Ich eröffne die 46. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste und Zuhörer sowie die Medienvertreter sehr herzlich.
Ich begrüße heute erstmals im Plenum den neuen Staatssekretär der Stadtentwicklungsverwaltung, Herrn Dr. Engelbert Lütke Daldrup. – Herzlich willkommen, auf gute Zusammenarbeit!
Dem entpflichteten Staatssekretär Ephraim Gothe danke ich im Namen des Hauses recht herzlich für die geleistete Arbeit.
Zum heutigen Geburtstag gratuliere ich ganz herzlich dem Senator für Finanzen, Dr. Ulrich Nußbaum. – Herzlichen Glückwunsch, Herr Senator!
− Antrag der Fraktion der SPD zum Thema: „Mit guter Pflege in die Zukunft – Berlin gestaltet den demografischen Wandel“
− Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Mit guter Pflege in die Zukunft – Berlin gestaltet den demografischen Wandel“
− Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Thema: „BER: 8 Milliarden Kosten, kein Lärmschutz, keine Eröffnung vor 2016 – Klaus Wowereit hinterlässt ein schweres Erbe.“
− Antrag der Fraktion Die Linke zum Thema: „Flughafen BER: Volksinitiative ernst nehmen – endlich mit Brandenburg über Lärmschutz verhandeln“
− Antrag der Piratenfraktion zum Thema: „Mehrkosten, Personalquerelen, Managementversagen – der BER am Abgrund dank Klaus Wowereit“
Ich lasse nun abstimmen, und zwar zunächst über den Antrag der Fraktion der CDU. Wer diesem Thema – Stichwort: Pflege – zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen und der fraktionslose Kollege. Gegenstimmen? – Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich dieses Thema für die Aktuelle Stunde unter dem Tagesordnungspunkt 1 auf. Die anderen Anträge auf Aktuelle Stunde haben damit ihre Erledigung gefunden.
Dann möchte ich auf die Ihnen vorliegende Konsensliste sowie auf das Verzeichnis der Dringlichkeiten hinweisen. Ich gehe davon aus, dass allen eingegangen Vorgängen die dringliche Behandlung zugebilligt wird. Sollte dies im Einzelfall nicht Ihre Zustimmung finden, bitte ich um entsprechende Mitteilung.
Entschuldigungen von Senatsmitgliedern: Senator Dr. Nußbaum ist von ca. 15.15 Uhr bis ca. 18.30 Uhr abwesend. Grund: Teilnahme an der Sitzung des Verwaltungsrats der KfW. Senator Müller ist ab ca. 18.45 Uhr abwesend. Grund: Er wird ein Grußwort bei der Veranstaltung „eCab: Startschuss für die elektromobile Stadt?“ halten.
Der Regierende Bürgermeister hat mir mit Schreiben vom 8. April 2014 mitgeteilt, in der heutigen Sitzung eine Erklärung gemäß Artikel 49 Abs. 3 der Verfassung von Berlin zum Thema Flüchtlingspolitik in Berlin „Augenmaß, Menschlichkeit und klare Regeln“ abgeben zu wollen. Entsprechend der Verständigung im Ältestenrat rufe ich diese Erklärung jetzt auf und erteile dem Regierenden Bürgermeister das Wort. – Bitte schön, Herr Wowereit, Sie haben das Wort!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Oranienplatz ist von den Flüchtlingen nach langer Zeit freiwillig und selbst geräumt worden. Dies ist gut für den Zusammenhalt in unserer Stadt, und ich bin dankbar und sage diesen Dank an alle Beteiligten, die dies ermöglicht haben, vor allen Dingen Frau Kolat als Verhandlungsführerin, aber auch den vielen Menschen, die sie dabei unterstützt haben, ein recht herzliches Dankeschön!
In unserer Stadt hat ein Thema wieder an Aktualität gewonnen, das uns alle angeht: die Aufnahme von Flüchtlingen. Es ist für Berlin kein neues Thema. Wir leisten seit Jahrzehnten unseren Beitrag im Rahmen des bundesweiten Verteilverfahrens. Aber die Zahl der Flüchtlinge, die nach Europa kommen, ist in den vergangen Jahren gewachsen. Wir spüren das auch in Berlin. Wir brauchen neue Unterkünfte, und wir müssen auch heute immer wieder Ressentiments überwinden. Nur so werden wir der Herausforderung gerecht, vor der wir in Deutschland und ganz Europa stehen.
Nicht zuletzt die Ereignisse rund um den Oranienplatz haben deutlich gemacht, dass es beim Thema Flüchtlingspolitik um mehr geht als um die Bereitstellung von
Wohnraum oder die Auszahlung von Mitteln zum Lebensunterhalt. Es geht auch um eine grundsätzliche Haltung, um die Frage, ob wir in der Stadt zum gemeinsamen, solidarischen Handeln bereit und in der Lage sind, mit Augenmaß und Menschlichkeit, aber auch mit klaren Regeln, die von allen beachtet werden.
Wir haben in dieser Woche ein gutes Ergebnis für ein freies, faires und weltoffenes Berlin erzielt, ein Erfolg der Beteiligten, aber letztlich ein Erfolg für die ganze Stadt.
Ich sage grundsätzlich: Ja, Berlin bietet Menschen ein neues Zuhause, die ihre Heimat verlassen mussten, weil sie dort verfolgt wurden und nicht mehr friedlich leben konnten. Das ist nicht zuletzt auch eine Antwort auf unsere eigene, die deutsche Geschichte. Viele deutsche Juden und politisch Verfolgte hätten Shoah und Nazi-Terror überlebt, wenn sie in anderen Ländern Zuflucht gefunden hätten. Doch viele Länder machten die Grenzen dicht. Aus der Erinnerung an die Geschichte haben die Väter und Mütter des Grundgesetzes das Grundrecht auf Asyl abgeleitet. Dies gehört zum Gründungskonsens der Republik, und dies sollte niemand infrage stellen.
Diesen Konsens gegen Versuche der Aufweichung zu verteidigen, die es immer wieder gab, ist unsere gemeinsame Aufgabe.
Heute offen zu sein für Flüchtlinge, ist aber auch eine Antwort auf die Herausforderung unserer Zeit. Über 45 Millionen Menschen sind derzeit weltweit auf der Flucht, die meisten innerhalb ihrer Region. Ein aktuelles Beispiel: Allein der Libanon hat über eine Million Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland Syrien aufgenommen und ist damit am Rand seiner Möglichkeiten. Nur wenige dieser Flüchtlinge erreichen Europa. Es ist unsere Verantwortung, innerhalb der europäischen Solidarität einen Teil dieser Last mitzutragen.
Hinter den Flüchtlingszahlen verbergen sich immer einzelne Menschen. Es geht hier nicht um kalte Statistiken – jede und jeder hat ein eigenes Schicksal. Aber eins eint sie alle: Niemand verlässt seine Heimat aus freien Stücken. Die Not muss schon sehr groß sein, um einen solchen Schritt zu gehen. Das sollten wir in all den Debatten, die wir immer wieder führen, nicht vergessen.
Es geht in allererster Linie um Hilfe für Menschen in Not, und das Einzelschicksal, das dargestellt werden könnte, ist so furchtbar – das möchten wir alle miteinander für uns selbst nicht erleben müssen. Dies sollte uns den Res
Etwas anderes ist auch klar: Berlin steht zu seinen Verpflichtungen. Alle Bundesländer tragen entsprechend ihrer Einwohnerzahl nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel Verantwortung für die Aufnahme von Flüchtlingen. Es gab Zeiten, da wurden uns noch sehr viel mehr Anstrengungen abverlangt. Im Jahr 1992 – dem Jahr, als die meisten Asylanträge gestellt wurden – kamen rund 440 000 Flüchtlinge nach Deutschland. Wir haben das damals in Solidarität gemeistert. Im Jahr 2013 waren es – bei wieder steigender Tendenz – 127 000, und für dieses Jahr schätzt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, dass insgesamt rund 160 000 Menschen einen Asylantrag in Deutschland stellen werden.
Für die Zahl der benötigten Unterbringungsplätze bedeutet das: Wir gehen, basierend auf der Prognose des Bundesamts, davon aus, dass Berlin bis zum Ende dieses Jahres rund 12 000 Unterbringungsplätze benötigt. Das fordert wahrlich zusätzliche Anstrengungen. Aber ich erinnere noch einmal an die frühen Neunzigerjahre: Es gab Zeiten, da musste Berlin fast doppelt so viele Flüchtlinge unterbringen. Ja! Wir müssen uns anstrengen! Aber diese Anstrengung ist leistbar, wenn wir uns nicht in ideologischen Debatten verzetteln, sondern an einem Strang ziehen und konkret das tun, was gerade getan werden muss: den Flüchtlingen eine menschenwürdige Bleibe bieten, sie über ihre Rechte aufklären, sie auf ihrem Weg begleiten und ihnen Respekt und Offenheit entgegenbringen, aber ihnen auch sagen, dass es in unserem Land keine Sonderrechte für Einzelne gibt, sondern rechtsstaatliche Verfahren für alle.
Dazu gehört genauso, dass wir uns all denen widersetzen, die versuchen, gegen Flüchtlinge Stimmung zu machen. Wir haben es ja in den vergangenen Monaten einige Male erlebt, wie das passiert. Manche Menschen sind verunsichert und deshalb empfänglich für einfache Parolen nach dem Motto: Das Boot ist voll! – Andere tun so, als wären sie nicht generell gegen Flüchtlinge – aber bitte nicht vor der eigenen Haustür. Da wollen sie am besten keine sehen.
Es gibt verschiedene Stufen von Gegnerschaft und Abwehr, und fast immer gibt es dann auch fremdenfeindliche Organisationen, die den Hass schüren. Wer dazu schweigt, gibt den dumpfen Parolen recht. Das ist nicht die Antwort Berlins. Unsere Antwort heißt: Gesicht zeigen! Helfen, Solidarität und Anteilnahme!
Ich danke an dieser Stelle all denen, die populistischer Stimmungsmache entgegentreten, wo immer sie erkennbar wird. Ich danke den vielen Engagierten, die sich für ein weltoffenes Berlin einsetzen: den Kirchengemeinden,
den Wohlfahrtsverbänden, den freundlichen Nachbarinnen und Nachbarn in den Kiezen. Eine Willkommenskultur entsteht nicht durch Resolutionen in Gremien, sondern dadurch, dass Menschen füreinander da sind, dass sie beim Ankommen helfen, beim Kontakt mit Ämtern, beim Erlernen der Sprache und bei den vielen alltäglichen Dingen, auf die es ankommt, wenn man in einer fremden Umgebung und Kultur neu anfängt. Das ist Willkommenskultur, und für diese Kultur steht Berlin.
Klar ist dabei: Die Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik muss sich immer wieder neuen Anforderungen stellen. Vor 20 Jahren flohen viele Menschen vor dem Krieg auf dem Balkan und fanden auch in Berlin Zuflucht. Viele sind inzwischen wieder zurückgegangen und helfen, ihr Land wiederaufzubauen. Andere haben eine Heimat in Deutschland gefunden, und nicht wenige helfen uns heute als Fachkräfte, für die der Bedarf groß ist. Dafür suchen heute andere neue Aufnahme. Immer wieder muss entschieden werden, ob sie bleiben können, eine Duldung oder Asyl erhalten. Dafür den Rahmen abzustecken, ist Sache der Bundesgesetzgebung und europäischer Regelungen. Aber auch die Länder haben Spielräume.
Die Flüchtlingspolitik verändert sich dabei, und was gestern noch breit akzeptiert war, muss heute nicht mehr automatisch richtig sein. Wir nutzen unsere Spielräume mit Augenmaß. Berlin und Brandenburg haben für ihren Bereich zum Beispiel längst die Residenzpflicht für Asylbewerber abgeschafft.
Sie passt nicht zu einem freien Land. Bewegungsfreiheit kann es geben, obwohl die Flüchtlinge weiterhin bundesweit verteilt werden müssen. Ich finde es gut und richtig, dass sich auch die neue Koalition auf Bundesebene dieser Haltung angenähert hat und endlich auch der Zugang der Flüchtlinge zum Arbeitsmarkt erleichtert werden könnte. Es ist übrigens auch für die Weltoffenheit unseres Landes wichtig, dass auf Bundesebene endlich die Optionspflicht bei der Staatsbürgerschaft wegfallen soll, zumindest für einen großen Teil der bisher davon Betroffenen. Ich persönlich fände es richtig, sie komplett abzuschaffen, was der Koalitionsvertrag im Bund aber leider nicht hergibt.