Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr gehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher! Wir sprechen heute über die Situation im Abschiebegewahrsam Köpenick. Die Piratenfraktion war kürzlich vor Ort und hat sich dort umgeschaut. Wir haben ein nicht gerade buntes Bild vorgefunden. Das Bild war geprägt von hohen Mauern und Stacheldraht rundum – nicht ein Flecken Grün. Kurz: ein ehemaliger DDR-Frauenknast, der sich auch stark nach Knast anfühlt.
Die maximale Dauer der Abschiebehaft in Berlin beträgt laut Gesetz 18 Monate. Das sind Tage und Wochen der Untätigkeit und der Ungewissheit.
Wir haben hier im Haus schon über Alternativen zum Abschiebegewahrsam geredet. Wir hatten deutlich gemacht, dass wir für die Streichung des entsprechenden Paragraphen im Aufenthaltsgesetz über den Bundesrat und für die ersatzlose Schließung des Abschiebegewahrsams in Grünau in Köpenick sind. Sie, die Koalition, haben dieses vehement abgelehnt.
Damit tragen Sie auch die Verantwortung für die Folgen. Die Menschen im Abschiebknast sind sozial isoliert von Freunden und Verwandten. Wie belastend diese Situation für die Menschen ist, zeigt sich auch an der Zahl der Verzweiflungstaten. Von 2008 bis 2012 beging – nur im Abschiebegewahrsam, ich rede jetzt nicht über andere Lokationen in Berlin – ein Flüchtling Suizid, zehn weite
re versuchten, sich selbst zu töten, und 23 verletzten sich selbst. Diese Isolation gilt es zu durchbrechen.
Mit unserem Antrag für einen Internetzugang wollen wir die belastende Situation im Abschiebeknast ein wenig abmildern. Solange Sie die Abschaffung der Abschiebehaft verhindern, werden wir die Verbesserung der Haftbedingungen im Abschiebknast weiterhin anmahnen. Das beinhaltet zum einen, dass die Menschen dort sich nicht fühlen wie in einem Gefängnis. Die Situation muss sich deutlich unterscheiden. Es beinhaltet, dass Menschen nach außen Kontakt aufnehmen können und Zugang zu Informationen haben. Kommunikation ist ein Menschenrecht, und das auch im Knast.
Internetzugang ist wichtig, um Kontakt mit Anwälten aufnehmen zu können. Internetzugang ist wichtig, um Freunde und Familie im Herkunftsland kontaktieren zu können und um sich weitere Informationen zu besorgen. Der Bundesgerichtshof hat kürzlich das Recht auf Internet auch im Privaten grundsätzlich anerkannt.
Diese Informationsbeschaffungsmöglichkeit besteht für die Inhaftierten in der Form momentan nicht. Sie haben dort zwar Satellitenfernsehen, sogar internationales, aber alles nur auf Deutsch. Viele verstehen kein Deutsch, können also das Satellitenfernsehen, das ihnen in Köpenick zur Verfügung gestellt wird – ich hoffe, Herr Henkel, Sie hören zu – leider nicht nutzen. Wir fordern deswegen das Recht auf Zugang zu Informationen, also dass dort zum Beispiel internetfähige Handys zugelassen, aber auch aktiv Computer bereitgestellt werden für diejenigen, die vielleicht kein Handy dabeihaben.
Ich habe Ihnen auch eine kleine Kostenkalkulation mitgebracht – das können Sie gleich aufschreiben, dann wissen Sie schon für die Haushaltsverhandlungen Bescheid –: Eine Internetleitung kostet im Monat ungefähr 9,99 Euro – gutes Angebot –, Kosten für Computer betragen im Land Berlin im Mittelwert der verschiedenen Bezirke 1 500 Euro pro Jahr. Drei Computer sind, glaube ich, angemessen, das wären 4 500 Euro pro Jahr, das können wir auf 5 000 Euro aufrunden. Ich setze das mal ins Verhältnis zu den Gesamtkosten für den Abschiebeknast in Köpenick: 12 Millionen Euro pro Jahr. Ich denke, Sie können sich da überlegen, das ist machbar.
Die Menschen im Abschiebegewahrsam Köpenick sitzen dort, weil sie Schutz vor Verfolgung und Diskriminierung gesucht haben, den sie hier aber nicht bekommen. Die Menschen, die dort sitzen, haben kein Verbrechen begangen, sie sind nicht zu Strafe und Sühne verurteilt worden. Sie sind mit in der Verantwortung, dass sie dort auch nicht wie in einem Knast behandelt werden. Sie müssen dafür sorgen, dass Selbstverständlichkeiten der Kommunikation auch selbstverständlich genutzt werden können. Internet im Abschiebegewahrsam ist kein Teufelszeug
und keine Gefahr, es ist eine Chance, und es sollte auch als Selbstverständlichkeit dort nutzbar sein. – Danke schön!
Vielen Dank, Herr Reinhardt! – Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort der Abgeordnete Herr Oberg. – Bitte sehr!
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Unsere Gesellschaft tut sich mit einer Einrichtung wie dem Abschiebegewahrsam schwer, und ich denke, wir tun uns zu Recht schwer mit einer Einrichtung, in der Menschen die Freiheit entzogen wird, die keine Straftäter sind. Es sind Menschen, die dort eingesperrt werden, die unter schwersten Umständen eine unendlich schwere Lebensentscheidung getroffen haben. Sie haben ihre Heimat verlassen, um in Deutschland um Schutz und Hilfe zu bitten. Diese Menschen verdienen unseren Respekt, unsere Solidarität und vor allem einen würdevollen Umgang, gerade auch dann, wenn wir ihr Schutzbedürfnis nicht anerkennen. Ich finde es darum richtig, dass sich unsere Gesellschaft und auch dieses Haus immer wieder aufs Neue fragen: Brauchen wir so etwas wie einen Abschiebegewahrsam wirklich, und wenn ja, wie können wir diesen Abschiebegewahrsam möglichst human ausgestalten?
Unser erstes Ziel bleibt, solange es einen Gewahrsam gibt, dass dieses Instrument möglichst selten eingesetzt wird, also nur dort, wo es wirklich zwingend ist. Die Schlagzeilen, die der Abschiebegewahrsam Ende letzten Jahres gemacht hat, zeigen, dass wir da auf einem guten Weg sind und dass sehr sensibel mit dem Abschiebegewahrsam umgegangen wird. Damals konnte man in der Zeitung lesen, dass sehr viele Beamte des Landes Berlin dann doch recht wenige in Gewahrsam Genommene bewachen.
Unser zweites Ziel ist, dass die betroffenen Menschen nur möglichst kurz im Gewahrsam sind und dass die 18 Monate, von denen der Kollege Reinhardt sprach, selbstverständlich nicht erreicht werden, sondern der Gewahrsam nur dafür genutzt wird, den Verwaltungsakt der Abschiebung, der Rückführung – wie immer man das auch nennen möchte – umzusetzen.
Für diejenigen aber, die dennoch im Gewahrsam einsitzen, stellt sich die Frage der Bedingungen ganz selbstverständlich. Die mit dem Antrag aufgeworfene Frage der Kommunikation und Information besitzt da zweifellos eine große Relevanz. Mit Angehörigen und Freunden Kontakt zu halten, um sich über die Entwicklungen in der
Welt auf dem Laufenden zu halten, insbesondere auch über die Entwicklungen im Heimatland, also dem Land, in das man abgeschoben wird, ist ein selbstverständliches, elementares Bedürfnis. Der Zugang zum Internet – da hat der Antrag recht – ist ein zentrales Instrument, um diesem Bedürfnis gerecht zu werden. Deshalb sollte dieses Haus auch sehr ernsthaft diskutieren, ob so etwas möglich ist.
Dabei stellen sich allerdings etliche Fragen, die der Antrag nicht beantwortet. Die erste Frage ist eine Frage, die sich gar nicht so sehr an den Antrag, sondern an die bisherige Praxis richtet. Die Frage ist: Kann ein Abschiebegewahrsam tatsächlich mit einer JVA gleichgesetzt und der Internetzugang darum pauschal abgelehnt werden? – Ich erinnere daran: Die Menschen, die dort im Gewahrsam sitzen, sind keine verurteilten Straftäter, sondern Menschen, die zurückgeführt werden und in einer schwierigen Lebenslage sind.
Die zweite Frage ist: Welche Risiken entstehen für die Aufrechterhaltung des Gewahrsams tatsächlich, wenn ein Internetzugang gewährt werden soll? Diese Frage ist bislang nicht ausreichend diskutiert worden. Es sind Zweifel angebracht, dass die Aufrechterhaltung dort in Gefahr ist, aber man sollte es doch noch einmal ausführlich diskutieren.
Die dritte Frage ist: Wenn der Internetzugang nun nicht grundsätzlich untersagt wird, ist es dann angemessen, wenn jedem im Gewahrsam ein freier Zugang garantiert wird? Das ist das, was der Antrag fordert: freier Zugang über Telefon und Computer – garantiert für jeden. Eine solche Garantie, liebe Kollegen, können Sie nur aussprechen, wenn Sie jedem im Gewahrsam ein entsprechendes Gerät, also ein Handy oder ein Tablet oder Ähnliches, inklusive der dazu gehörigen, dann wahrscheinlich Mobilfunkanschlüsse zur Verfügung stellen.
Ich bin mir nicht sicher, ob das angemessen ist, und ich bin mir auch nicht sicher, ob das verhältnismäßig ist.
Herr Kollege Oberg! Weil Sie gerade sagten, man könne die Möglichkeit, das Internet zu nutzen, nur garantieren, wenn jeder ein eigenes Telefon oder ein Tablet hat: Stimmen Sie mir zu, dass, wenn die Türen offen sind bzw. die Gefangenen auch raus können aus den Zellen und man zentrale Orte schafft, wo man Computer bereitstellt, die Gefangenen dann diese auch nutzen können?
Ich stimme Ihnen zu, und zu dem Punkt wäre ich auch gleich gekommen. Nur: Ihr Antrag formuliert eine Forderung, nämlich garantierten freien Zugang für jeden via Mobiltelefon und Computer. Das ist eine Forderung, die Sie da formulieren, die Sie eben nicht mit stationären Rechnern – drei, vier, fünf – an verschiedenen Orten innerhalb des Gewahrsams sicherstellen können, sondern nur über einzelne Geräte.
Die Frage, die sich anschließt, ist, ob es eine Option sein könnte, dass private Geräte genutzt werden oder dass es, um auch einen Ausgleich zwischen dem Informationsbedürfnis der in Gewahrsam Genommenen und dem Schutzinteresse der Einrichtung, dann zur Verfügung gestellte Rechner gibt, die in der Nutzung eingeschränkt sind, das heißt, dass gewisse Seiten auch nicht aufgerufen werden können.
Insgesamt sind alle diese Fragen offen, und die Angelegenheit eignet sich nicht für eine schnelle Antwort. Uns ist das Thema aber zu wichtig, um hier einfach nein zu sagen zu diesem Antrag. Der Antrag ist aber auch zu pauschal, um der Sache gerecht zu werden, und in der vorliegenden Form können wir ihn nicht unterstützen.
Die Menschen im Gewahrsam haben es verdient, dass wir uns die Mühe machen, die Frage eines Internetzugangs detailliert zu diskutieren und eine angemessene, verhältnismäßige und vor allem humane Lösung dafür zu finden. Ich hoffe, dass das in der Beratung hier im Haus gelingen wird. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Herr Oberg! – Das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Abgeordnete Frau Bayram. – Bitte sehr!
Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Meine Damen und Herren! Es ist schon interessant, wie viel Zeit und Energie der Kollege von der SPD darauf verwandt hat, sich Sorgen darüber zu machen, ob die Menschen, die in dem Abschiebegewahrsam im Grünauer Weg in Köpenick
untergebracht sind, sozusagen vernünftig oder so mit einem Internetzugang umgehen, dass die weitaus überlegene Anzahl der Polizeibeamten und anderer Vollzugsbeamter das nicht aus dem Blick verliert.
Das war das, was Sie hier lange ausgeführt haben: Welche Sicherheitsrisiken es gibt und wie das genau ausgestaltet sein müsste und was da überhaupt garantiert werden könnte. – Wer schon mal in diesem Abschiebegefängnis war, der muss sich meines Erachtens ganz andere Gedanken machen.
Jedes Mal, wenn ich da bin, schäme ich mich dafür, dass dort Menschen ihrer Freiheit beraubt werden ohne jeden vernünftigen Grund, denn – das muss man hier deutlich sagen – Flucht ist kein Verbrechen. Auch Flüchtlinge haben ein Recht auf Freiheit,
und dieses Rechtes werden sie dort beraubt. Dass das so bleibt, dafür hat diese Koalition neulich im Innenausschuss wieder gesorgt, indem sie unsere Bundesratsinitiative, den entscheidenden Paragrafen im Aufenthaltsgesetz, der Abschiebehaft vorsieht, abzuschaffen, nicht unterstützt hat. Herr Oberg! Das wäre mal was, wofür Sie hier eine Brandrede halten könnten, das habe ich in Ihrer Rede vermisst!
Und dann zu sagen, das ist eine Ausweisung, die muss dann eben vollstreckt werden, und zum Glück werden es weniger im Abschiebegefängnis, das finde ich auch schade. Das sind alles einzelne Schicksale, das sind oft traumatisierte Menschen. Herr Reinhardt hat das dargestellt, das sind Menschen, die dort Suizidversuche unternehmen. Was Herr Reinhardt nicht dargestellt hat, ist, dass es da auch mehrfach Hungerstreiks gab, weil die Menschen so verzweifelt sind, weil es nicht nur darum geht, dass es unerträglich ist, in diesem schrecklichen Knast zu sitzen, sondern es auch unerträglich ist, weil die Justiz oder die Behörden vielleicht nicht die richtigen Entscheidungen getroffen haben, oder es unerträglich ist, in ein Land zu müssen, in dem Gefahr für Leib und Leben besteht.
Und wenn dann gesagt wird, die längste Zeit, die die Abschiebehaft verhängt werden kann, wird nicht ausgeschöpft, dann, finde ich, sollte sich das jeder in diesem Rechtsstaat vor Ort wirklich mal anschauen, sollte sich genau anschauen, was Haftbedingungen eigentlich bedeuten. Jeder sollte sich so ein Gefängnis mal anschauen. Das ist ein Gefängnis. Da reicht es auch nicht, hier immer
wieder zu sagen, es gebe spezielle Gesetze, das ist ein Polizeigewahrsam. Nein, meine Damen und Herren! In der DDR waren Frauen in diesem Knast untergebracht, und heute werden Flüchtlinge in diesem Knast untergebracht. Die Tradition, den Menschen die Freiheit zu entziehen, besteht fort. Ohne jeglichen nachvollziehbaren Grund werden Menschen eingesperrt, weil sie geflohen sind vor falschen, vor schlechten Umständen. Deswegen wurden seinerzeit in diesem DDR-Frauengefängnis Menschen untergebracht, und heute werden Menschen aus aller Herren Länder dort untergebracht, weil sie sich mit ihrem Schicksal nicht abgefunden haben, weil sie für bessere Lebensbedingungen geflüchtet sind. Deswegen gehört dieser Knast komplett abgeschafft!