Die Fraktion der CDU, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die Fraktion Die Linke und die Piratenfraktion bitten um Überweisung der Verordnung lfd. Nr. 2 – VONr. 17/078 – Dritte Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Aufnahme in Schulen besonderer pädagogischer Prägung in den Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie. – Von der weiteren Verordnung wird hiermit Kenntnis genommen.
Tagesordnungspunkt 16 war die Priorität der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unter Tagesordnungspunkt 4.2. Tagesordnungspunkt 17 war Priorität der Fraktion Die Linke unter Tagesordnungspunkt 4.3. Tagesordnungspunkt 18 steht auf der Konsensliste.
Jugenderwerbslosigkeit bekämpfen – Fachkräfte sichern I: Einrichtung einer Jugendberufsagentur in Berlin
Für die Beratung steht den Fraktionen eine Redezeit von jeweils bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. – Frau Kollegin Remlinger, bitte schön, Sie haben das Wort!
Werter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es passt ganz gut, dass ich zu dieser abendlichen Stunde zu Ihnen sprechen darf, denn ich möchte bekennen, es ist ein Traum über den ich mit Ihnen reden möchte. Es ist ein Traum, und ich füge hinzu: Es ist ein realistischer
Traum. Es ist sogar ein finanzierbarer Traum, wie ich glaube. Vor allem aber ist es auf jeden Fall ein notwendiger. Er ist notwendig angesichts von rund 22 000 arbeitslosen Jugendlichen und jungen Erwachsenen unter 25 Jahren. Er ist notwendig angesichts weiterer mindestens 15 000 Jugendlichen irgendwo im Nirgendwo zwischen Schule, Ausbildung und Beruf oder auch in Maßnahmen und Warteschleifen. Wir sind als Fraktion der Meinung: Das ist nicht länger hinnehmbar, und da müssen wir etwas tun.
Wir wollen diesen Vorstoß wagen, weil der Senat, obwohl er die Zahlen kennt, sich bisher leider nicht substanziell kümmert. Niemand fühlt sich wirklich dafür zuständig. Ich darf gleich dazu sagen, dass ich ehrlich gespannt gewesen bin, wer mit mir darüber heute diskutiert. Als es hieß, die Senatorin komme, habe ich eigentlich mit Frau Scheeres gerechnet, denn dort müsste aus unserer Sicht die Federführung liegen. Wie auch immer. Wer sich dessen annimmt, wer das zu seinem Projekt macht, sei mir herzlich willkommen. Hier ist ein soziales Sprengstoff vorhanden, der nicht länger hinnehmbar ist. Deshalb fordern wir als Bündnis 90/Die Grünen: Machen wir den Fachkräftemangel in Berlin zur Chance für Jugendliche, nutzen wir ihn und sagen konsequent der Jugenderwerbslosigkeit den Kampf an!
Ich sage das nicht einfach so dahin. Mit sind die Probleme bewusst, sie sind komplex. Gerade deshalb reicht aber keine plakative Symbolpolitik. Gerade deshalb ist es wichtig zu erkennen, dass wir jetzt, wo sich die Situation auf dem Ausbildungsmarkt dreht, wo tatsächlich theoretisch ausreichend Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen, jetzt, wo die Unternehmen die Bereitschaft zeigen, mit anzupacken, weil sie wissen, dass sie sich um Nachwuchssicherung Sorgen machen müssen, jetzt ist der richtige Zeitpunkt um zu sagen, dass wir frühzeitig im System ansetzen, dass wir endlich die überfällige Reform des Übergangsystems angehen. Dazu brauchen wir eine Idee, dazu brauchen wir einen Leitgedanken, anhand dessen wir das durchdefinieren. Deshalb dürfen die Sprüche „Jeder Jugendliche wird gebraucht“ und „Wir lassen keinen zurück“ kein leeres Motto sein.
[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN – Beifall von Alexander Spies (PIRATEN)]
Es ist ein ausgesprochen folgenreicher Anspruch zu sagen, wir lassen niemand zurück, wir brauchen jeden, denn das heißt, es fällt auch niemand mehr aus der Statistik. Genau da setzt unser Vorschlag zur Einrichtung einer Jugendberufsagentur an. Jugendberufsagentur ist Hilfe aus einer Hand und setzt direkt an der Schnittstelle zur Schule an und sagt: Sobald wir merken, dass Jugendliche Probleme haben, in eine Ausbildung oder in ein Studium zu kommen, setzt das Team der Jugendberufsagentur an
und organisiert eine Hilfe aus einer Hand im Sinne von ob es nun eigentlich ein Problem ist, das im schulischen Bereich liegt oder eher in der Familie oder vielleicht auch mit einer Suchtproblematik verbunden ist. Schauen wir uns den Fall komplex an, und der oder die Jugendliche kriegt die Hilfe aus einer Hand, die er oder sie braucht. Ich glaube, das ist eine gute Vision.
Wir sind als Grüne hoch gespannt, wer sich dieses Projekt anzieht. Denn, werte Senatoren, das Projekt, eine strukturelle Reform des Übergangssystems zu machen zur Vermeidung von Jugenderwerbslosigkeit braucht, eine ganze Menge politischer Durchsetzungskraft, es braucht einen enormen politischen Willen, es braucht eine Offenheit für strukturelle Reformen und auch Investitionswillen. Und ich darf sagen, deshalb bin ich froh, dass wichtige Akteure in der Stadt bereitstehen. Sie haben in den letzten Tagen die Äußerungen der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg vernehmen können. Sie haben die Äußerungen des Unternehmerverbands vernehmen können. Und ich sage, das sind nicht die Einzigen, die dieses Anliegen unterstützen würden, und dennoch müsste man eine ganze Menge klären, eine ganze Menge streiten. Deshalb brauchen wir das, was bis jetzt komplett fehlt: den politischen Steuerungswillen und die Idee, wie man das angeht, wie man diese institutionellen Logiken der Akteure brechen kann im positivsten Sinne.
Auf jeden Fall! – Es ist viel der Hoffnung, wenn ich sage, dass die Berliner Politik sich dieses Projekts annehmen möge. Aber ich glaube, dass Hoffnung sehr gut zu einem Traum passt. Und ich wünsche mir, dass Sie sich diesen Traum mit nach Hause nehmen, dass Sie eine Runde darüber schlafen, ob wir uns zu so einem Projekt parteiübergreifend vereinbaren könnten. Ich hoffe auf eine konstruktive und ernsthafte Diskussion im Ausschuss. Ich glaube, das wäre ein guter Anfang. – Ich danke Ihnen ganz herzlich fürs Zuhören!
Vielen Dank, Frau Kollegin! – Für die SPD-Fraktion hat Frau Kollegin Becker das Wort. – Bitte schön!
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Remlinger! Liebe Frau Bangert! Uns liegt ein typischer Oppositionsantrag vor. Gut gebrüllt, Löwinnen!, doch leider nur heiße Luft. Ihr Vorschlag klingt logisch, da einfach.
Aber glauben Sie wirklich, dass man allein mit der Gründung einer Jugendberufsagentur die massiven Probleme auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt für Jugendliche und junge Erwachsene
mit einem Streich mal eben so löst? Ist Ihnen beim Lesen der Arbeitsmarktberichte nicht auch aufgefallen, dass es für den Übergang von der Schule ins Erwerbsleben viel mehr als einer gebündelten Informations- und Beratungsstelle bedarf und dass viele junge Menschen erst gar nicht ihren Abschluss erreichen, geschweige ihre Berufsausbildung beenden?
Die Integration Jugendlicher in Ausbildung und Arbeit ist ein zentrales Anliegen des Senats, das er mit BerlinArbeit umsetzt. Hier gilt es, dicke Bretter zu bohren statt mit Schaufensteranträgen Aufmerksamkeit zu erheischen.
Die Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen und die für Bildung handeln längst. Sie haben ehrgeizige Politikziele formuliert und stimmen wirksame Maßnahmen mit den beteiligten Akteuren ab.
Die Gründung einer Jugendberufsagentur kann ein Teil oder ein Ergebnis dieses Prozesses sein. Der Abbau von Jugendarbeitslosigkeit und Verbesserungen im Übergangssystem von der Schule in den Beruf erfordern jedoch mehr, als nur Beratungs- und Betreuungsangebote unter einem Dach zu vereinen. Wir brauchen konkrete Angebote, im Wesentlichen sind das duale Ausbildungsplätze, und Möglichkeiten, um mit Einstiegsqualifizierungen den Fuß in einen Ausbildungsbetrieb zu bekommen. Wir werden die Berufs- und Studienorientierung in der Schule verbessern und bei Bedarf öffentlich geförderte Angebote für Jugendliche mit schwierigen Ausgangsbedingungen unterbreiten.
Es ist richtig, Frau Bangert, dass wir nur noch Qualifikationen fördern wollen, die einen „guten“ Anschluss bringen, betriebsnah sind und Aussicht auf Abschluss haben. Gleichwohl sehen auch wir als Koalition in abgestimmten
und örtlich zusammengefassten Beratungsangeboten eine wichtige Voraussetzung, damit Jugendlichen und jungen Erwachsenen der Übergang in Ausbildung oder Erwerbstätigkeit erfolgreich gelingt. Mit der Zusammenlegung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unterschiedlicher Zuständigkeitsbereiche ist es jedenfalls nicht getan. – Und mit Antragsaktionismus auch nicht, liebe Grüne.
Die Koalition ist sich einig und befasst sich etwa mit dem Datenschutz und damit, wie Individualdaten von der Schule an Träger der Jugendberufshilfe sowie Träger nach SGB II und III weitergegeben werden können. Wir klären, wie Datenaustausch und -weitergabe zwischen Behörden rechtssicher erfolgen kann. Diese Parameter müssen geprüft und neu entwickelt werden, genauso wie institutionenübergreifende Prozesse gut funktionieren können. Dabei werden auch schulgesetzliche Regelungen zu beachten sein. Den genannten Überlegungen sind Haushaltsmittel zuzuordnen und gegebenenfalls bereitzustellen. Das erstrebenswerte Ziel einer besseren Kooperation von Akteuren, Einrichtungen, Rechtsbereichen ist umzusetzen. Sie sehen, das ist alles mehr, als einen Antrag zu schreiben.
Erfreulich ist, dass sich die Beteiligten einig sind, dass ein niedrigschwelliger Zugang zu Beratung, Unterstützung und Information leichter als bisher gemacht werden muss, damit ein wirksamer Beitrag für eine bessere Eingliederung in Ausbildung und Arbeit erfolgen kann. Das heißt, ein mögliches Konstrukt einer Jugendberufsagentur wird bereits aktiv mitgedacht.
Im Ergebnis zu diesen Überlegungen müssen vorhandene Strukturen, etwa die Bezirke, berücksichtigt und Verbesserungspotenziale ausgelotet werden, ob und wie örtlich gebündelte und somit zentralisierte Einrichtungen im Sinne eines One-Stop-Governments zu Berlin passen. Und ob sie wirklich gewollt sind, wird abschließend zu klären sein. Gespannt blicke ich auf die Auswertung der Hamburger Kolleginnen und Kollegen zu ihren Erfahrungen mit dem Modell der Jugendberufsagentur.
Alles in allem kann Jugendarbeitslosigkeit nur dann wirksam reduziert werden, wenn die Wirtschaft mitspielt und sich ihrer Verantwortung stellt. Sie muss ausreichend duale Ausbildungsplätze in ausbildungsreifen Betrieben, aber auch Einstiegsqualifizierungen und Teilzeitausbildungen ermöglichen. Ich appelliere nachdrücklich an die Unternehmen der Stadt und Umgebung, ein Umdenken herbeizuführen und mehr Jugendlichen eine Chance zu geben, die nicht so gute Schulnoten haben. Wer handwerklich begabt ist, muss nicht unbedingt auch ein Rechtschreibass sein.
Abschließend merke ich an, dass wir nicht nur ein von der Bundesagentur für Arbeit gelenktes Konstrukt brauchen, das lediglich auf berufliche Fragen und Arbeitsvermittlung fokussiert. Jugendliche mit vergleichsweise
komplexen Lebenslagen benötigen individuelle Hilfen, um alltägliche Schwierigkeiten, etwa mit der Familie, der Wohnsituation, mit Drogen oder Schulden, in den Griff zu bekommen. Das bedarf der Zusammenarbeit relevanter Gruppen und ihrer Rechtsbereiche, etwa der Jugendhilfe. Nur so werden wir nachhaltig die Schulabbrecherquote und die Zahl arbeitsloser Jugendlicher verringern. Wir sind grundsätzlich nicht gegen das Anliegen des Oppositionsantrags, wir halten ihn aber in der vorliegenden Form nicht für sinnvoll und beantragen die Überweisung in den Ausschuss. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Vielen Dank! – Für eine Kurzintervention hat Frau Kollegin Remlinger das Wort. – Bitte schön, Frau Kollegin!
Werte Kollegen! Es war genau Thema meiner Rede heute, dass wir uns darüber einigen, wie wir uns miteinander unterhalten wollen. Anscheinend unterhalten Sie sich nicht einmal innerhalb der SPD, denn in der „Abendschau“ vorhin hat die Frau Senatorin gesagt, dass sie eine Jugendberufsagentur einrichten möchte.