Protokoll der Sitzung vom 08.09.2016

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 85. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin. Ich begrüße Sie, unsere Gäste und Zuhörer sowie die Medienvertreter recht herzlich.

Ich möchte Sie bitten, sich von den Plätzen zu erheben.

[Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen.]

Gestern haben wir uns vom ehemaligen Bundespräsidenten Walter Scheel im Rahmen eines Staatsaktes verabschiedet. Walter Scheels politisches Leben ist eng mit dem Liberalismus in der Bundesrepublik Deutschland verbunden. Und es ist auch sein Verdienst gewesen, den politischen Liberalismus in Deutschland vom nationalen Denken zu befreien. Als Vorsitzender der FDP hat er von 1968 an daran mitgewirkt, seiner Partei eine sozialliberale Ausrichtung zu geben. Sie machte das Bündnis mit der Sozialdemokratie möglich, das nach der Bundestagswahl 1969 in eine sozialliberale Koalition mündete. Programmatisch fand die neue Ausrichtung ihren Ausdruck in den Freiburger Thesen der FDP.

Wir sind es gewohnt, die Zeit der ersten sozialliberalen Bundesregierung mit der Entspannungspolitik und den Ostverträgen zu verbinden. Natürlich war auch Walter Scheel, der Außenminister in der Regierung von Willy Brandt war, ein Protagonist der neuen Annäherungspolitik gegenüber Osteuropa und dem anderen Deutschland. Ohne die Unterstützung von Walter Scheel und seiner FDP hätten Egon Bahr und Willy Brandt die neue Deutschland- und Osteuropapolitik nicht umsetzen können. Aber der politische Fokus der sozialliberalen Bundesregierung lag auch auf der Innenpolitik. Viele Gesetze wurden geändert und der gesellschaftlichen Realität angepasst. Es war ein ehrliches Anliegen von Walter Scheel, die bundesrepublikanische Gesellschaft zu modernisieren und Reformen anzustoßen. Mehr Demokratie zu wagen, war damals auch ein durchaus zentrales Anliegen Walter Scheels.

Bevor Willy Brandt 1974 als Bundeskanzler zurücktrat, entschied sich Walter Scheel als Bundespräsident in der Bundesversammlung am 15. Mai 1974 zu kandidieren. Er wurde mit den Stimmen von SPD und FDP in das höchste deutsche Staatsamt gewählt. Walter Scheel nutzte seine Stellung als Bundespräsident, um das politische Denken in der Republik zu beeinflussen. Der gesellschaftliche Wandel und seine Auswirkungen waren immer wieder Gegenstand seiner ambitionierten Reden. Er sah sich als Anwalt derer, die die Bundesrepublik als fortschrittliche und freiheitliche Gesellschaft weiterentwickeln wollten. Freiheit war das große Thema von Walter Scheel. Als er mit Studenten kritisch über das Freiheitliche diskutierte, äußerte er sehr eindringlich: „Sprechen Sie nicht verächt

lich von der Freiheit. Sie ist unsere einzige Chance.“ In der heutigen Zeit ist dieser Satz immer noch hochaktuell.

Am 24. August starb unser Ehrenbürger und Bundespräsident a. D. Walter Scheel im Alter von 97 Jahren. Er hat seine letzte Ruhestätte in unserer Stadt gefunden. Wir werden ihn und sein Engagement für Berlin nicht vergessen. Unsere Anteilnahme gilt seiner Frau und den erwachsenen Kindern.

[Gedenkminute]

Ich danke Ihnen, dass Sie sich zu Ehren Walter Scheels erhoben haben.

Der vormals namentliche Kollege Wolfgang Prieß hat am 10. August 2016 geheiratet und führt fortan den Familiennamen Rohst. – Herzlichen Glückwunsch zur Eheschließung, Herr Kollege, und alles Gute!

[Allgemeiner Beifall]

Dann habe ich wieder Geschäftliches mitzuteilen: Die Vorlage – zur Beschlussfassung – „Aufgabe gemäß § 7 Abs. 2 Sportförderungsgesetz der bebauten Teilfläche des Strandbades Müggelsee zwecks Vergabe in Erbbaurecht für sportliche und Freizeitnutzungen“, Drucksache 17/2598, wird vom Senat zurückgezogen. Die Vorlage ist in der 73. Sitzung am 10. Dezember 2015 federführend an den Ausschuss für Sport und mitberatend an den Ausschuss für Stadtentwicklung und Umwelt und an den Hauptausschuss überwiesen worden.

Die Fraktionen haben sich diesmal vorab hinsichtlich der Aktuellen Stunde auf das Thema „Berlin vor der Wahl“ verständigt, sodass ich dieses Thema gleich unter dem Tagesordnungspunkt 1 aufrufen werde.

Dann möchte ich auf die Ihnen vorliegende Konsensliste sowie auf das Verzeichnis der Dringlichkeiten hinweisen. Ich gehe davon aus, dass allen eingegangenen Vorgängen die dringliche Behandlung zugebilligt wird. Es gilt wie üblich: Sollte dies im Einzelfall nicht Ihre Zustimmung finden, bitte ich um entsprechende Mitteilung.

Mir liegt ein Antrag aller Fraktionen vor, gemäß § 59 Abs. 6 unserer Geschäftsordnung die Reihenfolge der Gegenstände der Tagesordnung unserer heutigen Sitzung zu ändern. Nach dem Tagesordnungspunkt 2 – Fragestunde – sollen zunächst folgende Gegenstände der Tagesordnung bzw. der Dringlichkeitsliste vorgezogen und behandelt werden: die Tagesordnungspunkte 7, 7 A, 7 B, 16 A bis 16 L, 21 A, 21 B und 25 A. Anschließend soll die Sitzung – wie in der Einladung vorgesehen – mit Tagesordnungspunkt 3 fortgesetzt werden. Wer diesem Geschäftsordnungsantrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind alle Fraktionen. Gegenstimmen? – Keine! – Keine Enthaltung!

Dann die Entschuldigung eines Senatsmitglieds für die heutige Sitzung: Herr Senator Dr. Kollatz-Ahnen wird ab

ca. 17 Uhr abwesend sein. Der Grund ist die Teilnahme an der zweiten Sitzung des Vermittlungsausschusses zum Thema „Erbschaftsteuer“.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 1:

Aktuelle Stunde

gemäß § 52 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin

„Berlin vor der Wahl“

(auf Antrag aller Fraktionen)

Für die Besprechung der Aktuellen Stunde steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu 15 Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion der SPD. – Bitte, Herr Kollege Saleh, sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Berlin steht kurz vor einer wichtigen Wahl. Jetzt ist es an der Zeit, klar zu sagen, wohin es mit der Stadt in den nächsten Jahren gehen soll. Jetzt ist es auch an der Zeit, Bilanz zu ziehen, wie sich die Stadt in den letzten Jahren entwickelt hat und was politisch geleistet wurde. Die Berlinerinnen und Berliner können auf fünf gute Jahre zurückblicken. Für viele Menschen hat sich die Lebenssituation verbessert.

[Beifall bei der SPD und der CDU – Zurufe von den GRÜNEN und den PIRATEN – Martin Delius (PIRATEN): Welche fünf Jahre?]

Denken Sie allein an den Rückgang der Arbeitslosigkeit und die vielen neuen Arbeitsplätze in Berlin.

[Zurufe von der LINKEN]

100 000 Arbeitsplätze sind in den letzten fünf Jahren entstanden. Wir haben die niedrigste Arbeitslosenquote seit 25 Jahren. Zehntausende Menschen kommen in unsere Stadt, um hier zu leben, zu arbeiten und Familien zu gründen. Viele wichtige Entscheidungen haben wir in den letzten fünf Jahren getroffen, und vieles ist gelungen.

[Beifall bei der SPD und der CDU – Zurufe von den PIRATEN]

Ich erinnere Sie daran, dass wir den Bildungsetat seit 2012 um fast 1 Milliarde Euro erhöht haben.

[Zuruf von der LINKEN: Wow!]

Das zusätzliche Geld fließt zum Beispiel an Brennpunktschulen. Über 230 Schulen bekommen durch das Brennpunktschulprogramm zusätzliche Mittel. Damit haben wir Lehrern, Eltern und Schülern wieder ein Stück Hoffnung gegeben. Sie wissen jetzt, dass wir sie bei ihrer wichtigen Arbeit für gute Bildung und sozialen Aufstieg nicht allein lassen.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Wir haben in den letzten fünf Jahren 20 000 neue Kitaplätze geschaffen. Wir haben dafür gesorgt, dass die Kitas zusätzliche Erzieherinnen und Erzieher für eine bessere Betreuung einstellen können, und wir haben die Kitagebühren vollständig abgeschafft.

[Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: Bravo!]

Das entlastet Tausende Familien, also gerade diejenigen, die jeden Cent dringend benötigen. Es ist schon bemerkenswert, dass die Grünen die Eltern wieder zur Kasse bitten wollen. Wären Sie ehrlich, würden Sie es auf Ihre Wahlplakate drucken und den Eltern in der Stadt offen sagen: Wer Grün wählt, wird abkassiert.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Auch in der Wohnungspolitik gab es in den letzten fünf Jahren einen Richtungswechsel. Mit dem Verbot von Ferienwohnungen und dem Umwandlungsverbot haben wir für Mieterschutz und Entlastung auf dem Wohnungsmarkt gesorgt.

[Zuruf von den GRÜNEN]

Ich erinnere Sie, dass es heute mehr als 300 000 Wohnungen im Besitz des Landes gibt. Das sind 30 000 mehr als noch zu Zeiten von Rot-Rot.

Ich erinnere Sie, dass wir aus der BIH die Berlinovo gemacht haben, die heute wieder Wohnungen in Berlin baut. Ein Wirtschaftssenator Harald Wolf wollte die BIH vor sechs Jahren noch verkaufen. Es war die SPDFraktion, die das verhindert hat.

[Beifall bei der SPD – Oh! bei der LINKEN – Zurufe von der LINKEN]

Auch wir als SPD haben sicherlich Fehler gemacht. Das bestreiten wir gar nicht, aber wir haben im Unterschied zu Ihnen aus den Fehlern gelernt.

[Beifall bei der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Steffen Zillich (LINKE)]

Auch im Bereich der Daseinsvorsorge sind wir vorangekommen. Ich erinnere an den Rückkauf der Berliner Wasserbetriebe, mit dem wir einen Fehler der Vergangenheit korrigiert haben.

[Zurufe von der LINKEN und den PIRATEN]

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein bisschen mehr Ruhe, bitte!

[Zurufe von der LINKEN und den PIRATEN]

(Präsident Ralf Wieland)