Protokoll der Sitzung vom 12.12.2013

[Christopher Lauer (PIRATEN): Sie sind so breit! – Oliver Höfinghoff (PIRATEN): So mittig!]

legen dem hohen Haus heute einen in zweiter Lesung zu beratenden Entwurf vor, unter dem Stichwort Parlamentsreform behandelt. Zugleich schlagen wir Verfassungsänderungen vor, Änderungen der Geschäftsordnung, die wir hier parallel in erster Lesung beraten wollen. Ich will kurz ausführen, was der leitende Gedanke gewesen ist:

Der leitende Gedanke war zu Beginn der Beratungen der Fraktionen vor mehreren Monaten: Wir möchten mehr Bürgernähe, wir möchten die Rechte der Abgeordneten stärken, und wir möchten die Rechte des Parlamentarismus stärken. Das war unsere Leitlinie, und wir glauben gemeinsam, dass wir das auch erfolgreich umsetzen können.

[Beifall bei der SPD, der CDU und den PIRATEN]

In diesem Zusammenhang kann ich uns allen nicht ersparen, auf die entsprechende Kritik zu reagieren, jedenfalls, was das Grundsätzliche anbelangt. Ich kann nicht verstehen, und ich kann insbesondere nicht teilen, dass hier die Auffassung vertreten wird, das Parlament werde durch diese Reform geschwächt. Das überzeugt nicht ansatzweise, und inhaltlich ist es sowieso falsch. Und wenn das dann mit der medial verbreiteten Behauptung verknüpft wird, Oppositionsfraktionen hätten sich die Zustimmung sozusagen abkaufen lassen, dann finde ich das – sehen Sie es mir bitte nach – sehr unanständig und unparlamentarisch.

[Beifall bei der SPD, der CDU und den PIRATEN]

In Wahrheit haben sich die Fraktionen und damit auch – ich sage das hier ausdrücklich – die parlamentarischen Geschäftsführer zurückgenommen. Das ist ein bemerkenswerter Vorgang. Wir haben keine Große Anfrage abgeschafft, sondern wir haben die Fraktionsregie dazu abgeschafft. Faktisch – die Piraten haben sogar insoweit geklagt – hat jetzt jeder Kollege, jede Kollegin das Recht – und zwar von Verfassungs wegen – eine Große Anfrage zu stellen. Das ist bemerkenswert, bundesweit einmalig, keine Schwächung, sondern eine Stärkung des Parlaments.

[Beifall bei der CDU und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Darum geht es uns doch gemeinsam, hier den Eindruck zu erwecken, es gebe im Vordergrund ein anderes Ansinnen, das finde ich zumindest bemerkenswert.

Zweitens: Wir haben eine andere Wahrnehmung von Bürgernähe. Ich spreche niemandem das Recht ab, das für sich zu definieren, aber die SPD-Fraktion und die breite Mehrheit in diesem Haus meinen mit Bürgernähe auch eine räumliche Nähe und haben die Alternative, hier nebenan, am Potsdamer Platz, einen Glaspalast zu bauen, dazu Flächen anzukaufen, geprüft und verworfen – einmal merkantil, weil in der Abschreibungsphase eines solchen Experiments feststeht, dass die Mehrausgaben, die wir jetzt in Betracht ziehen und in diesem hohen Haus zu beschließen gedenken, geringer sein werden als ein solcher Neubau hinter der Glasfassade, und zwar innerhalb der Amortisations- oder Abschreibungsphase. Und zweitens, weil wir das politisch nicht wollen, weil wir es für falsch halten. Wir möchten, dass Politik, Bürgernähe erlebbar gestaltet werden, wir möchten das Experiment in Steglitz-Zehlendorf fortsetzen und uns nicht von den Bürgern zurücksetzen und uns isolieren.

[Beifall bei der SPD, der CDU und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

In diesem Zusammenhang sehen wir auch die Verbesserung der Ausstattung der Abgeordneten. Wir hatten 580 Euro zur Verfügung, das weiß jeder. Ich kann nicht erkennen, dass die Allgemeinheit kritisiert, dass wir uns da auf 3 000 Euro verbessern. Wenn Sie sich das nach unseren Regularien ernsthaft ansehen, werden Sie allein dadurch in die Lage versetzt, ein solches Bürgerbüro auch bürgerfreundlich zu betreiben, und zwar nicht mit prekärer Beschäftigung, mit einer unterwertigen Bezahlung, sondern so, dass es auch mindestens acht Stunden am Tag von Bürgerinnen und Bürgern aufgesucht werden kann. Ansonsten würde es nach unserer Auffassung seinen Zweck verfehlen.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD – Zuruf von Heidi Kosche (GRÜNE)]

Ich würde sehr vorsichtig sein. Ich habe mir heute fest vorgenommen, nicht auf die Grünen zu reagieren, aber, Frau Kosche, wenn Sie in den Raum stellen, Sie wollen

das mal kontrollieren, geht das nicht unentschieden aus, das kann ich Ihnen jetzt schon prognostizieren.

[Beifall bei der SPD, der CDU und den PIRATEN – Zuruf von Heidi Kosche (GRÜNE)]

Letztlich war es uns sehr wichtig, ein Papier vorzulegen, das wir in diesem hohen Hause im Konsens beschließen. Das hat Tradition. Ich bedaure es, dass sich das nicht durchgetragen hat, will mich aber nicht dazu verbreiten, wo ich da Ursachen sehe. Das nehme ich für mich und die größte Fraktion in Anspruch, dass wir das der Bewertung der Öffentlichkeit anheimstellen. Wir jedenfalls sind der Überzeugung, hier etwas Richtiges und etwas Großes zu leisten. Das betrifft nicht nur die Parlamentsreform im engeren Sinne, sondern auch die Änderung der Geschäftsordnung, die wir jetzt im Rechtsausschuss weiterberaten werden und möglicherweise da auch noch justieren können – im Konsens, wohlgemerkt –, weil wir den Bürgern gegenüber auch attraktiver werden wollen, was das betrifft, was wir hier machen. Die Verheißung – und da bin ich ganz nah, ja, identisch mit dem Präsidium, mit dem Präsidenten –, die wir hier aussenden, müssen wir überdenken. Sie bedeutet nämlich, hier wird gestritten bis früh um 2.

Und jetzt will ich Ihnen mal etwas Persönliches sagen, das erlaube ich mir heute, kurz vor Weihnachten:

[Heiterkeit bei den PIRATEN]

Das war das Erste, was mich wirklich gestört hat, dass fünf parlamentarische Geschäftsführer, in dem Fall sogar noch fünf Kerle, hier um 18 Uhr nach hinten gehen mit der Erwartungshaltung wie auf einem Basar, Rederunden von erwachsenen Kolleginnen und Kollegen zu streichen.

[Beifall bei der SPD und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der LINKEN]

Dass das jetzt weg ist, das gefällt mir.

Daran anknüpfend, haben wir uns verschiedene Parlamente angesehen. Das haben wir nicht im Dunkeln gemacht. Wir haben uns den Bundestag angesehen, wir haben uns Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und auch Hamburg angesehen. Wir sind sogar gemeinsam hingefahren. Fragen Sie Ihre Kollegen, was die uns da gesagt haben! Sie haben das – ich sage es mal salopp beim Essen – für gar nicht arbeitsfähig gehalten, was wir hier machen.

Ich will noch zwei letzte Gedanken einstreuen. Anders als im Bundestag, anders als in vielen Parlamenten – und das war immer Konsens, und das war immer Zugeständnis der Regierungsfraktionen – gibt es hier keine Rederunden und keine Redezeiten nach d’Hondt, sondern wir machen das Berliner Experiment, das Berliner Modell weiter: Alle sind gleichberechtigt. Ein Riesenerfolg! Da hätte ich mir gewünscht, dass man sich dahinter gemeinsam versammeln kann.

[Beifall bei der SPD, der CDU und den PIRATEN – Beifall von Uwe Doering (LINKE)]

Ich sage hier ganz offen, damit da keine Missverständnisse sind: Die SPD-Fraktion hätte sich mit breiter Mehrheit auch für eine Diätenerhöhung aussprechen können, denn wir glauben, dass unsere Arbeit mehr wert ist als die 3 477 Euro. Das war aber im Konsens nicht vorstellbar. Deswegen wurde dieser Gedanke fallen gelassen. Wir verstecken uns nicht davor, so etwas ganz offen politisch einzuräumen, und stehen auch dazu.

[Beifall bei der SPD, der CDU, der LINKEN und den PIRATEN]

Ein letzter Gedanke, was das anbelangt! Ich höre auch, wir hätten lieber die Fraktionsarbeit stärken sollen. Da muss man sich dann aber ein Stück weit ehrlich machen. Das, was wir keinesfalls wollten, waren die Hamburger Verhältnisse. Da gibt es auch Bürgerbüros, Vorortbüros, allerdings hat eine Fraktion ihr politisches Selbstverständnis so umgesetzt, dass das Vorortbüro 400 Meter vor der Bürgerschaft ist und dass dort die ganze Fraktion sitzt. Diesen Gedanken wollten wir in Berlin nicht verfolgen.

[Beifall bei der SPD, der CDU und den PIRATEN]

Es ist einfach unzutreffend, hier die Behauptung aufzustellen, es wäre doch besser und parlamentarischer, die Fraktionsarbeit zu stärken. Mit Blick auf die Großen Anfragen habe ich Ihnen das Entsprechende schon gesagt. Aber wahr ist auch: Jede Fraktion in diesem Haus hat zwei Probleme, ein räumliches

[Christopher Lauer (PIRATEN): Und ein personelles! – Heiterkeit]

Dazu will ich mich – jedenfalls mit Blick auf die Piratenfraktion – nicht äußern. Das werden Sie von mir nicht erwarten.

[Heiterkeit]

Also: ein räumliches – wir können in dieses Haus nämlich keine Vollzeitbeschäftigungen, jedenfalls keine 450 neuen Mitarbeiter ventilieren, die Presse hat sich davon selbst überzeugt. Aber wir haben auch ein Luxusproblem: Würde die Legislaturperiode heute enden, müsste jede Fraktion in diesem Haus Fraktionsbeiträge erstatten. Wie man vor diesem Hintergrund davon sprechen kann, die Fraktionen seien merkantil nicht korrekt ausgestattet, ist überhaupt nicht plausibel. Sie müssen noch mal nachfragen, wie sie auf solche Ideen gekommen sind.

[Beifall bei der SPD, der CDU und den PIRATEN]

Deshalb geht es um das, was die Verfassung will. Die Verfassung sagt im Grundgesetz, Artikel 38: unabhängiges Mandat, und nicht: unabhängige Fraktion. Die Fraktionen sind notwendiges Übel. Sie sollen Stimmungen, Nuancen kanalisieren.

[Zurufe von den GRÜNEN]

Deswegen gibt es auch einen faktischen Fraktionszwang, bei den einen mehr, bei den anderen weniger, Frau Kollegin Kosche, das räume ich ein.

[Lachen bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Wir haben hier auch Extrembeispiele.

[Lachen bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Aber das Primat der Verfassung ist der unabhängige Abgeordnete oder die unabhängige Abgeordnete, und die unabhängigen Abgeordneten werden hier gemeinsam im Konsens gestärkt und nicht geschwächt. Das ist ein Erfolg.

[Beifall bei der SPD, der CDU und den PIRATEN – Beifall von Uwe Doering (LINKE)]

Letzte Bemerkung: Auch zum Thema Vollzeitparlament und Teilzeitparlament kann man kontroverse Meinungen haben. Man kann aber nicht behaupten, wir hätten das nicht diskutiert. Es war jedenfalls klar, dass weder die Frage der Alimentierung der Altersversorgung noch die des Vollzeitparlamentes ad hoc mehrheitsfähig war, und die jetzt angestrebte, sehr weitgreifende Reform hatte einen Konsens zum Ziel und nicht das Feststellen von Dissensen. Deshalb ist da der Weg nicht verstellt, aber hier nicht Gegenstand dieser Befasstheit.

Die Verfassung selbst – das habe ich in der Zeitung gelesen, fand ich ein bisschen überraschend, als sei das sozusagen im Geheimen verhandelt worden – soll auch mit Blick auf den Senat verändert werden. Da kann man politisch anderer Meinung sein. Wir lassen uns unsere aber nicht verbieten, und zwar von niemandem.

[Heidi Kosche (GRÜNE): Wer hatte denn das vor?]

Ich weiß nicht, wer das vorhatte, Frau Kosche. Das ist auch guter parlamentarischer Brauch, dass man sich hier nicht namentlich benennt. Das könnte ich natürlich machen. Ich könnte sagen, die eine Fraktion hat da ein Wehwehchen gehabt und die andere an jenem Punkt.

Ganz wichtig war uns, und das sollte dann vielleicht Konsens sein – Sie hätten mal über eine Einzelabstimmung zumindest in diesem Punkt nachdenken sollen, aber selbst dafür hatten Sie die Kraft nicht, und jeder weiß, wen ich meine –: Wir wollten die Bezirksverordnetenversammlungen stärken, und da will ich mir einen Satz erlauben, auch sehr persönlich, kurz vor Weihnachten: Da war ich richtig stolz. Ich glaube, dass das in allen Fraktionen, in allen Parteien so war, ich kann aber nur für die SPD-Fraktionsvorsitzenden in den Bezirksverordnetenversammlungen reden. Vorgeschlagen war etwas anderes. Vorgeschlagen war, dass sie eine signifikante, noch erheblich höhere Anpassung ihrer Aufwandsentschädigung erhalten sollen. Rausgekommen ist, dass alle Fraktionsvorsitzenden gesagt haben: Darauf würden wir ver

zichten. Wir möchten lieber in Sachmitteln besser ausgestattet werden. – So ist es auch gekommen. Respekt vor der Arbeit in der BVV, signifikante Verbesserungen auch dort. Mit einer Teilabstimmung hätten Sie sich da wenigstens committen können. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD, der CDU, der LINKEN und den PIRATEN]

Vielen Dank, Herr Schneider! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort der Herr Abgeordnete Lux. – Bitte sehr!