Protokoll der Sitzung vom 16.05.2013

[Bürgermeister Michael Müller: Doch!]

Das ist auch klar, denn für das Vergabeverfahren sind Sie im Senat gar nicht zuständig. Das ist Herr Nußbaum, der es vorzieht zu schweigen, anstatt sich hier einzubringen. Herr Nußbaum! Sie haben jederzeit Rederecht und können uns jetzt erklären, warum Sie dieses heimlichtuerische Verfahren gewählt haben.

Auch wenn die Koalition hundert Mal behauptet, es sei ein transparentes Verfahren, so müssen wir uns nur die Fakten angucken. Fakt bleibt: Die zentralen Dokumente – Vergabekriterienentwurf, Konzessionsvertragsentwurf, Kooperationsvertragsentwürfe – sind in anderen Städten vor der Beschlussfassung im Internet, und bei uns sind sie selbst nach der Beschlussfassung immer noch im Datenschutzraum. Eine öffentliche Debatte verhindern Sie so. Wenn wir in Ausschüssen darüber reden, wird die Öffentlichkeit rausgeworfen. Das ist Fakt, und da können Sie

noch so oft behaupten, es sei transparent. Es ist natürlich das Gegenteil.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Ich gehe noch einen Schritt weiter: Ich glaube, durch diese Heimlichtuerei, Herr Nußbaum, gefährden Sie eventuell sogar das Verfahren. Denn das Land Berlin, das sich um das Gas- und Stromnetz, hat jetzt die Vertragsentwürfe, die wahrscheinlich beim Stromnetz nicht so weit abweichen werden. Andere Bewerber, die sich nur um das Stromnetz bewerben, wie Bürger-Energie Berlin oder Vattenfall, kennen diese Verträge nicht. Überlegen Sie mal, ob das nicht sogar ein Grund sein könnte, das Verfahren angreifbar zu machen, und zwar durch Ihre Heimlichtuerei. Wenn Sie zu diesem Schluss kommen, wäre das noch ein Grund dafür, das jetzt öffentlich zu machen.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Herr Senator Müller! Sie reden über Klimaschutz, wie Sie über dies und das reden. Aber die jüngste CO2-Bilanz sagt, dass der CO2-Ausstoß Berlins im letzten Berichtsjahr nicht gesunken, sondern gestiegen ist, und zwar nicht um 1 oder 2 Prozent, sondern um fast 10 Prozent.

[Daniel Buchholz (SPD): Wegen eines kalten Winters!]

Nein! Der Winter erklärt es nur teilweise. Der Anstieg ist weit höher als in allen anderen Bundesländern.

[Daniel Buchholz (SPD): Das wissen Sie doch besser!]

Ich kenne die Zahlen sehr gut. – Der Anstieg liegt weit über dem Bundesdurchschnitt.

Da müssen Sie doch einmal deutlich machen, was Sie tun wollen. Wir haben seit den Neunzigerjahren kein vorzeigbares Klimaschutzprojekt mehr in der Stadt, nichts, was irgendwie Renommee hätte. Sie haben drei zentrale Aufgaben. Das eine ist ein Maßnahmenplan. Sie machen immer neue Großkonzepte. Nach dem Energiekonzept 2020 kommt jetzt der Masterplan 2050. Dabei brauchen wir vor allem einen Maßnahmenplan mit Aktivitäten, die wirklich abgearbeitet werden. Da finden sich im Energiekonzept 2020 eine ganze Menge, und bis heute hat der Senat seinen Beschluss nicht umgesetzt, einen Zeitplan vorzulegen, bis wann was umgesetzt werden soll. Da müssen Sie mal ran!

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Sie sagen, ein Stadtwerk müsse mitgedacht werden. – Nein! Das muss eingeführt werden, Herr Müller. Den Parteitagsbeschluss hat Herr Buchholz sogar erwähnt. Das ist Jahre her, und Sie haben immer noch nichts in der Umsetzung. Sie haben dem Ausschuss selbst durch die Blume mitgeteilt, dass Sie den Vorschlag der Koalitionsfraktionen, das bei der BSR zu machen, für Kappes halten. Dann müssen Sie uns aber mal zeigen, wie es mit der

Berliner Energieagentur geht. Keiner außer Ihnen kann die dafür nötigen Verhandlungen mit GASAG und Vattenfall führen. Führen Sie sie, und bringen Sie uns endlich ein Konzept, wie dieses Stadtwerk aussehen kann!

Ich freue mich auch, dass es endlich einen Geschäftsführer bei den Netzen gibt. Aber wir müssen auch sagen: Es ist so spät, dass es für die Gaskonzession wohl nichts mehr werden wird.

Sie müssen zum Ende kommen, Herr Kollege!

Herr Senator Müller! Es gibt sehr viele Menschen in dieser Stadt, die mit großem Engagement jetzt schon 100 000 Unterschriften gesammelt haben, und sie sammeln weiter, um dieses Volksbegehren zu packen. Wenn Sie ein Zehntel dieses Engagements für den Klimaschutz aufbringen würden, wären wir hier einen großen Schritt weiter.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Danke, Herr Kollege! Für die Piratenfraktion hat noch einmal der Kollege Mayer das Wort. – Sie haben noch 3 Minuten und 58 Sekunden. – Bitte schön!

Herr Müller! Weil Sie mich auch direkt angesprochen hatten: Ich hatte Sie jetzt nicht aufgefordert, leichtfertig zu handeln. Es ging nur darum, vorhandene Spielräume auch auszuschöpfen. Der Eindruck, der sich bei mir einstellt, ist, dass der Senat in vielen Bereichen mit einer Moral und Zuversicht spielt, wie Hertha im letzten Jahr im Kampf um den Abstieg.

[Beifall und Heiterkeit bei den PIRATEN und der LINKEN]

Da spürt man nicht so richtig, dass es vorangeht.

Da ist sicherlich zu begrüßen, was Sie erwähnt haben, dass Sie jetzt interne Kompetenz im Energiebereich aufbauen wollen. Die gab es früher schon einmal, wie ich gehört habe, aber mit der Privatisierung wurden die entsprechenden Expertenstellen komplett abgebaut. Da würde mich bei Gelegenheit noch interessieren, welchen Umfang der eigene interne Expertenstab denn hat.

Zu den Solardachanlagen, die Sie erwähnten: Wir hatten die ganze Debatte, wie sich Berlin mit Energie versorgen kann. Wie ich nur bestätigen kann, nimmt in Berlin der Energiebedarf im Gegensatz zu fast allen anderen Bun

desländern zu. Das heißt, alle Sparmaßnahmen, die ergriffen wurden, reichen nicht aus, während es in den anderen Ländern so ist, dass insbesondere bei elektrischer Energie ein Rückgang zu verzeichnen ist. Leider ist unsere Anregung, ob man nicht mit Brandenburg zusammen gemeinsam konzeptionell etwas machen könnte, auf relativ wenig Resonanz gestoßen. Ich finde das sehr bedauerlich, aber offenbar ist es so, dass es zwischen Berlin und Brandenburg, was Energiepolitik angeht, so große Interessengegensätze gibt, dass die scheinbar im Moment für alle unüberwindlich erscheinen. – Vielen Dank!

[Beifall bei den PIRATEN]

Ich bedanke mich auch, Herr Kollege Mayer. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Die Aktuelle Stunde hat damit ihre Erledigung gefunden. Hinsichtlich des Antrags 17/0978 wird die Überweisung an den Ausschuss für Stadtentwicklung und Umwelt und an den Hauptausschuss empfohlen. – Widerspruch höre ich nicht, dann verfahren wir so.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4:

Neunzehnter Tätigkeitsbericht des Berliner Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR

Jahresbericht 2012

Bericht Drucksache 17/0965

Zu diesem Tagesordnungspunkt begrüße ich ganz herzlich den Berliner Landesbeauftragten Herrn Dr. Martin Gutzeit. – Herzlich willkommen bei uns!

[Allgemeiner Beifall]

Für die Besprechung steht den Fraktionen bis zu fünf Minuten Redezeit zu. Es beginnt hier die Fraktion der CDU in diesem Fall. Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Uwe Lehmann-Brauns. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die ureigenste Aufgabe des Leiters der Stasi-Unterlagenbehörde in Berlin ist die Aufarbeitung eines Stücks DDR-Vergangenheit, ist die Klärung der Rolle des sogenannten „Schildes und Schwertes der Partei“, sprich Stasi, und vor allem die Situation der Opfer. Von diesen gibt es viel zu viele. Der Bericht von Gutzeit ist reich an Statistiken, die das fortdauernde und sogar wachsende Interesse auch Jüngerer an der DDR beweisen. Besonders wirkungsvoll in diesem Bericht ist die Zitierung von Beispielfällen, die die Bedrängung, Bedrohung, die Einschüchterung, die Inhaftierung, die Einweisung von Kindern in Heimen usw. an konkreten Beispielen zeigen. Wir wissen, dass es

schwierig ist, Diktaturgeschichte zu überliefern, geschweige denn, lebendig zu machen. So etwas gelingt allenfalls durch die Präsentation konkreter Beispiele und authentischen Materials, wie wir das bei der Topographie des Terrors oder am Checkpoint Charlie täglich erfahren, natürlich auch durch große Literatur, aber um die geht es heute nicht.

Was unterscheidet die Arbeit des Berliner Landesbeauftragten von der seiner regionalen Kollegen? – Diese Arbeit betrifft nicht nur Ostberlin und die DDR, sondern eben auch Westberlin. Auch der Westteil der Stadt war rund um die Uhr von Stasi-Spitzeln betreut und observiert. Ein prominentes Beispiel ist die Tempelhofer Wohnung des Schriftstellers und Bürgerrechtlers Jürgen Fuchs. Er erhielt dort laufend gefälschte Vorladungen, unverlangte Pornosendungen. Vor seiner Wohnung explodierte ein Pkw. Und sogar sein Keller wurde für spätere Manipulationen zugerichtet.

Der Bericht Gutzeits erwähnt öffentliche Veranstaltungen, die der ehemaligen DDR gewidmet sind. Sie dienen nicht gerade deren Liebhabern. Die DDR-Liebhaber von heute müssen sich mit Erinnerungen begnügen. Eine ganz besondere Spezies dieser Liebhaberei haben wir am 9. Mai erlebt. Da marschierte eine Art Soldateska, ein paar Dutzend Exemplare, teils steif, teils bauchend in den damals verhassten Uniformen, durch den Treptower Park. Ein mit Second-Hand-Uniform bekleideter Vopo regelte den nicht vorhandenen Verkehr. Und die verdutzten Zuschauer – einige sollen sogar applaudiert haben – erlebten diesen Spuk Vorgestriger live. Keine Frage, der geneigte Zuschauer schwankte in seinem Urteil zwischen lächerlich oder schauerlich, als hätten die NVA und die Stasi Hitler besiegt.

Damit ist die Sache allerdings nicht abgetan, denn es gibt nicht nur die DDR-Liebhaber, sondern vor allem auch die von der DDR Geschundenen, Getretenen, Weggesperrten, zum Teil hochsensibilisierte, seelisch verwundete Menschen, auf die solche Aufzüge verletzend und abstoßend wirken. Meine Fraktion erwartet von den zuständigen Behörden deshalb Vorkehrungen, um diese Verletzung von Opfern zu verhindern. Meine Fraktion verspricht, dass sie alles tun wird, dass solch makabere Maskerade in Zukunft unterbleibt.

[Beifall bei der CDU]

Bei der vorherigen Diskussion zu dem Bericht von Gutzeit hatten wir die Ikea-Möbel erwähnt, vielleicht erinnern Sie sich, die zu einem Stundenlohn von einer Ostmark pro Tag in den Gefängnissen der DDR hergestellt wurden. In dem Bericht, verehrter Herr Gutzeit, vermisse ich die Mitteilung über die aktuelle Haltung von Ikea, und wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie die nachliefern könnten.

Erheblich bedrohlicher und gefährlicher war, was jetzt herauskommt. Zehntausende Patienten sollen in der DDR

ohne ihr Wissen mit Medikamenten behandelt worden sein, die noch nicht auf ihre Wirkung getestet waren.

[Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Westliche!]

In den Achtzigerjahren wurden also Menschen ohne deren Zustimmung medizinisch behandelt. Das erinnert an ähnliche Praktiken gegenüber wehrlosen Menschen in der Nazi-Zeit. Auftraggeber für solche Arzneimittel sollen westdeutsche Pharmaunternehmen gewesen sein.

[Uwe Doering (LINKE): Waren!]

Diese Tests wurden dem nach Devisen gierenden SEDRegime angedient. Es soll Todesfälle gegeben haben. Hier stehen wir mit beiden Beinen im Strafrecht. Es geht um die Beihilfe zu Delikten gegen die körperliche Unversehrtheit. Es geht um Körperverletzung und vielleicht sogar um mehr. Meine Fraktion verlangt deshalb Aufklärung von der Charité über die Mitwirkung von Angehörigen bei diesen Praktiken, dito von den Pharmaunternehmen. War ihnen eigentlich bewusst, dass Menschen in der DDR als Versuchspatienten behandelt wurden? Wie hoch waren die Beträge, die der DDR für Menschen und Medikamente gezahlt wurden?

Sie müssen zum Ende kommen, Herr Kollege, bitte!