Protokoll der Sitzung vom 21.03.2013

Nun muss ich doch fragen: Da diese Frage hier alle zwei Jahre gestellt wird und dem Senat dieses Problem bekannt sein könnte – gibt es denn eine Möglichkeit, die Frage weiterzureichen und dem Bezirk mitzuteilen, dass er verantwortlich ist?

Herr Senator – bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Hiller! Ich bin, wie Sie wissen, ein Anhänger dezentraler Strukturen.

[Christopher Lauer (PIRATEN): Und dann sind Sie in der CDU?]

Und wie Sie auch wissen, bin ich ebenfalls ein Anhänger von starken Bezirken. Da ich vermute, dass die Bezirke wissen, wie die Flaggenordnung aussieht, und auch wissen, welche Tage es gibt, die es mit sich bringen, dass man flaggen sollte, habe ich bislang darauf verzichtet. Ich habe in einem Fall ein Schreiben an die Bezirke formuliert und auch verschickt, weil das immer und immer wieder jedes Jahr Probleme mit sich brachte. Dabei ging es um die Beflaggung zum CSD. Da habe ich das getan. Ansonsten gilt das, was in der Berliner Flaggenordnung steht. Aber ich bin gern bereit, mich diesbezüglich in den Rat der Bürgermeister einzubringen und den entsprechenden Appell des Abgeordnetenhauses zu übermitteln.

[Uwe Doering (LINKE): Das ist doch ein Wort!]

Dann haben wir noch Herrn Kollegen Reinhardt. – Bitte schön!

Vielen Dank! – Ich frage Herrn Senator Müller. – Herr Müller! Sie hatten vor zwei Wochen im Ausschuss für Stadtentwicklung und Umwelt auf die Frage meines Kollegen Magalski gesagt, das Bezirksamt FriedrichshainKreuzberg habe zu der Fläche an der East-Side-Gallery, Bebauungsplan V-74, trotz grünen Lichts seitens der Senatsverwaltung keinen Aufstellungsbeschluss verfasst. Wurden hierüber auch der Investor, Herr Hinkel, und andere Eigentümer im Plangebiet vom Senat informiert?

Herr Senator Müller – bitte schön!

Herr Präsident! Herr Abgeordneter! Ich gehe davon aus, dass die Investoren darüber informiert wurden, und zwar von dem zuständigen Bezirksamt. Auch die Diskussion der letzten Wochen hat da, glaube ich, keine Informationslücke gelassen. Allen ist klar, wann wo welcher Beschluss mit welcher Konsequenz gefasst wurde.

Bitte schön!

Herr Senator! Das heißt, Sie bleiben bei Ihrer Behauptung aus dem Ausschuss, dass der Bezirk keinen Aufstellungsbeschluss gefasst hat? Das würde mich jetzt interessieren, noch einmal der Hinweis: Wir wollen uns gerne auf die Auskünfte des Senats verlassen. Für uns ist das eine wichtige Arbeitsgrundlage. Wir haben uns das jetzt im Amtsblatt aber angeschaut, da müsste das drinstehen oder eben nicht drinstehen. Und das liest sich tatsächlich im Amtsblatt von Berlin vom 9. November 2012 auf Seite 2024 anders. Dort steht, dass das Bezirksamt am 30. Oktober 2012 die Aufstellung eines Bebauungsplans für das fragliche Areal beschlossen hat. Bleiben Sie also immer noch, obwohl es im Amtsblatt anders steht, bei Ihrer Aussage aus dem Ausschuss? Wenn ja, wie ließe sich dieser Widerspruch aufklären?

Herr Senator Müller!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter! Wie sich das im Moment jetzt darstellt, hat der Bezirk das wohl angezeigt, dass er es machen will. Ich habe das auch, glaube ich, im Ausschuss und auch hier in der Parlamentsdebatte immer deutlich gemacht: Der Be

(Bürgermeister Michael Müller)

zirk hat bei uns angefragt, ob wir als Stadtentwicklungsverwaltung zur Änderung in einen Grünfläche Bedenken haben, das ablehnen würden, wie auch immer. Wir haben immer gesagt, von unserer Seite bestehen keine Bedenken, der Bezirk kann die Konsequenzen ziehen und so verfahren, wenn er denn will. Er hat es dann nicht getan. Offensichtlich hat er jetzt angezeigt, dass er es tun will. So stellt sich mir im Moment der Sachverhalt dar.

[Katrin Schmidberger (GRÜNE): Weil er gar keine Schulden aufnehmen kann, Herr Müller!]

Vielen Dank! – Damit ist die Fragestunde für heute beendet.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 3:

Aktuelle Stunde

gemäß § 52 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin

Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Berlin – konsequente Aufklärung, Prävention und Verfolgung statt Lippenbekenntnissen und Wahlkampfgeplänkel

(auf Antrag der Piratenfraktion)

Für die Besprechung bzw. Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu zehn Minuten zur Verfügung, die auf zwei Redebeiträge aufgeteilt werden kann. Es beginnt die Piratenfraktion. – Herr Kollege Reinhardt, Sie haben das Wort. Bitte schön!

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Wir haben uns entschieden, in der heutigen Aktuellen Stunde über Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Berlin zu sprechen. Dafür gibt es viele gute Gründe. Einer davon ist: Heute ist der Internationale Tag gegen Rassismus. An diesem, 1967 durch die UNO eingeführten Aktionstag beginnt die Woche der Solidarität. Den ganzen Tag über gab und gibt es überall in der Stadt dezentrale, vielfältige Aktionen und Gedenkminuten. Mit einigen Kollegen war ich heute Morgen vor der Ausländerbehörde.

Unter dem Begriff „Kehraus“ riefen Migrantenverbände dazu auf, symbolisch die Ämter in Berlin von Diskriminierung zu reinigen. Tagtäglich erleben Migrantinnen und Migranten institutionelle Diskriminierung und Rassismus: auf der Ausländerbehörde, im Kontakt mit der Polizei, bei den Jobcentern und Sozialämtern, bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften usw. Der Senat behauptet, seine Behörden reformieren zu wollen, sodass sie für die Menschen mit Migrationshintergrund leichter

zugänglich seien. Unter dem Schlagwort interkulturelle Öffnung werden diffuse Willensbekundungen abgegeben. Im Koalitionsvertrag steht dazu:

Wir werden eine Willkommenskultur etablieren, die den Zuwanderern zeigt, dass sie in Berlin erwünscht und gewollt sind.

Neben der Öffnung der Behörden wird die Stärkung der interkulturellen Kompetenz der Lehrerinnen und Lehrer versprochen und die Einstellung von mehr Lehrerinnen und Lehrern mit Migrationshintergrund.

Das sind blumige, aber diffuse Versprechungen. Was ist die Realität? – Schauen wir uns einmal an, was aus den kümmerlichen 250 000 Euro geworden ist, die im Haushalt zur Umsetzung des Partizipations- und Integrationsgesetzes für 2012 und zur interkulturellen Öffnung vorgesehen sind. Von diesen 250 000 Euro – eh schon ein lächerlich geringer Betrag – wurde gerade einmal ein Zwanzigstel ausgegeben. Diese Initiative ist jedoch dringend notwendig. Das es nicht geschieht, ist, wenn wir hier schon nicht Bösartigkeit unterstellen, doch zumindest grob fahrlässig.

[Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN und bei der LINKEN]

Dabei könnte gerade die Ausländerbehörde ein Großreinemachen vertragen. Sie wird von vielen Zuwanderern als äußerst unangenehmer Ort wahrgenommen. Unzumutbar lange Wartezeiten, unfreundliche Behandlung, fehlende Sprachkenntnisse sowie eine rigide Praxis bei Ermessensentscheidungen zuungunsten der Zuwanderer kennzeichnen den Behördenalltag. Ich habe heute Morgen mit Mitarbeitern der Ausländerbehörde gesprochen. Ich habe gesagt, ich will diese Erkenntnisse, die an uns herangetragen wurden, auch persönlich verifizieren oder falsifizieren, ich werde also demnächst eine Hospitanz machen, um mir das einmal persönlich anzuschauen.

Trotzdem: Solange ich dort in diesen Erfahrungen nicht eines anderen belehrt werde, bleibe ich bei der Meinung, dass wir dort eine radikale Reform brauchen, die auf einen institutionellen Neuanfang setzt. Wenn wir den Senat fragen, was er zur Öffnung der Ausländerbehörde konkret unternimmt, dann geht er nur auf die kleine Gruppe derjenigen ein, die eh auf dem Arbeitsmarkt am Dringendsten gebraucht werden. Dabei sind das noch am ehesten diejenigen, die auch ganz gut allein zurechtkommen. Der Großteil der Zuwanderer wird schon mental links liegengelassen. Wie soll denn daraus eine echte Kultur der Offenheit entstehen, eine echte Willkommenskultur?

Dabei müssen wir uns gerade im Auswanderungsland Deutschland auf ein neues europäisches Miteinander einstellen. Ab Januar 2014 sollen die Grenzen der Freizügigkeit auch für Bulgarien und Rumänien fallen. Das ist ein ganz normales notwendiges Element im Prozess der europäischen Integration, so wie sie seit Jahrzehnten

geplant ist und wie sie Deutschland im Rahmen der Wiedervereinigungsverträge auch zugesagt hat. Doch auf der Bundesebene bremst der Hardliner und CSU-Innenminister Friedrich den europäischen Prozess aus und verlangt plötzlich aus dem Nichts heraus die Einhaltung von Kriterien, die eigentlich im Vorfeld schon längst abgeklärt waren. Das begründet er dann mit einer Angst vor Zuwanderung in die Sozialsysteme und verdreht dabei noch die Tatsachen, wenn er unterstellt, dass, wer aus Rumänien und Bulgarien komme, vom ersten Tag an in Deutschland Sozialleistungen beantragen könne.

[Zuruf von Ramona Pop (GRÜNE)]

Das Einzige, was daran wahr ist, ist, dass er xenophobe Stereotypen bedient und fremdenfeindliche Ressentiments schürt. Dabei nutzt er jede Gelegenheit, um gegen Roma zu hetzen, gegen Menschen, die den Verhältnissen vor Ort den Rücken kehren und Grenzen überqueren, um anderswo ihr Glück zu suchen. Das ist ein Vorgang, der seit Anbeginn der Geschichtsschreibung völlig normal ist, der sogar im Rahmen der europäischen Integration durchaus gewollt ist.

Das stößt hier in Berlin leider auch auf offene Ohren. Die Berliner CDU macht in den Bezirken Neukölln, Reinickendorf, Tempelhof-Schöneberg Stimmung gegen Roma und gegen neue Sammelunterkünfte für Flüchtlinge vor Ort. Anstatt moderierend und sachlich auf die ansässige Bevölkerung zuzugehen, betreibt sie rassistische Mobilisierung und verhindert die Neueinrichtung von Sammelunterkünften, worüber sich vor allen Dingen die Rechten freuen. Ich bringe jetzt einige Beispiele: Auf einer Veranstaltung in Neukölln sitzt die CDU in trauter Glückseligkeit zusammen mit der NPD im Raum und heizt die Stimmung gegen Asylsuchende an. NPD und Kameradschaften haben wenig später die von der CDU gestartete Kampagne gegen Asylsuchende übernommen. In Reinickendorf steht eine geplante Flüchtlingsunterkunft vor dem Aus, weil das ehemalige Mitglied dieses Hauses Ulrich Brinsa über die Facebookseite „Asylbewerberheim verdrängt Altenheim“ den Widerstand gegen die Flüchtlinge organisiert. In Tempelhof hatte das Mitglied des Bundestags der CDU Jan-Marco Luczak eine Kampagne gegen eine neue Flüchtlingsunterkunft in einem ehemaligen Seniorenheim durchgeführt, woraufhin sein Parteikollege Sozialsenator Czaja von dem Vorhaben abgerückt ist. In Kreuzberg – das geht jetzt immer so weiter – organisierten Kurt Wansner, BVV-Kollegen und ein CDUBundestagskandidat auf einer Bürgerversammlung die Stimmungsmache gegen eine neue Flüchtlingsunterkunft in einem ehemaligen Seniorenheim.

Sieht so die Willkommenskultur in Berlin aus? Die Situation von gestiegenen Flüchtlingszahlen darf nicht benutzt werden, um Ressentiments zu bedienen oder auf dem Rücken von Menschen Wahlkampf zu betreiben.

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]

Der Innensenat positioniert sich dabei noch als harter Hund und besteht darauf, seine Abschiebungen auch im tiefsten Winter durchzuführen. Allein im Januar dieses Jahres wurden insgesamt – ich erwähnte es – 41 Menschen abgeschoben. Jetzt frage ich mich tatsächlich, ob – so wie es die Antwort auf unsere Kleine Anfrage sagt – jemand auch nach Syrien und in den Iran abgeschoben wurde oder so, wie es der Innensenator jetzt gerade gesagt hat, das nicht der Fall ist. Jetzt steht hier Aussage gegen Aussage. Wir werden das auf jeden Fall weiter nachprüfen. Trotzdem ist das keine gute Nachricht für die Betroffenen

Letztlich zeigen auch aktuelle Studien, dass wir uns der Realität stellen müssen, dass Fremdenfeindlichkeit kein Randphänomen mehr ist, falls es das überhaupt jemals gewesen ist. Rassismus ist ein Problem, das wir in der Mitte der Gesellschaft verorten und auch dort bekämpfen müssen. Dabei kommt den staatlichen Organen eine besondere Rolle zu. Es gibt Phänomene, die dem öffentlichen Rassismus in die Hände spielen. Dazu gehören alle staatlich verordneten Vorgaben, die dazu beitragen, dass Behörden besonders auf Menschen mit dunkler Hautfarbe achten. Dazu gehört die Residenzpflicht, die Flüchtlinge in Deutschland an einen Ort fesselt und ihnen imaginierte Grenzen setzt, so als würden wir immer noch in Fürstenstaaten des 18. Jahrhunderts leben – eine Regelung, die so in Europa einmalig ist und die zu einer Separation und Diskriminierung von Menschen führt. Dazu gehört aber auch die Regelung des Racial-Profiling, die es Beamten erlaubt, die Auswahl bei Personenkontrollen an der Hautfarbe festzumachen. Diese Regelung verhindert, dass sich eine Kultur der Offenheit etabliert, die dringend notwendig ist.

[Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Noch vor Kurzem hat der Polizeipräsident bei uns in der Fraktionssitzung dazu gestanden, dass er diese moderne Form von Diskriminierung durchaus verteidigt. Ich hoffe, dass Sie im Innensenat und dass Herr Kandt persönlich auch jetzt in Ihrem Denkprozess etwas weiter sind.

Überhaupt muss man hoffen, dass die Senatsressorts in Zukunft wesentlich stärker an einem Strang ziehen. Zum Teil hat man das Gefühl oder liest es tatsächlich auch in der Presse, dass die überhaupt nicht miteinander reden. Zum Teil ist es sogar tatsächlich so. – Liebe SPD! – Aktuell ist anscheinend kein Senator der SPD anwesend, okay. – Herr Müller, Verzeihung!

[Bürgermeister Michael Müller: Immer noch!]

Herr Müller und liebe SPD-Abgeordnete! Wenn ihr euch entscheidet, mit der CDU ins Bett zu steigen und dann auch noch die für Integration wichtigen Fleischtöpfe des Inneren und des Sozialen an die CDU zu übergeben, dann stellt doch wenigstens sicher, dass es einen regelmäßigen Austausch gibt und sie nicht den Kampf gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit aus Profilierungswünschen torpedieren. Berlin braucht eine Initiative für Offenheit und

Toleranz, keine Lippenbekenntnisse und Wahlkampfgeplänkel. – Vielen Dank!

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]