Uwe Lehmann-Brauns

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Schon wenn man das Inhaltsverzeichnis des Berichts von Herrn Gutzeit sieht, weiß man, mit welcher Sorgfalt und Akribie er sich dieses Themas angenommen hat. – Lieber Herr Gutzeit! Schon an dieser Stelle von mir herzlichen Dank dafür!
Lassen Sie mich zwei ganz kurze Feststellungen treffen. Ich glaube, wir wissen heute, ob sich jemand bei der Stasi verdingt hat. Das sollte man aber nicht pauschal bewerten. Das kann verschiedene Gründe gehabt haben, zum Beispiel Erpressung oder eine Notsituation. Eine solche Verpflichtung ist mit ganz anderen Maßstäben zu messen, als wenn es nur des Mammons oder des Versuchs wegen, Menschen zu unterdrücken, passiert ist.
Es gab auch den Wunsch von Leuten, über diese StasiMitarbeit Politik zu machen. Auch das ist meiner Ansicht nach ein menschlicher Zug – ich denke an Stolpe und Gysi. Ich hätte mir allerdings – gerade von diesen beiden – gewünscht, dass sie reinen Tisch gemacht hätten, als die Stunde dazu gekommen war. Das hätte ihnen wahrscheinlich weniger geschadet als dieser Versuch, über juristische Verfügungen und Urteile davonzukommen.
Für mich ist – zweitens – eins noch sehr wichtig: dass wir der kommenden Generation nahebringen, was diese Krake eigentlich angestellt, und auch, wie sie gelebt hat. Es ist deshalb sehr wichtig und richtig, dass wir diese Gebäude in Lichtenberg wieder so renoviert haben, dass man das möglichst authentisch verfolgen kann. Dasselbe gilt für Hohenschönhausen. Auch die Keibelstraße in Mitte sollte noch dazukommen, und auch ein Museum des Widerstands – eine Idee, die wir, glaube ich, alle gemeinsam beschlossen haben – sollte nicht vergessen werden.
Ich habe mit Ihnen eine spannende Zeit erlebt. Dafür bin ich dankbar. Auf Wiedersehen!
(Dr. Clara West)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Thema 25 Jahre Städtepartnerschaft Berlin-Moskau: Ich habe nur drei Minuten, deshalb muss ich mir leider verkneifen, auf die lebhaften ersten 20 Jahre hinzuweisen. Beide Städte brummten damals vor Austauschenergien. Auch heute noch gibt es einen nicht unerheblichen Austausch zwischen den Verwaltungen. Berlin besucht Moskau mit Sportlern und umgekehrt. Auch die Universitäten tauschen sich aus. So weit, so gut, aber das ist innerhalb dieser vernetzten, globalisierten Welt eigentlich keiner großen Rede wert.
Der politische Überbau ist leider mager und lustlos. Der gemeinsame Ausschuss, den es einst gab, tagt offenbar nicht mehr. Wenn er jetzt Ende April getagt hat, weiß man nicht, wer daran teilnimmt und was dabei rauskommt. Politische Anstöße zugunsten einer Vitalisierung der Beziehung habe ich jedenfalls nicht wahrgenommen. Stadtbeziehungen hängen durch, es gibt politischerseits kaum sichtbare Anstrengungen, sie wieder aufzubauen.
Natürlich ist diese Baisse die Folge der internationalen Spannungen zwischen Moskau einerseits und Brüssel/Berlin andererseits. Aber es ist unpolitisch, bei der Ursachenfeststellung stehenzubleiben und die Folgen der
wechselseitigen Entfremdung zu verkennen. Wir haben auf jene internationalen Spannungen keinen Einfluss, aber wir haben Einfluss auf die Ausstrahlung der Stadt und die Pflege der lange zurückreichenden geistigen und kulturellen Bindungen. Wir sollten dem spaltenden Zeitgeist in Europa und seinen Verfremdungen auch durch dieses Instrument der Partnerschaft entgegenwirken.
Es ist mir deshalb ein besonderes Bedürfnis, den positiven Beitrag zu erwähnen, den z. B. die Botschaft Russlands zur Festigung und Vertiefung der menschlichen, kulturellen und ökonomischen Bindungen in Berlin leistet. Präsentationen hochrangiger russischer Künstlerinnen und Künstler, Ausstellungen, Lesungen halten zusammen und führen zusammen, was zusammengehört. Daneben gibt es auch andere Aktivitäten, das deutsch-russische Forum, die deutsch-russischen Festtage, die Kultur- und Bindungsarbeit von Mitra.
Aber sowohl an der Spitze in Moskau als auch in Berlin fehlt es an Initialzündungen, um der Verantwortung für diese beiden großen, fast gleichaltrigen Städte gerecht zu werden. Ich weiß nicht, wie viele Jahre der letzte Besuch des Regierenden Bürgermeisters in Moskau zurückliegt. Ich rede nicht von dem ständigen Hin und Her damals zwischen Diepgen und Luschkow. Diese Zeit ist vorbei. An dieses politische Miteinander muss aber angeknüpft werden, um die Partnerschaft wieder lebendig zu machen. Um ein aktuelles politisches Zeichen zu setzen, sollte der Regierende Bürgermeister die ihm angetragene Schirmherrschaft über diese 25 Jahre alte Partnerschaft übernehmen. Er sollte – lieber Herr Müller, mit dieser weiteren Bitte schließe ich! – die kommenden Wahlen nicht zum Vorwand nehmen, einen baldigen Besuch in Moskau auszusparen. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Frau Kollegin! – Sie haben eben von einer Rede des Kollegen Jupe gesprochen. Der sitzt aber ganz still und ruhig hinter mir und hat nicht gesprochen. Vielleicht sollten Sie den richtigen Kollegen benennen.
Verehrter Herr Kollege Lauer! Auf der großen Tafel werden Sie als Mitglied der Piraten angezeigt. Ich würde gerne wissen, aufgrund der politischen Identitäten, die hier herrschen: Stimmt das, oder ist das eine Fehlinformation?
Herr Präsident! Verehrter Herr Gutzeit! Meine Damen und Herren! Manche mögen sich fragen: Die DDR ist seit 25 Jahren verschwunden, brauchen wir da eigentlich noch eine Institution wie den Stasi-Beauftragten, der sich um jene Dunkelmänner von einst kümmert? – Die Aufgabe der Stasi bestand ja nicht nur in der Bespitzelung von Menschen und der Anwerbung von Spitzeln, sie war auch zuständig für die Beschaffung von Devisen, sie organisierte Wohnungseinbrüche, erpresste Geständnisse und beschaffte und verscherbelte Antiquitäten, denunzierte Ausreisewillige usw. Sie führte sogenannte Sicherheitsüberprüfungen von Tausenden von Menschen jährlich durch. Die Bezeichnung „VEB Horch und Guck“ ist also eine verniedlichende Verharmlosung für eine Organisation, die das Exekutivorgan der DDR-Diktatur war. Sie selbst nannte sich „Schild und Schwert der Partei“, und das trifft die Sache besser.
Ihre damaligen Aktivitäten sind selbst heute noch nicht verdaut. Ob kürzlich in Thüringen oder durch aktuelle Buchveröffentlichungen – ich denke an die von Dr. Berndt Seite, dem Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern –, tauchen sie immer wieder auf und müssen sich die Prüfung ihrer demokratischen Loyalität heute gefallen lassen. Dazu bedarf es einer unabhängigen Instanz wie der von Martin Gutzeit geleiteten Behörde, über deren Effizienz und Arbeit man nur Lobendes hört,
zum Beispiel seitens des Stasi-Museums in Lichtenberg, auch im Hinblick auf die wissenschaftliche Begleitung der dortigen Dauerausstellung. Meine Fraktion schließt sich dieser positiven Einschätzung an und dankt Martin Gutzeit für die geleistete Arbeit – nachzulesen in seinem 33 Seiten langen abgelieferten Bericht. – Vielen Dank, Martin Gutzeit!
(Andreas Otto)
Die Schlussstrichliebhaber sollten vielleicht bedenken: Sehr viele Zeitzeugen, darunter viele Opfer, leben noch. Es sind seit 1989 erst 25 Jahre vergangen. Zu Recht befassen wir uns, die Justiz und die Historiker, noch mit der NS-Diktatur, die 70 Jahre zurückliegt. Beide Diktaturen, so verschieden sie in mancher Hinsicht auch waren, haben tief in unser Leben eingegriffen. Meiner Fraktion geht es nicht um Bestrafung und pauschale Ächtung, denn wir wissen, dass Stasi-Biografien ihrerseits durchaus unterschiedlicher Entstehung waren. Uns geht es vielmehr um Prävention und Aufklärung über das Funktionieren von Diktatur, denn die erkannte Gefahr ist, wie wir wissen, die halbe Gefahr. Aufklärung kennt keinen Schlussstrich.
An dieser Stelle eine Bitte an Martin Gutzeit: In der öffentlichen Diskussion liegt der Fokus bei den StasiAktivitäten meist auf der DDR. Von Müller-Enbergs wissen wir, dass Westberlin, seine öffentlichen Einrichtungen, das Abgeordnetenhaus zumal, zum operativen Programm des MfS gehörten. Ob dieses Westprogramm auch Gegenstand der Arbeit Martin Gutzeits ist oder werden kann, das ist nicht nur meine Frage, sondern meiner Ansicht nach von öffentlichem Interesse. Ich verbinde diese Bitte an ihn um Information erneut mit dem Dank meiner Fraktion für die Arbeit von Martin Gutzeit und seinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. – Vielen Dank!
Herr Kollege! Ich frage Sie: Wie groß muss eigentlich der Leidensdruck bei den Piraten sein, dass sie der Union die Möglichkeit verweigern wollen, in einer für sie sehr wichtigen Frage eine Abstimmung durchzuführen?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist kaum einen Monat her, dass wir über Hindenburg gestritten haben, kein einfaches Thema, aber in Abwägung seiner Verdienste um die Weimarer Republik gegen seinen Fehlgriff am Ende hat die Koalition den Antrag der Linken abgelehnt. Nun also dieser Antrag, der eine Revision der Ehrenbürger der vergangenen zwei Jahrhunderte verlangt!
Herr Magalski! Ich schätze Ihren differenzierenden Umgang mit der eigenen Oppositionsrolle. Anders als der Njet-Block der Linken,
die ohne Rücksicht auf die Kompliziertheit historischer Sachverhalte nur immer ihre rote Messlatte anlegen,
versucht Herr Magalski zu differenzieren, und das achte ich, aber diesem Antrag können wir, jedenfalls meine Fraktion, dennoch nicht zustimmen.
Dass Sie sich die Revision der Liste der 117 Ehrenbürger aus mehreren Jahrhunderten nicht selbst zutrauen, das ehrt Sie. Dass es eine Historikerkommission richten soll, ist aber naiv, denn offensichtlich halten Sie die Gilde der Historiker für gleichgesinnt, für gleichgestimmt, aus demselben geschichtspolitischen Holz geschnitzt, aus den gleichen Quellen schöpfend. Das ist aber leider nicht so.
Unsere Zeit ist voller Historikerkontroversen. Das ist schon gesagt worden. Nehmen Sie Bismarck, dessen 200. Geburtstag wir gerade begehen! Seine Bewertung ist höchst kontrovers. Die Historiker sind sich keinesfalls einig, ähnlich wie wir Politiker. Ich bin sicher, wenn Die Linke könnte wie zu ihrer DDR-Zeit, dann würde sie Bismarck von der Liste streichen, Moltke gleich mit, den General Clay, natürlich auch Wolf Biermann. Herr Brauer! Frau Hiller! Habe ich nicht recht?
Bitte schön!
(Sabine Bangert)
Mir ist sehr wohl bewusst, dass Herr Engelberg diese Geschichte geschrieben hat. Ich habe sie sogar zur DDRZeit gelesen, verehrter Herr Lederer! Ich weiß nicht, wo Sie damals steckten.
Ich weiß nur eines – dass es das Prädikat „der beste“ und „der zweitbeste“ bei Historikern nicht gibt.
Die Zeiten von damals haben sich glücklicherweise geändert. Um Diktatoren wie Hitler und seine Spießgesellen von der Liste zu entfernen, brauchen wir die Historiker nicht.
Das können wir als Parlamentarier selbst entscheiden. So ist es ja auch geschehen. Im Übrigen, Herr Magalski, die Geschichte hat gesprochen, die Messen sind gesungen. Sie können sie kritisch betrachten, aber Sie können sie nicht revidieren. Weltgeschichte, sagt Hegel, ist nicht der Boden des Glücks – oder, wie Richard Löwenthal formuliert, kein Seminar.
Ich gebe Ihnen noch ein krasses Beispiel: Berliner Ehrenbürger ist u. a. der russische Zar Nikolaus I. Er verbannte und behinderte Puschkin. Er unterdrückte die Reformbewegung der Dekabristen. Er lehnte die Aufhebung der Leibeigenschaft ab. Und wenn Sie bei Wikipedia nachlesen, dann können Sie noch weitere wenig sympathische Züge erkennen. Vom heutigen Standpunkt aus hätte er als Berliner Ehrenbürger keine Chance, wäre disqualifiziert.
Aber können wir die russisch-preußische Geschichte wirklich korrigieren? Wollen Sie wirklich Nikolassee oder Nikolskoe umbenennen? Finden Sie sich doch damit ab, dass die Mächtigen dieser Welt vor 200 Jahren mangels Demokratie und mangels Rechtsstaat ihre Macht missbrauchten! Genießen wir gerade heute am 8. Mai stattdessen die Aufklärung und ihre Folgen! Genießen wir es, den dunklen Zeiten in Europa und Deutschland entkommen zu sein! Versuchen wir aber nicht, altklug Geschichte zu entsorgen!
Ihren Antrag, Herr Magalski, den wir ablehnen werden, habe ich zum Anlass genommen, einen Blick auf die Liste der 117 Ehrenbürger zu werfen. Dabei ist mir aufgefallen, dass viele Menschen, denen die Stadt zutiefst verbunden ist, in der Liste fehlen, z. B. Wilhelm von Humboldt, Hegel und Ernst Reuter. Vielleicht sollten wir prüfen, das Gesetz zu ändern, dass es nur zulässt, Lebende zu Ehrenbürger zu ernennen. Ich belasse es einmal bei dieser Anregung und danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag, der den Regierenden Bürgermeister auffordert, über spezifische Aktivitäten gegenüber der Partnerschaft mit Moskau zu berichten, hat sich eigentlich durch den Brief des Regierenden Bürgermeisters vom 16. März erledigt. Darin ist ganz konkret aufgeführt, dass der Regierende Bürgermeister die kritische Haltung Berlins gegenüber dem Gesetz gegen Homosexuellenpropaganda mehrfach zum Ausdruck gebracht hat, letztmalig in einem Gespräch 2014 mit dem russischen Botschafter. Auch künftig, so schreibt er, wird der Senat diese Auffassung gegenüber den Moskauer Behörden zum Ausdruck bringen. Das ist in Ordnung.
Aber der vorliegende Antrag unterschlägt und verkennt, dass sich die deutschen Beziehungen zu Russland auf internationaler Ebene verändert, vor allem abgekühlt haben. Nur noch 6 Prozent der Russen halten Deutschland für ein sympathisches Land. Vor ein paar Jahren waren es noch über 50 Prozent. Unter dieser Abkühlung leidet notwendigerweise auch die Partnerschaft BerlinMoskau. Zwar finden noch einige fachspezifische Begegnungen statt, aber der stadtpolitische Austausch ist so gut wie zum Stillstand gekommen. Es herrscht Sprachlosigkeit. Meine Fraktion gehört zu denen, die diese Entfremdung bedauern. Es gibt zwischen den beiden Völkern nämlich zu viele nicht nur historische Beziehungen. Insbesondere blicken beide Städte auf eine lange kulturelle Tradition zurück. Berlin gehört, wie wir wissen, zu den bevorzugten Aufenthaltsorten von Russen. Ihre hier lebende Zahl geht in die Zehntausende. So nah wir uns aber sind, so unterschiedlich sind manche unserer Empfindungen. Ich rede von der Nation, der Sicherheit und auch dem zwischenmenschlichen Bereich. Sie spielen in Russland eine andere Rolle als bei uns. Das müssen diejenigen, die an der Fortsetzung der Städtepartnerschaft interessiert sind, zur Kenntnis nehmen.
Meine Fraktion bezweifelt, dass Anträge wie der vorliegende irgendeine positive Annäherung zwischen den beiden Stadtgesellschaften bewirken können. Dieser Antrag ist unpolitisch. Er bewirkt bestenfalls gar nichts. Der Humboldt-Universitätsprofessor Barberowski fordert das Gegenteil. Die Deutschen sollten die Emotionen in Russland verstehen und hinnehmen, statt kritisch zu hinterfragen. Diese Auffassung ist nicht einmal politisch. Sie ist einfach nur anpasserisch und unterschlägt die Werte der Aufklärung. Mit uns ist so etwas nicht zu machen.
Wer den Fortschritt der beiderseitigen Beziehungen aber will, der darf weder die fruchtlose Pose wählen noch die pure Anpassung, sondern muss den Dialog suchen. Nach Auffassung meiner Fraktion verhält sich die Bundesregierung gegenüber Russland sowohl unmissverständlich als auch sensibel. Auch dort wird der Dialog bevorzugt. Den Kalten Krieg haben wir schon einmal kennengelernt. Dieses Muster ohne Wert brauchen wir heute nicht mehr. Ich nahm kürzlich an einer deutsch-russischen Konferenz von Wissenschaftlern und Politikern teil. Es bestand auf beiden Seiten Einigkeit, dass in der gegenwärtigen verhärteten Situation nur eine Sprache zählt, die Sprache der Kultur. Darauf setzt meine Fraktion. Der Antrag, der mit der Tür ins Haus fällt, verkennt das. Deshalb lehnen wir ihn ab. – Vielen Dank!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Hindenburg gehört sicherlich nicht zu den bedeutenden politischen Persönlichkeiten der Weimarer Republik so wie Walther Rathenau, Friedrich Ebert, Gustav Stresemann und Otto Braun.
An sie reicht Hindenburg nicht heran. Er war der Repräsentant einer mit dem Ersten Weltkrieg untergegangenen Epoche. Bei der Bewertung seiner Persönlichkeit ist es aber nach Auffassung meiner Fraktion unhistorisch, nur die verhängnisvolle Betrauung Hitlers am 30. Januar 1933 zur Grundlage einer Entscheidung zu machen.
Wir müssen zurück in das Jahr 1932. Dieses war für Deutschland ein schlimmes Jahr. Das Bruttosozialprodukt war 1932 halb so hoch wie 1929. Es gab sechs Millionen Arbeitslose. Es gab fünf Wahlkämpfe allein 1932. Die Weimarer Demokratie wurde von links und rechts, von Kommunisten und Nazis, systematisch zusammenge
schlagen. Herr Brauer, Ihr früherer Parteifreund Mielke erschoss damals von hinten auf offener Straße zwei Polizeibeamte.
Ich berichte nur die Wahrheit. – Im Reichstag gab es keine demokratische Mehrheit. Das Sagen hatten Kommunisten und Nazis. So unterschiedlich ihre Ideologien auch waren, sie einte eines: Der Hass auf die Weimarer Demokratie und der Wille, sie zu zerstören.
Die Sozialdemokraten, vertreten durch den preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun, riefen den Kommunisten warnend zu: Merken Sie nicht, dass Sie die Geschäfte der Nazis besorgen? Die höhnische Reaktion der Kommunisten lautete: Dich hängen wir als Ersten.
Bitte sehr!
Ich komme gleich dazu. Ich habe nicht mehr und nicht weniger getan, als die Situation zu schildern, die 1932 entstand, bevor Hindenburg – ich komme auch gleich noch dazu – Hitler betraute.
Hitler hätte 1932 schon Reichspräsident werden können, wenn sich nicht der greise Hindenburg bereit erklärt hätte, gegen ihn zu kandidieren. Hindenburg war damals der Kandidat der Demokratischen Linken und der Mitte, der
(Sabine Bangert)
einzige, der Hitler 1932 zu schlagen vermochte. Hindenburg verhinderte Hitler. Auch danach wehrte er sich mehrfach gegen dessen Ernennung zum Ministerpräsidenten, bis er schließlich mit 85 Jahren isoliert, von der Herrenreiter-Kamarilla umringt und bedrängt, nachgab. Hindenburg, so der Historiker Golo Mann, war kein entscheidender Akteur zugunsten Hitlers. Seine abwertende Beurteilung des von ihm sogenannten böhmischen Gefreiten ist bekannt. Bis Anfang 1933 hatte er als Präsident ehrlich und loyal der Republik gedient, vor allem gegen Hitler.
Der Antrag verschweigt diese politischen Umstände, den Hintergrund jener verhängnisvollen Beratung, verschweigt die Gewaltsamkeiten der Kommunisten und der Nazis, das wirtschaftliche Chaos, die Zerrissenheit der Nation. Dies alles hatte Hindenburg nicht zu vertreten. Es war ihm von der Geschichte und den deutschen Wählern auferlegt worden. Dem Fehlverhalten am Ende seines Lebens steht die jahrzehntelange loyale Verteidigung der Weimarer Republik gegenüber.
In diesem Abwägungsprozess hat sich meine Fraktion entschieden, den Antrag abzulehnen. Dass dieser Antrag von einer Partei kommt, deren Vorläufer eine erhebliche Mitschuld an jenen gewaltsamen Zuständen trägt, an der Hatz gegen die Weimarer Republik, ohne sich dazu heute zu bekennen, macht diesen Antrag nicht glaubwürdiger.
Im Unterschied dazu ist es mir ein besonderes Bedürfnis, der Haltung der deutschen Sozialdemokraten in jener schweren Zeit Dank und Anerkennung auszusprechen. – Vielen Dank!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bedauere, dass ich mich an dieser Aufregung nicht beteiligen kann. Ich sehe das ganz pragmatisch so: Herr Brauer hat sich in der Sprecherrunde nicht durchgesetzt, und da macht er Klamauk und versucht, uns vorzuhalten, dass wir diesem Thema aus dem Weg gingen. – Verehrter Herr Brauer! Verehrte Frau Bangert! Wir denken überhaupt nicht daran, diesem Thema aus dem Weg zu gehen und sind immer zu einer Diskussion bereit – allerdings in einer argumentativen Form und nicht in einer Schauspieler- und Schaustellerhaftigheit, wie Sie, Frau Bangert, sie eben wieder vorgelebt haben.
Es ist eben – ganz pragmatisch – einfach so gewesen, dass Sie sich, Herr Brauer, in der Sprecherrunde mit dem Versuch der Exhumierung eines lange verstorbenen Politikers nicht durchgesetzt haben, weil andere Themen im Kulturausschuss dringender, wichtiger schienen. Das ist der Grund. Irgendwann wird es zur Diskussion kommen. Ich kann Ihnen nur versichern: Meine Partei, meine Fraktion steht dafür jederzeit zur Verfügung. – Vielen Dank!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Brauer! Die Sicherheit, mit der Sie in die historischen Zusammenhänge greifen, ist ebenso erstaunlich wie abstoßend.
Der Antrag, den Sie gestellt haben, wird nämlich der komplizierten historischen Gemengelage nicht gerecht. Natürlich ist die Begründung der damaligen Vergabe der Ehrenbürgerschaft aus heutiger Sicht nicht mehr nachvollziehbar. Aber sie erfolgte nicht 2014, sondern im April 1933. Um das Ergebnis bewerten zu können, müssen wir uns mindestens in das Jahr 1932 zurückversetzen, ein schreckliches Jahr für Deutschland: Das Bruttosozialprodukt war nur noch halb so hoch wie 1929. Ein Millionenheer von Arbeitslosen bevölkerte die Straßen. Fünf Wahlkämpfe fanden statt.
Ist das eine Zwischenfrage? Dann stellen Sie sie bitte!
Ich bitte nur, Herr Präsident, mir das nicht von der Redezeit abzuziehen!
Ich lasse sie gerne zu, wenn er eine stellt.
In dieser Annahme gehen Sie überhaupt nicht recht! Ich bin gerade dabei, Ihnen die Situation zu schildern, in der damals die Ehrenbürgerwürde vergeben wurde. Das war eine andere Situation und eine andere Diskussion als 2014.
Diese Differenzierung muss man, wenn man versuchen will, ein halbwegs objektives Geschichtsbild zu haben, anerkennen. – Damals fanden, Sie wissen das, fünf Wahlkämpfe statt – mit Aufmärschen, Schlägereien, Morden, Schießereien. Sie brachten keine Ergebnisse, mit denen die Weimarer Republik hätte fortgesetzt oder gar gerettet werden können. Der Reichstag wurde beherrscht von einer Mehrheit von Nationalsozialisten und Kommunisten. Dieses Extreme hatten zwar keine politischen Übereinstimmungen, aber sie einte eins: der Hass auf die Demokratie und der Wille, sie zu zerstören.
Otto Braun, der preußische Ministerpräsident, rief den Kommunisten damals warnend zu: Merken Sie denn nicht, dass Sie die Geschäfte der Nazis besorgen? Sie werden die Gehenkten sein! – so Otto Braun.
Dich henken Sie als Ersten!, grölten die Kommunisten zurück. Selbst überzeugte Demokraten hatten damals an
(Sabine Bangert)
der Fortsetzung der Weimarer Republik erhebliche Zweifel. Hindenburg, so Golo Mann, war kein entscheidender Akteur zugunsten Hitlers. Seine abwertende Beurteilung des von ihm so genannten „böhmischen Gefreiten“ ist bekannt. Zweimal hatte sich Hindenburg zugunsten der Demokratie um das Reichspräsidentenamt beworben, zugunsten der politischen Linken und der Mitte, jeweils gegen Nazis und Kommunisten. Bei seiner zweiten Kandidatur 1932 konnte er Hitler nur fürs Erste verhindern.
Bis dahin war er als Präsident ehrlich und loyal mit der Republik umgegangen, die sich dank Stresemann und anderer bis 1929 günstig entwickelt hatte. Die Sozialdemokraten forderten im Wahlkampf damals die Wähler auf „Schlagt Hitler – darum wählt Hindenburg!“
Bitte schön!
Ich komme gleich dazu; ich bin auch gleich am Ende! – Ich folge nochmals Golo Mann, dem wichtigsten deutschen Historiker, in der Feststellung, dass es eine Tatsache ist, dass der greise Hindenburg Hitler nicht zum Kanzler erheben wollte. Isoliert von seinen Beratern, bedrängt, verwirrt, seines ermüdeten Geistes kaum noch mächtig, gab der 85-Jährige dem Druck der Ratgeber schließlich nach.
Die Formulierung des Antrags ist offensichtlich von derselben selektiven roten Geschichtswahrnehmung geprägt, die Sie 45 Jahre den Ihnen in der DDR Unterworfenen verabreicht haben!
Sie verschweigt, dass Hindenburg der deutschen Demokratie zweimal loyal gedient hat – sieben Jahre lang mit Erfolg. Die politischen Umstände – die Nazis, die Kommunisten, das wirtschaftliche Chaos, die Zerrissenheit der Nation – hatte er nicht zu vertreten. Sie waren ihm von der Geschichte und den deutschen Wählern auferlegt worden. Ihn jetzt aus der Erinnerung der nationalen Geschichte wie einen böswilligen Brandstifter zu verjagen, hält meine Fraktion für unangemessen.
Ich hoffe, die Antragsteller nehmen die Diskussion auch zum Anlass, das Verhalten der deutschen Kommunisten, wofür sie 1933 schwer bezahlen mussten, heute kritisch zu reflektieren. Dann hätte die Neuauflage dieser Diskussion auch einen Sinn gehabt. – Vielen Dank!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle Jahre wieder kommt dieser Bericht. An wen richten sich diese 33 langen Seiten eigentlich? Gibt es noch Adressaten, oder liegt eine Selbstbespiegelung vor? Gibt es 25 Jahre nach dem Verschwinden der DDR noch einen Bedarf und/oder ein öffentliches Interesse? – Es gibt in der Tat Adressaten, mehr als eine Handvoll. Der Bericht führt sie auf, beispielsweise die Menschen, die in der DDR unter
(Andreas Otto)
politischer Verfolgung gelitten haben, beispielsweise die Menschen, die in die Psychiatrie gezwungen wurden, beispielsweise ehemalige Heimkinder, die nach Diktaturmaßstäben asozial waren und dafür trockenes Brot essen mussten und die Peitsche zu spüren bekamen, beispielsweise die Menschen, die ihres Widerstandes halber oder wegen ihrer Herkunft berufliche Nachteile erlitten, beispielsweise die Vielen, die den Zersetzungsmaßnahmen des MfS ausgesetzt waren, beispielsweise Menschen, die noch heute – wie der Bericht sagt – in ihrem persönlichen oder beruflichen Umfeld von früheren SEDFunktionären, NVA-Angehörigen oder MfS-Mitarbeitern schikaniert werden, zum Beispiel die politischen Gefangenen.
Sie alle leben noch, leben mit ihren Erfahrungen, leben mit ihren Wunden. Es sind eine ganze Menge, für die die Existenz der Behörde, die ihre Rechte vertritt, die sie berät, ggf. schützt, wichtig bleibt. Auch Wissenschaftler, Studierende, Schülerinnen und Schüler, Pädagogen besitzen dieses Aufklärungsinteresse an einer Diktatur, die sich einmauerte, um sich schoss, polizeistaatlich agierte. Wie war das möglich? Warum haben die Leute das mit sich machen lassen? Wie konnten sie das aushalten? Eine freie Gesellschaft, wie die unsere, leistet sich aus guten Gründen die Institution des Landesbeauftragten.
Es gibt andere Institutionen, nur zwei will ich erwähnen – Kollege Otto hat schon von der einen gesprochen. Auch ich begrüße die Gründung des Campus der Demokratie, initiiert von Roland Jahn und auch unserem Kollegen Freymark, mit dem Ziel, einen weiteren Lernort für Demokratie basierend auf DDR-Erfahrungen zu schaffen. Meine Fraktion hat immer mit Interesse und Zustimmung die Aktivitäten der Havemann-Gesellschaft beobachtet und verfolgt. Sie freut sich und begrüßt es, dass nunmehr die Ausstellung auch 2015 finanziell gesichert ist.
Die Tätigkeit Martin Gutzeits insgesamt zu würdigen, lässt der Zeitrahmen nicht zu. Andere Kollegen – der Kollege Otto, die Kollegin Dr. West, denen ich Satz für Satz zustimme – haben das bisher schon getan. In Berlin, so könnte man glauben, wird an 365 Tagen im Jahr aufgeklärt, geholfen, ermittelt, erinnert, projektiert und veranstaltet zugunsten von Aufarbeitung, Aufklärung und Bewältigung. Hieraus ergibt sich zumindest, dass – ungeachtet weiterer Themen und offener Probleme – in Berlin vergleichsweise Vorbildliches geleistet wird, und die Liebhaber der DDR wissen müssen, dass die Diktaturfolgen nicht vergessen sind.
Ich hätte mir übrigens gewünscht, Herr Gutzeit, dass Sie etwas zum Stand der Opferentschädigungen durch westdeutsche Unternehmen gesagt hätten, die mittels der DDR-Organe politische Gefangene für Hungerlöhne arbeiten ließen.
Beim Lesen des Berichts werde ich daran erinnert, dass Diktaturen nicht nur Menschen zerstören, sondern auch die Umwelt und Städte. Natürlich denke ich an den Abriss des Berliner und des Potsdamer Schlosses, den Abriss der Universitätskirche in Leipzig, den Abriss der Garnisonkirche in Potsdam. Ich hätte mir gewünscht, dass die Partei, die dafür Verantwortung trägt – unabhängig davon, wie sie heute heißt –, über ihren Schatten springt und die Heilung solcher Wunden befördert, anstatt wie jetzt in Potsdam im Fall der Garnisonkirche die rote Karte zu ziehen.
Wir werden noch jahrzehntelang über die Diktatur und ihre Folgen reden, auch in dem Wissen, dass man Geschichte nicht festhalten kann. Was wir allerdings mit Sicherheit wissen, ist, dass die Aufklärungsarbeit von Herrn Gutzeit hervorragend ist. Dafür dankt ihm meine Fraktion!
Vielen Dank, Herr Kollege! Ich hätte gerne mal eine Definition von Ihnen gehabt, was Sie unter subversiver Kultur verstehen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die ureigenste Aufgabe des Leiters der Stasi-Unterlagenbehörde in Berlin ist die Aufarbeitung eines Stücks DDR-Vergangenheit, ist die Klärung der Rolle des sogenannten „Schildes und Schwertes der Partei“, sprich Stasi, und vor allem die Situation der Opfer. Von diesen gibt es viel zu viele. Der Bericht von Gutzeit ist reich an Statistiken, die das fortdauernde und sogar wachsende Interesse auch Jüngerer an der DDR beweisen. Besonders wirkungsvoll in diesem Bericht ist die Zitierung von Beispielfällen, die die Bedrängung, Bedrohung, die Einschüchterung, die Inhaftierung, die Einweisung von Kindern in Heimen usw. an konkreten Beispielen zeigen. Wir wissen, dass es
schwierig ist, Diktaturgeschichte zu überliefern, geschweige denn, lebendig zu machen. So etwas gelingt allenfalls durch die Präsentation konkreter Beispiele und authentischen Materials, wie wir das bei der Topographie des Terrors oder am Checkpoint Charlie täglich erfahren, natürlich auch durch große Literatur, aber um die geht es heute nicht.
Was unterscheidet die Arbeit des Berliner Landesbeauftragten von der seiner regionalen Kollegen? – Diese Arbeit betrifft nicht nur Ostberlin und die DDR, sondern eben auch Westberlin. Auch der Westteil der Stadt war rund um die Uhr von Stasi-Spitzeln betreut und observiert. Ein prominentes Beispiel ist die Tempelhofer Wohnung des Schriftstellers und Bürgerrechtlers Jürgen Fuchs. Er erhielt dort laufend gefälschte Vorladungen, unverlangte Pornosendungen. Vor seiner Wohnung explodierte ein Pkw. Und sogar sein Keller wurde für spätere Manipulationen zugerichtet.
Der Bericht Gutzeits erwähnt öffentliche Veranstaltungen, die der ehemaligen DDR gewidmet sind. Sie dienen nicht gerade deren Liebhabern. Die DDR-Liebhaber von heute müssen sich mit Erinnerungen begnügen. Eine ganz besondere Spezies dieser Liebhaberei haben wir am 9. Mai erlebt. Da marschierte eine Art Soldateska, ein paar Dutzend Exemplare, teils steif, teils bauchend in den damals verhassten Uniformen, durch den Treptower Park. Ein mit Second-Hand-Uniform bekleideter Vopo regelte den nicht vorhandenen Verkehr. Und die verdutzten Zuschauer – einige sollen sogar applaudiert haben – erlebten diesen Spuk Vorgestriger live. Keine Frage, der geneigte Zuschauer schwankte in seinem Urteil zwischen lächerlich oder schauerlich, als hätten die NVA und die Stasi Hitler besiegt.
Damit ist die Sache allerdings nicht abgetan, denn es gibt nicht nur die DDR-Liebhaber, sondern vor allem auch die von der DDR Geschundenen, Getretenen, Weggesperrten, zum Teil hochsensibilisierte, seelisch verwundete Menschen, auf die solche Aufzüge verletzend und abstoßend wirken. Meine Fraktion erwartet von den zuständigen Behörden deshalb Vorkehrungen, um diese Verletzung von Opfern zu verhindern. Meine Fraktion verspricht, dass sie alles tun wird, dass solch makabere Maskerade in Zukunft unterbleibt.
Bei der vorherigen Diskussion zu dem Bericht von Gutzeit hatten wir die Ikea-Möbel erwähnt, vielleicht erinnern Sie sich, die zu einem Stundenlohn von einer Ostmark pro Tag in den Gefängnissen der DDR hergestellt wurden. In dem Bericht, verehrter Herr Gutzeit, vermisse ich die Mitteilung über die aktuelle Haltung von Ikea, und wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie die nachliefern könnten.
Erheblich bedrohlicher und gefährlicher war, was jetzt herauskommt. Zehntausende Patienten sollen in der DDR
ohne ihr Wissen mit Medikamenten behandelt worden sein, die noch nicht auf ihre Wirkung getestet waren.
In den Achtzigerjahren wurden also Menschen ohne deren Zustimmung medizinisch behandelt. Das erinnert an ähnliche Praktiken gegenüber wehrlosen Menschen in der Nazi-Zeit. Auftraggeber für solche Arzneimittel sollen westdeutsche Pharmaunternehmen gewesen sein.
Diese Tests wurden dem nach Devisen gierenden SEDRegime angedient. Es soll Todesfälle gegeben haben. Hier stehen wir mit beiden Beinen im Strafrecht. Es geht um die Beihilfe zu Delikten gegen die körperliche Unversehrtheit. Es geht um Körperverletzung und vielleicht sogar um mehr. Meine Fraktion verlangt deshalb Aufklärung von der Charité über die Mitwirkung von Angehörigen bei diesen Praktiken, dito von den Pharmaunternehmen. War ihnen eigentlich bewusst, dass Menschen in der DDR als Versuchspatienten behandelt wurden? Wie hoch waren die Beträge, die der DDR für Menschen und Medikamente gezahlt wurden?
Natürlich kann der Landesbeauftragte diese Aufklärung nicht selbst leisten.
Nach den Erkenntnissen meiner Fraktion ist Gutzeit bestens vernetzt und verfügt über ausgezeichnete Mitarbeiter. Mit der ihm allseits bescheinigten Objektivität leistet er auch einen Beitrag zur Versöhnung. Meine Fraktion dankt ihm deshalb für seine Arbeit und für diesen Bericht.
Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, was meine Fraktion im Hinblick auf die Thematisierung dieser Lebensmittelverschwendung gleich zu hören bekommt, vermutlich, das Problem sei nicht neu, bei den ehrenamtlichen Initiativen in besten Händen und das Parlament die falsche Adresse. Auch die Bundestagsfraktionen haben sich schon damit befasst. Wie auch immer, ich bin meiner Fraktion dennoch sehr dankbar, dass sie diesem Thema den Stellenwert einer Priorität eingeräumt hat.
Es ist wahr, das Problem ist nicht neu, aber es ist auch wahr, dass die Verschwendung von Lebensmitteln von täglicher Aktualität ist, wahr auch, dass das Parlament keinen unmittelbaren Zugriff auf die Problemlösung hat, aber es besitzt eine politische und moralische Autorität, um das tägliche Verschwendungsszenario in der Öffentlichkeit bewusst zu machen. Wahr ist schließlich, dass es
ehrenamtliche Organisationen gibt – ich komme später darauf zurück –, die sich des Problems angenommen haben und erfolgreich dafür arbeiten, dass die Verschwendung geringer ausfällt und nicht alle übrig gebliebenen Lebensmittel in der Tonne landen. Aber auch sie schaffen es nicht, den ganzen Berg von übrig bleibenden Lebensmitteln abzubauen und vor der Tonne zu bewahren. Ihre Tätigkeit entlastet uns als Mandatsträger des Gemeinwohls nicht von der Mitverantwortung für ein krankes Verhalten einer satten Überflussgesellschaft. Wir dürfen diese Institutionen nicht allein lassen.
Für die Liebhaber von Statistik ein paar Beispiele: Jedes fünfte Brot, heißt es, wird weggeworfen, landet bestenfalls im Schweinestall. Der Eindruck eines bis oben gefüllten Lkw voller Brot, das weggekippt wird, ist mir persönlich unvergesslich. Eine aktuelle Studie der Universität Stuttgart besagt: Jährlich werden 11 Millionen Tonnen Lebensmittel als Abfall entsorgt, 61 Prozent in Privathaushalten, 17 Prozent von Großmärkten usw. Auch 15 Prozent von Obst und Gemüse landen in Containern oder in Hamburg in der Biogasanlage. Ich kann aus Zeitmangel nicht auf den Missbrauch eingehen, der schon beim Erzeuger beginnt.
Aber nun kurz zu den erwähnten Organisationen: Ich erwähne den Tafel e. V., der an sechs Tagen in der Woche 350 soziale Einrichtungen mit Lebensmitteln beliefert. Ähnlich Leib und Seele, Caritas, Lichtenberger Höfe e. V., die Aktion „Teller statt Tonne“, die Internetplattform Foodsharing oder das von zwei jungen Berlinerinnen inzwischen international verbreitete Dinnerexchange. Als vorbildliches Beispiel eines Supermarkts erwähne ich die Bio-Company, die alle Reste jenen Organisationen zur Verfügung stellt. Meinen Informationen zufolge hat sich allerdings das Unternehmen Aldi diesem Verfahren nicht angeschlossen. Wenn diese Debatte einen Sinn hat, dann mindestens den, jenen Einrichtungen für ihr problembewusstes, solidarisches Handeln zu danken und ihnen unsere Unterstützung anzubieten.
Was ist unsere Aufgabe oder die des Senats? – Erstens eine Berliner Statistik zu erstellen, um den Umfang der Verschwendung in unserem Verantwortungsbereich zu erfassen, zweitens festzustellen, dass die Vermeidung von Lebensmittelabfall zugleich auch Müllvermeidung ist, also doppelt geboten, verehrte Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, drittens in den Schulen auf das Bewusstsein der Kinder zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung hinzuwirken – diese Bitte richtet sich vor allem an die Schulsenatorin; vorhin habe ich sie dahinten gesehen –, viertens den Unterschied zwischen Verfalldatum und dem Mindesthaltbarkeitsdatum immer wieder bewusst zu machen. An den Einzelhandel appellieren wir, übrig bleibende Waren den Kunden zu einem geminderten Preis oder ihren Angestellten anzubieten und damit das sogenannte Containern zu verhindern. Hier ist die Senatsverwaltung für Wirtschaft vielleicht angesprochen.
Bitte schön!
Ich finde es schade, aber er ist in einem angeregten Gespräch begriffen und hört auch ab und zu, glaube ich, zu. – Vielen Dank!
Wir sind eine freie Gesellschaft, und deshalb haben wir keinen unmittelbaren Zugriff auf Einkaufsgewohnheiten, auf Bunkern von Lebensmitteln etc. Aber wir können dazu beitragen, dass diese dekadente, gedankenlose Verschwendung geächtet wird. Auch ökologisches Bewusstsein ist ja nicht befohlen worden, sondern hat sich seit Herbert Gruhl aus der Gesellschaft heraus entwickelt. Die Ächtung von Verschwendung halte ich für eine ökologische Pflicht, die uns als Parlamentarier unmittelbar betrifft. Der Senat hat sich des Themas in einer Anhörung bereits angenommen. Wir sehen seinem Tätigkeitsbericht bis zum 31. Juli des Jahres mit Interesse entgegen. Ich konnte nur einen Teil des Problems und seiner Lösung ansprechen. Ich wäre den Kolleginnen und Kollegen, die nach mir sprechen, dankbar für die Fortführung der Debatte über diesen Tag hinaus. – Vielen Dank!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Gutzeit! Dieser 18. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten erweist in vielen seiner Kapitel, dass seine Tätigkeit sowohl aktuell als auch hilfreich ist – aktuell, weil eine Diktatur – das ist hier schon angeklungen – auch nach ihrem Scheitern nicht erledigt ist, sondern Dauergeschädigte, Entwurzelte, Verstörte zurücklässt. Das ergibt sich schon aus den Kapitelüberschriften des Berichts. Nicht nur aus der Sicht der Opfer, sondern auch
aus dem Selbstbewusstsein einer erkämpften Demokratie darf es keinen Schlussstrich bei der Aufarbeitung geben.
Der Bericht zählt 80 000 Anträge auf Akteneinsicht und stellt ein spürbares Interesse der nachwachsenden Generation fest, auch aufgrund der Tatsache, dass eine weitere Verfolgtengruppe inzwischen in das strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz aufgenommen wurde, nämlich Kinder und Jugendliche, die aus politischen oder anderen sachfremden Zwecken in Einrichtungen der sogenannten DDR-Jugendhilfe eingeschlossen wurden. Grit Poppe hat hier ein beachtetes Buch „Weggesperrt“ geschrieben. Hieraus mal ein Auszug:
Als Anjas Mutter einen Ausreiseantrag aus der DDR stellt und von der Stasi verhaftet wird, wird die 14-Jährige in einen Jugendwerkhof, eine Einrichtung der Jugendhilfe, gebracht. Anja ist geschockt von der Willkür der Erzieher, der Gewalt und dem Drill: Sport und Arbeit bis zum Umfallen. Anja fragte sich immer wieder, was sie denn verbrochen hat.
Eine gestohlene Kindheit bleibt für immer gestohlen.
Der Bericht kritisiert zu Recht einmal die viel zu lange Verfahrensdauer bei der Anerkennung verfolgungsbedingter Gesundheitsschäden sowie ferner die Dauer von Anträgen auf Einsicht in die Akten bei BStU. Nicht nur Roland Jahn, sondern auch ehemals Verfolgte und viele Normalberliner empfinden, so der Bericht, es als unangemessen und nicht hinnehmbar, dass ehemalige Mitarbeiter der Stasi noch immer einflussreiche Positionen innehaben. Herr Otto hatte ja auch ein Beispiel gegeben. Deshalb ist die Verlängerung der gesetzlichen Frist bis 2019 im Unrechtsbereinigungsgesetz als ein klares Zeichen an die Opfer, dass ein Schlussstrich nicht zur Debatte steht, zu begrüßen.
Ein aktuell gewordener Tatbestand sollte von Martin Gutzeit aufgegriffen werden, das ist die Zwangsarbeit der Häftlinge in DDR-Haftanstalten. Wir wissen aus den Medien, dass die unter Zwang, Schikane und Hungerlohn geleisteten Arbeiten der Häftlinge zum Beispiel in Rummelsburg über den DDR-Export bei IKEA, Quelle, Neckermann, Klöckner landeten. Pro Nylonhemd erhielten die Häftlinge 50 Pfennig, und wenn sie monatelang arbeiten mussten, 30 Mark. Dafür wurde nicht nur Westgeld von den DDR-Oberen kassiert, sondern die erpresste Arbeit auch in Konsumartikel verwandelt. Deshalb sollte der Landesbeauftragte prüfen, ob es Möglichkeiten gibt, die beteiligten Unternehmen an ihre Verantwortung zu erinnern. IKEA hat, wie ich weiß und auch im Internet nachzulesen ist, sich inzwischen allerdings ausweichend geäußert. Hier darf aber das letzte Wort nicht gesprochen sein.
Meine Fraktion weiß um die unterschiedlichen Strukturen der Täterbiografien. Mancher, wie der Boxer Axel Schulz, wurde erpresst. Andere unterschrieben aus Angst vor Bedrohung. Wieder andere, halb Mitläufer, halb Mittäter – wir kennen doch die Namen –, wollten in der Politik mitspielen, ohne Rücksicht auf Demokratie und Bürgerrechte. Aus dem Brandenburger Landtag liest man von einer Fraktionsvorsitzenden, die nach Ablauf ihres Spitzelauftrags um dessen Fortsetzung nachsuchte. So unterschiedlich sind also die Täterbiografien und so unterschiedlich müssen sie auch bewertet werden. Nur wenige, wie die von Ulrich Mühe in dem Film „Das Leben der anderen“ dargestellte Figur, kehrten um.
Wir, die wir im Westen ohne Diktaturerfahrungen aufwuchsen – ein Glücksfall –, haben keinen Grund, uns auf die Schulter zu klopfen und selbstgerecht zu sein. Aber niemand darf angesichts der wehrlosen Menschen in den Zellen von Hohenschönhausen oder Bautzen ein Auge zudrücken. Jürgen Fuchs, der Bürgerrechtler und Schriftsteller, hat den Vernehmertypus in zwei Büchern dokumentiert, und damit bleibt dieser Typus präsent. Unter uns leben noch viele Erniedrigte und Beleidigte, zu viele, als dass die Akten schon geschlossen werden dürfen.
Lassen Sie mich zum Dank an den Landesbeauftragten kommen: Ohne seine Förderung, die er zugunsten der Opfer- und Bürgerrechtsverbände leistet, könnten diese ihrer Verantwortung nicht nachkommen. Meine Fraktion sieht in dieser Unterstützung der Arbeit vor Ort, der Arbeit mit psychisch verletzten Menschen, mit ehemaligen Häftlingen, mit Menschen, die um ihre Ausbildung oder ihre berufliche Entwicklung betrogen wurden, die wichtigste Funktion der Behörde.
Die Stasi war keine kommunale Angelegenheit. Die Folgen ihrer Tätigkeit zu verarbeiten, ist deshalb nicht nur Länder-, sondern auch Bundessache, und dafür werden wir immer einstehen. – Vielen Dank!