Protokoll der Sitzung vom 10.04.2014

Wir haben in den letzten Monaten hier im Abgeordnetenhaus oft diese Fragen diskutiert. Berlin war und ist immer schon eine Einwanderungsstadt gewesen. Die Zuwanderer haben über die Jahrhunderte und bis heute unsere Stadt geprägt und ihr ein Gesicht gegeben. Gerade wir in Berlin wissen, was Freiheit bedeutet. So ist es für uns in Berlin eine Selbstverständlichkeit, dass wir anderen, die in größter Not sind, ebenfalls helfen. Das ist für uns nicht nur Lehre und Verpflichtung aus unserer deutschen Geschichte, es ist eine Frage von Menschlichkeit, Würde, Respekt und von Hilfsbereitschaft.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Denn es gibt auch diejenigen, die Rassismus und Menschenfeindlichkeit propagieren. In Hellersdorf beispielsweise, wo unter dem Deckmantel einer sogenannten Bürgerinitiative die rechtsextreme NPD hetzt oder in Neukölln, wo gegen eine neue Flüchtlingsunterkunft Stimmung gemacht wird. Aber es gibt auch Positives, denn dort überall finden sich Menschen zusammen, die dagegenhalten, die helfen wollen, die ihren Stadtteil nicht der rechten Hetze überlassen wollen. Hier gilt für uns alle, zusammenzuhalten, zusammenzustehen und denjenigen, die die Vielfalt und die Freiheit unserer Stadt zerstören wollen, Einhalt zu gebieten.

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Carsten Schatz (LINKE) und Udo Wolf (LINKE)]

Das tut beispielhaft die Initiative „Hellersdorf hilft“ mit Kleidung, Spielzeug, Spenden und auch Zuspruch, damit die Menschen, die auf der Flucht aus ihrer Heimat, die alles zurückgelassen haben, hier in Berlin wieder einen Neuanfang wagen können.

Sie kommen aus den Krisengebieten der Welt. Die Bilder, die wir täglich in den Nachrichten sehen, sind uns präsent, die Bilder von Krieg und Gewalt. Von Syrien bis Libyen, von überall her kommen die Menschen in ihrer Not zu uns nach Europa, nach Deutschland, nach Berlin und zum Oranienplatz. Was für eine Odyssee müssen die meisten von ihnen hinter sich haben? – Die Geschichten sind nachzulesen, wenn man sich mit ihnen unterhält, hört man sie auch. Geflüchtet vor Krieg und Unterdrückung aus ihren afrikanischen Heimatländern, über den lebensgefährlichen Seeweg nach Lampedusa gekommen,

um dann in Italien zu erfahren, dass man weiterziehen muss, dass man nach Deutschland geschickt wird, mit einem Bahnticket versehen. Vermutlich werden die meisten von ihnen geglaubt haben, dass das in Europa so ist, dass sich die Europäer irgendetwas dabei gedacht haben werden. Spätestens dann, wenn sie in Berlin ankommen, haben sie die Fallstricke europäischer und deutscher Flüchtlingspolitik erlebt und geraten ins rechtliche Niemandsland.

Ja, es war eine unwürdige Situation für die Flüchtlinge, und auch für die gesamte Politik. Gut, dass dafür eine Lösung gefunden worden ist.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Eines hat sich in den letzten Tagen und Wochen deutlich gezeigt: Die meisten Flüchtlinge wollen endlich ankommen. Stattdessen wurden sie vermutlich eher unfreiwillig für eine lange Zeit zu politischen Aktivisten. Dass sie davon schon lange genug haben, ist vorgestern in vielen Statements deutlich geworden. Sie wollen arbeiten, unsere Sprache lernen und hier ankommen.

Jetzt kommt es auf die nächsten Schritte an. Ein Anfang ist gemacht worden, viele Fragen bleiben offen. Jetzt kommen die Mühen der Ebenen. Da wird man sehen, wie tragfähig die Vereinbarungen sind. Der Regierende Bürgermeister hat von Vertrauen gesprochen. Es geht um Vertrauen, dass nun bei den Einzelfallprüfungen alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft werden und dass dabei die humanitären Gesichtspunkte immer im Mittelpunkt stehen. Darauf werden wir hier sehr deutlich achten!

[Beifall bei den GRÜNEN]

Denn nur so können Perspektiven für die Flüchtlinge eröffnet werden, also der Zugang zur Sprache, zu beruflicher Qualifizierung und Arbeit. Die richtige Arbeit fängt jetzt erst an. Auch dieser weitere Weg sollte im Dialog fortgesetzt werden.

So einig wir uns auch sind, Hilfe zu leisten und Flüchtlinge bei uns aufzunehmen, so macht uns die derzeitige Situation auch wieder deutlich, dass es bei der Umsetzung unserer humanitären Verpflichtungen noch viel zu tun gibt. Nicht nur die letzten anderthalb Jahre am Oranienplatz, sondern auch die wieder steigende Zahl von Menschen, die aus ihrer Heimat flüchten und bei uns Schutz suchen, zeigen uns deutlich, dass ein Umdenken in der deutschen und europäischen Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik notwendig ist. Europa braucht ein humanitäres Einwanderungsrecht. Auch innerhalb Europas müssen wir umdenken, hin zu einem gerechteren Umgang mit Flüchtlingen. Wie aberwitzig die Drittstaatenregelung ist, zeigt sich am einfachen Beispiel von zwölf syrischen Flüchtlingen, bei denen wir uns vermutlich alle sehr schnell einig sind, dass sie hier asylberechtigt sind. Sie befinden sich allerdings alle in Abschie

behaft, weil sie über einen Drittstaat eingereist sind. Wie absurd ist diese Lage eigentlich?

[Starker Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Auch wir in Deutschland müssen die Fragen von Arbeitsverboten oder Residenzpflicht endlich angehen. Es spricht nichts dagegen, geduldeten Menschen die Möglichkeit zu geben, hier zu arbeiten. Es ist doch gelinde gesagt sogar verrückt, dass Flüchtlingen vorgeworfen wird, sich auf Sozialleistungen auszuruhen, sie aber bei uns gar keine Arbeit aufnehmen dürfen. Ich glaube, dass da eine Berliner Initiative in Richtung Bundesebene dringend gefragt ist.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Auch die Residenzpflicht ist europaweit einmalig und für Deutschland wahrlich kein Ruhmesblatt. In Berlin ist diese ja nur für Brandenburg aufgehoben, woandershin darf man als Berliner Flüchtling trotzdem nicht reisen. Da könnte man noch nachlegen. Wir sagen: Ermöglichen wir den Menschen, sich in unserem Land frei zu bewegen, denn Freiheit und Bewegungsfreiheit sind auch ein Menschenrecht.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Für meine Fraktion möchte ich betonen, dass Menschen, die bei uns Hilfe und Schutz suchen, diese auch erfahren sollten – mit Arbeit, mit Bewegungsfreiheit und angemessener Unterbringung.

Ich erinnere mich noch gut daran, dass für eine lange Zeit immer weniger Flüchtlinge nach Berlin kamen. Mehr oder minder bei jeder Haushaltsberatung während der letzten zehn Jahre war das ein sicherer Einsparposten. Zur Erinnerung: In den Jahren 2005/2006 lag die Zahl in Berlin bei rund 1 000 Asylbewerbern pro Jahr. In diesen Jahren ist sehr viel Infrastruktur für Flüchtlinge, insbesondere Möglichkeiten zur Unterbringung, massiv abgebaut worden. Nun musste diese Infrastruktur in den letzten zwei bis drei Jahren sehr schnell wieder aufgebaut werden. Wir sprechen nun von ca. 6 000 Neuankömmlingen jährlich. Die Diskussionen kennen wir alle. Dabei gab es große Anstrengungen insbesondere des LAGeSo und des Sozialsenators Czaja, die man auch als Opposition würdigen muss.

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Beifall bei der CDU]

Natürlich genügt das der Opposition nicht immer. Es gibt noch immer viel zu tun. Gerade die Frage der Standards bei der Unterbringung, ist eine, um die wir uns dringend werden kümmern müssen. Wir werden als Parlament auch die finanziellen Möglichkeiten bereitstellen müssen,

um die Unterbringung im Land Berlin vernünftig zu gestalten.

Wir sprechen in diesen Tagen viel von Berlin als wachsender Stadt. Wir sollten alle genau hinschauen, denn dann werden wir feststellen, dass die meisten Neuberliner weder ehemalige Schwaben noch karnevalswütige Rheinländer sind, die meisten Neuberliner kommen aus aller Welt und vor allem aus den europäischen Nachbarländern, aus West und Ost gleichermaßen. Berlin war und ist eine Einwanderungsstadt, eine Stadt, die offen ist für Neuankömmlinge und Hilfe leistet, wenn dieses nötig ist. Diese wäre nicht denkbar ohne die vielen Berlinerinnen und Berliner, die täglich im Kleinen, in ihrem Kiez, in ihrer Nachbarschaft Unglaubliches für das Zusammenleben und die Integration in unserer Stadt leisten. Ihnen gebührt unser Dank, denn sie sind Berlin!

[Beifall bei den GRÜNEN]

Vielen Dank, Frau Kollegin Pop! – Für die SPD-Fraktion hat jetzt Herr Saleh das Wort. – Bitte schön, Herr Kollege!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! 18 Monate lang hat Berlin eine menschliche und gesellschaftliche Tragödie am Oranienplatz zugelassen. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat eine Duldung für ein Camp von Flüchtlingen ausgesprochen. Das schien aus Sicht vieler damals politisch richtig zu sein. Aber menschlich, das zeigten auch die zum Teil bitteren Szenen am Dienstag, war es ein Fehler, dieses Camp zu dulden.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Ich glaube, das haben jetzt alle verstanden, insbesondere der Bezirk.

Fehler haben auch manche der Unterstützerinnen und Unterstützer gemacht.

[Elke Breitenbach (LINKE): Nur der Senat nicht!]

Es wurde mit den Schicksalen und den Hoffnungen der Flüchtlinge Politik gemacht.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Am Dienstag haben Teile dieser Gruppe gezeigt: Es geht ihnen nicht um die Menschen; es geht ihnen darum, die offene und demokratische Gesellschaft herauszufordern.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Am Ende haben sich einige der Unterstützer sogar gegen die abziehenden Flüchtlinge gewandt. Wer so mit Flüchtlingen umgeht, verliert unseren Respekt.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

(Ramona Pop)

Der Senat hat die Probleme am Oranienplatz verantwortungsvoll gelöst. Wir danken Senatorin Dilek Kolat dafür, dass sie in schwierigen Verhandlungen eine friedliche Lösung gefunden hat. Sie hat einen guten Job gemacht.

[Beifall bei der SPD]

Unser Dank gilt auch dem Regierenden Bürgermeister. Es war richtig, auf eine politische Lösung und auf Deeskalation zu setzen.

[Beifall bei der SPD]

Klaus Wowereit hat die Lage richtig eingeschätzt. Wir danken den Polizistinnen und Polizisten, die am Dienstag besonnen und konsequent im Rahmen der Amtshilfe gehandelt haben.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Das Camp konnte kein Dauerzustand sein. Darauf hat Frank Henkel im Dezember richtigerweise hingewiesen.

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Für mich geht es jetzt darum, welche Konsequenzen wir aus dem Vorgang ziehen. Es geht darum, wie Berlin seinen gesellschaftlichen Frieden erhalten kann. Wir alle wissen doch: Viele Berlinerinnen und Berliner haben das Thema Oranienplatz als politische Hängepartie gesehen. Es schien um alles Mögliche zu gehen: das Nutzungsrecht von Grünflächen, Zuständigkeiten im Senat, Zuständigkeiten zwischen Senat und Bezirken, Zuständigkeiten zwischen den Bundesländern; es ging um europäische Flüchtlingspolitik. Viele Bürgerinnen und Bürger fanden aber, dass es zu spät um die Situation der Flüchtlinge und die Interessen der Anwohnerinnen und Anwohner ging.

Das Beispiel Oranienplatz zeigt: Eine menschliche Metropole braucht klare Regeln. Wenn wir zulassen, dass Plätze besetzt werden, dann begrenzen wir das Allgemeinwohl. Die öffentlichen Plätze gehören allen Berlinerinnen und Berlinern.

[Beifall bei der SPD und der CDU]