Protokoll der Sitzung vom 10.04.2014

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden immer für das Demonstrationsrecht kämpfen. Aber wir dürfen und wir werden nicht zulassen, dass öffentliche Plätze dauerhaft besetzt werden – für welchen noch so guten Zweck auch immer.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Denn alle Berlinerinnen und Berliner, dazu zähle ich auch die Flüchtlinge, haben ein Recht auf Ordnung und Sicherheit. Und die Politik hat die Aufgabe, dieses Recht durchzusetzen.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Das ist eine Frage des gesellschaftlichen Friedens in einer komplizierten Metropole, die den Anspruch haben muss, auch eine menschliche Metropole zu sein. Eine menschliche Metropole heißt für mich auch: Man darf nicht zulas

sen, dass persönliche Schicksale zwischen Zuständigkeiten verlorengehen. Für die Bezirke heißt das: Man kann die Dinge nicht laufenlassen und dann bei Problemen nach dem Senat rufen.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Und, ja, wir können und müssen auch erwarten, dass rechtlich zuständige Landesverwaltungen Probleme proaktiv angehen.

[Dr. Klaus Lederer (LINKE): So wie ihr bei den Flüchtlingsheimen!]

Wenn wir in einer menschlichen Metropole leben wollen, dann heißt das: Wir ignorieren gesellschaftliche Konflikte nicht, sondern wir lösen sie.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Unsere Stadt ist vielfältiger. Der Wohlstand steigt, aber auch die Gegensätze werden schärfer. Die Art und Weise, wie wir mit Gegensätzen und Streit umgehen, wird deshalb zur Schlüsselfrage in den nächsten zehn, zwanzig Jahren. Zur Ehrlichkeit gehört: In Berlin gibt es viele Konflikte. Einige Beispiele will ich nennen. Es gibt die reale Angst vor Verdrängung durch Zuzug und steigende Mieten. Der Widerspruch zwischen Arm und Reich in Berlin wird stärker. Es gibt kulturelle Reibungen, die uns Sorge machen. Unsere Stadt verändert sich rasant schnell. Es gibt Bürgerinnen und Bürger, die von der Verdrängung in Berlin profitieren, andere fragen sich, ob das überhaupt noch ihre Stadt ist. Es gibt auch Konflikte um den öffentlichen Raum. Was soll privat sein? Und was muss als öffentliche Fläche für alle zugänglich sein? – Ich bin überzeugt, dass wir in Berlin eine politische Kultur haben, mit der wir diese Konflikte lösen können. Das hat sich am Dienstag wieder erwiesen.

Unsere Stadt hat Erfahrung mit Vielfalt. Seit Jahrhunderten kamen Zuwanderer und Flüchtlinge nach Berlin. Sie fanden hier in unserer Stadt ihre neue Heimat. Von den Hugenotten im 18. Jahrhundert über die russischen Flüchtlinge Anfang des 20. Jahrhunderts, die Gastarbeiter seit den Sechzigerjahren, aber auch die russischen und russlanddeutschen Emigranten nach der Wende: Migration und Vielfalt sind für uns nicht die Ausnahme, sondern Normalität!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Es wäre nett, wenn es ein bisschen leiser in den Reihen werden würde. – Vielen Dank! – Setzen Sie fort!

Vielfalt ist für uns der Normalfall. Deshalb muss Integration auch von Flüchtlingen ab dem ersten Tag beginnen. Vor allem sollten wir uns auf die Kinder konzentrieren.

Es ist unsere Verantwortung, dass Flüchtlingskinder in die Kitas und in die Schulen gehen. Dafür sorgen wir. Das ist ein Gebot der Menschlichkeit.

[Beifall bei der SPD und der CDU – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Wir sind uns sicherlich einig: Die Residenzpflicht gehört nicht mehr zu einer modernen Flüchtlingspolitik.

[Zuruf von Hakan Taş (LINKE)]

Genauso wichtig muss für die Flüchtlingspolitik sein: Für die Zukunft brauchen wir ein Bleiberecht nach Kettenduldungen. Denn wer auf dem Sprung lebt, integriert sich nicht. Teilweise gehen Kettenduldungen über Jahrzehnte. So schafft unser deutsches Recht Parallelgesellschaften. Damit müssen wir aufhören.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Wir sollten weiterhin gemeinsam daran arbeiten, dass wir die Ausländerbehörde modernisieren. Sie darf nicht als Angstbehörde gesehen werden, sondern sie muss ihrem Anspruch als Willkommensbehörde gerecht werden.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Unsere Aufgabe ist es, das Zusammenleben in der vielfältigen Stadt zu organisieren. Respekt, Toleranz und Anstand – das sind die Zutaten für den gesellschaftlichen Frieden. Darum grenzen wir niemanden aus und suchen den Dialog mit allen Gruppen in unserer Stadt. Wir werden auch in Zukunft den gesellschaftlichen Frieden in dieser Stadt gestalten. Das ist eine Aufgabe, an der wir alle arbeiten müssen, hier im Abgeordnetenhaus, in den Bezirken, in den Kiezen – jeden Tag und überall. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Vielen Dank! – Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Wolf das Wort. – Bitte schön, Herr Kollege!

Danke, Herr Präsident! – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, hier geht es heute verlogener zu als sonst üblich.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN – Oh! von der SPD und der CDU]

Herr Wowereit! Die Frage lautet: Warum jetzt? – Sie haben 2004 die wunderbare Verpflichtung europäischer Bürgermeister für eine humanitäre Flüchtlingspolitik unterzeichnet. Spätestens vor einem Jahr wäre es an der Zeit gewesen, eine Regierungserklärung zu diesem Thema abzugeben. Da haben Sie geschwiegen.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Jetzt, nachdem Sie über eineinhalb Jahre nur zugesehen haben, das Problem durch Nichthandeln immer größer wurde, die Flüchtlinge immer verzweifelter, da wollen Sie die angebliche Lösung des Problems als Erfolg feiern. Das ist eine mittelschwere intellektuelle Beleidigung.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Wie kann man bei diesem Elend überhaupt von Erfolg reden oder von einem guten Tag für Berlin, nur weil die Flüchtlinge den Oranienplatz verlassen haben? Klar, für die körperliche Unversehrtheit und Gesundheit dieser Menschen ist es gut, aber die Flüchtlingspolitik dieses Landes ist wieder nur um eine traurige Facette reicher.

Worin besteht der Erfolg? Dass die Grünfläche wieder frei ist? Keine der politischen Forderungen der Flüchtlinge ist erfüllt. Alles, was sie bekommen, ist eine Einzelfallprüfung in Berlin und bis zur Klärung ihres Aufenthaltsstatus eine Unterkunft. Ich bitte Sie! Das ist ja wohl das Mindeste, was man erwarten kann!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Die Vermutung liegt nahe, dass die Erfolgsparty das Motto „Aus den Augen, aus dem Sinn“ trägt. Gestatten Sie uns, dass wir da nicht mitfeiern!

Als die Flüchtlinge 2012 aus ganz Deutschland nach Berlin gekommen sind, um für ihre Rechte zu kämpfen, als es zum Hungerstreik am Brandenburger Tor kam und das Camp am Oranienplatz gegründet wurde, haben viele sozialdemokratische Freunde erklärt, die Residenzpflicht sei eine unsinnige Schikane und gehöre abgeschafft. Recht so! Eine Bemühenszusage gab es, auch von Frau Kolat, sich auf Bundesebene einzusetzen. Was ist passiert? – Nichts ist passiert. Im Gegenteil!

Unser Antrag, zumindest die Residenzpflicht aufzuheben, liegt heute vor. – Die Residenzpflicht zwischen Berlin und Brandenburg wurde übrigens, Klaus Wowereit, unter Rot-Rot gelockert, aber nicht aufgehoben. Woran ist es gescheitert? – An der damals großen Koalition in Brandenburg! – Unser Antrag wurde im Innenausschuss mit den Stimmen Ihrer Koalition, Herr Wowereit, Frau Kolat, abgelehnt. Wenn es Ihnen in dieser Frage wirklich ernst ist – er steht heute auf der Tagesordnung, stimmen Sie diesem Antrag zu!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Frau Kolat! Machen Sie endlich etwas gegen das Arbeitsverbot für Flüchtlinge! Sie, Herr Wowereit, sollten wissen, was für eine Unmenschlichkeit dieses Ar

(Raed Saleh)

beitsverbot darstellt. Wenn nicht, lesen Sie die Erklärung, die Sie 2004 unterschrieben haben, noch mal durch! Und Sie, Frau Arbeitssenatorin, sollten wissen, was für ein volkswirtschaftlicher Unsinn dieses Arbeitsverbot darstellt. Sie klagen zu Recht über Fachkräftemangel. Viele Flüchtlinge, die es bis nach Berlin geschafft haben, sind hochqualifiziert. Sie werden gegen ihren Willen in die Sozialsysteme gezwungen und dann von der CDU beschimpft, dass sie uns zur Last fallen. Was macht die SPD im Bund, was macht sie hier? – Sie versteckt sich hinter den Ressentiments der CDU-Rechten.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Die Bundesrepublik Deutschland ist eins der reichsten Länder der Erde. Deutschland diktiert in Europa ökonomisch und politisch gerne die Preise. Die Bundesrepublik exportiert Waffen und Kriegsgeräte in alle Welt. Und in der Bundesrepublik wird nicht wenig am Wohlstandsgefälle in der Welt verdient. Wenn aber Menschen, die vor Krieg, Hunger und Not, an deren Verursachung auch die Politik der Bundesrepublik Deutschland nicht unschuldig ist, flüchten, wenn diese Menschen es bis nach Berlin schaffen, trotz Schengen, Frontex und aller Hürden der Festung Europa, die es schon gibt – dann begegnet ihnen in Reinickendorf die feine CDU-Gesellschaft mit einem Zaun um den Kinderspielplatz und dem Hinweis: Für Flüchtlingskinder verboten! – Wie widerlich ist das denn?

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Und wenn vor Lampedusa Flüchtlinge wegen unterlassener Hilfeleistung ertrinken, begegnet ihnen diese unglaubliche Heuchelei, dass der Blätterwald sich über Italien und die menschenfeindliche Behandlung von Flüchtlingen empört – zu Recht –, aber mit keiner Silbe erwähnt, dass die Rechtsgrundlage für dieses Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Deutschland erfunden und durchgesetzt wurde.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Die Leute auf dem Oranienplatz haben dagegen demonstriert, weil sie verzweifelt sind, nicht weil sie gerne unter miserablen hygienischen Umständen hausen. Nur nebenbei: Es hätte dieser Stadt gut zu Gesicht gestanden, wenn einige Zeitungen mit derselben Entschlossenheit, mit der sie über die Rattenplage auf dem Camp berichtet haben, den Regierenden Bürgermeister zum Handeln für die Flüchtlinge aufgefordert hätten.

Welche Initiative hat denn der Senat auf Bundesebene zur Verbesserung der Flüchtlingsrechte ergriffen? Wie hat Klaus Wowereit seine guten Kontakte zur Bundesebene genutzt? Was hat Herr Henkel unternommen, der an den Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene beteiligt war und deswegen so selten an den Innenausschusssitzungen teilnehmen konnte? – Selbst die ersten Verhandlungen mit den Flüchtlingen hat nicht der Senat angestoßen,