polizei zur Schule gebracht – und nach drei Wochen ist es das gleiche Problem.

Nein, die Senatorin hat recht: Wir brauchen Prävention. Wir brauchen Prävention vor Ort, die auch tatsächlich den Namen Prävention verdient, und nicht nur irgendwelche Allgemeinplätze, die ich bisher gehört habe. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, warum die Kinder nicht zur Schule gehen. Das hat natürlich etwas mit den Eltern zu tun. Ich bin da ganz bei Ihnen, Frau Senatorin. Die Eltern haben die Verantwortung. Die Eltern haben die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass ihre Kinder eine gute Bildung bekommen und dass sie auch jeden Morgen um 8 Uhr in der Schule sind.

Aber was ist denn, wenn diese Eltern ihrer Verantwortung nicht nachkommen? Stecken wir sie in den Knast?

[Christopher Lauer (PIRATEN): Genau! – Weitere Zurufe]

Verhängen wir Bußgelder, die die Eltern überhaupt nicht bezahlen können, weil sie in den meistens Fällen HartzIV-Empfänger sind.

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Jemand, der eine leere Tasche hat, den kann man doch nichts mehr aus der Tasche nehmen. Mit solchen Maßnahmen werden Sie die Eltern nicht beeindrucken. Ich bin auch der Auffassung, dass eine SMS, die ein Vater oder eine Mutter jeden Morgen kriegt: Ihr Kind ist nicht in der Schule – einem Elternteil, dem die Bildung des Kindes egal ist, egal sein wird. Damit bekommen Sie auch kein mehr Kind in die Schule.

Ich sagen Ihnen: Prävention ist das richtige Stichwort,

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

aber Prävention bedeutet erstens mehr Personal, mehr Sozialarbeiter, mehr Schulpsychologen, mehr Familienhelfer, die auch in die Familien gehen, zum Beispiel auch muttersprachliche Familienhelfer und muttersprachliche Schulsozialarbeiter, die einen leichteren Zugang zu den Eltern haben. Aber all das haben Sie nicht getan.

[Zuruf von Joschka Langenbrinck (SPD)]

Kollege Langenbrinck! Sie sind erst seit, glaube ich, einem Jahr Mitglied in diesem Haus. Weil ich seit 12 Jahren hier bin, weiß ich, dass in diesem Bundesland seit 1995 – und ich wiederhole: seit 1995 – SPD-Bildungssenatorinnen und -senatoren dieses Amt bekleiden. Wer hat sie denn daran gehindert, diese Maßnahmen zu ergreifen, mehr Schulsozialarbeit zu betreiben, mehr Schulsozialpädagogen, mehr Sozialarbeiter, mehr Schulpsychologen einzustellen?

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Wer hat Sie denn dabei gebremst?

[Christopher Lauer (PIRATEN): Die PDS! – Benedikt Lux (GRÜNE): Der Flughafen!]

Die „bösen“ Linken werden gleich reden. – Aber ich glaube, das Problem liegt nicht bei den Linken, sondern es liegt bei Ihnen, und es ist in Ihrem Kopf.

[Beifall und Heiterkeit bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Ich denke, es tut auch not, das Klima vor Ort zu verändern. Schulen und Bildungseinrichtungen müssen wieder zu Orten werden, wo man gern hingeht. Wenn in Schulen – bei Sanitäranlagen angefangen und bei der Kantine höre ich auf – desolate Zustände vorherrschen und auch noch den Elternhäuser schnuppe ist, ob das Kind etwas lernt, dann gehen diese Kinder ungern zu solchen Orten. Schulen müssen attraktiv gemacht werden, auch von der Gestaltung her. Der Raum, heißt es, ist der vierte Pädagoge. Vielleicht wissen Sie das nicht, aber ich sage es Ihnen hier.

Tun Sie mal etwas dafür, dass sich vor Ort etwas ändert, dass die Schülerinnen und Schüler auch gern in die Bildungseinrichtung gehen, weil sie wissen, dass sie dort eine personelle und materielle wie auch räumliche Ausstattung vorfinden, bei der ihnen das Lernen Spaß macht. Lernen heißt: Es muss eine Umgebung existieren, die auch lernfördernd ist. Lernen muss Spaß machen! Wenn Sie mit solchen Law-and-Order-Maßnahmen kommen, sage ich Ihnen: Es wird sich nichts verändern, und das ist genau unser Problem. Da müssen wir ansetzen, und da müssen wir uns auch fragen, ob Ihnen tatsächlich etwas an der Bildung liegt.

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Sie haben über Nacht 444 Millionen Euro zusätzlich im Rahmen eines Nachtragshaushaltes für den Flughafen BER aus dem Hut gezaubert. Aber wenn wir über Unterrichtsausfall reden, wenn wir über zusätzliches Lehrpersonal reden, wenn wir sagen, dass an Schulen in sozial benachteiligten Gebieten – dazu zählt auch Neukölln – kleinere Lerngruppen eingerichtet werden sollen, dass dort mehr Personal eingestellt wird, dann haben Sie dafür kein Geld. Genau das ist unser Problem, Kollege Langenbrinck.

Ich kann Ihnen sagen: Wenn Sie ernsthaft an diesem Thema dran sind, dann setzen Sie genau dort an. Sorgen Sie das nächste Mal bei den Haushaltsberatungen mit uns gemeinsam dafür – da vergessen wir mal das Spielchen von Opposition und Regierung –, dass es genug Mittel für die Schulsozialarbeit gibt, dass die Schulen endlich zu Orten werden, wo das Lernen befördert wird und wo Schülerinnen und Schüler gern hingehen. Wenn es dann nicht klappt, können wir gern weiter reden, warum es nicht klappt. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Für eine Kurzintervention hat der Kollege Oberg das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Mutlu! Wenn Sie der SPD vorwerfen oder versuchen, uns damit zu treffen, dass wir in Richtung Law and Order abgedriftet seien, kann ich Sie beruhigen: Wir haben mit Law and Order kein Problem. Law and Order heißen Recht und Ordnung, und ja, die Sozialdemokratie bekennt sich seit 150 Jahren dazu, eine Rechtsstaatspartei zu sein.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Mit Recht haben wir kein Problem.

Order heißt Ordnung. Ja, auch mit Ordnung haben wir kein Problem. Wir haben ein dezidiert ordnungspolitisches Profil, und das seit 150 Jahren – nichts, für das wir uns schämen müssten, und nichts, das wir uns vorwerfen lassen müssten.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Herr Mutlu! Jetzt haben Sie gerade eine sehr gute Frage gestellt. Sie haben nämlich gefragt: Wo liegt das Problem? – und Sie haben die Antwort gegeben: im Kopf!

[Özcan Mutlu (GRÜNE): Bei Ihnen!]

Ich bedauere es sehr, dass wir bei dieser Diskussion gerade von Ihnen den Nachweis geführt bekommen haben, dass man sich selbst eine Gedankenbremse auferlegen kann. Denn es ist ja richtig, was Sie zum Thema Prävention sagen. Da haben Sie genau das Gleiche gesagt wie Herr Langenbrinck. Da haben Sie das Gleiche gesagt wie Frau Scheeres und auch das Gleiche gesagt, was ich zu Beginn gesagt habe.

Nur was machen wir eigentlich mit den vielen Hundert Kindern, bei denen die Prävention nicht gewirkt hat? Was machen wir mit den Kindern, die den Bezug zur Schule verloren haben?

[Özcan Mutlu (GRÜNE): Diese Frage sollten Sie beantworten!]

Darauf müssen wir eine Antwort geben.

[Özcan Mutlu (GRÜNE): Ja! Antworten Sie mal!]

Herr Langenbrinck hat versucht, darauf eine Antwort zu finden. Der Senatorin hat eine sehr klare Antwort darauf gegeben. Ihre Antwort darauf war: Das ist Law and Order. Das ist igitt. Das ist pfui. – Herr Mutlu! Sie versündigen sich an diesen Kindern.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Lachen bei den GRÜNEN]

Sie geben diese Kinder auf. Sie stellen sich hier hin und sagen: Es geht um Prävention und um nichts anderes.