Udo Wolf

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Warum reden wir heute eigentlich darüber? Die Senatsvorlage zur Videoüberwachung ist mausetot. Sie wurde vom Innensena
tor durch eine Mischung aus Faulheit und Inkompetenz selbst beerdigt. Warum Sie von der CDU unbedingt noch einmal das Versagen des Herrn Henkel hier und heute besprechen wollen, bleibt Ihr Geheimnis.
Der Vorgang zeigt doch nur exemplarisch, wie Herr Henkel die letzten Jahre die Zeit totgeschlagen hat und dann ein paar Monate vor der Wahl aufgeschreckt ist und hektisch versucht hat, ein politisches Handeln zu simulieren. Wir erinnern uns: Vor fünf Jahren hat Frank Henkel einen markigen Wahlkampf zum Thema innere Sicherheit geführt, mit brennenden Autos auf Postkarten, mit brennenden Autos auf Plakaten. Herr Henkel wollte mal so richtig aufräumen in Berlin. Durch eine politische Laune von Klaus Wowereit und Michael Müller wurde dieser laut sprechende Sicherheitsesoteriker dann Innensenator. Mittlerweile wissen beide, dass das keine gute Idee war, denn unabhängig von der Frage, was man inhaltlich von den Positionen der CDU in der Innenpolitik hält, war Frank Henkel das personifizierte Desinteresse an der Regierungsarbeit.
Eine kleine Liste des Versagens und der Arbeitsverweigerung des Herrn Henkel, ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Verschleppen und Versagen beim NSU-Skandal, die maroden Gebäude und Schießstätten der Polizei, ein fehlendes Personalentwicklungskonzept für den öffentlichen Dienst, das Versprechen gebrochen, die riesige Besoldungslücke zu schließen, die neu eingestellten Polizeibeamten gleich beim vollzugsnahen Dienst wieder eingespart, kein Sicherheitskonzept, um die Angriffe auf die Flüchtlingsunterkünfte zu verhindern, stattdessen Sabotage des Senatskompromisses zu den Flüchtlingen vom Oranienplatz und einiges mehr. Was Sie in Ihrer Bilanz im Wortsinne abrechnen können: eine rekordverdächtige Anzahl von Auslandsreisen, ständige Abwesenheit in den Ausschüssen, und wenn es mal richtig wichtig wurde, war Frank Henkel lieber in China, im CDUPräsidium Fototermine mit der Kanzlerin machen oder bei NATO-Treffen in Washington. – Aber kurz vor der Wahl fällt Ihnen auf einmal Ihre übrigens auch seit über fünf Jahren bekannte große Liebe zur Videoüberwachung ein,
und dann bringen Sie auf den letzten Drücker, hektisch, aber eben nicht fristgerecht, einen Gesetzentwurf ein, der so uferlos und handwerklich schlecht ist, dass auch die SPD kalte Füße bekommen hat.
Die Anhörung im Ausschuss hat deutlich gemacht: Dieser Gesetzentwurf wäre der Einstieg in die flächendeckende Videoüberwachung geworden und hilft auch nicht gegen Kriminalität. – Aber zum Glück war der CDU – auch weil man eigentlich weiß, dass die Videoüber
(Frank Zimmermann)
wachung nicht taugt, Straftaten zu verhindern – die Reputation des Herrn Henkel vergleichsweise egal und die Durchsetzung seiner Wünsche eben auch.
Mit großem Bohei – jetzt haben wir einen Nachklapp, eine etwas müde Aufführung dieser dramatischen Situation vor der Ausschusssitzung noch mal erlebt – wurden die Verhandlungen zum Gesetz kurz vor der Ausschusssitzung platzen gelassen, und es wurde sich gegenseitig die Schuld dafür gegeben. Jetzt debattieren wir diesen Gesetzentwurf in der letzten Plenarsitzung in erster Lesung, obwohl er im Ausschuss schon mit Anhörung behandelt wurde, und eigentlich ist er schon längst vom Tisch. Wenn Sie darauf bestehen, dass Sie den Quatsch noch quätscher machen und Ihre Niederlage hier zelebrieren wollen – bitte schön! Aber hoffen Sie nicht auf einen Mitleidsbonus. Sie sind selbst schuld.
Es ist offensichtlich: Es geht der CDU in der Innenpolitik schon lange nicht mehr um Sicherheit, sondern um eine seltsam skurrile und verstörende Form verzweifelten Wahlkampftheaters. Aber beim Thema Videoüberwachung beschwere ich mich nicht. Wir sind mit dem Ergebnis zufrieden. Das Ding ist gestorben, und es wurde demonstriert, dass die Union nicht einmal handwerklich die einfachsten Sachen hinbekommt.
Fünf Jahre hat er nichts gebacken gekriegt, aber kurz vor der Wahl verfällt der Innensenator in wilden Aktionismus und Symbolpolitik. Sie rufen in der Rigaer Straße einen ganzen Kiez zum Kampfgebiet aus und üben mit rechtswidrigen Polizeieinsätzen den Bürgerkriegszustand. Wenn es Ihnen kurzfristig in den Wahlkampf passt, sind Ihnen im Zweifel rechtsstaatliche Prinzipien egal. Sie missbrauchen die Berliner Polizei für den Wahlkampf, und allein dafür gehören Sie schon abgewählt.
Kreuzgefährlich ist Ihre inhaltliche Annäherung an die Rechtspopulisten, wenn Sie Hunderttausende Berlinerinnen und Berliner zum Sicherheitsrisiko erklären, weil sie eine doppelte Staatsbürgerschaft haben, und Sie endblöden sich nicht, ein Burkaverbot zu fordern und das als Kampf gegen Terror zu verkaufen.
Jetzt noch die Geschichte mit dem Taser: Man hat den Eindruck, dass Sie, wenn Sie, wie so oft in dieser Legislaturperiode, blaugemacht haben, den Teleshoppingkanal für Sicherheitstechnik geguckt haben. Mit seriöser Innenpolitik hat das alles nichts mehr zu tun. Man kann nur hoffen, dass Sie nach dem 18. September nicht wieder jemand aus einer Laune heraus in die Regierung holt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Dilek Kolat! Ihr Koalitionspartner hat gerade eben Ihren Masterplan als ein Dokument von Abschottung, Abschiebung und Stigmatisierung interpretiert.
Wenn Sie genau zugehört haben, müssen Sie das zugeben. Und dann sagen Sie, dieser Masterplan sei ein Meilenstein, ein Papier, um das uns andere Bundesländer beneiden. Machen Sie sich mal nicht lächerlich! Nach dem, was dieser Senat seit 2012 in der Integrationspolitik versäumt hat, nach dem katastrophalen Missmanagement der letzten zwei Jahre, löst Ihr Papier nirgendwo Neid aus.
Mehr Zustimmung, Herr Regierender Bürgermeister, hatte dagegen Ihre Wutrede vom 12. November 2015 bekommen.
Da haben Sie – völlig zu Recht – Ihren eigenen Senat, insbesondere die Senatoren Czaja und Henkel, wegen ihrer Abschieberhetorik und de facto Arbeitsverweigerung der Berliner CDU öffentlich zusammengefaltet. Aber nur 14 Tage später war klar, mit dieser Koalition geht bei diesem Thema gar nichts mehr. Da hat Henkel 14 Tage später, in der Aktuellen Stunde – auch für den Senat – wieder das komplette Gegenteil erzählt: Abschie
bung, Abschiebung, Abschiebung. – Da hätten Sie den CDU-Senatoren einfach mal die Entlassungspapiere übergeben müssen, aber das haben Sie nicht gemacht.
Sie haben das Flüchtlingsthema aber auch nicht, wie hier behauptet, zur Chefsache gemacht. Stattdessen haben Sie zu einer seltsamen Form des Outsourcings gegriffen. Sie haben McKinsey/Diwell beauftragt, einen Masterplan zu erarbeiten. Mir ist bis heute nicht klar, warum. Das Land Berlin hat eine Integrationssenatorin mit einer Verwaltung, die eigentlich Erfahrung mit der Erarbeitung von Integrationskonzepten hat. Unter Rot-Rot wurden dort zwei ressortübergreifende Integrationskonzepte erarbeitet, die eine vielfach größere Zielgruppe hatten als etwa 50 000 Flüchtlinge, um die es jetzt geht.
Senatorin Kolat war offensichtlich selbst überrascht und hat immer wieder erklärt, sie brauche McKinsey nicht. Allerdings ist uns auch von 2012 bis Januar 2016 keine Initiative aus dem Hause Kolat bekannt, die der verheerenden desintegrativen Erstaufnahmepolitik des Herrn Czaja, der Obstruktionspolitik des Innensenators oder diesem Jeder-für-sich-und alle-gegen-alle im Senat fachlich irgendetwas Konzeptionelles entgegengesetzt hätte.
Über zwei Jahre, nachdem Klaus Wowereit in einer Regierungserklärung angekündigt hat: Es werden mehr Flüchtlinge kommen; wir müssen Vorsorge treffen. –, gibt es jetzt ein Papier, das ein Masterplan sein soll. Vier Jahre nach den Lampedusa-Flüchtlingen auf dem Oranienplatz. Diesem Senat kann man beim Laufen die Schuhe besohlen!
Und auch typisch: Während die SPD noch von Willkommenskultur redet, freuen sich Czaja und Henkel und auch Herr Dregger via Presseerklärung über steigende Abschiebungs- und Rückkehrerzahlen und über mehr Geld für Sammelrückführungen. Und wie im Kapitel Sicherheit diskriminierende und stigmatisierende Fälle konstruiert werden, die in der Tat geeignet wären – um hier den Bundesinnenminister zu zitieren –, die Bevölkerung zu verunsichern, das ist nicht nur sicherheitspolitisch unseriös, es ist auch Wasser auf die Mühlen von Rechtspopulisten. – Liebe Sozialdemokraten! Ich verstehe nicht, warum ihr so etwas mitmacht!
Über den Masterplan hat es angeblich einen umfassenden – und jetzt auch noch transparenten – Dialogprozess mit den Akteurinnen und Akteuren dieser Stadt gegeben. Wie kommt es dann, dass sowohl die Art und Weise des Prozesses als auch die Qualität des Papiers von vielen Initiativen und Wohlfahrtsverbänden kritisiert wird? – Ganz
(Burkard Dregger)
einfach: Da wurde in drei Monaten etwas zusammengeschrieben, was vier Jahre lang nicht seriös bearbeitet wurde. Die Länge von 84 Seiten kann nicht darüber wegtäuschen: Der Masterplan ist in weiten Teilen eine oft unkonkrete Auflistung von Bestehendem und Ankündigungen, ohne wirkliche Umsetzungsstrategien.
Trotz rückläufiger Flüchtlingszahlen, über die sich angesichts der Bilder von Idomeni nur schlimme Zyniker freuen können, bekommen Geflüchtete in Berlin immer noch nicht rechtzeitig ihre Leistungen. Viele Betreiber von Flüchtlingsunterkünften haben immer noch keine Verträge. Es gibt Ankündigungen, die Turnhallen freizuziehen, aber widersprüchliche Aussagen, bis wann. Gleichzeitig werden Hostels freigezogen, ohne dass ein nachhaltiges Umzugskonzept bekannt wäre. Deshalb werden nach wie vor mehr oder minder wahllos Notunterkünfte wie Hangars oder auch mal gar keine Unterkünfte zugewiesen. Wo es einen Plan bräuchte, da herrscht nach wie vor Chaos.
Lieber Raed Saleh! Wir waren zu rot-roten Zeiten eine kleine Weile gleichzeitig integrationspolitische Sprecher unserer Fraktionen. Wir wissen beide, dass gelingende Integration ganz wesentlich davon abhängt, wie Unterbringung, Beschulung, Qualifizierung und Zugang zum Arbeitsmarkt von Anfang an, aber auch eine elementare Willkommenskultur ganz praktisch organisiert werden. Aber guckt man sich zum Beispiel den wortreichen „Dance-Mix“ im Kapitel Unterbringung und Wohnraum genau an, dann stellt man fest: Die Praxis, weiter in erster Linie auf integrationsverhindernde riesige Not- und Massenunterkünfte zu setzen, wird fortgeschrieben. Das ist absurd!
Wenn der Senat schon so viel Geld in die Hand nimmt, um Containersiedlungen und MUFs mit Gemeinschaftsduschen zu errichten, warum arbeiten Sie nicht endlich an der Ertüchtigung von Bestandsimmobilien? Warum bauen Sie nicht gleich Wohnungen? Fragen Sie Architekten und Bauexperten: Das wäre nicht nur ökonomischer, es wäre auch anständig den Flüchtlingen gegenüber.
Sie selbst sagen, wie wichtig Arbeit für die Integration ist. Nur ist in Ihrem Papier auf 13 Seiten wenig Neues. Wie im ganzen Text: Copy and paste – schon bestehende Maßnahmen, eine Menge Wünsche, Sachen aneinander gereiht, ohne dass dabei eine wirklich auf die Problemlage abgestimmte neue Herangehensweise erkennbar wäre. Eine arbeitsmarktpolitische Strategie, die Flüchtlinge und Langzeiterwerbslose in gute Arbeit bringt, gibt es nicht, auch kein Beschäftigungsprogramm, das mit öffentlicher Auftragsvergabe kombiniert wird, stattdessen gibt es nur wieder Ein-Euro-Jobs, und die finden im Wesentlichen in
den Unterkünften statt, sind also alles andere als integrativ. Das ist bitter und ernüchternd.
Nicht alles – und das liegt am Copy-and-pasteVerfahren –, was im Masterplan steht, ist falsch. Aber das Grundproblem ist, dass sich dieser Senat und damit dieser Plan nicht entscheiden kann, was er will – offensiv Integration und Teilhabe fördern oder abschrecken und abschieben, ob er Flüchtlinge und Zuwanderung als Bereicherung und Chance begreift oder als Krise, Bedrohung und Belastung. Deshalb ist es eben kein Masterplan, der sich der Aufgabe stellt, etwas zu schaffen, und Wege formuliert, wie etwas zu schaffen ist, sondern es ist ein Papier einer Regierung, in der einfach nichts zusammenpasst.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD! Flüchtlinge willkommen zu heißen und aufzunehmen, ist eine zutiefst humanistische Haltung. Das vernünftig zu organisieren, ist kein Hexenwerk. Man muss allerdings auch in einer Regierung nicht nur am gleichen Strang ziehen, sondern auch in dieselbe Richtung.
Ich bitte Sie: 50 000 Geflüchtete sind im vergangenen Jahr in Berlin registriert worden. Das sind weniger Menschen als Besucher beim Pokalfinale im Olympiastadion. Wer zulässt, dass aus einer solchen überschaubaren Herausforderung eine Überforderung oder gar eine Krise staatlichen Handelns wird, muss sich nicht über Wasser auf die Mühlen von Rechtspopulisten wundern.
Ein Blick nach Österreich, wo wir über den Ausgang der Präsidentschaftswahlen erst einmal erleichtert, aber keinesfalls beruhigt sein dürfen, zeigt: Rechtspopulisten bekämpft man nicht durch die Erfüllung ihrer menschenfeindlichen Forderungen nach Abschottung und Abschiebung, den kann man nur das Wasser abgraben, indem man für Bedingungen sorgt, die die Integration von Flüchtlingen und Langzeiterwerbslosen ermöglicht und fördert. Und bei allem Dank an die Ehrenamtlichen, die für den Berliner Senat bisher in Ersatzleistung gegangen sind: Das ist zuallererst die Aufgabe des Staates!
Dieser vorliegende Masterplan kommt vier, mindestens aber zwei Jahre zu spät, und er kann sich nicht entscheiden, wo er hinwill. Damit fällt er hinter die Regierungserklärung von Michael Müller vom November 2015 zurück. Eine humanitäre Flüchtlingspolitik braucht aber außer einer Haltung auch eine Richtung. – Es wird Zeit,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, dass Sie sich für eine Richtung entscheiden. – Danke!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ganz offensichtlich gibt es bei der Einrichtung neuer Flüchtlingsunterkünfte zu den Standorten Streit, offensichtlich auch zu unabgestimmtem Vorgehen zwischen den Verwaltungen und Chaos in der Kommunikation zwischen SPD und CDU.
Ich frage den Senat, wie der Regierende Bürgermeister dieses Hickhack mit Blick auf die Akzeptanz der Berlinerinnen und Berliner bewertet. Verstärkt dies nicht den Eindruck, Teile des Senats wollen es gar nicht schaffen?
Danke schön, Herr Präsident! – Wenn ich es richtig verstanden habe, hat der Finanzsenator die Liste zur Flüchtlingsunterbringung mit den demokratisch legitimierten Bezirksvertretern besprochen. In der Zeitung lese ich, dass heute am Rand des Plenums noch einmal mit CDUAbgeordneten die Liste diskutiert werden soll. Ist jetzt damit zu rechnen, dass die Liste aufgrund von CDUWahlkreisinteressen geändert wird?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem jetzt so viele Dinge behauptet wurden, die gar nicht im Haushaltsplan enthalten sind, und das Maß an Realitäts
(Florian Graf)
verweigerung von Herrn Saleh und Herrn Graf noch einmal dokumentiert wurde, scheint es mir angebracht, in dieser Auseinandersetzung einen geschichtlichen Einstieg zu wählen.
Die Älteren unter uns werden sich erinnern: Im Jahre 2001
wurde eine große Koalition abgewählt.
Ihre Hinterlassenschaft war der Ruf Berlins als Hauptstadt von Filz und Korruption, eine Mischung aus Provinz und Größenwahn. Vor allem aber lag die Hinterlassenschaft in einem strukturellen Haushaltsdefizit von 2 Milliarden Euro.
2 Milliarden Euro, Herr Schneider, damit Sie es verstehen, mehr Ausgaben pro Jahr im Haushalt als Einnahmen. Der Berliner Bankenskandal produzierte dazu Risiken in kaum vorstellbarer Höhe.
Beides war schwerwiegender als der damals schon hohe Schuldenstand von 40 Milliarden Euro. Und damals gab es keine Niedrigzinsphase wie heute.
Es hat lange gedauert, bis die Berliner SPD damals den Mut gefunden hat, diese für Berlin so schädliche Regierungskonstellation zu beenden. Es hat lange gedauert, bis diese lähmende Blockade gelöst wurde und die CDU zum Zuschauen auf die Strafbank verbannt wurde.
Und dann hat Rot-Rot in Berlin den Laden aufräumen müssen.
Das waren harte Jahre der Konsolidierungspolitik, mit schmerzhaften Entscheidungen, manche über das vertretbare Maß hinaus. Wir haben das nicht aus Spaß gemacht. Wir haben das getan, um vor dem Bundesverfassungsgericht die Anerkennung als Haushaltsnotlageland zu bekommen, damit Berlin Bundeshilfen erhält, um aus dieser desaströsen Erbschaft der CDU/SPD-Regierung zu kommen.
Und ja, wir haben gespart, bis es quietscht. Das Bundesverfassungsgericht hat gespottet, das wäre noch lange nicht genug. Wir haben einen Solidarpakt mit den Beschäftigten im öffentlichen Dienst geschlossen. Die Kol
leginnen und Kollegen haben durch Verzicht auf Einkommen einen Großteil dazu beigetragen, dass Berlin eine Chance auf einen ausgeglichenen Haushalt bekommen hat. Ihnen, den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, gebührt der Dank dieses Hauses und der Berlinerinnen und Berliner,
der Dank dafür, dass dieses strukturelle Defizit abgebaut werden konnte und wir seit einigen Jahren wieder Überschüsse im Haushalt verzeichnen können.
Ja, wir haben manche Instandhaltungs- und Sanierungsmaßnahme geschoben, und manches hätten wir sicherlich anders entschieden, wenn wir nur ein wenig mehr Spielraum gehabt hätten. Aber alles, was wir damals getan haben, alle schmerzhaften und schwierigen Entscheidungen, die wir damals getroffen haben, all das hat den Zweck gehabt, wieder Gestaltungsspielraum in die Haushaltspolitik des Landes Berlin zu bekommen.
Jede dieser Entscheidungen war verbunden mit dem Versprechen – und ja, Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie haben das damals mit versprochen! –: Wenn wir einen ausgeglichen Haushalt haben, wenn wir sogar wieder Überschüsse haben, dann wird in die bauliche, in die soziale Infrastruktur, in den öffentlichen Dienst, kurz: in die öffentliche Daseinsvorsorge investiert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD! Sie wissen es ganz genau: Gemessen an den Möglichkeiten, die wir gemeinsam durch die Konsolidierungspolitik eröffnet haben, gemessen an den Überschüssen, die es seit 2011 gibt – diese letzten vier Jahre rot-schwarze Koalition waren verlorene Jahre für die Stadt. Sie haben die Chancen, die es gegeben hat, vertan!
Ich erinnere auch deshalb an diese kleine Haushaltsgeschichte,
denn was wir hier vor zwei Wochen ansatzweise gehört haben, zeigt, dass es nötig ist, Erinnerungen aufzufrischen.
Ich sage das zunächst einmal ausdrücklich in Richtung CDU. Es ist natürlich völliger Quatsch zu behaupten, die Oppositionsvorschläge zum Nachtragshaushalt und für den kommenden Doppelhaushalt würden den Schuldenberg vergrößern oder gar verdoppeln. Mal abgesehen davon, dass Sie für diese dumme und freche Behauptung keinen Beleg liefern können: Das sagen ja dann mal die Richtigen!
Die Stadt in die Schuldenmisere geritten, 15 Jahre keinen einzigen Konsolidierungsvorschlag gemacht, und jetzt die Überschüsse ohne Sinn und Verstand zur Beute von Koalitionskungeleien zu machen
oder wahlweise wegzuschmeißen: Sie sollten sich was schämen!
Aus der SPD-Fraktion wurde beim letzten Mal der gleiche Unsinn erzählt. Lieber Raed Saleh! Sie und Ihr haushaltspolitischer Sprecher müssen ein bisschen aufpassen, dass Sie nicht die letzten beiden Sozialdemokraten in der Stadt bleiben, die das Rumtechteln mit der CDU für eine gute Idee halten.
Rot-Rot hat damals den Haushalt konsolidiert. Frau Pop hat es gesagt, die Grünen haben zumindest Vorschläge zur Konsolidierung eingebracht. Die CDU aber hatte nur Forderungen fürs Geldausgeben. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass ausgerechnet die Konstellation, die Berlin in den Ruin getrieben hat, also eine Regierung aus CDU und SPD, nun die mühsam erwirtschafteten Überschüsse, die Früchte der Konsolidierungspolitik erntet und planlos verfrühstückt.
Sie denken vielleicht, und so verstehe ich auch die Zwischenrufe von Herrn Schneider:
Wenn Sie im Wahljahr ein wenig mehr Kohle raushauen, kriegen hier alle Glitzersternchen in den Augen. – Nein, falsch gedacht! Nicht nur Haushaltsdefizite sind ein Grund, sich aufzuregen. Auch wenn Geld, das vorhanden ist, ohne Plan und ohne Verstand ausgegeben wird, ist es ein Grund, schlechte Laune zu kriegen –
und das nicht erst in ein paar Jahren, wenn die fehlenden Investitionen noch teurer werden, sondern schon heute.
Erzählen Sie uns also nichts über seriöse Haushaltspolitik! Im Unterschied zur CDU hat meine Fraktion bewiesen, dass sie was vom Haushalt versteht.
Berlin steht im bundesweiten Vergleich, was wirtschaftliche Entwicklung und Finanzen betrifft, gar nicht so schlecht da. Daran konnten auch zwei CDU-Wirtschafts- senatorinnen nichts ändern.
Was aber die Investitionsquote betrifft, rangiert Berlin auf dem fünftletzten Platz unter den Bundesländern. Das ist schlecht!
Noch schlechter sieht es aus, wenn man betrachtet, was notwendig ist. Berlin hat insgesamt einen Sanierungsstau von ca. 12 Milliarden Euro: Straßen, Brücken, Krankenhäuser, Schulen, Bäder, zu wenig qualifiziertes Personal. Und gleichzeitig hat das Land zwischen 2012 und 2015 mehr als 2,1 Milliarden Euro an Schulden am Kapitalmarkt getilgt – mitten in einer Niedrigzinsphase, die Zinsersparnis ist also eher gering. 2,1 Milliarden Euro, das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen.
Was hätte man mit dem schönen Geld alles machen können! Nur um an einem Beispiel die Dimensionen klarzumachen: Bei den Berliner Krankenhäusern haben wir einen akuten Investitionsbedarf, um einen Sanierungsstau aufzulösen, von ca. 640 Millionen Euro. Und Sie schmeißen die schönen Überschüsse ins Altschuldenloch anstatt einen seriösen Plan zu erarbeitet, wie der Sanierungsstau abgebaut werden kann. Was für ein volkswirtschaftlicher Unsinn!
Als Sie gemerkt haben, dass auch bei IHK und Handwerkskammer das Unverständnis über Ihre Nichtinvestitionspolitik wächst, als Sie gemerkt haben, dass Sie mit der Nummer nicht mehr so einfach durchkommen, Altschuldentilgung nur um der Symbolik willen zu betreiben und gleichzeitig die Stadt auf Verschleiß zu fahren, da haben Sie sich SIWA ausgedacht.
Lieber Michael Müller! Lieber Herr Kollatz-Ahnen! SIWA ist doch ein bisschen sehr Nußbaum, oder? Sie haben das doch gar nicht nötig:
ein Investitionssondervermögen, das nur dann funktionieren kann, wenn man die Einnahmeseite im Haushalt niedriger rechnet, als sie zu erwarten ist! Denn nur so landet ja Geld im SIWA, wo dann nach Kassenlage, Geschwindigkeit einzelner Bezirke bei der Anmeldung und nach Zufallsgenerator investiert wird und automatisch die andere Hälfte der Überschüsse wieder im Altschuldenloch verschwindet. Sie behaupten hier heute, 500 Millionen Euro würden über diesen Weg investiert. Von wegen! Nicht einmal 10 Prozent dieser Summe haben Sie bisher investiert über diesen Weg.
Und wie Klaus Wowereit damals schon gesagt hat, als diese Debatte begonnen hat, das ist ein „Altschuldentilgungsfonds“. Mit nachhaltiger Investitionspolitik für die wachsende Stadt hat das nichts zu tun.
Wir haben nichts dagegen, wenn nichtgeplante, weil nichtplanbare Überschüsse, so ausgegeben werden und dabei auch, wenn es reicht, getilgt werden kann. Aber planbare Einnahmen und Minderausgaben gehören ordentlich in den Haushalt, zur Not in einen Nachtragshaushalt, und dann muss der Haushaltsgesetzgeber Prioritäten setzen, was mit begrenzten, aber nicht wenigen Mitteln erledigt werden muss.
Ein echtes Sanierungsprogramm für die öffentlichen Gebäude, insbesondere für die Schulen dieser Stadt, das wäre nicht nur ein Beitrag zur energetischen Sanierung und damit zum Klimaschutz geworden, sondern außerdem ein Konjunkturprogramm gewesen, das neue Arbeitsplätze und damit auch neue Steuereinnahmen für die Stadt generiert hätte. Aber bislang: kein Plan, keine Idee, nur die Anbetung Ihres Götzen SIWA!
Ein Plan für die Sanierung der Krankenhäuser: Was wir bisher kennen, ist nicht mal genug für den Substanzerhalt. – Eine vernünftige Eigenkapitalerhöhung für die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, damit die endlich ihrer sozialen Verpflichtung nachkommen können: Herr Saleh hat behauptet, die würde jetzt kommen. In diesem Doppelhaushalt steht nichts drin. Das haben Sie für die Zeit, wenn Sie längst nicht mehr mit dieser Koalition regieren, in den Haushalt versprochen. Und zusammen mit einer vernünftigen sozialen Mietenpolitik würde so eine Eigenkapitalerhöhung mehr Sinn machen als diese ewige Publikumsbeschimpfung, wenn Bürgerinnen und Bürger berechtigte Fragen zu teuren Neubauvorhaben stellen. – Ein echtes Stadtwerk und kein BonsaiStadtwerk: Das, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wäre möglich gewesen. – Herr Buchholz! Schade drum, auch diese Chance vertan!
Ein Straßen- und Brückensanierungsprogramm, das auf die wachsende Stadt ausgerichtet ist, ein Programm das auch sich verändernde Bedürfnisse der Berlinerinnen und Berliner eingeht; ich sage nur Radwege! – Ein Personalentwicklungskonzept für den öffentlichen Dienst, das den Namen verdient! Eine Angleichung der Besoldung im öffentlichen Dienst an den Bundesdurchschnitt – ein Wahlversprechen der CDU, wenn ich mich recht erinnere! Bei dem, was Sie hier machen, dauert die Angleichung noch mindestens zwölf Jahre, das wäre in 2027, und das ist noch freundlich gerechnet.
Herr Melzer! Ich habe den kleinen historischen Ausflug gemacht, damit auch Sie verstehen, was Sie uns 2001 hinterlassen haben und was zehn Jahre lang aufgeräumt wurde. – Jetzt sind die Überschüsse da, jetzt könnte man handeln, und Sie vergeuden das schöne Geld.
Was Sie machen, ist nicht viel mehr als Propaganda. Sie reden ja neuerdings gerne über Personalaufbau, eben gerade schon wieder. In Wahrheit täuschen Sie darüber hinweg, dass in den vergangenen fünf Jahren gemessen am Bevölkerungswachstum weiter Personalabbau stattgefunden hat. 2011 gab es noch 31,6 Beschäftigte pro tausend Einwohner im öffentlichen Dienst, nach Ihrem Haushaltsplan sollen es nur noch 29,7 pro tausend Einwohner sein. – Unsere Forderung, dass die Zielzahl von 100 000 Vollzeitäquivalenten im öffentlichen Dienst so schnell wie möglich aufgegeben werden muss, ist ja jetzt endlich nach drei Jahren so etwas wie Allgemeingut geworden, zumindest was die Hauptverwaltung betrifft. Und Sie fangen auch zögerlich an, bei unserem Personalentwicklungskonzept abzuschreiben.
Dagegen haben wir auch nichts, es kommt nur zwei bis drei Jahre zu spät. Wenn Sie schon abschreiben, dann machen Sie es gefälligst auch richtig!
[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN – Torsten Schneider (SPD): Tosender Applaus hier bei der Linken! – Heiko Melzer (CDU): Ihre eigene Fraktion glaubt Ihnen das nicht!]
An den Beispielen Polizei und Bezirke wird ja deutlich, dass Sie im Zweifel doch lieber wieder tricksen, schachern, alles Mögliche tun, aber bloß nicht weiter denken, als ihre haushaltspolitischen Sprecher ein Klavier werfen können.
Nehmen wir mal das Beispiel Polizei: Sie feiern sich, weil Sie mehr Polizisten einstellen. Übrigens jetzt schon das zweite Mal, die Nummer hatten Sie auch schon beim letzten Doppelhaushalt probiert. – Gleichzeitig lösen Sie die Einsparvorgaben nicht auf. Der vollzugsnahe Dienst wird weiter abgebaut. Die neuen Polizisten müssen dann, statt auf der Straße für Sicherheit zu sorgen, die Aufgaben des vollzugsnahen Dienstes erfüllen – also mehr Polizisten beim unterbesetzten Wachschutz oder im Büro, aber nicht bei der Kriminalitätsbekämpfung. Das nenne ich sicherheitspolitische Kompetenz, Herr Graf!
Beispiel Bezirke: Seit Jahren weisen wir auf den Personalmangel in den Bezirken hin. Insbesondere beim Thema Bürgerämter ist inzwischen jede Berlinerin und jeder Berliner schwer genervt. Sie haben kleckerweise nach jedem dritten Zeitungsbericht noch mal ein Almosen an die Bezirke gegeben – jetzt aktuell ganze 36 Stellen. Die
Zielvereinbarungen mit den Bezirken zum Personalabbau bleiben aber bestehen. Seriöse Personalpolitik sieht anders aus! Und weil die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes und der DGB diese Tricksereien auch sehen, kritisieren sie das auch völlig zu Recht.
Herr Henkel! Anstatt Ihren pampigen Herrn Krömer von der Leine zu lassen, hätten Sie einfach als Personalverantwortlicher im Senat Ihre Arbeit machen sollen. Machen Sie sich endlich beim Personal und in diesem Haushalt ehrlich!
Dass diese Koalition einfach nicht regierungsfähig ist, beweist sie seit Monaten bei der Flüchtlingspolitik. Was bitte ist so schwer daran, ein vernünftiges Konzept, einen nachvollziehbaren Plan nicht nur zur Erstaufnahme von Flüchtlingen, sondern auch zur nachhaltigen Unterbringung, zur medizinischen Versorgung, für den Kita- und den Schulbesuch auf den Tisch zu legen? Es ist doch keine Zauberei, die leerstehenden Immobilien und Flächen zu prüfen, egal ob in Landes-, Bundes- oder Privatbesitz. Es muss doch herauszukriegen sein, mit welchem finanziellen Aufwand und welcher zeitlichen Perspektive diese Immobilien oder Flächen als vernünftige Unterkunft zu ertüchtigen sind, und zwar mit vernünftigen Sanitäranlagen und Standards.
Wir bekommen jede Woche Hinweise aus den Bezirken und der Bevölkerung, wo Objekte leerstehen. Wir haben Sie seit geraumer Zeit gefragt, was mit dem Haus der Statistik ist. Das steht seit 2008 leer, und es gibt einen Vorschlag von Künstlerinnen und Künstlern, dort Flüchtlingsunterkünfte und Künstlerateliers einzurichten. Was ist damit? – Was ist mit dem Gebäude des Bundesinnenministeriums in Moabit, was ist mit den leerstehenden Büroflächen, was ist mit den illegalen Ferienwohnungen, und, und, und? – Was ist mit der medizinischen Versorgung? Wann kommt endlich die Gesundheitskarte, und vor allem, wann kommt sie bei den Flüchtlingen an? Wann gibt es endlich einen Plan für ausreichend Personal im LAGeSo?
Für all das muss auch haushälterisch Vorsorge getroffen werden. Der Bund macht sich ja weitgehend einen schlanken Fuß. Was machen Sie? – Sie spielen dieses Trauerspiel der gegenseitigen eifersüchtigen Blockade, der Strategie- und Konzeptionslosigkeit. Sie lassen keine Demonstration von Überforderung aus, selbst noch in der allerkleinsten Abstimmung untereinander. – Das LAGeSo und das organisatorische Chaos haben es zu weltweiter Berühmtheit gebracht. Längst hat das LAGeSo den BER abgelöst als Synonym für Berliner Pleiten.
Und um das deutlich zu sagen: Das liegt am wenigsten an den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Sie sind zu wenige, die sinnlose Verfahrensregelungen an einem ungeeig
neten Standort irgendwie handeln müssen, und dieser Senat lässt die Leute im Stich!
Die Hausspitze, der zuständige Senator, hat zwei Jahre gepennt. Dann ist er von seinem Innensenator in der Personalfrage hängen gelassen worden. Die vielen Freiwilligen, die zusätzlichen freiwilligen Pensionäre sind durch bürokratische Hürden und geradezu aufreizend lange Verfahrenswege nicht an die Stellen gekommen, wo sie gebraucht wurden. – Herr Müller! Wir haben zum Ende der Sommerpause darüber geredet, man macht so einen Aufruf an die Pensionäre, sich freiwillig zu melden. Heute, vier Monate später, kommt eine gesetzliche Grundlage dafür, dass man es auch organisatorisch hinkriegen kann – das ist doch ein Possenspiel!
Und dann stellt sich Ihr Senator für Dienstreisen, Sitzungsschwänzen und Sport-Zugucken hin und sagt: Der Herr Czaja ist fleißig und macht seine Arbeit ganz toll!
Machen Sie sich doch bitte nicht lächerlich hier!
Es fehlt mir die Vorstellungskraft, um mir auszumalen, wie die Situation der Flüchtlinge wäre, gäbe es die vielen aufopferungsvollen Ehrenamtlichen nicht. Ihnen kann man gar nicht genug danken. Und ich würde mir wünschen, Herr Czaja und der Senat würden sich einmal bei den Flüchtlingen dafür entschuldigen, was ihnen hier in Berlin zugemutet wird.
Wer die Situation vor dem LAGeSo und den Massennotunterkünften kennt, kann die Geduld der Geflüchteten nur bewundern. Es ist ein kleines Wunder, dass es bisher nur selten zu Problemen mit Gewalt gekommen ist. Geduld brauchen offensichtlich auch die Betreiber der Unterkünfte, wie wir vor wenigen Tagen gehört haben: Bei denen hat der Senat inzwischen Außenstände in zweistelliger Millionenhöhe. Was hat sich eigentlich nach der Regierungserklärung, nach Ihrer Ruck-Rede, Herr Regierender Bürgermeister, getan? – Ich kann keine großen Fortschritte erkennen. Jetzt, nach einem Jahr, vier Wochen nach der Ruck-Rede stellen Sie fest, dass Herr Allert das Problem ist. Das nennt man ja wohl ein klassisches Bauernopfer.
Womit bitte, Herr Müller, hat Herr Czaja denn Ihr Vertrauen zurückgewonnen? Das kann doch nicht wahr sein! Startet der jetzt durch? Was ist jetzt eigentlich mit der Konsequenz aus dieser Ruck-Rede? Passiert da jetzt irgendwas? Gibt es jetzt einen Plan? Wer arbeitet im
Senat – also dort, wo die politische Verantwortung liegt – an einem nachvollziehbaren, nachhaltigen Plan, um die Flüchtlingsunterbringung endlich auf die Reihe zu kriegen? Mal abgesehen davon, dass ein solcher Plan den Geflüchteten endlich eine Perspektive aus dem Leid geben würde – ein vernünftiger Plan könnte zu einem vernünftigen Einsatz von Ressourcen führen. Das, was jetzt passiert, ist nur Stückwerk und vermutlich am Ende viel, viel teurer, als wenn man es gleich vernünftig und richtig macht.
Jetzt wollen Sie ein neues Landesamt für Flüchtlinge gründen. Das war eigentlich, wenn ich es richtig verstanden habe, das Allert-Umgehungsamt. Braucht man das jetzt eigentlich noch? Da geht es ja wieder frei nach Goethe: Wenn die Begriffe fehlen, stellt zur rechten Zeit ein Wort sich ein. – Wo soll es hin, das neue Landesamt? Gibt es dafür mehr und neues Personal? Was soll das kosten? Oder machen wir es haushaltsneutral und schrauben nur ein neues Schild an die Tür? Und jetzt zanken Sie sich auch noch darüber, ob das zum Februar, zum März oder zum Juli oder überhaupt nicht passiert! – Man steht nur noch fassungslos daneben. Wann machen Sie da endlich Ihre Arbeit, anstatt alle zwei Wochen eine neue Sau durchs Dorf zu jagen?
Jetzt hatten wir letzte Woche diesen windigen Versuch, ohne Nachweis der Notwendigkeit das Tempelhof-Gesetz zu ändern, mit Dringlichkeit. Jetzt ist den Koalitionsfraktionen nichts mehr dringlich. Da werden dann mal gemeinsam Bausenator und Regierender vorgeführt. Nicht, dass ich die Einsicht kritisieren will, dass dieser gefährliche Unsinn mit dem Tempelhof-Gesetz gestoppt werden muss – aber diese Nummer zeigt eins ganz deutlich: Diese Koalition ist in jeder wichtigen Frage blockiert. Es gibt keine Frage, in der Sie sich noch einig wären. Es gibt nur noch Formelkompromisse und windigen Koalitionsschacher!
Ein nachvollziehbares Investitions- und Konjunkturprogramm, ein Personalentwicklungskonzept für den öffentlichen Dienst – das zusammen, um einen längerfristigen Plan zur Auflösung des Sanierungsstaus zu entwickeln, die wachsense Stadt nicht als propagandistische Floskel, sondern als gestalterische Aufgabe zu begreifen – denn Wohnen muss bezahlbar und menschenwürdig sein; auch für Menschen mit geringem Einkommen: für Studenten, Rentner, Transferleistungsbeziehern, Flüchtlinge –, das waren die Aufgaben, die vernünftig in diesem Haushalt abzubilden wären, da Vorsorge zu treffen, einen Masterplan für Investitionen über den Horizont dieses Doppelhaushalts hinaus aufzuzeigen – das alles haben Sie nicht geleistet. Sie sind mit der Ihnen eigenen Chuzpe mit Anlauf unter der Messlatte durchgetaucht.
Eine alte Tradition von CDU- und SPD-Regierungen haben Sie stattdessen wieder aufleben lassen: die nächtliche Ausschüttungsrunde zum Ende der Haushaltsberatung. Das funktioniert nicht nach dem Prinzip „Was braucht die Stadt?“, das funktioniert nach dem Prinzip „Welche Trophäe darf welcher Koalitionspartner nach Hause tragen?“ – Herr Saleh! Herr Graf! Dass man da den Quatsch auch noch quätscher machen kann, ist schon eine besondere Leistung!
Die Berliner SPD macht eine Umfrage zu ihrem Wahlprogramm und fragt unter anderem auch zur Kitagebührenfreiheit. Zwei Drittel der Befragten sagen – so wie im Übrigen auch alle, die etwas davon verstehen und die übrigens auch die Kitatabelle richtig rechnen können wie z. B. das Kitabündnis; selbst die zuständige Senatorin weiß es –: Es gibt im Moment viel wichtigere Probleme in der Kita als das. Zum Beispiel: Es fehlen Plätze; es müsste dringend in Qualität investiert werden; man brauchte nicht nur einen besseren Betreuungsschlüssel, nein, auch die Leiterinnen müssten freigestellt werden. – Aber Herr Saleh und Herr Schneider und der unvermeidliche Herr Buschkowsky aus dem Off: Nein! Das macht sich gut im Wahlkampf! – Das Geld, das in der Ausschüttungsrunde sinnvollerweise in die Verbesserung des Betreuungsschlüssels gehen soll, wird durch die Gebührenfreiheit auf der anderen Seite dem System gleich wieder entzogen.
Dafür bekommt die Union dieses ominöse Sicherheitspaket geschenkt, und das just in dem Moment, als der Innensenator erklärt, dass es keine Änderung der Sicherheitslage in Deutschland gibt. – Herr Graf! Sie müssen sich einfach mal sicher machen in der Frage, was Sicherheitspolitik so ist in dieser Stadt, wie das funktioniert! Fragen Sie nicht Ihren Senator, der hat davon nicht so viel Ahnung! Dass das pure Symbolik ist, was Sie mit diesem Sicherheitspaket gemacht haben, wurde im Hauptausschuss dann endgültig bestätigt:
Keiner der Koalitionäre konnte Auskunft geben, was eigentlich in diesem Sicherheitspaket drin ist! Mann, Mann, Mann – Ihnen ist echt auch nichts mehr peinlich!
Ihr Haushalt ist ein Haushalt der verpassten Chancen. Was Sie heute hier verabschieden wollen, hat immer noch keine strategische Linie, kein Konzept. Sie sind angetreten damals als die große Infrastrukturkoalition. Die einzige Begründung für Ihre Regierungsbildung war das Bekenntnis zu Großprojekten – als Beispiel dieses unsinnige Stück A 100. Der BER ist immer noch nicht fertig; die Staatsopernkrise ist dazugekommen. Das wollten Sie mit einer vollständig albernen Olympiabewerbung aus den Augen, aus dem Sinn kriegen. Zum Glück ist dieser Kelch an uns vorübergegangen. Nicht nur, dass das die größte öffentliche Geldverbrennung seit dem Ban
kenskandal geworden wäre – Sie hätten es auch organisatorisch verbockt. Mit Blick auf die Situation vor dem LAGeSo: Welcher verrückte Teufel hat Sie eigentlich geritten, dass Sie sich die Organisation Olympischer Spiele in Berlin zugetraut hätten?
Gemessen am eigenen Anspruch, die große Koalition könne große Projekte und große Herausforderungen stemmen, haben Sie nicht allzu viel hinbekommen. Dieser Haushalt leistet keinen signifikanten Beitrag, den Sanierungsstau aufzulösen. Er löst in keiner Weise das Personalproblem im öffentlichen Dienst. Es gibt keine Antwort auf die Herausforderung der wachsenden Stadt. – Dieser Haushalt ist der brüchige Kitt, der eine Koalition zusammenhält, die politisch längst mausetot ist!
Sie haben im Hauptausschuss unsere Anträge abgelehnt. Wir werden Ihren Haushalt ablehnen. Er wird ohnehin die Koalitionsverhandlungen 2016 nicht überleben. – Danke schön!
Wie auch immer – danke, Herr Präsident! – Liebe Ülker Radziwill! Ich frage Sie: Ist Ihnen in irgendeiner Art und Weise ein Dokument bekannt, mit dem der Senat den von uns seit mindestens drei Monaten, seit wir seit der Sommerpause das Flüchtlingsthema diskutieren, geforderten transparenten Nachweis erbracht hat, welche Flächen, welche Büroflächen, welche Immobilien im Landes- oder Bundesbesitz oder möglicherweise im Privatbesitz frei sind und besetzt werden könnten? Ist Ihnen eine solche geprüfte Unterlage bekannt? Solange das nicht bekannt ist – und uns ist hier im Hause nichts dergleichen vorgelegt worden, obwohl wir es in drei Debatten immer wieder eingefordert haben –, gibt es keine wirkliche Begründung dafür, dass das Tempelhofer Feld alternativlos in dieser Frage ist.
Die einfache wortreiche Behauptung des Senators, ohne einen Beleg dafür zu bringen, ist einfach unangemessen, wenn es heute darum geht, ein Volksgesetz zu ändern.
Liebe Frau Kollegin Radziwill! Sie wissen ganz genau, und deshalb ist es einigermaßen unanständig, uns vorzu
werfen, dass wir dieses Thema auf dem Rücken der Flüchtlinge austragen wollten,
dass wir seit Jahr und Tag – im Übrigen auch einmal gemeinsam, Frau Radziwill – sehr engagiert waren und sind, was die Flüchtlingsunterbringung
und die Frage dessen angeht, was Ihr Regierender Bürgermeister in der letzten Regierungserklärung als politische Linie ausgegeben hat.
Es ist unverantwortlich, immer wieder zu sagen, solche weitreichenden Eingriffe seien alternativlos, wenn die anderen Sachen nicht geprüft sind. Das führt zu Überforderungs- und Krisenrhetorik, zu Sachen, die – auwei! – nur unter ganz drastischen und dramatischen Maßnahmen zu stemmen sind. Machen Sie das nicht mit! Gehen Sie einfach an Ihre Arbeit, arbeiten Sie das ab, was geht, und danach können wir reden, ob so drastische und dramatische Maßnahmen noch notwendig sind. Bisher haben Sie den Nachweis nicht erbracht, dass sie notwendig sind. Deshalb bitte ich Sie: Führen Sie Debatten wie die zum Tempelhofer Feld eben nicht auf dem Rücken der Flüchtlinge, indem Sie etwas beantragen, von dem Sie nicht nachgewiesen haben, dass Sie es wirklich benötigen!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister! Das war eine sehr bemerkenswerte Regierungserklärung. Und ich möchte Ihnen ganz herzlich dafür danken.
Wir hatten, um ehrlich zu sein, eine solche Regierungserklärung schon zum Flüchtlingsgipfel erwartet und auch gefordert – jetzt also heute. Ich frage Sie: Warum eigentlich so spät? Wieso nicht nach der Sommerpause, als die Kanzlerin gesagt hat „Wir schaffen das!“ und die Vertreter Ihrer Koalition artig und überschwänglich und völlig zu Recht das große Engagement der vielen Ehrenamtlichen in Berlin gelobt haben, wohl wissend, dass ohne dieses ehrenamtliche Engagement das Versagen des Senats bei der Erstversorgung und Unterbringung der Flüchtlinge nur noch dramatischer gewesen wäre?
(Raed Saleh)
Und vor einem Monat, Herr Müller, haben Sie dann den Innensenator reden lassen. Der hat bei allen politischen Fragen zur Flüchtlingspolitik exakt das Gegenteil von dem erzählt, was Sie heute hier gesagt haben.
Da konnte eben jeder feststellen, der zugehört hat, die Berliner CDU ist eben weder guten Willens, noch will sie es schaffen. Sie setzt voll und ganz auf die Seehofer-deMaizière-Linie, und das heißt abschrecken, abschotten, abschieben. Das, lieber Herr Müller, haben Sie heute auch noch mal sehr deutlich gemacht, dass Sie inhaltlich die Koalition mit der Berliner CDU gekündigt haben.
Sie haben außerdem dem für Flüchtlingspolitik, die Unterbringung und medizinische Versorgung zuständigen Senator eine Rücktrittsaufforderung erster Klasse unterbreitet. Das konnte hier heute jeder hören. Manches wird aus den CDU-Bänken auch schon getwittert. Das ist wirklich sehr bemerkenswert.
Bei allen Differenzen, die wir im Einzelnen, was Maßnahmen in Berlin angeht, bei der Unterbringung und was die Beurteilung der Probleme, wie sie entstanden sind und mit welchem Plan sie gelöst werden können, haben, können Sie sicher sein, wenn Sie bei der Linie bleiben, die Sie im ersten Teil Ihrer Rede zu wissen gegeben haben, dass Sie uns auf Ihrer Seite haben, weil wir gemeinsam gegen Rassismus und Ausgrenzung und für eine vernünftige Integration von Flüchtlingen streiten müssen.
Ich glaube, dass Sie heute so offene Worte gefunden haben, weil Sie auch selbst festgestellt haben, dass die Situation der Geflüchteten in Berlin trotz mancher Ankündigung nicht wirklich besser geworden ist. Ausflüchte der Verantwortlichen gab und gibt es viele. Dieser Senat hat mehrfach dokumentiert, dass er sich nicht einig ist. Er blockiert sich selbst mit Unwillen, Unfähigkeit, Neid und Missgunst zwischen den Ressorts. Eine gemeinsame Strategie, die das „Wir schaffen das“ und „Wir haben dafür einen Plan“ Wirklichkeit werden lässt, war bisher nicht erkennbar.
Dann ist es auch kein Wunder, wenn die positive Stimmung in der Stadt bröckelt. Die Forsa-Umfrage von vor zehn Tagen war sehr erhellend. Die Berlinerinnen und Berliner haben in ihren Bezirken zu über 90 Prozent kein Problem mit Flüchtlingen, ein wunderbarer Befund. 47 Prozent haben sie in ihrem Lebensumfeld noch gar nicht bemerkt. 45 Prozent haben sie bemerkt, aber kein Problem mit ihnen. Nur ganze 7 Prozent haben sie bemerkt und ein Problem mit ihnen. Gleichzeitig haben wir erstmals eine knappe Mehrheit, die glaubt, dass Deutschland mit den zu erwartenden Flüchtlingen überfordert ist. Bei allen selbstkritischen Worten, die Sie gefunden ha
ben, muss man feststellen: Das ist nicht die Schuld der Flüchtlinge, wenn die Stimmung kippt. Das ist die Schuld der Bundesregierung und auch das Versagen dieses Senats.
Es sind das organisatorische Chaos, die bewusst und unbewusst produzierten Bilder des Ansturms, die Dokumentation der staatlichen Überforderung, die Bilder von Massenunterkünften mit miserablen Standards – und wir müssen weiter über Standards reden –,
die Krisen-und-Überforderungsrhetorik aus CSU, CDU und SPD, die den Leuten, die in ihrem Alltag praktisch kein Problem mit der Aufnahme von Flüchtlingen haben, Angst einreden. Und es sind die Diskussionen über Sicherheitsprobleme, Krankheiten und mögliche zusätzliche Steuern, die den Leuten Sorgen bereiten und den PEGIDA-Mob befeuern.
Sie haben es selbst angedeutet und teilweise ganz offen ausgesprochen: Der Berliner CDU-Senatoren mischen da fleißig mit. Kaum ist Herrn Heilmanns Tirade auf die angeblich betrügerischen Ärzte und Therapeuten, die Abschiebungen verhindern, verklungen, macht Henkel beim Angriff auf die Familienzusammenführung mit. Ausgerechnet Herr Henkel, der als Konservativer nicht müde wird, den besonderen Schutz von Ehe und Familie im Grundgesetz zu betonen,
gerade dieser Herr Henkel will nun die syrischen Familien auseinanderreißen. Der eine Teil der Familie darf hier in Deutschland sein, der andere Teil muss entweder im Kriegsgebiet bleiben oder sich auf die lebensgefährliche Reise über das Mittelmeer begeben. Syrische Familien sollen also vom Schutz des Grundgesetzes ausgenommen werden. Das ist wirklich an Zynismus nicht zu überbieten.
Das wohl größte Problem, mit dem wir es derzeit in Berlin zu tun haben, ist: Es wird nicht wirklich Mut gemacht. Es wird den Leuten nicht die Angst genommen. Es werden Scheinlösungen präsentiert. Ja, Herr Müller, Sie haben es eben selbst erklärt, Geld für Länder und Kommunen wird mit einer schlimmen Verschärfung des Asylrechts verkauft. Es wird suggeriert, damit könne der Flüchtlingszuzug begrenzt werden. Die Ausweitung der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten, die Abschreckungswirkung von Sachleistungen statt Bargeld, schnellere Abschiebungen, Verschärfung der Residenzpflicht – ja, glaubt denn hier wirklich irgendwer, das würde dazu führen, dass sich Flüchtlinge sagen, ach nein, dann doch lieber nicht flüchten? Sie wissen, dass das Unsinn ist.
Es gibt dadurch nicht weniger Flüchtlinge, sie werden nur noch mehr gequält – durch Schikanen, bürokratische Hürden, letztendlich längere Verfahren. Mit humanitärer Flüchtlingspolitik hat das nichts mehr zu tun. Warum nur, Herr Müller, haben Sie diesem schäbigen Deal im Bundesrat zugestimmt? Ich verstehe es nicht.
Und schon wird an der nächsten Umdrehung gebastelt. Jetzt wird es mit Aufnahmezentren und einem eingeschränkten Familiennachzug versucht. Auch Asylbewerbern will man für Integrationskurse Geld abknöpfen. Es werden sogar Beschränkungen für Syrer und Afghanen gefordert, und damit wird bewusst in Kauf genommen, dass Menschen in Kriegsgebieten um ihr Leben fürchten müssen. Der Kollege Saleh hat darauf hingewiesen. Sie wissen, diese ganzen Grausamkeiten werden nichts helfen, sie führen nur zur Verlängerung der Asylverfahren. Sie führen dazu, dass die Menschen, die hier ankommen, immer schlechter behandelt werden. Dass ihnen die Ankunft und das Leben in Deutschland so schwer wie möglich gemacht werden, das ist in einem so reichen und großen Land wie Deutschland unwürdig, einem Land, das eine besondere historische Verantwortung bei der Aufnahme von Kriegsflüchtlingen hat.
Auch die Forderung nach einer Begrenzung der Flüchtlingszahl auf bestimmte Kontingente ist einigermaßen abenteuerlich, auch wenn es als Einzelmeinung aus meiner eigenen Partei unterstützt wird. Erstens: Es ist verfassungswidrig. Unser Grundrecht auf Asyl kennt aus gutem Grund keine Obergrenze. Und zweitens: Wie soll das funktionieren? Was passiert mit den restlichen Flüchtlingen, wenn die Obergrenze erreicht ist? Denken Sie das mal zu Ende! Sollen die dann sterben?
Wir sagen es immer wieder: Wer Flucht vermeiden will, muss Fluchtursachen bekämpfen. Der Bundeswirtschaftsminister hat im laufenden Jahr mehr Rüstungsexporte genehmigt als in den Vorjahren. Das ist doch absurd. TTIP wird durchgepeitscht und voraussichtlich noch einige Armutsflüchtlinge mehr produzieren. Man muss sich nicht wundern, wenn man den Ländern an den EU-Außengrenzen durch die Troika brutale Austeritätsprogramme aufzwingt, dass die dann ein Interesse daran haben, dass die Flüchtlinge schnellstmöglich nach Deutschland durchgewinkt werden.
Herr Regierender Bürgermeister! Keiner hier im Saal leugnet, dass es sich um eine besondere Herausforderung handelt, aktuell die steigende Zahl von Flüchtlingen unterzubringen, insbesondere wenn man zwei Jahre verschlafen hat. Und Ihre Überraschung – ich habe es Ihnen in der Aktuellen Stunde nach der Sommerpause schon erklärt, ab 2012 haben wir die Debatte permanent gehabt, auf was man sich vorbereiten muss, und es ist nichts
passiert, das gehört mit zur Wahrheit dazu. Aber es ist ja auch jetzt keine unlösbare Aufgabe und kein Hexenwerk. Sie haben die Zahl selbst genannt: Es sind im laufenden Jahr ca. 56 000 Flüchtlinge nach Berlin gekommen. Das sind weniger Menschen als beim ausverkauften Heimspiel von Hertha. Vor Kurzem wollten Sie noch die Olympischen Spiele nach Berlin holen, mit zweistelligem Milliardenrisiko und einem vielfach größeren organisatorischen, logistischen Aufwand.
Ich bitte Sie, es muss doch möglich sein, diese Flüchtlinge vernünftig aufzunehmen.
Ja, Sie haben es angesprochen, es braucht dazu mehr Personal im LAGeSo, vereinfachte, entbürokratisierte Verfahren, Flächen, Gebäude und einen vernünftigen Plan. Aber ein gemeinsamer Plan war bisher nicht erkennbar. Ich hoffe, dass das, was Sie jetzt vorgetragen haben, in einen Plan mündet, den man hier endlich ernsthaft, seriös und transparent diskutieren kann. Aber es war ja bisher immer noch so, und es ist die letzten Tage auch so gewesen: Im Senat kocht jeder sein eigenes Süppchen. Der eine macht dies, der andere macht das, der eine fordert dies, der andere fordert das Gegenteil.
Ich nenne nur das Beispiel der Polizeikaserne oder doch lieber das Beispiel der ILA, das Sie selbst angesprochen haben. Erinnern Sie sich an den Tag, als Sie die Fraktionsvorsitzenden zur Telefonkonferenz eingeladen und uns gesagt haben, dass Sie sich mit Woidke einig sind, dass das ILA-Thema jetzt kein Thema ist und nicht weiter als Flüchtlingsunterkunft verfolgt wird? Zeitgleich hat Ihr Sozialsenator Brandenburg noch mal ultimativ aufgefordert, endlich diese Hallen zur Verfügung zu stellen. Dieses Zickzack, dieses Desorganisierte, diese Verantwortungslosigkeit im Senat – das gehört zum wesentlichen Problem und zum Chaos, das Sie hier verursacht haben.
Jetzt kommen wir zur Differenz in der konkreten Umsetzung. Worüber wir offen reden können: Es gibt mehrere Hundert Objekte oder Flächen in Bundes- oder Landeseigentum, die für Flüchtlingsunterbringung infrage kommen könnten. Unsere Anfragen danach können wir schon fast singen. Aber immer wieder hören wir dazu von der Verwaltung, was alles nicht geht, oder ganz vage Aussagen, dass man noch nicht so weit ist und prüfen muss usw.
Herr Czaja hat 2014 gesagt, die Ertüchtigung landeseigener Immobilien könnte sechs bis neun Monate dauern, und das dauert ihm zu lange. Deshalb hat er sich für Container – deren Errichtung ein Jahr gedauert hat – und für Turnhallen und Traglufthallen entschieden. Jetzt, sagen Sie, macht sich der Senat doch zumindest näherungs
weise ernsthaft Gedanken über die Nutzung von leerstehenden Gebäuden und Grundstücken. Es wird sogar über die leer stehenden Appartements der berlinovo nachgedacht. Es wird über Durchgriffsrechte gegenüber unwilligen Bezirken nachgedacht – alles Dinge, lieber Herr Regierender Bürgermeister, die vor zwei Jahren oder vor Jahresfrist oder vor zwei Monaten durch die Opposition angeregt oder gefordert wurden und jeweils noch mit großer Geste abgelehnt wurden. Wenn Sie da jetzt etwas ändern: Unseren Segen haben Sie!
Aber von Transparenz bezüglich der für Unterkünfte geeigneten Gebäude und Flächen sind wir nach wie vor meilenweit entfernt. In Ihrer Vorlage für den Hauptausschuss wird erneut deutlich, dass Sie nicht wirklich umfassend geprüft haben. Wir wissen immer noch nicht, warum in der Notunterkunft in der Thielallee ein Großteil der anderen Gebäude – voll beheizt und geputzt – weiterhin leer steht. Wir wissen immer noch nicht, warum das ehemalige Gebäude des Bundesinnenministeriums in Moabit – 850 Räume mit Kantine – ebenfalls leer steht. Was ist mit dem Haus der Statistik? Im Juli dieses Jahres hat meine Kollegin Lompscher den Senat zum Leerstand von Büroflächen befragt. Die Antwort lautet zusammengefasst: Keine Ahnung, interessiert uns auch nicht!
Also, wir stellen fest: In der ganzen Stadt gibt es noch Bürogebäude, Grundstücke und Wohnungen, die nutzbar wären. Und anstatt sich zu trauen, dieses Potenzial wirklich zu nutzen, nimmt man die selbstverschuldete Krisensituation, um dann eine neue Debatte zum Tempelhofer Feld zu beginnen. – Ja, lieber Michael Müller, ich bitte Sie ernsthaft: Bevor Sie nicht den Nachweis erbracht haben, dass Sie alle Möglichkeiten, was Grundstücke, Gebäude und Büro- und Gewerbeflächen angeht, ausgeschöpft haben, ersparen Sie uns die Versuche, die Volksgesetzgebung mit Verweis auf die Flüchtlinge auszuhebeln! Das ist unnötig und kein guter Stil!
Es gibt Alternativen zu Zelten, Turnhallen oder Hangars, und wir sind uns doch hoffentlich einig, dass es kein befriedigender Zustand ist, dass Tausende Menschen in Hangars und Turnhallen hausen – ohne Privatsphäre, ohne Räume für medizinische Versorgung, ohne ausreichende sanitäre Einrichtungen, ohne Kinderbetreuung und Deutschkurse.
Und wir müssen rechtssichere Möglichkeiten schaffen, mit denen wir leerstehende Gebäude sicherstellen, und Sie haben auch noch mal darauf hingewiesen. Ich habe es so verstanden, liebe SPD-Kolleginnen und -Kollegen, dass der Regierende Bürgermeister Ihnen empfiehlt, dem gemeinsamen Oppositionsantrag, dem Hamburger Modell
zur Sicherstellung von Wohnimmobilien und Flächen, zuzustimmen. – Danke schön! Richtig! Gute Idee! Das sollten wir so machen.
Es wird allenthalben so getan, als hätte sich die Lage am LAGeSo zum Besseren gewendet. Das ist nicht so. Es fehlt weiterhin Personal – Sie haben es selbst angesprochen. Wir haben jetzt zwar beheizte Zelte, aber noch lange keine sichere Terminvergabe. Und bei den Terminen, die vergeben werden, ist zum Teil jetzt schon mit der Terminvergabe absehbar, dass sie nicht zu halten sein werden. Bei dieser permanenten Überforderung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wird jetzt eine Debatte angefangen, die Mitbestimmungsrechte der Personalräte einzuschränken. Ist das die Form von Mitarbeitermotivation, die Sie sich vorstellen? Wir wissen von den Personalräten und von Hauptpersonalrat, dass sie gerne helfen wollen, im Sinne einer humanitären Flüchtlingspolitik. Miteinander vernünftig reden, könnte helfen, nicht die Leute erst im Regen stehen lassen und dann auch noch schurigeln.
Herr Regierender Bürgermeister! Es ist traurig, dass sich Berliner Senatoren, statt sich selbstkritisch zu befragen, was da alles schiefgelaufen ist, an dem Abschreckungs- und Abschottungswettbewerb auf der Bundesebene beteiligen. Es ist wichtig, dass wir jetzt in den öffentlichen Debatten nicht zulassen – und das haben Sie dankenswerterweise noch einmal betont –, dass diejenigen, die hier leben und wenig materiellen Wohlstand haben, gegen die ausgespielt werden, die kommen und gar nichts haben. Wir brauchen keinen Soli und keine Extrasteuer für Flüchtlinge. Wir brauchen insgesamt eine gerechtere Steuerpolitik.
Ich komme zum Schluss: Wir sind eines der reichsten Länder dieser Erde, und wir können und müssen uns leisten, den Reichtum gerechter zu verteilen. Deutschland hat dafür auch alle Voraussetzungen. Der Bund hat aktuell 21 Milliarden Euro Haushaltsüberschuss, und auch in Berlin geht wieder mehr. Es ist Geld da, um zu investieren. Das müssen wir tun, um die Flüchtlinge, die nach Berlin kommen, nicht nur aufzunehmen, sondern auch zu integrieren. – Ja, lieber Michael Müller, wir können das schaffen, aber wir müssen nur wollen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ein Wechselbad der Gefühle, brennende Flüchtlingsunterkünfte, der Mob von Heidenau, die Nazis in MarzahnHellersdorf, Schlagzeilen, die vor kriminellen Ausländern warnen, die katastrophalen Zustände vor dem LAGeSo, und auf der anderen Seite das große Engagement der Bürgerinnen und Bürger, die Proteste gegen Nazis in Heidenau, in Marzahn-Hellersdorf, in allen Teilen der Republik. Die Kanzlerin sagt, wir schaffen das, und der Boulevard macht Aufklärung gegen rassistische Vorurteile. Widersprüche – Katastrophen-, Krisenrhetorik, und dann wieder Gemeinsamkeit der Demokraten, Verantwortungs- und Solidaritätsbekundungen.
Wir sollten heute den überparteilich-staatstragenden Gestus nicht überstrapazieren.
Wir sollten nicht so tun, als würden wir alle am gleichen Strang ziehen, insbesondere dann nicht, wenn es noch nicht mal in Ihrer Koalition klappt. Wir sind uns hier in einer Sache einig: Wir danken all denjenigen, die den Flüchtlingen helfen, den Menschen, die den Zuständigen praktisch zeigen, was Anständige tun können.
Gäbe es das aufopferungsvolle ehrenamtliche Engagement der vielen, vielen Freiwilligen, die diese beschämenden Bilder vor dem LAGeSo und in Heidenau nicht ertragen haben, gäbe es diese bürgerschaftliche Willkommenskultur nicht, es sähe hier ganz finster aus.
Diese Menschen, die Tag für Tag dem überlasteten Personal des LAGeSo helfen, die den Flüchtlingen über den Tag helfen, die haben etwas geschafft, was Bundesregierung und Senat nicht geschafft haben: unbürokratisch schnell Hilfe zu leisten und ehrliche Willkommenskultur zu leben. Dafür gebührt ihnen Dank und die allerhöchste Hochachtung.
Sie leisten das, was der Staat zuallererst hätte leisten müssen.
Deutschland ist eines der reichsten Länder der Erde. Warum tut sich der Staat dieses Landes so schwer, eine Zahl von Menschen von weniger als 1 Prozent seiner Bevölkerung anständig aufzunehmen und zu versorgen? Bei aller Überraschung, dass es doch mehr Menschen trotz Abschottung und Festung Europa bis hierher schaffen: Warum schafft das so große Probleme? Warum ist es möglich, binnen weniger Wochen Milliardensummen zu
(Florian Graf)
mobilisieren für die Bankenrettung, aber über ein Jahr lang keine Vorsorge zur Aufnahme von Flüchtlingen zu treffen?
Ist diese Krisen- und Überforderungsrhetorik, die wir gerade erleben, für einen Staat, der auf Kosten der europäischen Peripherie einen Haushaltsüberschuss aktuell von 21 Milliarden Euro erzielt hat, ist das nicht ein wenig unangemessen?
Tun Sie nicht so, als wäre die Situation quasi über Nacht entstanden! Am 25. November 2012 hatten wir hier eine Aktuelle Stunde zum Thema. Das war nach der Eröffnung der ersten Notunterkunft in Berlin. Am 10. April 2014 hat Klaus Wowereit eine Regierungserklärung zum Thema Flüchtlinge abgegeben. Da hat er gesagt, dass die Aufnahme von Flüchtlingen uns alle angeht. Und er hat gesagt, wir brauchen neue Unterkünfte. Und er hat gesagt, es ginge um eine grundsätzliche Haltung und darum, ob wir in der Stadt zum gemeinsamen solidarischen Handeln bereit sind. Und Herr Czaja, Herr Müller, weil Sie eben nicht gehandelt haben, haben wir Ihnen im Dezember letzten Jahres ein flüchtlingspolitisches Konzept erarbeitet – die Opposition. Die O-Platz-Flüchtlinge waren für Sie aus den Augen, aus dem Sinn. Sie haben es versäumt, Personal und Räumlichkeiten des LAGeSo aufzustocken, Sie haben Container, Turnhallen, Traglufthallen bevorzugt, anstatt an nachhaltigen Lösungen für die Unterbringung zu arbeiten. Die lange Liste von landeseigenen Bundesimmobilien, die umgebaut und ertüchtigt hätten werden können, ist immer noch nicht bearbeitet worden. Jetzt haben Sie die Provisorien alle belegt, die Sie jetzt brauchen würden, um zusätzliche Spitzen abfangen zu können. Und immer noch hangeln Sie sich von Notprogramm zu Notprogramm.
Herr Müller! Ich habe es Ihnen schon vor vier Wochen gesagt, als Sie ins Rote Rathaus eingeladen haben: Sie müssen endlich von den Notprogrammen zu einem nachhaltigen Flüchtlingskonzept kommen.
Bürgermeister Hanke, SPD, hat es gesagt: Eine vernünftige Erstaufnahme und Unterbringung, eine vernünftige medizinische Versorgung sind kein Zauberkunststück. Das ist elementarstes Handwerk von öffentlicher Daseinsvorsorge.
Wenn Sie das nicht hinbekommen, muss man nicht den Katastrophenfall ausrufen, wie Herr Hanke gefordert hat, man muss einfach anfangen, seine Arbeit zu machen, und zwar systematisch und strukturiert.
Man darf auch Fehler machen. Man darf auch mal kurzfristig überfordert sein. Aber man muss dann auch lernen, handeln, und man muss auch wollen. Dass wirklich alle wollen, ist zu bezweifeln.
Herr Graf! Sie haben gerade eben die Ausweitung sogenannter sicherer Herkunftsstaaten gelobt, damit man mehr Leute schneller abschieben kann. Sehen Sie sich doch mal wenigstens die Realität an! Informieren Sie sich doch mal wenigstens! Die Flüchtlingszahlen aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten sind nicht kleiner geworden. Ganz praktisch bedeutet das, Sie verlängern die Verfahren, in letzter Konsequenz schaffen Sie mehr Illegalisierte. Und wirklich wütend macht es einen, wenn jetzt in gute und schlechte Flüchtlinge eingeteilt wird.
Nein! Es gibt auch auf dem Westbalkan, in Serbien, in Albanien oder im Kosovo Menschen, die vor Gewalt, Hunger und Tod flüchten.
Die CSU kritisiert die Kanzlerin dafür, dass sie eine Ausnahme für die Flüchtlinge aus Budapest erlaubt hat, und jetzt erfahren wir, dass in Berlin, Herr Innensenator, alle so großzügig empfangenen Flüchtlinge aus Ungarn auch noch erkennungsdienstlich behandelt werden und alle eine Anzeige wegen illegalen Grenzübertritts bekommen. Mal abgesehen davon, dass Sie damit die Staatsanwaltschaften und Gerichte in den Wahnsinn treiben werden, was für eine Sorte Willkommenskultur ist das eigentlich?
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD! Die SPD im Bund macht den Unsinn mit der Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten mit. Jetzt will sie auch noch den CDU-Wunsch nach Sachleistungen statt Bargeld mit durchsetzen – dazu schnellere Abschiebung und eine Wiederbelebung der Residenzpflicht. Liebe SPDKollegen! Das ist kein humanitärer Umgang, das ist hochgefährliche Symbolpolitik.
Sie müssen sich dann doch entscheiden, ob Sie den Stammtisch bedienen oder wirklich etwas für Menschen in Not tun wollen.
Glauben Sie ehrlich, Sie könnten die Menschen mit Drohungen und Leistungskürzungen von der Flucht und damit auch von Deutschland fernhalten? Diese Menschen
haben nichts mehr zu verlieren. Wer Flucht vermeiden will, muss Fluchtursachen bekämpfen.
Ja, da geht es auch um deutsche Außenpolitik. Es geht um Rüstungsexporte, es geht um Freihandelsabkommen, um Wirtschaftspolitik. Es geht um Entwicklungshilfen und Möglichkeiten legaler Einwanderung, wie sie schon angesprochen wurden.
Herr Regierender Bürgermeister! Ich weiß, wenn Sie zum Flüchtlingsgipfel gehen, steht das alles nicht auf der Tagesordnung. Ich weiß, es werden dort vor allem die sehr wichtigen Fragen der Ressourcenverteilung und Verantwortungsbereiche zwischen Bund, Ländern und Kommunen verhandelt. Natürlich muss der Bund die Kosten für die Erstaufnahme übernehmen, und zwar vollständig, wenn es nach uns geht. Aber ich sage Ihnen: Besser, Sie reden dort auch über das Thema Fluchtursachen, über die ökonomische und soziale Verantwortung Europas und über legale Einwanderungswege.
Herr Regierender Bürgermeister! Sie haben versucht, seit Mitte des Sommers das von Ihrem Senat verschuldete Desaster einzudämmen – ganz offensichtlich zu spät. Sie haben den jetzt von Herrn Graf so gelobten Herrn Czaja quasi zur Bewährung zum Leiter des Krisenstabs gemacht, also denjenigen, der durch Nichtstun die jetzige Situation wesentlich mit herbeigeführt hat.
Aber es wird nicht wirklich besser. Stattdessen wird die Krisenrhetorik verschärft, werden die Unterbringungsstandards abgesenkt. Aber wird an nachhaltigen Lösungen gearbeitet? Was ist mit der BIM- und BImA-Liste? Wann wird da endlich geprüft, geplant, umgebaut und für eine vernünftige Unterbringung ertüchtigt? Je länger Sie damit warten, umso schlimmer wird es.
Auch die Probleme bei der Gesundheitsversorgung sind nicht gelöst. Die Beschulung von Flüchtlingskindern ist Pflicht. Sie funktioniert bislang nicht wirklich. Der Innensenator ist verantwortlich für den Schutz der Flüchtlinge. Eine Schwerpunktsetzung beim Schutz von Flüchtlingsunterkünften ist bisher nicht erkennbar. Im Gegenteil: Zivilgesellschaftlicher Protest gegen Nazis wird noch behindert. Flüchtlinge, Flüchtlingshelfer und Journalisten werden von Neonazis angegriffen, bedroht und von der Polizei alleingelassen oder – schlimmer noch – kriminalisiert.
Wir können gern noch über die Einzelfälle reden. Herr Henkel! Auch Sie haben die gemeinsame Erklärung der Landesvorsitzenden unterzeichnet. Auch Sie sprechen von rechtem Terror, der in unserem Land wütet. Verste
hen Sie mich nicht falsch! Es ist gut und richtig, dass wir eine gemeinsame Erklärung der im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien gegen rechtsextreme und rassistische Hetze haben, und man kann solche Aufrufe zur Ermunterung der Anständigen nicht genug propagieren. Aber dann sollte man auch entsprechend handeln.
Herr Regierender Bürgermeister! Nicht einmal unbegleitete Minderjährige bekommen hier eine schnelle Unterbringung und Versorgung. Was macht da der Leiter des Krisenstabs? Was ist mit den Bemühungen um eine Gesundheitschipkarte, eigentlich ein originäres Thema für einen Gesundheitssenator? Ich könnte Ihnen noch viele weitere Beispiele nennen, bei denen diese Mischung aus Unwilligkeit, fachlicher Überforderung und mangelnder ressortübergreifender Bereitschaft zur Soforthilfe die Krisensituation erst geschaffen hat und nun verschleppt.
Der Senat muss endlich die Erfüllung seiner Aufgaben in den Griff bekommen. Dass man das auch kann, wenn man will, haben wir mit unseren Anträgen untermauert. Das große zivilgesellschaftliche Engagement ist ja leider nur die eine Seite unseres Landes. Es gibt auch in Berlin Menschen, die Angst und Sorgen haben. In dem Maße, wie der Staat bei dieser Herausforderung versagt, in dem Maße steigt die Gefahr, besorgte, schlechtinformierte Bürger in die Arme von Rechtspopulisten und Nazis zu treiben. Das muss nicht sein.
Es ist eine einfache Wahrheit: Die Bundesrepublik Deutschland ist eines der reichsten Länder der Erde. Da wird doch die Bundeshauptstadt Berlin imstande sein, ein wenig mehr als 1 Prozent seiner Bevölkerung zusätzlich aufzunehmen. Denken Sie mal darüber nach! Ja, meine Damen und Herren, Berlin kann das alles schaffen, wenn der Senat seine Arbeit ordentlich macht.
Danke, Herr Vorsitzender! – Lieber Kollege Raed Saleh! Jetzt mal das, wie ich finde, etwas unangemessene Pathos beiseitegelassen,
haben Sie in der Sache sehr viel Richtiges gesagt.
Aber wer die Lippen spitzt, muss auch pfeifen können.
Und was ich absolut nicht verstehe, Kollege Saleh und auch lieber Michael Müller: Der Koalitionsvertrag – der Kollege Baum hat es Ihnen vorgelesen – ist eindeutig auf Ihrer Seite, wenn Sie das ernst meinen, was Sie öffentlich immer wieder beteuert haben.
Und das gleich drei Mal! In der konkreten Formulierung:
Wir werden konsequent die rechtliche Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bi‐ und Intersexuellen und transsexuellen Menschen vorantreiben und jegliche Form von Homo‐ und Transphobie aktiv bekämpfen.
Was bitte ist es anderes, als die rechtliche Gleichstellung voranzutreiben, wenn man jetzt für die Ehe für alle ist? – Das steht in Ihrem Koalitionsvertrag. Nicht Sie brechen den Koalitionsvertrag, wenn Sie im Bundesrat für die Ehe für alle stimmen, sondern Sie brechen den Koalitionsvertrag, wenn Sie gegen die Ehe für alle im Bundesrat stimmen.
Richtig! Das habe ich getan, nämlich auf das, was der Kollege Saleh gesagt hat, und dazu habe ich den Hinweis gegeben, wer hier gerade welchen Koalitionsvertrag wie bricht. – Es ist peinlich genug für die Opposition, dass sie darauf achten muss, dass Sie Ihren Koalitionsvertrag einhalten können.
Und eine zweite Passage im Koalitionsvertrag – und dann werden wir feststellen können, dass es 3:1 gegen die CDU in diesem Koalitionsvertrag steht – verweist in Bezug auf die Abstimmung im Bundesrat auf die Interessen des Landes und den Inhalt und Geist des Koalitionsvertrages. Die Interessen des Landes, Inhalt und Geist des Koalitionsvertrages und die konkrete Formulierung, die ich bereits vorgelesen habe: Das sind drei Punkte, die für die Abstimmung zugunsten der Ehe für alle im Bundesrat sprechen.
Noch eines: Wenn man sich uneinig ist – – Aber Sie wissen noch gar nicht, ob Sie sich uneinig sind. Wenn die CDU jetzt erst einen Mitgliederentscheid machen muss, nachdem sie den Koalitionsvertrag unterschrieben hat, in dem bereits drinsteht, was das Ergebnis dieses Entscheids sein müsste, macht sie sich lächerlich. Sie machen das Land Berlin lächerlich, und deswegen sage ich Ihnen: Sie brechen den Koalitionsvertrag nicht, wenn Sie im Bundesrat für die Ehe für alle stimmen. Darüber sollten Sie sich einfach noch mal klar werden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Michael Müller! Sie haben hier am 2. Mai zur Befreiung Berlins geredet. Wir haben Zeitzeugen gehört, die den Holocaust überlebt, den Krieg durchlitten und die Befreiung vom Faschismus erlebt haben. Das war sehr bewegend, und ich bin froh, dass Sie als Regierender Bürgermeister dafür die passenden Worte gefunden und auch den richtigen Ton getroffen haben.
Ich sage das, weil es in diesen Tagen vielleicht nicht der richtige Ton ist, so ganz besonders stolz auf die Leistungen des Nachkriegsdeutschlands zu sein, sondern vielmehr aus der Perspektive der Opfer und des Leids, das die Nazi-Barbarei angerichtet hat, darüber zu reden. Das gelingt in diesen Tagen, in denen viel über das Kriegsende vor 70 Jahren geredet wird, nicht jedem deutschen Politiker. Ich möchte mich deshalb bei Ihnen, Herr Regierender Bürgermeister, für Ihre Rede noch einmal ganz persönlich ganz herzlich bedanken.
Denn, lieber Michael Müller, Sie haben es geschafft, der Opfer der Nazi-Barbarei und des Krieges zu gedenken, den Befreiern zu danken, einen Bogen in die Gegenwart zu schlagen und unsere historische Verantwortung ganz aktuell zu belegen. Sie haben den Alliierten gedankt und dabei die besondere Rolle der Roten Armee und der polnischen Kämpferinnen und Kämpfer betont.
Sie, Herr Präsident, haben den ersten Stadtkommandanten und Berliner Ehrenbürger Nikolai Bersarin gewürdigt. Das alles kommt anderen in der deutschen Politik nur sehr schwer über die Lippen. Aber es ist nun einmal eine historische Tatsache, dass Berlin von der Roten Armee befreit wurde und dass die Nazi-Armeen in keinem anderen Land so gewütet haben wie in Polen und der Sowjetunion. Unabhängig davon, wie man zum Stalinismus, zur heutigen Regierung in Russland oder anderen ehemaligen GUS-Staaten steht: Den Männern und Frauen, die ihr Leben eingesetzt haben, um dem deutschen Faschismus das Handwerk zu legen, gebührt unser Dank und unser ehrendes Anerkennen.
Das Erinnern historischer Fakten ist wichtig, denn es geht um das Lernen aus der Vergangenheit. So, wie wir hier sitzen, haben wir eine historische Verantwortung, und das ist keine Gedenkredenfloskel. Diese Verantwortung ist konkret. Sie bedeutet, dass überall da, wo Rassismus, Antisemitismus, Homophobie und rechtsextreme, menschenfeindliche Ideologien gepredigt werden, Demokratinnen und Demokraten aufstehen müssen.