Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 71. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin. Ich begrüße Sie, unsere Gäste und Zuhörerinnen und Zuhörer sowie die Medienvertreter sehr herzlich. Vor Beginn der Beratungen habe ich eine traurige Pflicht zu erfüllen. Ich bitte Sie, sich von Ihren Plätzen zu erheben.
Am 28. Oktober starb der ehemalige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und Stadtälteste Alexander Brenner im Alter von 90 Jahren. Alexander Brenner kam 1925 in Mittelpolen zur Welt. Seine Kindheit und Jugend waren sorglos, bis am 1. September 1939 die Deutsche Wehrmacht Polen überfiel. Für Juden in Polen fing eine grausame Zeit an. Die Eltern entschlossen sich, in den sowjetisch besetzten Ostteil von Polen zu gehen. Von dort aus erfolgte die Deportation der Familie nach Sibirien. In der Sowjetunion machte er sein Abitur.
Nach dem Krieg 1945 schlug sich Alexander Brenner nach Polen durch. Doch er blieb nicht in seiner Heimat, sondern floh weiter nach Deutschland, lernte schnell die Sprache und begann ein Chemiestudium, das er in Berlin an der TU glänzend abschloss. Seine berufliche Laufbahn begann Alexander Brenner in verschiedenen Forschungseinrichtungen, ging aber dann 1971 in den Dienst der Bundesregierung, um als Leiter des Wissenschaftsreferates der deutschen Botschaft in Moskau zu arbeiten. Ab 1982 bekleidete er dieselbe Aufgabe in der deutschen Botschaft in Tel Aviv.
Durch seine Tätigkeit als Wissenschaftler und Diplomat konnte Alexander Brenner Erfahrungen sammeln, die ihm dann ab 2001 sehr halfen, als er zum Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin gewählt wurde. Sein Verhandlungsgeschick ermöglichte es, zwischen liberalen und orthodoxen Kräften in der Gemeinde zu vermitteln. Zudem profitierte er davon, Russisch zu sprechen. So konnte er zwischen alter Gemeinde und Zuwanderern aus dem Osten sehr gut vermitteln. Nach drei Jahren gab Alexander Brenner den Vorsitz der Jüdischen Gemeinde ab.
In Anerkennung seiner Arbeit als Diplomat und für seine Verdienste um die Berliner Gesellschaft verlieh ihm der Senat von Berlin 2008 die Würde eines Stadtältesten. Alexander Brenner lebte in vielen Orten dieser Welt. Sein Zuhause fand er in Berlin. Hier ging er von uns.
Das Berliner Abgeordnetenhaus nimmt heute Abschied von unserem Ehrenbürger Helmut Schmidt. Ein großer deutscher Staatsmann, der immer auch Europa und die
Welt im Blick hatte, hat uns für immer verlassen. Seine Analysen und Ratschläge wurden gehört. Seine Beliebtheit war enorm. Als Politiker wurde er geachtet, als Elder Statesman bewundert.
Helmut Schmidt war immer eindeutig in seiner Sprache und klar im Urteil. Dabei blieb er seiner Philosophie des Pragmatismus immer treu.
Eine Lehre zog Helmut Schmidt aus seinen persönlichen Kriegserfahrungen, die er als junger Mann im Zweiten Weltkrieg machte: Die Sicherung des Friedens hatte für ihn in der deutschen Nachkriegspolitik oberste Priorität. Als Kanzler arbeitete er seit 1974 an dieser Aufgabe, indem er die deutsch-französische Freundschaft für ein geeintes Europa vertiefte, indem er den Weltwirtschaftsgipfel begründete und einen intensiven Dialog mit der Weltmacht China suchte.
Helmut Schmidt hat zudem einen enorm wichtigen Beitrag geleistet, um die neue Ostpolitik von Willy Brandt fortzuschreiben. Dass es zur KSZE-Konferenz von 1975 in Helsinki kam mit dem berühmten „Korb III Menschenrechte“, war auch das Verdienst von Helmut Schmidt. Für die oppositionellen Kräfte in Polen, in der Tschechoslowakei, in der Sowjetunion und verzögert auch in der DDR entfalteten die Unterschriften der kommunistischen Führer unter dieses Dokument eine Eigendynamik der Reformbestrebungen in Osteuropa. Der „Wandel durch Annäherung“ war um eine wichtige Facette ergänzt.
Innenpolitisch steuerte der Bundeskanzler Helmut Schmidt die Bundesrepublik durch eine unruhige Zeit mit großen volkswirtschaftlichen Herausforderungen. Er sicherte das Primat des Rechtsstaats gegen den RAFTerrorismus. Dass das staatliche Interesse über das Interesse einzelner zu stellen war, war für Helmut Schmidt eine politische Notwendigkeit. Daran ließ er keinen Zweifel. Auch in Grenzfällen blieb er bei dieser Maxime. Die Schleyer-Entführung steht dafür paradigmatisch.
Der Mensch Helmut Schmidt pflegte allgemein ein Understatement der Gefühle. In der Politik hielt er sie für besonders unangebracht. Und doch: Auf die Frage in einem TV-Interview, ob er schon einmal aus politischen Gründen gerührt war und geweint hätte, antwortete der Altkanzler mit Ja:
Ein großes politisches Ziel deutscher Politik war vollbracht – für Europa, für Deutschland, aber auch für uns Berliner. Dass Helmut Schmidt daran einen entscheidenden Anteil hatte, auch dafür werden wir sein Andenken immer in Ehren halten.
Unsere Gedanken sind bei seiner Tochter und allen, die ihm persönlich nahestanden. Berlin trauert mit Hamburg, das einen seiner großen Söhne verloren hat. – Ich danke Ihnen, dass Sie sich zu Ehren der Verstorbenen erhoben haben.
Zunächst möchte ich Sie darüber informieren, dass heute in unserem Saal ein von uns beauftragter Fotograf Aufnahmen für unseren Internetauftritt, Broschüren und Ähnliches machen wird. Ich habe dann auch wieder Geschäftliches mitzuteilen. Am Montag sind folgende fünf Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:
− Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Thema: „Vor der Klimakonferenz in Paris: Vorschläge der Enquete-Kommission ernst nehmen, Berliner Energiepolitik jetzt zukunftsfähig machen.“
− Antrag der Fraktion Die Linke zum Thema: „Vor der Klimakonferenz in Paris: Vorschläge der EnqueteKommission ernst nehmen, Berliner Energiepolitik jetzt zukunftsfähig machen.“
− Antrag der Piratenfraktion zum Thema: „Vor der Klimakonferenz in Paris: Vorschläge der EnqueteKommission ernst nehmen, Berliner Energiepolitik jetzt zukunftsfähig machen.“
Die Fraktionen haben sich im Ältestenrat auf die Behandlung des Antrags der Oppositionsfraktionen verständigt, sodass ich dieses Thema für die Aktuelle Stunde unter dem Tagesordnungspunkt 1 aufrufen werden, und zwar in Verbindung mit den Punkten 3 und 28 der Tagesordnung. Die anderen Anträge der Aktuellen Stunde haben damit ihre Erledigung gefunden.
Ich möchte auf die Ihnen vorliegende Konsensliste sowie auf das Verzeichnis der Dringlichkeit hinweisen. Ich gehe davon aus, dass allen eingegangen Vorgängen die dringliche Behandlung zugebilligt wird. Sollte dies im Einzelfall nicht Ihre Zustimmung finden, bitte ich um entsprechende Mitteilung.
Als Tischvorlage auf rotem Papier liegt Ihnen ein einvernehmlicher Vorschlag des Ältestenrats vor, Regularien für die Haushaltsberatungen der Plenarsitzung am 10. Dezember 2015. Demnach soll die Sitzung bereits um 9 Uhr beginnen. – Ich höre gegen die vorgeschlagene Vorgehensweise und die Regularien keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren.
Entschuldigungen von Senatsmitgliedern für die heutige Sitzung: Herr Senator Heilmann ist bis 14 Uhr abwesend. Grund: Teilnahme an der Herbst-Justizministerkonferenz in der Landesvertretung Baden-Württemberg. – Herr
Senator Geisel wird heute entgegen der Ankündigung ganztägig bei uns sein. Der Lufthansastreik hat das ermöglicht.
Senator Henkel ist ganztägig abwesend. Grund: Teilnahme an der Sportministerkonferenz in Köln vom 12. bis 13. November.
Meine Damen und Herren! Mit Schreiben vom 10. November 2015 hat mir der Regierende Bürgermeister seine Absicht mitgeteilt, in der heutigen Sitzung eine
Erklärung des Regierenden Bürgermeisters gemäß Art. 49 Abs. 3 VvB „Für eine humane Flüchtlingspolitik: Eine gemeinsame Kraftanstrengung für Berlin“
Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Wir befinden uns in einer außergewöhnlichen Situation, in einer außergewöhnlich schwierigen Situation in unserem Land, in Berlin, und wir alle wissen das. Täglich kommen um die 600 Menschen nach Berlin – jeden Tag kommen um die 600 Menschen zusätzlich in unsere Stadt. Wir gehen davon aus, pro Monat sind es mindestens um die 15 000. Insgesamt haben wir in den letzten Jahren 58 000 Menschen aufgenommen. Pro Monat kommen inzwischen so viele wie mitunter in den vergangenen Jahren zusammen.
Ich will es gleich zu Beginn sagen: Wir haben mit Sicherheit in den letzten Monaten nicht immer alles richtig gemacht. Manches ist zu langsam passiert, und vieles kann auch noch verbessert werden. Ich will an der Stelle aber auch sagen, dass ich glaube, dass wir mit einer Situation konfrontiert sind, auf die man sich nicht über Jahre einstellen konnte, die nicht über Jahre absehbar war, worauf sich die Verwaltung ausrichten konnte. Und wir haben diese schwierige Situation eben auch nicht nur in Berlin. Sie können mir glauben – von Bodo Ramelow bis Horst Seehofer –, wenn die Ministerpräsidenten zusammensitzen: Wir tauschen uns aus über eine sehr ähnliche Situation, die wir in unseren Ländern, in unseren Städten haben. Und nur weil nicht in jeder Stadt und in jedem Landkreis alle Tageszeitungen vertreten sind und alle Rundfunkanstalten entsprechende Außenposten haben, heißt das nicht, dass dort die Situation immer einfacher ist als in Berlin. Aber in den Stadtstaaten, das ist nun einmal so, sind diese Probleme, mit denen wir uns auseinandersetzen, eben sehr klar, sehr gebündelt sichtbar, weil es für uns nicht möglich ist, auch über das gesamte Land entsprechend zu verteilen.
Noch einmal: Vieles kann man mit Sicherheit besser machen. Aber ich sage auch, dass uns vieles gelungen ist.
Wir haben eben 58 000 Menschen helfen können. Wir haben die festen Unterbringungsmöglichkeiten allein in diesem Jahr auf 31 000 erhöhen können. 9 000 Wohnungen von städtischen Gesellschaften werden für die Unterbringung genutzt. Und wir konnten vielen Menschen eben nicht nur ein Dach über dem Kopf bieten, sondern auch Sprachangebote, Gesundheitsangebote, Qualifizierungsangebote für den Arbeitsmarkt machen. Auch das – und das will ich betonen – war in den letzten Monaten möglich durch das Engagement ganz vieler: vieler Ehrenamtlicher; durch Hilfs- und Sozialorganisationen ist es möglich gewesen, durch den engagierten Einsatz von Polizei und Feuerwehr und auch der Bundeswehr und – auch das muss einmal gesagt werden – auch durch sehr, sehr viele engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Bezirken und auf der Landesebene, die teilweise über die eigene Belastungsgrenze hinaus arbeiten. Diesen Menschen möchte ich dafür danken!
Berlin war auch oft in seiner Geschichte auf Hilfe angewiesen. Es gibt eine große Migrationsgeschichte Berlins. Und in diesen Tagen wird wieder deutlich, wie wir aus unserer Geschichte auch gelernt haben und wie viele Berlinerinnen und Berliner auch sagen: Ja, vielleicht ist es jetzt an der Zeit, auch etwas zurückzugeben von der Hilfe, die wir über Jahre oder Jahrzehnte durch andere bekommen haben.
Wir sind eine offene und tolerante Stadt. Und ich sage auch als Regierender Bürgermeister, dass ich stolz darauf bin, dass es sehr viele Menschen gibt in diesen Tagen, die trotz aller Sorgen und Fragen, die sie haben, oder auch Kritik an unserem politischen Handeln, klare Kante zeigen, wenn es drauf ankommt.
Und wenn es auch in unserer Stadt diese unsäglichen BÄRGIDA-Demonstrationen oder AfD-Demonstrationen gibt, oder wenn Einzelne mit dumpfen Parolen auftreten, dann gibt es eben ganz viele Berlinerinnen und Berliner, die sagen: Das ist unsere Stadt, das ist unser tolerantes Berlin, und ihr seid diejenigen, die nicht dazugehören! – Darauf bin ich stolz, meine Damen und Herren!
Ich verschließe nicht die Augen vor den Problemen, vor denen wir stehen. Von Tag zu Tag wird es schwieriger, und ich glaube, die Sorgen vieler Menschen nehmen auch deshalb zu, weil sie eben auch die Veränderung spüren, die es inzwischen durch den Flüchtlingszustrom in unserer Stadt gibt. Aber ich glaube, wir müssen an dieser Stelle deutlich und ehrlich sagen: Dieser Zustrom wird in den nächsten Monaten mindestens anhalten, und es wird