Welche Art Umgang mit Geschichte der Stadt und welche Erinnerungskultur wollen wir in Berlin? Wie gehen Berlinerinnen und Berliner mit unserer historischen Verantwortung um? Welche Rolle spielt die East-SideGallery? Wie geht Politik mit dem Willen von über 71 000 Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern einer Petition um?
Wir erleben 24 Jahre nach der friedlichen Revolution eine Debatte, in der jetzt alle die Mauer retten wollen, was richtig ist, aber auch zeigt, wie sich der Blick auf Geschichte verändert. Die East-Side-Gallery ist nicht nur das längste erhaltene Teilstück der Berliner Mauer, sie ist ein Kunstwerk und Mahnmal. Sie ist Symbol für den Mauerfall und den Umbruch, für friedliche Revolution und das vereinte Berlin. Dafür stehen die Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt, die 1990 die Mauer bemalt haben.
Daher besuchen auch täglich 2 000 Menschen die EastSide-Gallery. Dieses Mahnmal steht für Demokratie und Freiheit, zeigt aber auch mit dem Todesstreifen die Grau
samkeit der Teilung und macht deutlich, dass Freiheit, Demokratie und Menschenwürde nicht selbstverständlich sind.
Die Entscheidungen für das Areal gehen bis in das Jahr 1990 zurück. Wenn wir über 20 Jahre später auf diese Stadt blicken, dann stellen wir fest, dass viele Orte der Erinnerung bereits weg sind, und bewerten diejenigen neu, die es jetzt zu erhalten gilt. Daher geht es auch um die Frage: Hat Politik den Mut, die eigenen Entscheidungen selbstkritisch zu hinterfragen? Wir fordern von allen, auch von uns selbst, Verantwortung ein.
Aber wer sich mit dem Planungsprozess auskennt, kann das nicht dem Bezirk in die Schuhe schieben. Es war das Land, das die Planungen in den Neunzigerjahren gemacht hat und den Bezirk Friedrichshain 2000 anwies, Baurecht zu schaffen. Natürlich stellt sich die Frage: Warum macht der Bezirk einen Vertrag mit einem Investor, dessen Bauprojekt er bis zuletzt für falsch hält? Der Bezirk hat sich für den Erhalt der Flächen ohne Bebauung eingesetzt, schließlich sollte man direkte Demokratie auch ernst nehmen.
Das Gelände zwischen Oststrand und Oberbaumbrücke sollte einmal mit Stadtvillen bebaut werden. Heute ist dort eine öffentlich zugängliche Freifläche. Noch letztes Jahr hat der Bezirk die Umwidmung der Grundstücke, um die es jetzt geht, gewollt. Aber der Finanzsenator hat im November mitgeteilt, der Senat stelle keinerlei Ausgleichsgrundstücke zur Verfügung.
Eine gesamtstädtische Bedeutung wird nicht festgestellt. Da war die East-Side-Gallery also noch unbedeutend für den Senat. Nach den klaren Absagen musste sich der Bezirk doch am Ende als Genehmigungsbehörde an Recht und Gesetz halten.
Aber eigentlich geht es jetzt nicht um die Frage, wann wer was gemacht hat oder wann wer eine Petition unterzeichnet und wieder zurückgenommen hat, eine gemeinsame Lösung muss gefunden werden. Dann stellt sich zwangsläufig die Frage einer Angemessenheit des Denkmals. Ist es angemessen, die East-Side-Gallery zum Gartenzaun oder zu einer Lärmmauer zwischen Straße und Häuser zu machen? Die Erkennbarkeit als Hinterlandmauer, von allen Seiten zugänglich und sichtbar, das macht doch die East-Side-Gallery zum authentischen Ort.
der muss sich den Gesamtraum ansehen. Eine Bebauung wird immer Mauerlöcher nach sich ziehen. Daher fragt sich auch die internationale Presse völlig zu Recht: Wie verrückt ist Berlin,
diesen historischen Ort zu überbauen? Und das sehen auch die 71 000 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner der Petition so. Diesen jetzt vorzuwerfen, sie würden das instrumentalisieren, das ist unfair und unangemessen.
[Beifall bei den GRÜNEN – Ülker Radziwill (SPD): Aha! – Zuruf von der CDU: Da klatschen nur die Grünen!]
Wer es wie der Senat kategorisch ablehnt, mit den Investoren überhaupt nur über Ausgleichsgrundstücke oder Zahlungen zu verhandeln, der verweigert sich einer nötigen Lösung für das gesamte Gelände. Es gibt auch Kolleginnen und Kollegen hier im Haus bei der SPD und auch bei der CDU-Fraktion, die das so sehen. Am Ende geht es doch um die Frage: Kann es sich Berlin leisten, auf einen authentischen Erinnerungsort zu verzichten?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch Die Linke hat die East-Side-Gallery als Thema angemeldet. Es läuft gerade nicht gut für diesen Senat und für Klaus Wowereit. Beispiele dafür gibt es genügend. Am Montag hat der herbeigesehnte Chefberater für den Flughafen, erschüttert über den öffentlichen Umgang mit ihm und den politischen Dilettantismus, die Notbremse gezogen und abgesagt. Daran hatte Klaus Wowereit einen riesigen Anteil. Die Aufzählung der außer Kontrolle geratenen Baustellen ließe sich mühelos fortsetzen, aber heute soll es aus dringendem Anlass um den Erhalt der East-SideGallery gehen. Als wir das Thema für die Aktuelle Stunde am Montag fristgerecht angemeldet hatten, war vom Senat und insbesondere vom Regierenden Bürgermeister noch nichts zu hören. Unüberhörbar waren hingegen die Rufe von Tausenden Demonstranten am Sonntag: „Wowereit, das Denkmal bleibt!“.
Klaus Wowereit hat mit seinem langen Schweigen nicht nur die Protestierenden brüskiert, er hat einmal mehr für weltweites Kopfschütteln über Berlin gesorgt.
Nun hat Klaus Wowereit seit Montagnachmittag eine Kommunikationsoffensive gestartet. Damit ist zwar der von uns gewählte Titel für die Aktuelle Stunde überholt, aber das ist sicherlich nicht sein Verdienst, sondern vor allem ein erster Erfolg der massiven Proteste und auch der Forderungen der Opposition.
Das heißt aber noch lange nicht Entwarnung. Das beantwortet auch nicht die Frage, warum der Senat so lange schwieg. War ihm tatsächlich nicht bewusst, was der Abriss von Teilen der East-Side-Gallery bedeutet? Die alleinige Schuldzuweisung an den Bezirk ist vor diesem Hintergrund ein politisches Armutszeugnis für den rotschwarzen Senat.
Jetzt will Klaus Wowereit vermitteln und hat klargestellt, dass er die umstrittenen Bauprojekte ermöglichen will. Das heißt übrigens in der Konsequenz auch, dass er eine weitere Zerstörung der East-Side-Gallery in Kauf nehmen würde, wenn dies für die Erschließung erforderlich wäre.
Was tun Wowereits Kollegen? – Senator Müller ist immerhin für die gesamtstädtische Planung und für den Denkmalschutz zuständig. Senator Nußbaum konnte im November keine gesamtstädtische Bedeutung der EastSide-Gallery erkennen und sitzt nicht nur auf der Stadtkasse, sondern auch auf möglichen Ersatzgrundstücken.
Warum ist 2008 eine Baugenehmigung erteilt worden, obwohl das Senatskonzept zum Mauergedenken bereits 2006 beschlossen worden und das Ergebnis des Bürgerentscheids „Spreeufer für alle!“ absehbar war? Warum ist trotz des Beschlusses zur Änderung des Planungsrechts seit Sommer 2012 die Baugenehmigung weiter unangefochten geblieben? Warum schließt der Bezirk einen öffentlich-rechtlichen Vertrag zur Herstellung einer Maueröffnung ab, um Tage später zu erklären, dass diese unnötig sei, was ich im Übrigen genauso sehe.
Alles richtig, aber es hilft in der Sache nicht weiter. Und mit Verlaub, es nervt die Menschen. Sie wollen keine säuberlich recherchierten Schuldzuweisungen, sie wollen die East-Side-Gallery erhalten
und finden, dass es dabei nicht nur um die künstlerisch gestaltete Hinterlandmauer, sondern auch um den dahinter liegenden Freiraum bis zur Spree, den früheren Todesstreifen, geht. Sie finden zu Recht, dass sich der Senat nicht wegducken kann. Er ist in der Pflicht, dieses historische Symbol und touristische Highlight der Stadt zu bewahren. Koalition und Senat sind wieder einmal drauf und dran, haarscharf den Nerv der Stadt zu verfehlen, genauso wie beim Tempelhofer Feld. Hier will die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner keine Bebauung,
das bestätigt eine jüngst veröffentlichte Umfrage, der Senat aber plant munter weiter. In Sachen East-SideGallery sind die Erwartungen nicht nur der Berliner, sondern auch der Weltöffentlichkeit – und das ist keineswegs übertrieben – genauso eindeutig. Die East-SideGallery soll bleiben, nicht nur so viel wie möglich, sondern ganz und gar, und möglichst ohne Bebauung.
Die Chance für den langfristigen Erhalt der East-SideGallery ist durch den aktuellen Protest neu eröffnet worden und darf politisch nicht erneut verspielt werden. Es hat lange gedauert, bis die wenigen verbliebenen Mauerreste politisch anerkannt worden sind. Es war erst der rotrote Senat – auch unter Führung von Klaus Wowereit –, der im Juni 2006 das Gesamtkonzept zur Erinnerung an die Berliner Mauer vorgelegt hat. Darin gibt es ein eindeutiges Bekenntnis zum Erhalt der East-Side-Gallery. Diese steht übrigens seit 1991 unter Denkmalschutz.
Warum das Denkmal trotzdem akut gefährdet ist und wie die Gefahr gebannt werden kann, dazu muss der Senat Farbe bekennen. Und wir sind gespannt.
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebes Präsidium! Wir haben großartigerweise einmal ein Gesamtberliner parteiübergreifendes Thema für die Aktuelle Stunde vorgeschlagen, nicht nur wir, auch Die Linke und die Grünen. In den Papieren steht Berlin, ich dachte, es sei Schilda, als ich es gelesen hatte. Aber ich habe nachgeschaut, es ist wirklich Berlin. Es ist eine großartige Aktuelle Stunde. Und ich glaube nicht, dass ein Auge trocken bleibt, weil wir alle dabei haben: Wir haben die Sozen mit ihrer ganzen Mediaspreegeschichte. Die haben da was angefangen. Die Linke hat es auch nicht verhindert. Daraufhin, man