Protokoll der Sitzung vom 29.08.2013

Im Zentrum auch der flexiblen Betreuung steht das Kindeswohl – passgenaue und andere Betreuung ist vielleicht gefragt, nicht längere oder zusätzliche. Auch sind Familienzentren, wie es hier steht, nicht für die kontinuierliche Frühforderung adäquat zu Kita oder Tagespflege gedacht, ohnehin haben wir viel zu wenige davon. So wie es der Haushaltsplanentwurf vorsieht, wird es hier wohl auch keinen bedarfsgerechten Ausbau geben. Es gibt laut Kitafördergesetz, es ist gesagt worden, die Möglichkeit der Betreuung in Kitas von 6 bis 21 Uhr oder in der Tagespflege mit besonderen Betreuungszeiten. Wer also seinen Bedarf per Gutschein im Jugendamt anmeldet,

erhält auch einen Platz, sagt der Senat und sagen die Bezirke.

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Delius?

Ja, bitte!

Bitte schön, Herr Kollege!

Vielen Dank, Frau Kollegin! Sie haben gerade gesagt, das hat nicht notwendigerweise etwas mit Personalaufwüchsen und mehr Stunden zu tun. Wenn ich mehrere Kitas in meiner Umgebung habe, die nur bis 17 Uhr offen haben und gerade erst früh um 7 aufmachen, dann verraten Sie mir doch einmal, welche Alternativen diese Kitas haben, wenn sie flexible Betreuungsangebote für die gleiche Anzahl von Plätzen bieten wollen, außer mehr Personal und mehr Stunden.

Was war denn jetzt genau die Frage, Herr Kollege?

Welche Alternativen zu mehr Personal und mehr Stunden?

Ich denke, das muss in den Bezirken tatsächlich vor Ort, in den Regionen, organisiert werden. Es geht nicht, dass alle Kitas abends längere Öffnungszeiten vorhalten oder morgens das Personal zur Verfügung stellen. Es gibt an der Stelle auch personalrechtliche Bedenken. Das muss gut durchdacht und organisiert werden. Da haben wir noch keine wirklich funktionalen Strukturen. Diese Antwort werden wir im Ausschuss finden, Herr Delius.

[Martin Delius (PIRATEN): Das hoffe ich doch!]

Ja, ich auch. – Wer also seinen Bedarf anmeldet, bekommt auch einen Gutschein. Dieser Gutscheinbedarf ist also zählbar. Es erstaunt, dass die bisher vorliegenden Zahlen über die Inanspruchnahme recht niedrig sind, beispielsweise im Jahr 2011 Tagespflegekinder mit besonderem Betreuungsbedarf: 99, Kitakinder mit ergänzendem Betreuungsbedarf: 242 – im Vergleich zu den Zahlen der Vorjahre tendenziell kaum eine Veränderung. Was ist hier los? Wird nicht genug getan, um die Eltern auf ihre Rechte hinzuweisen? Resignieren die Menschen mit atypischen Beschäftigungszeiten und kleinen Kindern

und bleiben lieber zu Hause? Gibt es zu wenig geeignete, zum Beispiel wohnortnahe Angebote? Oder haben schon alle familienfreundliche Beschäftigungsverhältnisse oder eine willige Oma oder genug Geld für ein Kindermädchen?

Fakt ist: Der Bedarf ist da. Die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes belastet Familien. Laut Familienbericht will über die Hälfte aller Eltern familienfreundlichere Arbeitszeiten und flankierend flexible Kinderbetreuung. Ein Viertel aller Beschäftigten arbeitet an den Wochenenden, jeder Zehnte nachts, jeder Fünfte der 35-Jährigen hat nur ein befristetes Arbeitsverhältnis, und in Berlin haben 93 Prozent aller Betriebe unter zehn Mitarbeitende. Wo die Wirtschaft maßgeblich durch Kleinbetriebe und Freiberufler von knallharter Konkurrenz getragen wird, findet Familienfreundlichkeit nicht statt. Hier ist eher Selbstausbeutung an der Tagesordnung.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Die Frauen, die nach wie vor häufiger im Dienstleistungssektor oder in Minijobs beschäftigt sind, sind besonders betroffen. Die Höchstbelastung aber tragen Alleinerziehende – natürlich primär Frauen. Berlin hat mit 32 Prozent den höchsten Anteil an Alleinerziehenden, und dramatisch ist: Die Armutsquote in dieser Gruppe liegt bei 31 Prozent. Gerade sie brauchen also die Teilhabe am Arbeitsleben und Kinderbetreuung.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Betroffene beschreiben, dass es in unserer Metropole nicht einfach ist, über private Netzwerke und Hilfesysteme verbindliche Kinderbetreuung zu organisieren. Kindermädchen können sie sich nicht leisten.

An dieser Stelle zeigt sich auch das Problem der Zählung dieses Bedarfs noch einmal. Wer keinen Job hat, bekommt keinen Kitagutschein und umgekehrt: Wo es keine Betreuungsmöglichkeit gibt, gibt es keinen Job. Hier ist ein Bedarf, der nicht gezählt werden kann. Hier muss die Gesellschaft rechtzeitig vorsorgen. Wichtig ist: Auch flexible Kinderbetreuung darf nicht dem freien Markt, also dem Geldbeutel überlassen werden, sondern muss allen zugänglich sein.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD, der CDU, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Zu prüfen ist, wie regelhafte und bedarfsgerechte Angebote und eine Anpassung der bestehenden Strukturen möglich sein werden, dies natürlich bei Sicherstellung der gebotenen Qualität und der Beschäftigtenrechte. Wir brauchen Aufklärung und Information der Eltern, die auch ankommt, also auch mehr Unterstützung gerade von kleinen Trägern, die diese Arbeit leisten, die gut vernetzt und nahe an den Menschen sind, die Beratung bieten oder

mit Ehrenamtsprojekten kooperieren. Sie brauchen mehr Unterstützung vonseiten des Senats.

Vor allem muss die Wirtschaft, müssen auch kleinere und mittlere Betriebe sich bewegen. Die ganz großen Unternehmen machen es längst vor, weil sie es sich nicht leisten wollen, ihre guten Fachkräfte zu verlieren oder ständig neue nachzuziehen. Sie wissen: Familienfreundlichkeit rechnet sich. Wir brauchen eine Verpflichtung der Wirtschaft, familienfreundliche Arbeitszeiten anzubieten, auch im mittleren und im Niedriglohnsektor. Wie das alles gehen kann, werden wir im Ausschuss diskutieren. Darauf freue ich mich auch. – Danke schön!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den GRÜNEN]

Danke schön, Frau Kollegin Möller! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es wird die Überweisung des Antrags an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie und an den Hauptausschuss empfohlen. – Widerspruch höre ich nicht. Dann verfahren wir so.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4.3:

Priorität der Fraktion der SPD

Tagesordnungspunkt 33

Entwicklungsblockade beenden und Bebauungspläne für den Alexanderplatz ändern

Antrag der Fraktion Die Linke Drucksache 17/1032

Auch hier haben die Fraktionen wieder eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Dies ist zwar die Priorität der SPD-Fraktion, man hat sich jedoch darauf verständigt, dass die antragstellende Fraktion, in diesem Fall Die Linke, in der Redereihenfolge beginnt. Da erteile ich der Kollegin Lompscher das Wort. – Bitte schön!

Vielen Dank! – Ich fände es sehr schön, wenn der zuständige Senator auch anwesend wäre.

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Er kommt gleich, das ist sehr schön. Ich hoffe, dass meine Redezeit gestoppt wird, bis er kommt. Ist das möglich?

Ich gehe mal davon aus, dass das gleich erledigt ist. Wir machen das mal ganz unbürokratisch und warten noch

einen kleinen Moment. Ansonsten muss ein Antrag erfolgen.

[Alexander Morlang (PIRATEN): Eine Pausenmusik, bitte!]

Ich merke, Herr Kollege, Sie sind noch in guter Stimmung und holen gleich die Klampfe heraus. Aber so wird es doch nicht kommen.

Da sehe ich, dass der Senator erscheint. Dann, Frau Kollegin Lompscher, können Sie beginnen! Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich war ehrlich überrascht, dass die SPD heute unseren Alex-Antrag zu ihrer Priorität gemacht hat Vielleicht teilt sie ja unsere Intention – Genaues weiß man nicht –, es gibt ja bisher keine Positionierung der Koalition. Wir sind also gespannt.

Für uns ist der Alexanderplatz einer der wichtigsten Orte Berlins. Wir haben seinerzeit den Siegerentwurf von 1993 aus guten Gründen abgelehnt. Wir haben gegen die Bebauungspläne gestimmt, und wir haben prophezeit, dass diese geschichtsvergessene und realitätsfremde Planung die Entwicklung blockieren und nicht voranbringen wird. Und so ist es auch gekommen – bis auf die architektonisch verunglückten Neubauten Alexa und Geschäftshauses auf dem Platz.

Es war nicht überraschend, dass die Bestandsgebäude nach und nach ertüchtigt wurden, teilweise sogar hip geworden sind. Der neue Kaufhof wird ohne Hochhaus bleiben, das teuer sanierte Hotel müsste für die alten Planungen weichen, sozusagen im Schatten der Hochhausträume nördlich des Alexanderplatzes ist ein neues Hotelquartier entstanden und sind Wohnprojekte in Vorbereitung.

Die Linke hat die Zukunft des Alexanderplatzes und die notwendige Korrektur der Planung immer wieder angesprochen. Vor kurzem hat die Senatsbaudirektorin den Appell an das Abgeordnetenhaus gerichtet, die planerischen Vorgaben neu zu fassen. Daraufhin haben wir diesen Antrag formuliert, als Angebot für die überfällige Debatte. Gut, dass wir heute endlich damit beginnen!

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Auseinandersetzungen um den Alex haben auch politischen Symbolcharakter für das Selbstverständnis der Stadt, für den Stellenwert des Ostens und der Nachkriegsmoderne. Die Wettbewerbssieger Kollhoff und Timmermann haben 1993 mit ihrem Konzept eine Antithese zur DDR-Moderne formuliert. Damit standen sie in der Berliner Tradition, abzureißen und neu zu bauen. So war das beim Wettbewerb 1929, von dem Berolina- und Alexanderhaus von Peter Behrens heute noch zeu

gen, und so war es beim Umbau zu DDR-Zeiten in den späten Sechzigerjahren. Der Hochhauskranz von Kollhoff/Timmermann umstellt und entwertet den Fernsehturm, revidiert die vorhandenen Bauten fast vollständig. Vision war ein Central Business District nach USVorbild, aber der Alex war und ist mehr als ein Handels- und Bürostandort. Vom Marktplatz vor den Toren der Stadt hat er sich zum Eingangsbereich in die Innenstadt, zum Verkehrsknoten und schließlich selbst zum Zentrum entwickelt. Er war und ist auch ein Wohnort für Tausende Berlinerinnen und Berliner – und er soll es bleiben.

[Beifall bei der LINKEN]

Deshalb begrüßen wir die Absicht, ein Wohnhochhaus zu errichten. Aber 150 Meter, wie derzeit zulässig, finden wir zu hoch. Das Hotel soll mit seinen knapp 130 Metern das zweithöchste Gebäude nach dem Fernsehturm bleiben.

Der Standort im Übergangsbereich zwischen Karl-MarxAllee und Alexanderplatz ist städtebaulich sensibel, auch wegen der denkmalgeschützten oder denkmalwerten Gebäude Haus des Lehrers und Haus des Reisens in unmittelbarer Nähe. Eine einfache Nutzungsänderung im Bebauungsplan reicht nicht. Wir brauchen öffentliche Debatten, wir brauchen Gutachten und wir brauchen einen neuen Wettbewerb.

Wir sind uns im Klaren darüber, dass hier kaum bezahlbarer Wohnraum für untere und mittlere Einkommensgruppen entstehen wird. Den gibt es aber in der Umgebung. Deshalb ist die Stärkung der Wohnfunktionen am Alex nicht nur gut für die urbane Belebung, sondern auch für die Fortentwicklung des Wohnungsbestandes der städtischen WBM und der Genossenschaften, die hier viele Wohnungen haben. Wir wollen keinen reinen Businessbereich am Alex, keine hochgeklappten Bürgersteige nach Laden- und Büroschluss. Es geht hier nicht nur um die städtebauliche Figur, sondern auch um Inhalte der Gebäude und um die Qualität des Wohnens. Das heißt eben auch, das vorhandene Wohngebäude Otto-Braun- Ecke Mollstraße bei der geplanten Bebauung des derzeitigen Parkplatzes nicht zu einem Hinterhof zu degradieren, und die am Wohngebiet Karl-Marx-Allee 2. Bauabschnitt geplante Neubebauung muss behutsamer, weniger konfrontativ erfolgen.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]