Protokoll der Sitzung vom 26.09.2013

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man fragt sich ein bisschen, liebe Frau Herrmann, die Kollegen von der Opposition, wieso Sie eigentlich fragen, wenn Sie meinen, die Antworten ohnehin schon zu kennen. Da wäre es doch einfach gewesen, einen Antrag zu machen.

[Beifall bei der CDU]

Aber sei es drum!

Die Fraktion Die Linke hat Ihre Anfrage mit „Burschenschaften in Berlin“ überschrieben. Sie thematisieren in immerhin 26 Fragen etwaige Verbindungen von Berliner Burschenschaften und konkret der Gothia mit rechtsextremistischen Kreisen.

Die Zielrichtung ist klar: Studentenverbindungen sind grundsätzlich am rechten Rand der Gesellschaft verankert und sollten geächtet werden. Dabei lässt die antragstellende Fraktion zugunsten blinden Populismus die gebotene Differenzierung völlig außer Acht. Einig sind wir uns insoweit, dass sämtlichen extremistischen Tendenzen in unserer Gesellschaft konsequent entgegengewirkt werden muss. Hier sind sowohl der Staat als auch die Bürgergesellschaft in der Pflicht. So sieht dann auch konsequenterweise der Haushaltsentwurf für den Bereich Verfassungsschutz einen personellen Aufwuchs für die Bekämpfung des Rechtsextremismus vor.

Will man eine ernsthafte Debatte um die Rolle der Burschenschaften in der deutschen Gesellschaft führen, so kann man die historische Rolle der Studentenverbindungen, der Senator hat es schon angesprochen, in der deutschen Geschichte nicht völlig außer Acht lassen, denn deren gesellschaftliche Rolle lässt sich nur aus ihrer Entwicklung und wie so häufig im geschichtlichen Kontext nachvollziehen.

Was macht die Studentenverbindung schlechthin aus? – Einzig verbindend und allen immanent sind das Convent- und das Lebensbundprinzip, wobei Letzteres trotz weit verbreiteter Irrtümer nichts mit lebenslangen Treueschwüren zu tun hat. Weitere Gemeinsamkeiten aller Studentenverbindungen gibt und gab es nicht, sondern die einzelnen Verbindungen sind in ihrer Ausrichtung und Schwerpunktsetzung ganz unterschiedlich.

Das Lebensbundprinzip, nämlich die dauerhafte Vernetzung auch generationsübergreifend, die Förderung im Berufsleben, findet sich, wenn auch unter anderem Namen an vielen amerikanischen Universitäten als erfolgreiche Ehemaligenvereinigung wieder, nur dass die Alumni-Aktivitäten an US-amerikanischen Universitäten als weltweit gefeiertes Vorbild erfolgreichen Netzwerkes gelobt werden. Warum ausgerechnet das Netzwerken, das auch in Deutschland tausendfach in verschiedensten Gestalten gepflegt und im Berufsleben als ausschließlich positiv wahrgenommen wird, zum Problem werden soll, nur wenn es im Rahmen einer Studentenverbindung stattfindet, ist mir persönlich schleierhaft. Schließlich handelt es sich ja nicht um Sekten, die ihren ehemaligen Mitgliedern nach Austritt nachstellen oder mit Repressalien drohen.

[Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Und der Unterschied ist welcher?]

Nun zur Historie: Die ersten Korps entstanden um 1800. In ihren Inhalten standen der deutsche Idealismus, – –

[Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Das hat der Henkel schon erzählt! – Weitere Zurufe]

Herr Kollege! Wenn Sie sich zu Wort melden wollen, können Sie das ja machen.

In ihren Inhalten standen der deutsche Idealismus, geprägt von den Philosophen Kant, Fichte, Schelling, Hegel, sowie Demokratiebestrebungen im Vordergrund.

Im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts kam es dann zu Bestrebungen, die landsmannschaftlichen Gliederungen der Korps an den Universitäten abzuschaffen. Dies lief parallel mit den politischen Bestrebungen der Studentenverbindungen, die Kleinstaaterei in den deutschsprachigen Gebieten zugunsten eines vereinten Deutschlands abzuschaffen. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts kam es zunehmend zur Gründung katholischer Verbindungen, Sängerschaften usw. Die Landschaft der Studentenverbindungen wurde also bunter und vielfältiger. Auch nach Ausrufung der Republik blieben die Verbindungen, wenn auch eher republikfeindlich, so doch parteipolitischen Festlegungen fern.

Die NSDAP hatte ein großes Interesse an der Übernahme der studentischen Verbindungen gehabt und gründete 1926 den Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund. Da die Ziele der Nazis im Dritten Reich – Frau

(Clara Herrmann)

Kollegin Herrmann, das haben Sie netterweise in Ihrem Vortrag außer Acht gelassen – den der studentischen Verbindungen entgegenstanden, waren die meisten Studentenverbindungen bis 1936 entweder zwangsweise aufgelöst worden oder hatten sich selbst unter dem Druck aufgelöst. Organisiertes Studententum gab es im Dritten Reich praktisch nur noch in den staatsnahmen Kameradschaften. Tatsächlich haben die ursprünglich in Deutschland existierenden Studentenverbindungen sich also deutlich vom Nationalsozialismus und dessen Strukturen abgegrenzt und sind letztlich wie viele weitere traditionelle Vereinigungen im Dritten Reich im Zuge der Gleichschaltungspolitik verboten worden.

Rechtsextremistische Tendenzen sind Studentenverbindungen also keinesfalls immanent, wie hier suggeriert werden soll, sondern vielmehr erging es den Verbindungen unter den Nazis genauso wie vielen anderen Gruppierungen auch, die verboten worden sind. Zahlreiche Widerstandskämpfer im Dritten Reich waren ehemalige Korporierte. So befanden sich auch unter den Hitlerattentätern vom 20. Juli Dr. Karl Sack und Hermann Kaiser.

Während unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges durch die Alliierten sämtliche Studentenverbindungen verboten wurden, sprachen auch viele Universitäten zu dieser Zeit Verbote für Verbindungen aus, was jedoch der gerichtlichen Überprüfung nicht standgehalten hat.

[Stefanie Remlinger (GRÜNE) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Frau Kollegin! Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Remlinger?

Nein, danke! –

[Zurufe von Christopher Lauer (PIRATEN) und Stefanie Remlinger (GRÜNE)]

In der DDR standen studentische Verbindungen im Gegensatz zu den politischen Zielen des Regimes und wurden bis zuletzt streng beobachtet.

In den Sechzigerjahren kam es dann zur Konkurrenz zwischen den historischen Studentenverbindungen und der sich zunehmend politisierenden Studentenbewegung der Achtundsechziger. Nach 1989 kam es in den alten wie neuen Bundesländern zu Neugründungen und Wiederbelebungen der studentischen Verbindungen. Dies mag auch durchaus mit der historisch-politischen Situation der Wiedervereinigungsjahre im Zusammenhang gestanden haben, denn den meisten Verbindungen ist ja am politischen Diskurs, wenn auch nicht unbedingt parteipolitisch, gelegen.

[Hakan Taş (LINKE) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Frau Kollegin! Darf ich Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Taş zulassen?

Nein, danke! – In der Geschichte der Studentenverbindungen finden sich querbeet durch alle politischen Richtungen Musiker, Wissenschaftler, Unternehmer, hohe Beamte, herausragende Politiker oder Ingenieure. So waren Franz Schubert und Robert Schumann ebenso Mitglied in Studentenverbindungen wie Theodor Mommsen, Konrad Duden, Heinrich Heine, Georg Büchner, Theodor Storm, Karl Marx, Wilhelm Liebknecht, Ferdinand Lassalle, Rudolf Breitscheid, Franz Mehring, Theodor Herzl und Gustav Stresemann.

[Özcan Mutlu (GRÜNE): Was wollen Sie uns erzählen? – Christopher Lauer (PIRATEN): Wikipedia! – Weitere Zurufe von den GRÜNEN und der LINKEN]

Es lässt sich also feststellen, dass jedenfalls in der Vergangenheit der Studentenverbindungen keinesfalls die Befürchtung oder der Eindruck gerechtfertigt gewesen wäre, dass dort rechtsextremistische Tendenzen gepflegt würden.

[Alexander Spies (PIRATEN): Welche Frauen waren dort Mitglieder?]

Unstreitig ist, dass Studentenverbindungen, die nicht oder nicht mehr auf dem Boden unserer Verfassung stehen und verfassungsfeindliche Tendenzen erkennen lassen, nicht zu tolerieren sind. Wie in allen Bereichen gibt es auch unter den Studentenverbindungen schwarze Schafe, die gegebenenfalls in letzter Konsequenz auch überwacht oder verboten werden müssen.

Wenn die Opposition in den letzten Monaten versucht hat, hier den Eindruck zu erwecken, als handle es sich bei Studentenverbindungen um ein vorrangiges Problem von politischem Extremismus, so kann diese Fehleinschätzung nur dem Versuch geschuldet sein, im Bundestagswahlkampf zu polarisieren, anstatt sich mit ernstzunehmenden Problemen des politischen Extremismus auseinanderzusetzen.

[Stefan Gelbhaar (GRÜNE): Der Wahlkampf ist vorbei!]

Unglückerweise ist es der antragstellenden Fraktion allerdings nicht gelungen, die Anfrage, wie offensichtlich geplant, noch vor der Bundestagswahl zu stellen.

[Christopher Lauer (PIRATEN): Weil Ihr Senator nie da war!]

Weder aus der Geschichte der Studentenverbindungen noch aus der aktuellen Situation ist ersichtlich, dass auch nur der überwiegende Teil der Studentenverbindungen parteipolitisch aktiv oder rechtsextremistisch wäre. Einzelne Verbindungen, auf deren Häusern Veranstaltungen mit problematischen Inhalten oder mit bekannten Rechtsextremisten stattfinden, sind zum Glück die seltene Ausnahme. Hier gilt es, seitens der Gesellschaft und des Staates entschlossen zu handeln. Auch auf dem Gebiet der Parteien gibt es am rechten und am linken Rand extremistische Gruppen, ohne dass die Opposition deswegen bislang gefordert hätte, die deutsche Parteienlandschaft abzuschaffen.

Richtig ist allerdings, dass die Diskussion im Dachverband Deutsche Burschenschaft um die Erbringung einer Art von Ariernachweis auf erschreckende Weise zeigt, dass dort tatsächlich rechtsextremistisches und rassistisches Gedankengut kultiviert wird, das an die düstersten Zeiten unserer Geschichte erinnert.

[Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Aber dann würde doch der Verfassungsschutz beobachten! – Zuruf von den GRÜNEN: Überraschung!]

Viele namhafte Burschenschaften haben sich deshalb in den letzten Jahren völlig zu Recht zum Austritt aus dem Dachverband Deutsche Burschenschaft entschieden. Im Rahmen dieser Abgrenzung hat sich vor allem die meiner Kenntnis nach politisch völlig unbedenkliche Neue Deutsche Burschenschaft gebildet. Allein hieraus wird doch schon ersichtlich, dass es bei den deutschen Burschenschaften ein ausgeprägtes Abgrenzungsbedürfnis von Burschenschaften mit rechtsextremistischen Tendenzen gibt.

Sofern es im Spektrum der Studentenverbindungen rassistische oder antisemitische Tendenzen oder Bestrebungen gibt, hat das nichts mit der grundsätzlichen Ausrichtung von Burschenschaften zu tun.

[Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Bedauerliche Einzelfälle!]

Durch die künstlich am Lauf erhaltene Diskussion um Studentenverbindungen und deren mögliche rechtsextreme Tendenzen bereitet man einigen wenigen Rechtsextremisten ein Forum und eine Öffentlichkeit, die sie nicht nur nicht verdient haben, sondern mit denen man ihnen geradezu in die Hände spielt. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Frau Schillhaneck hat das Wort zu einer Kurzintervention. – Bitte schön, Frau Kollegin!

[Christopher Lauer (PIRATEN): Frau Schillhaneck, sagen Sie mal, wie positiv Männerbünde von Frauen wahrgenommen werden – gerade in der Berufswelt! – Weitere Zurufe]

Frau Schillhaneck hat jetzt das Wort!

Danke, Herr Präsident! – Frau Seibeld, Sie haben im Prinzip gerade genau das gemacht, was Sie uns von der Opposition vorgeworfen haben, die wir Sie ja zu dieser Auseinandersetzung mit der zum Teil hochgradig problematischen Rolle von Burschenschaften in der Verquickung mit Politik erst zwingen mussten: Sie haben alles über einen Kamm geschoren. Sie reden zwischendurch von ursprünglichen Studentenverbindungen, und Sie haben sich gerade auch in einer Art und Weise undifferenziert über unsere Wahrnehmung der Burschenschaften geäußert, dass man das einfach nicht unwidersprochen stehen lassen kann.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Ja, Sie bemerken richtig, dass es durchaus Differenzierungsprozesse innerhalb der studentischen Verbindungen gibt. Sehr schön! Daraus hingegen zu schließen, dass das dort alles auf einem guten Weg sei, halte ich für fahrlässig, denn diese ursprünglichen Studentenverbindungen, von denen Sie da reden, diese ganze Historie, die Sie aufgemacht haben, dient doch eigentlich nur einem einzigen Zweck, nämlich das Weggucken zu legitimieren, und ich denke, das können wir hier so nicht zulassen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]