Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 53. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin. Ich begrüße Sie, unsere Gäste und Zuhörer sowie die Medienvertreter sehr herzlich.
Am Dienstag hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen turnusgemäß Fraktionsvorstandswahlen durchgeführt und dabei den bisherigen Vorstand bestätigt. Stellvertretend für alle Wiedergewählten gratuliere ich im Namen des Hauses den beiden Fraktionsvorsitzenden Ramona Pop und Antje Kapek – recht herzlichen Glückwunsch –, und weiterhin gute Zusammenarbeit.
In der CDU-Fraktion kann ich einem Kollegen zur Promotion gratulieren. – Herzlichen Glückwunsch, Herr Dr. Ludewig!
Dann habe ich wieder Geschäftliches mitzuteilen: Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Piratenfraktion ziehen den Antrag auf Annahme einer Entschließung Drucksache 17/1819 „Sexuelle Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht“ zurück. Der Antrag wurde in der 52. Sitzung am 18.09.2014 an den Ausschuss für Arbeit, Integration, Berufliche Bildung und Frauen überwiesen.
Ebenfalls zurückgezogen durch die Fraktion Die Linke wird der Antrag Drucksache 17/0353 „Schluss mit der Politik des Misstrauens im Kampf gegen Rechts – rechtswidrige Extremismusklausel streichen“. Dieser Antrag ist in der 14. Sitzung am 24. Mai 2012 federführend dem Ausschuss für Arbeit, Integration, Berufliche Bildung und Frauen und mitberatend dem Ausschuss für Verfassungsschutz überwiesen worden.
− Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Thema: „Mehr Beteiligung und direkte Demokratie statt leerer Versprechen – nicht nur bei Olympia“
− Antrag der Fraktion Die Linke zum Thema: „Mehr Beteiligung und direkte Demokratie statt leerer Versprechen – nicht nur bei Olympia“
− Antrag der Piratenfraktion zum Thema: „Mehr Beteiligung und direkte Demokratie statt leerer Versprechen – nicht nur bei Olympia“
Im Ältestenrat haben sich die Fraktionen einvernehmlich auf das von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beantragte Thema verständigt, sodass ich dieses Thema für die Aktuelle Stunde unter dem Tagesordnungspunkt 1 aufrufen werde. Die anderen Anträge auf Aktuelle Stunde haben damit ihre Erledigung gefunden.
Dann möchte ich auf die Ihnen vorliegende Konsensliste sowie auf das Verzeichnis der Dringlichkeiten hinweisen. Ich gehe davon aus, dass allen eingegangenen Vorgängen die dringliche Behandlung zugebilligt wird. Sollte dies im Einzelfall nicht Ihre Zustimmung finden, bitte ich um entsprechende Mitteilung.
Entschuldigungen von Senatsmitgliedern: Mit Schreiben vom gestrigen Tag hat mich der Regierende Bürgermeister darum gebeten, Frau Senatorin Kolat für die heutige Sitzung ganztägig zu entschuldigen, da sie an der Gleichstellungs- und Frauenministerkonferenz in Wiesbaden teilnimmt.
Für die Besprechung der Aktuellen Stunde und die Beratung der Anträge stehen den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu zehn Minuten zur Verfügung, die auf zwei Redebeiträge aufgeteilt werden kann. Es beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. – Frau Kollegin Kapek, bitte schön, Sie haben das Wort!
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Bevor hier auch nur im Ansatz Missverständnisse
aufkommen, das Thema der von uns heute angemeldeten Aktuellen Stunde ist „Beteiligung“. Und genau darüber werden wir auch sprechen, selbst wenn die Koalition mit ihrer Olympiadebatte davon ablenken wird.
Warum Beteiligung? – Nicht etwa, weil die SPD aktuell meint, durch ihren Mitgliederentscheid den Höhepunkt gesellschaftlicher Beteiligung schon erreicht zu haben. Im Gegenteil, für sie ist „mehr Demokratie wagen“ derzeit gerade mal die Abstimmung der eigenen Berliner SPD über die nächste Regierung. Die dreieinhalb Millionen anderen Berlinerinnen und Berliner lassen sie dabei zuschauen.
Liebe Koalition! Vier Monate nach dem verlorenen Volksentscheid Tempelhof muss man leider feststellen: Sie haben den Schuss immer noch nicht gehört, und deshalb hoffe ich, dass Sie nach der heutigen Aussprache endlich mal die Konsequenzen aus Ihrem Scheitern ziehen.
Statt eine neue Beteiligungskultur zu entwickeln, schlagen Sie derzeit gerade mal die Einführung eines Regierungsreferendums vor, und das war es dann auch schon wieder zum Thema Bürgerbeteiligung. Aber mal ganz ehrlich, worüber sollen denn zum Beispiel beim Thema Olympia die Berlinerinnen und Berliner abstimmen. Etwa über Ihr schwammiges Senatsbroschürchen? Für Sie – und das haben Sie wohl gestern im Hauptausschuss noch mal recht deutlich gemacht – ist doch Beteiligung immer noch eine inakzeptable Konkurrenzveranstaltung zur repräsentativen Demokratie. Sie glauben, dass, wenn Menschen sich einbringen wollen, sie per se Egoisten oder selbstsüchtige Wutbürger seien. In Wahrheit, sage ich Ihnen, haben Sie aber nur Angst vor dem Machtverlust.
Und eins hat Tempelhof deutlich gemacht: Die Bewohner dieser Stadt wollen mitreden. Sie wollen mitmischen, sie wollen sich engagieren, und sie wollen uns Politikern auch zeigen, was sie brauchen, was sie sich wünschen und was sie vielleicht sogar an eigenen Ideen haben. Und ja, das ist anstrengend. Aber es bringt sehr viel mehr gesellschaftlichen Frieden als das reine Durchdrücken von Entscheidungen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von SPD und CDU! Sie reden zwar gerne von Beteiligung; was dabei herumkommt, ist aber nicht einmal Symbolpolitik. Selbst wenn das direkte Wohnumfeld oder die Straße vor der eigenen Tür betroffen ist, degradieren Sie durch Ihre Stadtentwicklungspolitik von oben die Bewohner zu reinen
Deshalb wundert es mich auch nicht, dass Sie nach dem verlorenen Volksentscheid die Flucht nach vorne gesucht haben. Da dachten Sie: Oh, jetzt machen wir ein bisschen Beteiligung zum Thema Olympia und tun so, als hätten wir auch nur irgendetwas verstanden. – In Wahrheit haben Sie bis heute nicht einmal den Ansatz einer Idee davon, wie Sie die Berlinerinnen und Berliner bei Olympia beteiligen wollen.
Und deshalb, liebe Koalition, sind all Ihre Vorschläge im Zusammenhang mit der Olympiadebatte – wie auch alles andere zum Thema Beteiligung – nichts anderes als reine Ablenkungsmanöver. Über die Stärkung der direkten Demokratie, über Volksreferenden, über Parlamentsreferenden und über vieles mehr müssen wir reden.
Aber Referenden, die von einer Regierung in Auftrag gegeben werden, sind doch das genaue Gegenteil von Bürgerbeteiligung!
Sie sind eine Fortsetzung Ihrer Planung von oben, nur diesmal mit anderen Mitteln. Und dabei gibt es – wo Berlin eine wirklich tolle Stadt ist – bereits innovative Beteiligungstools, die hier entwickelt wurden. So könnte man zum Beispiel bei einer Olympiadebatte mit einer Brainbox, die an der TU Berlin entwickelt wurde, deutlich machen, dass man über den Einsatz von interaktiven Werkzeugen – der Smart City, Frau Yzer – gemeinsam Stadtentwicklungsprozesse erarbeiten kann. Das sind dann Ergebnisse, die direkt digital verwertbar und transparent zugänglich sind. Das ist allgemeinverständlich, das ist einfach, das macht Spaß – und es spart viele Kosten.
So könnte Berlin endlich einmal wieder zukunftsweisend sein. Leider wird dieses Projekt aber nicht in Berlin getestet, sondern derzeit in über 200 chinesischen Städten. Mehr Mut zur Innovation – das hieße auch für Berlin an dieser Stelle: mehr Demokratie wagen.