Protokoll der Sitzung vom 07.03.2013

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 28. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste und Zuhörer sowie die Vertreter der Presse recht herzlich.

Ich darf Sie zu Beginn der Sitzung bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben.

[Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen.]

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor Beginn der Beratungen habe ich eine traurige Pflicht zu erfüllen. Am 22. Februar verstarb der langjährige Abgeordnete Claus Wischner. Er gehörte unserem Haus von 1971 bis 1981 und dann wieder von 1989 bis 1991 an.

Claus Wischner wurde am 28. März 1935 in Berlin geboren. Nach dem Besuch der Oberschule im Jahr 1950 begann er 1953 eine Maurerlehre in der Berufsfachschule für das Baugewerbe. Der Lehre schloss sich von 1957 bis 1960 eine Ausbildung zum Sozialarbeiter an. Ab 1961 war Claus Wischner in der Familienfürsorge des Bezirksamtes Steglitz tätig.

1959 trat Claus Wischner der Christlich Demokratischen Union bei und engagierte sich bei der Jungen Union. Beheimatet war er im damaligen Kreisverband Tempelhof. In der dortigen Bezirksverordnetenversammlung war er von 1967 bis 1971 Bezirksverordneter, bevor er dann im März 1971 als Wahlkreisabgeordneter des Tempelhofer Wahlkreises 4 in das Abgeordnetenhaus von Berlin einzog.

Claus Wischner blieb zunächst Abgeordneter bis Ende September 1981. In seiner parlamentarischen Arbeit nahm die Berliner Sozialpolitik einen großen Raum ein. 1981 wurde Claus Wischner zum Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales berufen. Dort arbeitete er unter Senator Ulf Fink bis 1985. Für seine Verdienste wurde Claus Wischner 1986 das Bundesverdienstkreuz verliehen.

Nach einer vierjährigen Pause kehrte Claus Wischner 1989 in das Abgeordnetenhaus von Berlin zurück. Zu den ersten Gesamtberliner Wahlen 1991 trat er nicht mehr an. Nach dem Ausscheiden aus dem Abgeordnetenhaus beendete er seine politische Laufbahn und zog sich ins Privatleben zurück.

Neben seiner politischen Arbeit engagierte sich der Christdemokrat in verschiedenen Berliner Vereinen, so vor allem beim Schwimmverein „Friesen“, dessen Vorsitzender er von 1976 bis 1989 war.

1985 wurde Claus Wischner mit dem Ehrenzeichen des Deutschen Roten Kreuzes ausgezeichnet. Als Reaktion darauf verriet er sein persönliches Selbstverständnis: „Anderen zu helfen, ist mein Lebensinhalt.“ Wer Claus Wischner noch persönlich kennt, wird ihn sicher in diesen Worten wiederfinden. Es war sein Lebensmotto.

[Gedenkminute]

Ich danke Ihnen, dass Sie sich zu Ehren des Verstorbenen erhoben haben.

Ich habe zunächst wieder Geschäftliches mitzuteilen: Mit Schreiben der Senatsverwaltung für Inneres und Sport vom 22. Februar 2013 wird die Zurückziehung der Vorlage – zur Beschlussfassung – „Aufgabe gemäß § 7 Abs. 2 Sportförderungsgesetz einer Freifläche des öffentlichen Tennisstandorts Bornitzstraße 17 im Bezirk Lichtenberg, Ortsteil Alt-Lichtenberg, zwecks Veräußerung für Wohnungsbau“ auf der Drucksache 17/0628 mitgeteilt. Die Vorlage wurde in der 21. Sitzung am 22. November 2012 federführend an den Ausschuss für Sport und mitberatend an den Ausschuss für Stadtentwicklung und Umwelt und an den Hauptausschuss überwiesen. Am Montag sind folgende fünf Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:

1. Antrag der Fraktion der SPD zum Thema: „Überdurchschnittlich gute Entwicklung des Arbeitsmarktes in Berlin“,

2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Überdurchschnittlich gute Entwicklung des Arbeitsmarktes in Berlin“,

3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Gemeinsam das Denkmal East-Side-Gallery retten“,

4. Antrag der Fraktion Die Linke zum Thema: „Auseinandersetzungen um die East-Side-Gallery – und der Wowereit-Senat schweigt“,

5. Antrag der Piratenfraktion zum Thema: „East-SideGallery retten! – Zeugnis Berliner Zeitgeschichte erhalten!“.

Zur Begründung der Aktualität erteile ich zunächst einem Mitglied der Fraktion der SPD das Wort. – Bitte, Frau Kollegin Monteiro!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In seinen „Ratschlägen für einen schlechten Redner“ empfiehlt Tucholsky, viel Statistik zu verwenden. Dies belebe eine Rede ungemein, da jeder mühelos imstande sei, sich zehn verschiedene Zahlen zu merken.

Zahl eins: 217 507 Menschen waren in Berlin im Februar dieses Jahres arbeitslos. – Zahl zwei: Das sind 10 630 weniger als vor einem Jahr. – Zahl drei: Die Arbeitslosenquote beträgt derzeit 12,3 Prozent. – Zahl vier: Das sind 0,9 Prozent weniger als vor einem Jahr. – Fünftens bis zehntens: Es geht aufwärts, langsam, das gebe ich zu,

aber es geht aufwärts. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse steigt. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen sinkt. Die Zahl arbeitsloser Jugendlicher unter 25 Jahren sinkt – nur minimal, aber sie sinkt. Im Vergleich der Bundesländer hat Berlin mittlerweile Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt hinter sich gelassen. Das ist im Ländervergleich ein positives Signal für Berlin. Zudem gelang es keinem anderen Bundesland, innerhalb eines Jahres, von Februar 2012 bis Februar 2013, mehr Arbeitslosigkeit abzubauen.

Kleine Schritte sind besser als große Worte, sagte Egon Bahr. In der gegenwärtigen Situation in Europa sind diese kleinen Schritte ein beachtlicher Erfolg, auf dem wir uns nicht ausruhen dürfen. Das tun wir allerdings auch nicht. Unser Programm Berlin-Arbeit geht bewusst kleine Schritte, aber dafür konsequent und nachhaltig. Wir setzen auf eine Arbeitsmarktintegration mit längerem Atem, das heißt, bessere Beratung, bessere Aktivierung, Qualifizierung zur Erhöhung der Arbeitsmarktchancen und Begleitung des Einstiegs in Arbeit durch gezielte Zuschüsse, Coaching und Qualifizierung zur Festigung des Arbeitsverhältnisses. Das alles für Arbeitslose, die es besonders schwer haben, wieder in der Arbeitswelt Fuß zu fassen.

Beschäftigung schaffende Maßnahmen wie Bürgerarbeit, Förderung von Arbeitsverhältnissen und Arbeitsgelegenheiten werden dafür genutzt, marktferneren Arbeitslosen langfristig Perspektiven auf dem ersten Arbeitsmarkt zu eröffnen. Zusätzlich flankieren wir diese Maßnahmen mit einem Mix aus Coaching und anschlussfähiger Qualifizierung auf niedrigschwelligem Niveau und der Aufstockung des Arbeitsentgelts.

Derzeit wird Berlin-Arbeit weiter umgesetzt und mit Leben erfüllt. – Einige Beispiele: Das Rahmenarbeitsmarktprogramm mit der Regionaldirektion BerlinBrandenburg befindet sich in der Feinabstimmung. 3 800 Bürgerarbeitsplätze wurden besetzt. Die Umsetzung von FAV und Jobcoaching ist angelaufen. Wir haben sichergestellt, dass 2013 im Rahmen des Berliner Ausbildungsplatzprogramms 1 000 zusätzliche Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen. Mit einer Vorschaltmaßnahme ebnen wir unversorgten Lehrstellensuchenden Wege in Ausbildung. Unter dem Motto „Niemand geht verloren“ soll hier eine qualifizierte und gezielte Ausbildungserprobung durchgeführt werden.

Die berufsorientierenden Maßnahmen werden ausgebaut. Das Mentoring für Jugendliche, die Gefahr laufen, ihre Ausbildung abzubrechen, ist angelaufen. Die Verhandlungen mit dem DGB und den Unternehmensverbänden Berlin-Brandenburg über eine Sozialpartnervereinbarung werden intensiv geführt. Ein erfolgreicher Abschluss der Verhandlungen ist in Sicht.

Das Berliner Handwerk ist in guter Stimmung. Auch der Konjunkturreport der Industrie- und Handelskammern in

Berlin und Brandenburg, der am 11. Februar dieses Jahres vorgestellt wurde, zeichnet ein positives Bild des Berliner Arbeitsmarkts. Damit haben wir die seltene Situation erreicht, dass Wirtschaft und Politik in ihrer Einschätzung bezüglich der Arbeitsmarktlage übereinstimmen.

Diese Partnerschaft wollen wir nutzen, um noch mehr Menschen als bisher in Arbeit zu bringen, von der sie auch leben können. Das erwarten die Menschen von uns. Für den Berliner Senat bedeutet das Schwerstarbeit. Ich finde, wir alle sollten ihn dabei kraftvoll unterstützen.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Vielen Dank, Frau Kollegin! – Für die CDU-Fraktion Herr Kollege Korte! – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es gibt viele gute Gründe, dass wir uns heute in der Aktuellen Stunde mit der East-Side-Gallery befassen werden, diesem Ort der Freude über die Überwindung von Mauer und Stacheldraht in unserer Stadt, dessen Erhaltung alle Fraktionen wollen.

Aber auch die aktuellen Arbeitsmarktzahlen jetzt zum Ende des Winters wären ein guter Anlass, in der Aktuellen Stunde eine Standortbestimmung vorzunehmen, wo wir heute, 500 Tage nach der konstituierenden Sitzung dieses Hauses, beim Kampf gegen die Arbeitslosigkeit in Berlin stehen.

Der Koalitionsvertrag der großen Koalition ist überschrieben mit „Berliner Perspektiven für starke Wirtschaft, gute Arbeit und sozialen Zusammenhalt“.

[Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Vattenfall! Tetra Pak!]

Kein Zufall, dass hier die Arbeit im Mittelpunkt steht. Denn eine gesunde Wirtschaft schafft neue und gute Arbeitsplätze. Besonders sozial ist, was auskömmliche Arbeit für möglichst viele Berlinerinnen und Berliner schafft. Darum ist und bleibt es eines der obersten Ziele dieser Koalition, dass möglichst viele, ja möglichst alle arbeitslosen Menschen in unserer Stadt Arbeitsplätze finden, von denen sie ohne finanzielle Unterstützung des Staates leben können.

Berlin ist inzwischen auf dem richtigen Weg. Die Erwerbstätigkeit hat im Vorjahres- und Vormonatsvergleich weiter zugenommen. Die Zahl der Arbeitsplätze steigt stärker und die Anzahl der arbeitslos Gemeldeten geht weiter zurück als im Bundesdurchschnitt. Der Berliner Arbeitsmarkt zeigt sich robust.

Im Februar 2013 – das muss ich Tucholsky zum Trotz noch einmal sagen – waren in Berlin insgesamt 217 507 Arbeitslose gemeldet. Das sind weniger als im Vormonat und sogar über 10 000 oder knapp ein Prozentpunkt weniger als vor einem Jahr.

Berlin hatte Ende 2012 1,21 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Das bedeutet eine Steigerung um 2,9 Prozent gegenüber dem Jahr zuvor, mehr als doppelt so viel wie bei der bundesweiten Steigerung von 1,2 Prozent.

Die höchste Priorität hat für uns der Abbau der Jugendarbeitslosigkeit. Schon zum Jahresende 2012 gab es, und zwar unabhängig vom saisonbedingten Anstieg, fast 18 Prozent weniger junge Arbeitslose als im letzten Monat des rot-roten Senats.

Doch auch aktuell ist bei den Arbeitslosen im Alter von 15 bis 25 ein Rückgang zu verzeichnen. Im Februar waren mit knapp über 20 000 Personen gegenüber dem Vorjahresmonat 2 200 junge Menschen weniger arbeitslos. Entgegen dem Bundestrend gibt es bei uns in Berlin aktuell auch deutlich weniger junge Arbeitslose als noch vor einem Jahr.

Insgesamt ist also festzustellen, dass es eindeutige Erfolge beim Abbau der Arbeitslosigkeit gibt, auf die wir stolz sein dürfen. Aber das sind Anfangserfolge, auf denen wir uns nicht ausruhen werden. Bis 2016 wollen wir und werden wir gemeinsam mit der Regionaldirektion das ehrgeizige Ziel erreichen, die Quote arbeitsloser junger Menschen in Berlin auf unter 10 Prozent zu drücken.

An diesen Erfolgen ändert auch der saisonal übliche Rückgang nichts, der sich in den Wintermonaten immer bemerkbar macht. Denn das ist die eigentliche Nachricht zum Ende dieses Winters: Anders als im Bundestrend, anders als fast überall sonst in Deutschland waren die Zahlen auch in diesem Winter besser als vor einem Jahr. Diese Rückgänge sind auch ein Erfolg der neuen arbeitsmarktpolitischen Instrumente und besonders des Programms „Berlin-Arbeit“.

Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit steht und fällt auch mit erfolgreicher Wirtschaftspolitik, denn Arbeitslosenzahlen sinken vor allem dann, wenn immer mehr neue Arbeitsplätze entstehen. Lassen Sie mich hier nur den Punkt der Unternehmensgründungen herausgreifen. Berlin zeigt sich gründungsfreudiger als das übrige Deutschland. Berlin ist nicht nur Bundes- sondern auch Gründungshauptstadt. Ein positiver Gründungssaldo – weitgehend gegen den Bundestrend – trägt dazu bei, dass immer mehr Menschen in Arbeit kommen. Die Zahl der Neugründungen in der Stadt überwiegt deutlich die der Unternehmensstillegungen und ist ein Indiz für die positive Entwicklung und die robuste Konjunktur am Wirtschaftsstandort.

Im Jahr 2012 gab es in Berlin über 40 000 Unternehmensneugründungen. Im vergangenen Jahr konnte etwa die Berlin Partner GmbH über 160 Ansiedlungs- und Expansionsprojekte mit Erfolg unterstützen. Allein dadurch werden in den nächsten drei Jahren mehr als 5 300 Arbeitsplätze neu geschaffen. Schon im vergangenen Jahr hat die Zahl der Erwerbstätigen in Berlin so stark zugenommen wie in keinem anderen Bundesland. Der bundesweite Anstieg wurde deutlich übertroffen.

All das sind unabweisbare Erfolge der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik der großen Koalition. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Vielen Dank! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Herrmann! – Bitte schön!

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Kein anderes Thema hat die Stadt in der letzten Woche so bewegt wie die East-Side-Gallery. Der aus Sicht von vielen Leuten fragwürdige Umgang Berlins mit seinem historischen Erbe hat sogar Wellen bis nach Kalifornien geschlagen. Am letzten Freitag haben 400 Demonstranten den Teilabriss verhindert. Am Sonntag haben über 6 000 Menschen für den Erhalt diese Erinnerungsortes demonstriert. Wir sollten nicht nur, wir müssen das heute zur Aktuellen Stunde machen.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Welche Art Umgang mit Geschichte der Stadt und welche Erinnerungskultur wollen wir in Berlin? Wie gehen Berlinerinnen und Berliner mit unserer historischen Verantwortung um? Welche Rolle spielt die East-SideGallery? Wie geht Politik mit dem Willen von über 71 000 Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern einer Petition um?