Protokoll der Sitzung vom 08.05.2014

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 47. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste und unsere Zuhörerinnen und Zuhörer sowie die Medienvertreter sehr herzlich.

Heute, am 8. Mai 2014, haben wir uns zu Beginn der Sitzung verabredet, für eine kurze Weile Abstand zu nehmen vom aktuellen Tagesgeschäft und unserer wie immer prall gefüllten Tagesordnung, um uns zweier Ereignisse zu erinnern: des Endes des Zweiten Weltkriegs am 8. Mai 1945 – vor nunmehr 69 Jahren – und genau vier Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht der Verabschiedung des Grundgesetzes durch den Parlamentarischen Rat am 8. Mai 1949.

Der Krieg begann 1939 mit dem Überfall auf Polen, steuerte dann auf Westeuropa, um schließlich das eigentliche Ziel nationalsozialistischer Politik zu verfolgen, die Eroberung von „Lebensraum im Osten“ durch einen Krieg. Mit dem „Unternehmen Barbarossa“ begann ein barbarischer Vernichtungsfeldzug gegen die Sowjetunion. Erst mit der Eroberung Berlins durch die Rote Armee wurden zwölf Jahre Diktatur und Terror in unserer Stadt beendet.

Die in weiten Teilen zerstörte Stadt wurde, wie es das „Londoner Protokoll“ von 1944 vorsah, unter dem Dach einer „Alliierten Militärkommandantur“ im Sommer 1945 durch britische, amerikanische und französische Streitkräfte sowie die bereits sowjetischen Truppen vor Ort in vier Sektoren geteilt.

Mit dem 8. Mai 1945 war der Zweite Weltkrieg in Europa endgültig beendet. 61 Staaten hatten daran teilgenommen, über 110 Millionen Soldaten hatten gekämpft, fast 60 Millionen Tote und 35 Millionen Versehrte waren am Ende dieses Krieges zu beklagen. In keinem Krieg vorher hatte es mehr Opfer gegeben. Der Neuanfang und Wiederaufbau, aber auch die Teilung Deutschlands war der Beginn einer neuen Epoche. Von heute aus betrachtet, ist die Befreiung vom Nationalsozialismus für die meisten Menschen keine gelebte Vergangenheit, sondern Geschichte, historische Ereignisse, die in das kollektive Gedächtnis gefunden haben.

Deutschland hat viele Nachbarn in der Mitte Europas, mit allen unseren Nachbarn wollen und können wir friedlich zusammenleben. Täglich hören wir neue beängstigende Nachrichten aus der Ukraine. Deshalb sage ich: Wenn es eine Lehre aus den Weltkriegen gibt, dann ist es die, alles zu versuchen, kriegerische Auseinandersetzungen mit den Mitteln der Diplomatie abzuwenden. Und wenn von einer Stadt und einem Parlament ein Appell an die Beteiligten der Auseinandersetzungen in der Ukraine ausgehen kann, dann ist es ein Appell aus Berlin, aus einer Stadt, die nach

dem Zweiten Weltkrieg durch ihre Teilung so viel Leid und Unglück hat ertragen müssen. Es ist der Appell: Sprechen Sie alle so lange miteinander, bis eine friedliche Lösung gefunden ist! Gerade der 8. Mai erinnert uns daran, wie wertvoll ein Leben in Frieden und Würde ist!

Vom Kriegsbeginn 1939 über die Verabschiedung einer demokratischen Verfassung 1949 im Westen unseres Landes bis zur friedlichen Revolution 1989 und der Wiedervereinigung Deutschlands lässt sich der schicksalhafte Bogen schlagen. Die Wiedervereinigung vollendete 45 Jahre nach Kriegsende den Neubeginn.

Die Mütter und Väter des Grundgesetzes hatten es nicht leicht, die Vorbehalte gegen eine demokratische Verfassung in der Bevölkerung zu zerstreuen. Sie wollten eine wehrhafte parlamentarische Parteiendemokratie. Der Parlamentarische Rat hatte die richtigen Lehren aus Weimar gezogen. Die zweite deutsche Demokratie ist ein gefestigtes politisches System. Dennoch ist es immer wieder notwendig, auf Gefahren für diese Demokratie hinzuweisen und das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass ein Leben in Demokratie und Freiheit und in Frieden ein kostbares Gut ist.

Die fürchterliche Erfahrung des Nationalsozialismus ist nicht alleine eine Erfahrung der Deutschen, sondern eine europäische Erfahrung. Und was den Krieg und die Kriegsfolgen betrifft – wie wir wissen, darüber hinaus. Zweieinhalb Wochen vor der Europawahl sei deshalb auch an das Wunder der europäischen Einigung erinnert. Wir Berliner sollten dieses Glück zu schätzen wissen. – Vielen Dank!

[Allgemeiner Beifall]

Erstmalig darf ich heute den neuen Staatssekretär der Senatskulturverwaltung, Herrn Tim Renner, begrüßen. – Herzlich willkommen und auf gute Zusammenarbeit!

[Allgemeiner Beifall]

Dem entpflichteten Staatssekretär André Schmitz danke ich für die geleistete Arbeit.

Ich beglückwünsche den Abgeordneten Herrn TimChristopher Zeelen zur Geburt der Tochter Rahel Sarah. – Herzlichen Glückwunsch!

[Allgemeiner Beifall ]

Dann habe ich wieder Geschäftliches mitzuteilen: Die Vorlage zur Beschlussfassung, Drucksache 17/1092, Gesetz zur Durchführung der erneuerbaren Energien im Land Berlin und zur Änderung des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes, erste Lesung, ist in der 34. Sitzung am 29. August 2013 an den Ausschuss für Stadtentwicklung und Umwelt überwiesen worden. Nunmehr wird die zusätzliche Überweisung an den Hauptausschuss vorgeschlagen. Widerspruch gegen diese zusätzliche Überweisung höre ich nicht. Dann verfahren wir so.

Am Montag sind folgende fünf Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:

− Antrag der Fraktion der SPD zum Thema: „1. Mai in Berlin – gemeinsame Strategie von Senat, Polizei und Stadtgesellschaft ist aufgegangen“

− Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „1. Mai in Berlin – gemeinsame Strategie von Senat, Polizei und Stadtgesellschaft ist aufgegangen“

− Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Thema: „Nicht genug Kapazitäten für Kongresse in Berlin – ICC und City-Cube, wie weiter?“

− Antrag der Fraktion Die Linke zum Thema: „Fernsehturm verramscht und verbaut – SPD und CDU vernachlässigen Berliner Mitte“

− Antrag der Piratenfraktion zum Thema: „Chaotischer Fahrplan bei der S-Bahnausschreibung, wer fährt mit was die Berlinerinnen und Berliner ab 2017?“

Die Fraktionen haben sich im Ältestenrat auf die Behandlung des Antrags der Fraktion Die Linke verständigt, sodass ich dieses Thema für die Aktuelle Stunde unter dem Tagesordnungspunkt 1 aufrufen werde, und zwar in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 19. Die anderen Anträge auf Aktuelle Stunde haben damit ihre Erledigung gefunden.

Dann möchte ich auf die Ihnen vorliegende Konsensliste sowie auf das Verzeichnis der Dringlichkeiten hinweisen. Ich gehe davon aus, dass allen eingegangenen Vorgängen die dringliche Behandlung zugebilligt wird. Sollte dies im Einzelfall nicht der Fall sein, so bitte ich um entsprechende Mitteilung.

Entschuldigungen von Senatsmitgliedern für die 47. Sitzung: Senator Dr. Nußbaum ist ganztägig abwesend. Der Grund ist die Teilnahme an der Jahresfinanzministerkonferenz in Stralsund vom 8. bis zum 9. Mai. Frau Senatorin Yzer ist von 11.00 Uhr bis 12.30 Uhr abwesend. Sie vertritt den Regierenden Bürgermeister mit einem Grußwort anlässlich des ersten gesamteuropäischen Handelskongresses für Consumer Electronics.

Nun möchte ich Sie auf den Terminplan für die Plenarsitzungen im Jahr 2015 hinweisen, den Sie als Vorlage auf Ihren Tischen vorfinden und der vom Ältestenrat empfohlen worden ist. Wer dieser Planung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind alle Fraktionen, auch der fraktionslose Kollege. Gibt es Gegenstimmen – oder Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann sind die Termine so beschlossen.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 1:

Aktuelle Stunde

gemäß § 52 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin

„Fernsehturm verramscht und verbaut – SPD und CDU vernachlässigen Berliner Mitte“

(auf Antrag der Fraktion Die Linke)

in Verbindung mit

lfd. Nr. 19:

a) Entwicklungsblockade beenden und Bebauungspläne für den Alexanderplatz ändern

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Stadtentwicklung und Umwelt vom 9. April 2014 Drucksache 17/1595

zum Antrag der Fraktion Die Linke Drucksache 17/1032

hierzu:

Änderungsantrag der Fraktion Die Linke Drucksache 17/1032-1

b) Planung am Alexanderplatz

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Stadtentwicklung und Umwelt vom 9. April 2014 Drucksache 17/1596

zum Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU Drucksache 17/1507

Für die Besprechung und Beratung der Aktuellen Stunde steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu zehn Minuten zur Verfügung, die auf zwei Redebeiträge aufgeteilt werden können. Es beginnt die Fraktion Die Linke. – Frau Kollegin Lompscher, Sie haben das Wort – bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir heute über die City Ost reden, müssen wir uns des besonderen Tages bewusst sein: Am 8. Mai 1945 lag auch die alte Berliner Mitte in Schutt und Asche. In den Jahrzehnten zuvor, seit Mitte des 19. Jahrhunderts, hatte sie ihre Funktion und Gestalt stark verändert, weil die aufstrebende Metropole neue Ansprüche stellte. In diesem Zuge entstand auch das neue Zentrum im Westen. Im geteilten Berlin wurden die Zentren in Ost und West faktisch auf den Trümmern städtebaulich neu gestaltet. Im vereinigten Berlin sind City Ost und City West unbestrittene Ankerpunkte der polyzentralen Stadtentwicklung Berlins.

Nicht alle, wenn auch die meisten verlorenen Bauwerke und Zeugnisse der Geschichte sind dem vom NaziRegime entfesselten Krieg zum Opfer gefallen. Wenn wir

(Präsident Ralf Wieland)

Bedeutung, Geschichte und Zukunft der alten Mitte der heutigen City Ost klären wollen, müssen wir uns an die mehrfach gebrochene Geschichte Berlins erinnern und uns ihr stellen. Ohne eine ehrliche Rückschau gibt es keinen tragfähigen Zukunftsansatz.

[Beifall bei der LINKEN]

Genau darum geht es uns. Wir müssen uns dabei vergegenwärtigen: Der Alexanderplatz, der Freiraum unter dem Fernsehturm und der Fernsehturm selbst sind herausragende öffentliche Orte, auch wenn sie gegenwärtig hinter Absperrungen verschwinden und in ihrer Nutzbarkeit erheblich eingeschränkt sind. Aber sie sind bei weitem nicht leer, wie häufig suggeriert wird. An diesen Orten findet und fand öffentliches Leben statt. Aktuell protestieren Flüchtlinge am Alexanderplatz. Warum eigentlich sind sie vom Platz an den Rand gedrängt worden? Passt dort Budenzauber besser als eine politische Kundgebung? Ist Versammlungsfreiheit nicht ein höheres Gut?

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]