Augenmaß, Menschlichkeit und klare Regeln: Das war auch unsere Leitlinie im Umgang mit der Situation auf dem Oranienplatz. Was sich dort in anderthalb Jahren entwickelt hatte, war unzumutbar und unhaltbar – für die Flüchtlinge genauso wie für die Anwohner.
Ich sage ganz offen und auch selbstkritisch: Dass diese Lage so lange bestand und man den Eindruck haben musste, dass Behörden einfach wegsehen, war kein Ruhmesblatt. In dieser Woche ist es nun gelungen, diese unhaltbare Situation in einem fairen und friedlichen Verfahren zu beenden. Die Flüchtlinge haben am Dienstag ihre Zelte und Hütten selbst abgebaut und eine neue Bleibe bezogen, die ihnen der Senat angeboten hatte. Ihre Anträge werden in Einzelverfahren entsprechend allen rechtlichen Möglichkeiten geprüft. Sie werden dabei von Helferinnen und Helfern aus einem Unterstützungspool begleitet, den die Caritas, die Diakonie sowie die Integrationsbeauftragte des Landes Berlin organisieren. In der Zeit der Prüfung bleiben Abschiebungen ausgesetzt, und die Flüchtlinge erhalten Unterstützung bei der Entwicklung ihrer beruflichen Perspektiven. Dazu gehören der Zugang zu Deutschkursen, die Anerkennung ihrer beruflichen Kompetenzen und Beratung zur beruflichen Entwicklung und über den Zugang zu Ausbildung und Studium zum Arbeitsmarkt.
Das ist die Vereinbarung. Dieser Konsens, der unter der Federführung von Senatorin Kolat zwischen den Flüchtlingen, den beteiligten Senatsverwaltungen und dem Bezirk ausgehandelt wurde, hat gehalten. – Als die erste Vereinbarung veröffentlicht wurde, habe ich mich sehr gewundert, wie viele doch Freude daran hatten, sie infrage zu stellen. Man sollte einmal reflektieren, ob das eine vernünftige Herangehensweise an die Problematik war.
Die Senatspolitik der ausgestreckten Hand hat sich bewährt. Das ist nach allem, was wir in den letzten Monaten erlebt haben, ein großer Erfolg für alle Beteiligten, ein politischer und humanitärer Erfolg für Menschen, die viel Leid erlebt haben, und ein Zeichen der Zusammenarbeit und Solidarität. Ich sage dazu auch: Die Stimmung in Teilen der Stadt und ihrer Öffentlichkeit war, vorsichtig ausgedrückt, nicht immer so, dass sie eine Lösung begünstigt hätte. Manchmal hatte man auch den Eindruck, dass diejenigen, die anfangs nicht auf das Senatsangebot eingehen wollten, besonders viel öffentliche Resonanz hätten. Warum eigentlich? – Vielleicht wollten auch manche den Showdown.
Umso mehr danke ich allen Beteiligten dafür, dass sie sich nicht haben beirren lassen und diskret, mit viel Geduld und ohne öffentliches Getöse auf eine Lösung hingearbeitet haben. Das war wahrlich nicht leicht. Mein besonderer Dank gilt nochmals der Verhandlungsführerin Frau Senatorin Kolat. Ausdrücklich schließe ich neben den beteiligten Senatsverwaltungen die Bezirksbürgermeisterin Herrmann ein, die in den zurückliegenden Wochen eine wirklich sehr konstruktive Rolle eingenommen hat. Wir wissen, dass wir mit ihr nicht immer einer Meinung waren, aber da hat sich in Friedrichshain-Kreuzberg ein Umdenkungsprozess ergeben.
Die Berliner Polizei und der Polizeipräsident Klaus Kandt haben besonnen und kooperativ mitgearbeitet, und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landesamtes für Gesundheit und Soziales haben bei der Suche nach Unterkunftsangeboten sehr gute Arbeit geleistet. Ihnen allen sei Dank gesagt!
Ich danke auch all denen, die im Hintergrund geholfen haben, die Konsenslösung herbeizuführen: der früheren Ausländerbeauftragten Barbara John, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bezirksamtes FriedrichshainKreuzberg, der Integrations- und Migrationsbeauftragten sowie der Caritas und dem Diakonischen Werk. Sie alle haben sich weit über das übliche Maß hinaus engagiert und einen tollen Job gemacht. Ich danke auch der BSR, die am Schluss dieses Prozesses noch wichtige Aufräumarbeiten erledigen musste, weil das die Flüchtlinge allein nicht bewerkstelligen konnten. Ich danke allen Beteiligten!
Wir wissen aber auch, dass diese Aufgabe noch nicht zu Ende ist. Es gibt weitere Flüchtlingsgruppen in der Stadt, für die das Senatsangebot gilt, insbesondere betrifft das Flüchtlinge, die sich bisher in der ehemaligen GerhartHauptmann-Schule aufhalten. Für den Senat ist wichtig, dass der jetzt eingeschlagene Weg fortgesetzt wird. Wir bieten auch ihnen Unterkünfte und faire Prüfverfahren an. Ich hoffe sehr, dass die freiwillige Räumung des Oranienplatzes das Signal dafür ist, dass wir für alle Flüchtlingsgruppen mit ungeklärtem Status einen fairen Weg finden.
Mit der Lösung vom Dienstag ist der Weg frei, um in Ruhe mit den rechtsstaatlichen Prüfverfahren zu beginnen. Es ist die Aufgabe der Innenverwaltung und der Ausländerbehörde, diese Prüfverfahren konstruktiv zu begleiten. Niemand hat den Flüchtlingen Zusagen über das Ergebnis dieser Verfahren gemacht, und man hätte sie auch nicht machen können. Sehr wohl aber sind Vertrauenszusagen gemacht worden, dass nicht pauschal geurteilt, sondern jedes Schicksal einzeln betrachtet wird – gerade auch um auszuschließen, dass zum Beispiel jemand in ein Kriegsgebiet zurückgeschickt wird. Für diese sorgfältige Prüfung mit humanitärem Blick gibt es nun die nötige Zeit.
Ich sagte vorhin, es war ein unhaltbarer Zustand auf dem Oranienplatz, der über sehr lange Zeit bestand und faktisch geduldet wurde. Mein Eindruck ist, dass auch das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg eine Lehre daraus gezogen hat. So interpretiere ich jedenfalls den Bezirksamtsbeschluss vom 18. März dieses Jahres, in Zukunft Platzbesetzungen wie diese nicht mehr zu dulden, und so interpretiere ich auch die konstruktive Rolle, die das Bezirksamt in den letzten Wochen gespielt hat.
Ich erwarte aber auch von manchen aus der sogenannten Unterstützerszene, dass sie ihr Verhalten kritisch reflektieren, denn eines hat sich auch gezeigt: Die pauschale Forderung nach Bleiberecht für alle hilft keinem einzigen Flüchtling in seiner schwierigen Lage auch nur einen Millimeter weiter. Im Gegenteil: Wer Illusionen nährt, missbraucht Menschen für politische Zwecke. Wer den Flüchtlingen rät, die getroffenen Vereinbarungen nicht zu akzeptieren, der spaltet und trägt nicht zur Verbesserung der Situation bei.
Ich sage hier noch einmal ganz klar: Bei allem Verständnis für politische Debatten und für Forderungen nach einer humanitären Flüchtlingspolitik – und für diese Debatten muss Raum sein in unserer Gesellschaft, und zwar auch durch Demonstrationen im öffentlichen Raum – wird es Berlin in Zukunft nicht dulden, dass öffentliche Plätze zu Zeltlagern umfunktioniert werden. Auch dies ist Teil des flüchtlingspolitischen Konsenses, den wir aus Anlass der Ereignisse am Oranienplatz nun erreicht haben. Das ist gut so, und das muss umgesetzt werden.
Zu einer Politik mit Augenmaß, Menschlichkeit und klaren Regeln gehört übrigens auch, dass man die Flüchtlinge über ihre Rechte und die Rechtslage in Deutschland aufklärt. Die Instrumentalisierung des öffentlichen Raums und von Menschen in Not für allgemeine Forderungen, die sich eher an die Bundesebene und an die europäische Ebene richten, muss ein Ende haben. Mein Appell ist jetzt: Respektiert die Entscheidung der Flüchtlinge! Solidarität bedeutet Beistand, nicht aber permanentes Aufwiegeln.
Die friedliche Beendigung der Platzbesetzung ist ein ermutigendes Zeichen für Berlin. Sie zeigt, dass es richtig war, nicht voreilig den Versuch aufzugeben, zu einem Konsens in Freiwilligkeit zu kommen. Es war richtig, die Hand auszustrecken und im Dialog eine Lösung zu suchen. Ich bin sicher, dass die gefundene Lösung auch eine Basis für die Flüchtlinge in der Gerhart-HauptmannSchule ist. Lassen Sie uns gemeinsam daran weiterarbeiten!
Lassen Sie uns auch gemeinsam handeln, wenn es in den bevorstehenden Monaten darum geht, neue Flüchtlingsunterkünfte bereitzustellen! Es ist wahrlich keine leichte Aufgabe für das zuständige Landesamt, hier immer wieder neue Standorte zu prüfen, oft unter hohem Zeitdruck Lösungen möglich zu machen und innerhalb der jeweiligen Nachbarschaft für Verständnis und Offenheit zu werben. Ich möchte auch in diesem Zusammenhang noch
einmal Danke für das Engagement in den vergangenen Monaten sagen – ein Engagement, das wir weiter brauchen.
Ich möchte auch an uns alle appellieren, gemeinsam mitzuhelfen, wenn es um Fragen der Akzeptanz und Unterstützung geht. Das gilt für konkrete Finanzierungsfragen, die nicht zuletzt dieses Parlament berühren, denn es ist klar, dass bei steigenden Flüchtlingszahlen auch steigende Kosten für die Kommunen und Länder entstehen. Es gilt aber insbesondere für die Haltung, die wir alle in die Stadt hinein zeigen – gegen Vorurteile und für Weltoffenheit.
Wir sollten bei aller berlintypischen Aufgeregtheit über Einzelfragen nicht aus dem Auge verlieren, dass sich diese Einzelfragen in das größere Thema der deutschen und europäischen Flüchtlingspolitik einordnen. Da ist vieles zu Recht neu in der Diskussion, zum Beispiel auch das Verteilverfahren innerhalb Europas nach der sogenannten Dublin-Verordnung.
Wir können keine Festung Europa wollen. Das passt nicht zu einer freien Welt und insbesondere nicht zu einer weltweit vernetzten wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit.
Aber wir brauchen die Regeln, die wir uns in der Flüchtlingspolitik selbst gegeben haben, damit unsere Solidarität diejenigen erreicht, die diese Hilfe am meisten nötig haben. Sorgen wir auch für Wahrheit und Klarheit! Die Regeln des Rechtsstaats und des rechtsstaatlichen Verfahrens gelten für alle. Davon kann und darf es keine Abstriche geben, weder für einzelne noch für Gruppen. Treten wir gemeinsam für humanitäre Verbesserungen in der deutschen Flüchtlingspolitik, aber auch in Europa ein! Und begegnen wir den Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, mit Wohlwollen und Empathie – in einer menschlichen Metropole, die sich ihrer Geschichte bewusst ist und die ihre Zukunft auf Weltoffenheit und Toleranz aufbaut! Bitte behalten wir immer das Einzelschicksal der Menschen im Auge! Ich glaube, dann relativieren sich viele Probleme, die wir vielleicht sonst nicht sehen würden. – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Vielen Dank, Herr Regierender Bürgermeister! – Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, dass zu der Erklärung des Regierenden Bürgermeisters eine Besprechung eröffnet wird. Darüber hinaus ist vorgesehen, diese
Aussprache mit der Beratung zu Punkt 13 der Tagesordnung zu verbinden. – Ich höre keinen Widerspruch, hiermit von § 62 Abs. 4 Satz 2 unserer Geschäftsordnung gemäß § 91 der Geschäftsordnung abzuweichen, und rufe auf
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres, Sicherheit und Ordnung vom 17. März 2014 Drucksache 17/1547
Für die Besprechung beziehungsweise die Beratung ist zwischen den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu zehn Minuten vereinbart worden. Es beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. – Frau Kollegin Pop, Sie haben das Wort. Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben vorgestern trotz einer angespannten Lage am Oranienplatz eine friedliche Räumung erlebt, bei der die meisten Flüchtlinge selbst die Zelte abgebaut und vereinbarungsgemäß den Platz in Richtung der bereitgestellten Unterkünfte verlassen haben. Das war eine friedliche Lösung, an die nicht alle in dieser Stadt geglaubt haben, eine Lösung im Dialog, an der sehr viele mitgewirkt haben. Ihnen allen gilt unser Dank!
Wir haben vorgestern gesehen, dass es in Berlin durchaus möglich ist, das viel zu oft stattfindende Zuständigkeitsgerangel und Schwarze-Peter-Spiel zwischen den verschiedenen Ebenen zu durchbrechen. Man hat vor allem gesehen, was möglich ist, wenn man anfängt, gemeinsam an Lösungen zu arbeiten.
Es war gut und richtig, dass der Senat nicht den Weg der gewaltsamen Räumung gegangen ist. Man muss aber auch feststellen, dass der Senat erst ab diesem Zeitpunkt endlich angefangen hat, seine Verantwortung für alle Flüchtlinge in der Stadt wahrzunehmen, zu denen die Flüchtlinge am Oranienplatz ebenso gehören wie alle anderen. Um es noch einmal sehr deutlich zu sagen: In Berlin ist ganz klar der Senat für Fragen der Unterbringung und des Aufenthaltsrechts zuständig. Das wird nicht in einem Bezirksamt oder einer BVV entschieden, hier trägt der Senat Verantwortung.
Vieles, was wir gesehen haben, wäre nicht möglich gewesen, wenn es nicht eine starke und beständige Unterstützung aus der Gesellschaft gegeben hätte.
Exemplarisch möchte ich hier die Diakonie und die Caritas nennen, die unermüdlich Möglichkeiten der Unterbringung geschaffen und am Runden Tisch den Dialog immer wieder befördert haben. Es wurde immer wieder von den Kirchen, von Bischof Dröge und Kardinal Woelki, für eine friedliche und humanitäre Lösung geworben. Hierfür unser aller Dank!
Wir haben in den letzten Monaten hier im Abgeordnetenhaus oft diese Fragen diskutiert. Berlin war und ist immer schon eine Einwanderungsstadt gewesen. Die Zuwanderer haben über die Jahrhunderte und bis heute unsere Stadt geprägt und ihr ein Gesicht gegeben. Gerade wir in Berlin wissen, was Freiheit bedeutet. So ist es für uns in Berlin eine Selbstverständlichkeit, dass wir anderen, die in größter Not sind, ebenfalls helfen. Das ist für uns nicht nur Lehre und Verpflichtung aus unserer deutschen Geschichte, es ist eine Frage von Menschlichkeit, Würde, Respekt und von Hilfsbereitschaft.