Ramona Pop
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind heute zu unserer letzten Plenarsitzung in dieser Legislaturperiode zusammengekommen.
Wir haben in den letzten fünf Jahren – ich wollte einfach was Nettes zu Beginn sagen, Herr Schneider, dass Sie es wieder kaputt machen –,
finde ich, ordentlich gestritten, viel gerungen, es war laut, es war nicht immer fair, aber meistens. Ich will Danke dafür sagen, dass wir hier fünf streitbare, aber gute Jahre als Parlament zusammen hatten, und das in dem Wissen um das Glück, das wir haben, in einer Demokratie leben zu dürfen. Vielen Dank an Sie alle!
Und jetzt machen wir Zitateraten. Das kennen wir aus den letzten Tagen.
Wir wollen ein Berlin, dass seine Zukunft baut, dass Großprojekte mutig angeht und zu ihnen steht.
Zitat aus dem Koalitionsvertrag von Rot und Schwarz von 2011.
(Raed Saleh)
Wenn das Ihr Wunsch ist, Herr Schneider, Rot-RotSchwarz, auch was Neues! – In Wirklichkeit hinterlassen Klaus Wowereit, Michael Müller und Frank Henkel 15 Milliarden Sanierungsstau, davon allein 5 Milliarden an Schulen. Der Wohnungsbau kommt nicht voran, die Staatsoper steckt im Morast, und der Umgang mit dem BER zeugt nicht gerade von einem guten Stil, und damit meine ich wahrlich nicht die Kleiderfrage.
Die selbst ernannte Koalition der Infrastruktur in Berlin ist gescheitert. „Berlin bleibt...“ lese ich überall in der Stadt. Soll die Streiterei zwischen SPD und CDU so bleiben? Soll es am BER und am LAGeSo so bleiben, wie es ist? Soll es auf dem Bürgeramt so bleiben? Sollen Wohnungsnot und schlechte Verkehrspolitik bleiben wie die maroden Brücken, Schulen und Krankenhäuser? – Ich sehe mit einigem Erstaunen, dass die SPD angeblich mit uns Grünen koalieren möchte und gleichzeitig die Botschaft aussendet, in Berlin werde alles so bleiben, wie es ist.
Ich kann Ihnen nur sagen: Man kann so viele Wahlplakate aufstellen, wie man möchte – das machen wir alle –, aber eigentlich muss man sich nur mit dem Fahrrad zum Wahllokal in einer etwas baufälligen Schule durchkämpfen, um zu merken, dass sich in Berlin dringend einiges ändern muss.
Berlin bleibt nicht, weil Berlin wächst und sich dabei verändert. Diese Veränderung werden wir am Wahlabend auch alle sehen, denn dann wird klar sein: Das neue Berlin will kein Weiter-so, das neue Berlin will eine andere Politik. Diese Stadt braucht einen politischen Neuanfang, und den kann sie am 18. September auch bekommen.
Alle Parteien werden sich bewegen müssen, um diese neue Politik auf den Weg zu bringen. Keine Partei steht für das Ganze, und das sollte sie sich auch nicht anmaßen. Niemand setzt allein die politischen Maßstäbe oder zieht rote Linien, wo es ihm gerade passt.
Berlin gehört niemandem, außer den Menschen, die in dieser Stadt leben. Wer das vergessen hat, den werden die Wählerinnen und Wähler am Wahlabend daran erinnern. Berlin geht nur gemeinsam,
lieber Herr Schneider, damit meine ich auch Sie!
Wenn ich sage, wir sind alle nur ein Teil, dann meine ich gerade auch die AfD. Da denken einige, sie repräsentieren höchstpersönlich die Mehrheit und Leitkultur oder gar das ganze Volk. Sie irren damit. Berlin ist eine Stadt von Freiheit, Vielfalt und Weltoffenheit. Der Wahlabend wird auch der AfD zeigen: Die autoritären Deutschtümler sind eine Minderheit, denn 90 Prozent der Berlinerinnen und Berliner stehen auf der anderen Seite, stehen für eine menschliche Flüchtlingspolitik und für Hilfsbereitschaft, für eine moderne und liberale Stadt.
Wir Grüne haben jahrzehntelang für eine offene Gesellschaft gekämpft: für gleiche Rechte für Lesben und Schwule, für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen, für Religionsfreiheit und Weltoffenheit, für all das, was Berlin heute im Herzen ausmacht und zusammenhält. Die Berlinerinnen und Berliner sind zu Recht stolz auf diese moderne und weltoffene Stadt, und sie werden sich das auch nicht von Angstmachern, Klimawandelleugnern oder populistischen Hetzern am 18. September kaputtmachen lassen.
Da kommt es wirklich auf jede Stimme an. Gehen Sie wählen, geht alle wählen, damit es in Berlin am 18. September abends kein böses Erwachen gibt! Die Rechtspopulisten haben nur Hass und Angst im Gepäck, statt Lösungen und Ideen, wie man die Dinge besser macht. Ich möchte wissen, wie die es eigentlich schaffen wollen, wenn sie denn einen Stadtrat stellen, überhaupt irgendetwas auf die Reihe zu bekommen.
Um die besten Lösungen, Ideen und Antworten, darum sollte es am Wahlsonntag gehen, nicht um persönliche Eitelkeiten, sondern darum, wer die Stadt am besten regiert.
Nach fünf Jahren rot-schwarzer Lähmung gibt es eine Wechselstimmung in unserer Stadt, und eigentlich schon heute eine Mehrheit von SPD und Grünen im Abgeordnetenhaus, doch die SPD hat in den letzten Koalitionsverhandlungen die erstbeste Chance genutzt, lieber die CDU ins Boot zu holen,
deren Gestaltungswille sich in etwa mit dem der SPD deckte.
Wer am Wahlsonntag SPD wählt, dem kann es durchaus passieren, dass er weitere fünf Jahre lang ertragen muss, wie sich Michael Müller und Frank Henkel um die Plastikente in der Badewanne streiten.
Das hat Berlin wahrlich nicht verdient! Wir wollen einen Senat, der gemeinsam Verantwortung übernimmt und für Berlin arbeitet. Die Zeit der Basta-Politik über die Köpfe der Menschen hinweg ist nämlich längst vorbei. Die Wählerinnen und Wähler haben am 18. September die Wahl zwischen Veränderung oder Stillstand. Wollen die Berlinerinnen und Berliner eine Metropole, in der man sich offen begegnet, große und kleine Kultur genießt, wo man in der Spree baden kann, in der auf Dächern Solaranlagen umweltfreundlich Strom erzeugen, in der AltBerlinerinnen und Alt-Berliner syrischen Flüchtlingen Deutsch beibringen? – Ich sage: Ja. – Oder wollen sie eine Stadt, in der mit Angst und Misstrauen Politik gemacht wird, in der Kohle in den Kraftwerken und im Landeshaushalt verheizt wird, in der es mehr Parkplätze als Parks gibt, in der die Mieten weiter explodieren und sogar der Verkehrssenator Angst hat, Fahrrad zu fahren? – Ich sage: Davon haben alle die Nase voll.
Politik lebt vom Wechsel und davon, dass diejenigen, die gewählt werden, die Probleme nicht nur erkennen, sondern auch lösen wollen. Eine Politik jedoch, die schon vor der Wahl das Fell des Berliner Bären verteilt, vor der Wahl Koalitionsverhandlungen öffentlich führt oder rote Linien zieht, führt nur zu einem weiteren Verlust an Glaubwürdigkeit.
Ich sage das in Zeiten, in denen wir uns dringender denn je Gedanken darüber machen müssen, wie wir das Vertrauen in die Politik wieder zurückgewinnen.
Liebe SPD und auch lieber Michael Müller! Wirklich etwas gewinnen würden die Berlinerinnen und Berliner, wenn Sie hier ohne Wenn und Aber sagen würden, dass Sie dafür sorgen, dass kein weiterer Cent mehr an Steuergeld in den BER gepumpt wird,
und dass wir stattdessen gemeinsam mit den Zukunftsinvestitionen ernst machen: für neue Fahrradwege, sichere Straßen, gute Kitas, Schulen und Krankenhäuser, für eine moderne Stadt, wie sie Berlin verdient hat.
Zur Gebührenfreiheit, lieber Herr Schneider: Wir stehen zu dem Grundsatz, dass starke Schultern in einer Gesellschaft auch mehr tragen müssen. Die Sozialdemokratie scheint sich davon ja verabschiedet zu haben.
Ich kann Ihnen nur sagen: Wir müssen uns mit unseren Vorschlägen für eine lebenswerte Stadt und bezahlbare Mieten in der wachsenden Stadt nicht verstecken. Wie man heute noch die verstaubte Diskussion Pappel gegen Wohnungsbau gegen uns anzetteln kann, ist mir wahrlich ein Rätsel, denn wenn es um Wohnungsbau geht, lieber Herr Geisel, werden wir mit der Pappel allemal schneller fertig als Sie mit Ex-Senator Strieder.
Ich muss es Ihnen sagen: Nicht SPD, CDU oder Linkspartei, sondern wir Grünen waren die Ersten, die hier im Haus für mehr Mieterschutz und Investitionen in den sozialen Wohnungsbau gestritten haben. In den Bezirken, in denen die Grünen Verantwortung tragen, gibt es heute die meisten Milieuschutzgebiete
und es wurde dort in den vergangenen Jahren auch am meisten gebaut.
Wir sagen aber auch: Neubau ist gut, es reicht allein aber nicht aus, wenn Bagger für den Wohnungsbau rollen. Wir brauchen durchmischte und lebendige Quartiere, das, was die Menschen sich wünschen, damit auch weiter Familien in der Stadt leben können, wenn sie ihr zweites oder drittes Kind bekommen. Dafür werden wir Grüne sorgen und in den nächsten zehn Jahren mindestens 50 neue Schulen in Berlin bauen.
Auch der ÖPNV muss mit der Bevölkerung wachsen, der Energieverbrauch und der CO2-Ausstoß sollten es hingegen nicht. Oder sind wir inzwischen die Einzigen, die Berlins Klimaschutzvorgaben überhaupt noch erfüllen möchten?
Das ist die Antwort der SPD zum Thema Klimaschutz: „abenteuerlich“! – Vielen Dank!
Die nächste Regierung wird die heillos verfahrene Situation in der Energiepolitik lösen müssen, damit Berlin
endlich fit wird für die Energiewende. Wir sagen ganz deutlich: Entscheidend ist nicht allein, dass man rekommunalisiert, entscheidend ist, dass sich die Lebensqualität verbessert und der Klimaschutz vorankommt.
Was nutzt die Gründung eines Stadtwerks, wenn es anschließend verkümmert? Was nutzen Zukäufe von Anteilen von Energieversorgern, wenn danach die Energieerzeugung weitergeht wie bisher? Wir brauchen Investitionen in erneuerbare Energien, wir brauchen mehr Windkraftwerke im Umland,
ein effektiveres Energiemanagement für öffentliche Gebäude und Investitionen in moderne Mobilität.
Da ist es auch kein Zufall, dass wir als Einzige heute den Volksentscheid zum Fahrradverkehr im Abgeordnetenhaus einbringen. Wir setzen nicht zum ersten Mal die Priorität auf den Radverkehr. Wir haben hierbei einen riesigen Nachholbedarf in der Stadt, und wir wollen, dass alle sicher und umweltfreundlich von A nach B kommen. Das wollen wir anpacken, das werden wir anpacken, und uns traut man das im Übrigen auch zu.
Wo wir schon beim Thema Infrastruktur sind: Der zerstrittene Senat hat sich in den vergangenen Jahren als größter Klotz am Bein für eine moderne Stadtentwicklung erwiesen.
Ich will Ihnen drei Projekte, oder besser gesagt drei Beispiele, denn Projekte sind es nicht, nennen. Dass der BER nicht fertig wird, ist nicht nur irrsinnig teuer und peinlich dazu, es verhindert auch die Weiterentwicklung Tegels zum Technologiepark und bremst damit Berlins wirtschaftliche Entwicklung aus,
das bedeutet auch, dass über 5 000 Wohnungen in Tegel nicht gebaut werden können. Das ist wahrlich nicht unsere Schuld.
Weil SPD und CDU bis heute 20 Grundstücke blockieren, auf denen Flüchtlingsunterkünfte entstehen sollen, müssen die Geflüchteten weiter in Turnhallen und den Hangars in Tempelhof leben.
Das ist eine Integrationsbremse ohne gleichen. – Gehen Sie nach Tempelhof und gucken Sie sich das an! Sie
scheinen es nicht zu kennen. – Das verhindert auch die Entwicklung Tempelhofs zu einem Kulturhafen, den die blühende Kreativszene in Berlin dringend braucht.
Letztes Beispiel: ICC. Die Sanierung kündigte Michael Müller in seinem ersten Bürgerinterview groß an, und dabei blieb es dann auch. Weil Sie das neue Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten mit zwei Jahren Verzögerung auf den Weg gebracht haben und mit der Immobilie immer noch hadern, muss das ICC als Aufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge herhalten, und das für Berlin so wichtige Kongressgeschäft bleibt erst einmal außen vor.
Tegel, Tempelhof und auch beim ICC: Diese Koalition ist die Infrastrukturbremse für die Stadt,
und das wissen die Menschen auch.
Nach 15 Jahren Rot-Rot und Rot-Schwarz ist auch die Verwaltung ausgebremst. Ich sage ganz deutlich: Wir drücken uns nicht vor der notwendigen Verwaltungsmodernisierung. Wir werden jährlich mindestens 1 000 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellen müssen. Wir können den Generationswechsel mit der notwendigen Modernisierung und Digitalisierung der Verwaltung verknüpfen; unsere Vorschläge dazu liegen bereits seit Jahren auf dem Tisch.
Die größte Aufgabe des nächsten Jahrzehnts besteht ohne Zweifel in der Integration der geflüchteten Menschen – in Berlin, aber auch in ganz Deutschland. Gerade in Berlin, wo jeder Dritte einen Migrationshintergrund hat, ist Vielfalt heute schon selbstverständliche Realität. Wenn die mehr als 200 000 Menschen in unserer Stadt, die wie ich eine doppelte Staatsbürgerschaft besitzen, von einem Innensenator als Sicherheitsrisiko gebrandmarkt werden, dann zeugt das von einem gewaltigen Realitätsverlust oder schlicht von Regierungsunfähigkeit. Bei Ihnen ist es vermutlich beides.
In diesem Zusammenhang kann ich Ihnen eine klare Ansage an die SPD und an die Linkspartei nicht ersparen: Von Sigmar Gabriel bis Sahra Wagenknecht häufen sich auf Bundesebene die Äußerungen, die an der Aussage „Wir schaffen das“ rummäkeln,
und zwar mit der erkennbaren Absicht, politisch in alle Richtungen zu blinken.
Dazu sage ich Ihnen für meine Partei ganz deutlich: Die Entscheidung von vor einem Jahr, die in Ungarn gestrandeten Flüchtlinge bei uns aufzunehmen, war richtig. Sie war menschlich richtig, sie war europapolitisch richtig, sie war notwendig, und dazu stehen wir,
denn Weltoffenheit und Humanität sind für uns nicht verhandelbar.
Die große Streitkoalition hat in den letzten fünf Jahren vor allem eins gezeigt:
Sie nimmt die Menschen nicht ernst.
Der nächste Eröffnungstermin für den BER wird erst nach der Wahl bekanntgegeben. Die Ergebnisse der Vergleichsarbeiten Berliner Schüler wollte die SPDSenatorin am liebsten verheimlichen.
der Bausenator verteilt Ausnahmegenehmigungen an Parteifreunde. Dieses Verhalten sollte nicht an der Wahlurne belohnt werden.
Wer den Herren Henkel und Müller am Montagabend beim Kuscheln zugesehen hat, dem dürfte klargeworden sein: Wer SPD wählt, muss vielleicht fünf weitere Jahre quälende rot-schwarze Koalition in Kauf nehmen. Diese Hintertür ist für Michael Müller so offen wie eh und je bei der SPD.
Wir Grüne dagegen haben keinen Hehl daraus gemacht, dass wir für eine Zweierkoalition kämpfen und viele Gemeinsamkeiten mit der SPD sehen.
Wir wollen, dass sich Berlin bewegt
und sich auch wieder etwas zutraut.
Schön, dass Sie Spaß haben!
Dann trauen wir uns doch gemeinsam etwas zu in den nächsten Jahren! Eine neue politische Kultur, in der wir das Miteinander und nicht das Gegeneinander betreiben,
wenn Ihnen das noch bekannt sein sollte. Die Stadt braucht Kräfte in dieser Regierung, denen es um die Sache und nicht um sich selbst geht.
Regieren ist nämlich kein Selbstzweck, meine Damen und Herren. Wer einen politischen Neuanfang am 18. September möchte,
der sollte mit allen Stimmen Grün wählen. – Nein, Sie wollen nur spielen, Herr Schneider, ist mir völlig klar. Sie wollen nur spielen. – Für einen politischen Neuanfang braucht es am 18. September alle Stimmen auf Grün.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Lehmann! Sie haben ungefähr allen gedankt, aber Sie haben vergessen, McKinsey und Herrn Diwell zu danken für den Entstehungsprozess – den transparenten, wie Sie ihn genannt haben – des Masterplans.
Der Bund, das Kabinett, hat gestern ein Integrationsgesetz vorgelegt. Immerhin, trotz aller Kritik daran ist es das erste Gesetz dieser Art in Deutschland. In diesem Sinne ist es zumindest von der Überschrift her ein Meilenstein, weil es all diejenigen Lügen straft, die Deutschland nicht als Einwanderungsland sehen.
(Rainer-Michael Lehmann)
Aber an einer Stelle möchte ich dann doch Kritik an diesem Integrationsgesetz äußern, weil es auch Berlin betrifft – und zwar zurzeit ganz massiv. Ich spreche von der Stelle, an der es um Sanktionen für die Nichtinanspruchnahme von Integrations- oder Sprachkursen von Geflüchteten geht. Ich frage mich, ob ich die Einzige hier im Haus bin, die per Mail oder Facebook Hilferufe erhält, wann denn endlich ein Platz frei werde für einen Integrations- oder Sprachkurs. In aktuellen Zahlen ausgedrückt: In Berlin hängen Tausende Fälle beim BAMF in der Warteschleife und warten auf Berechtigungsscheine für ihren Kurs. Das ist die Realität, und der sollten Sie sich als Regierung hier auch stellen.
Wir sprechen heute über den Masterplan, wir sprechen aber auch – Sie versuchen, das nicht zu tun – über das neu entstehende Flüchtlingsamt, Herr Czaja. Nach den monatelangen beschämenden Zuständen am LAGeSo hat sich die Situation nun entspannt – zumindest was die Neuankömmlinge angeht, lieber Herr Czaja. Schon hat man den Eindruck, dass Sie sich zurücklehnen und das Tempo aus der Auseinandersetzung und dem HinkriegenWollen verschwindet. Was das Landesamt angeht: Der 1. August ist nun angepeilt. Ich bezweifle stark, dass das Amt am 1. August auch tatsächlich in der Darwinstraße seine Arbeit aufnehmen wird. Zumindest lässt die notdürftige Herrichtung des ICC als Übergangslösung bei mir die Alarmglocken schrillen. Wir kennen Berlin, und nichts ist dauerhafter in Berlin als das Provisorium.
In der Frage der Unterbringung stellen wir fest: noch jede Menge Notunterkünfte, die eigentlich freigeräumt sein sollten, skandalträchtige Vertragskonstruktionen – siehe Rohrdamm – und teure Pauschalverträge, die bereits seit Monaten bekannt sind, die Namen sind vom Kollegen Reinhardt genannt worden. Weil es mit den MUFs auch nicht gut vorangeht – auch da gibt es Verzögerungen, Herr Geisel –, verschleudert das Land Berlin Mittel in dreistelliger Millionenhöhe für unkontrolliert und zum Teil skandalös vergebene Unterbringungsverträge, zu denen wir mit den MUFs doch endlich eine Alternative schaffen wollten. So sind Mittel gebunden, ich würde drastisch sagen verschwendet, die wir dringend für die Integration in der Stadt bräuchten.
Was hat Ihnen McKinsey denn sonst in diesen Masterplan geschrieben? Ich finde es sehr bedauerlich, dass trotz einer groß angelegten Dialogveranstaltung so gut wie nichts aus dem Wissen und der Kompetenz der Vereine, Verbände und Flüchtlingsinitiativen dieser Stadt in ihn
eingeflossen ist. Ihr Papier ist ein McKinsey-Papier, das sich der Senat zu Eigen gemacht hat, und Sie haben es wirklich versäumt, das auf eine breite gesellschaftliche Basis zu stellen.
Es ist schon angeklungen: Man kann nicht wirklich etwas dagegen haben. Es ist eine Status-quo-Beschreibung, eine reine Darstellung der aktuellen Situation, was aber noch kein Plan ist. Man hat so ein bisschen den Eindruck, da telefoniert einer in den Verwaltungen herum, fragt: Kannst du mal einen Textbaustein liefern? Was macht ihr denn eigentlich so in dem Thema? –, dann hat man das zusammengeheftet, ein paar Überschriften produziert.
Man hat in diesem Masterplan – das finde ich fast am skurrilsten – das Zweckentfremdungsverbot auch zu einer Maßnahme der Integration erklärt. Herzlichen Glückwunsch, Herr Geisel! So wird man zum Integrationssenator.
Was hier tatsächlich fehlt, ist der rote Faden, von Visionen will ich gar nicht sprechen.
Ich glaube, von der Senatsbank darf man nicht dazwischenrufen, Herr Czaja.
Viel bitterer: Über den Charakter von unverbindlichen Willensbekundungen à la „wir werden“, „wir wollen“, „ist demnächst sicherzustellen“ kommen Sie bei diesem Masterplan nicht so richtig hinaus.
Ich möchte auf ein paar Punkte eingehen, weil die wirklich wichtig sind und uns vor allem in den nächsten Monaten stark beschäftigen werden. Die größte Herausforderung für die kommenden Monate wird sein, den Wechsel der Geflüchteten in die Zuständigkeit der Jobcenter hinzubekommen. Da ist besonders der Bezirk Mitte, das Jobcenter Mitte, im Fokus, wegen der Zuständigkeiten, die in Berlin nach Geburtsdatum sortiert sind. Dieser Wechsel, heißt es bei Ihnen auch wieder unverbindlich, soll möglichst ohne Brüche passieren. Das finde ich gut. Aber wie organisieren wir das eigentlich? Wenn Sie es bis dahin nicht schaffen, die Menschen aus den Not- und Gemeinschaftsunterkünften herauszubekommen, die Jobcenter aber umgekehrt nur auf der Grundlage eines Mietvertrags die Leistung auszahlen, dann sehe ich ein Loch, in das ziemlich viele Menschen fallen könnten. Da kommt ein Riesenproblem auf uns zu, und eine Lösung ist bei Ihnen nicht in Sicht.
Ich sage das besonders deutlich an dieser Stelle, damit es nicht hinterher heißt, da hätte ein Stadtrat in Mitte, der zufällig nicht von Ihrer Partei kommt, ein Problem an der Backe; das Problem haben Sie dann verursacht, wenn er es an der Backe hat.
Der zweite große Block ist das Thema Bildung. Nun hören wir überall, dass wir nicht ausreichend Kita- und Schulplätze für die Kinder von Geflüchteten haben. Wir haben aber auch ein besonderes Problem, wozu Ihnen nicht viel eingefallen ist. In Berlin endet die Schulpflicht mit 16 Jahren. Nun haben wir aber – das wissen wir alle – jugendliche Geflüchtete, 16 Jahre und aufwärts, die vermutlich keinen Schulabschluss haben und diesen ziemlich dringend bräuchten, sowie Berufsvorbereitung und Sprachförderung, damit sie etwas Vernünftiges lernen und schnell hier in der Stadt Fuß fassen. Das ist ja unser aller Wunsch und Wille. Und da muss man ja tatsächlich – das sage ich jetzt einfach neidlos als Grüne – nach Bayern schauen. Sie kennen das ja schon von der Debatte um die Erstaufnahme in Bayern: Seehofer redet in den „Tagesthemen“ rechts und macht auf vielen Baustellen aber eine Politik, die sehr pragmatisch ist – auch in diesem Fall. Die Notwendigkeit einer erfolgreichen Beschulung ist da nämlich erkannt worden, und Bayern hat auf zwei Jahre angelegte Berufsintegrationsklassen aufgelegt für immerhin 8 000 Flüchtlinge, 8 000 junge Geflüchtete. Zwei Jahre Vollzeit-Berufsintegrationsklassen, mit Sprachförderung und Berufsvorbereitung, damit der Einstieg in den Arbeitsmarkt schnell klappt – wir wissen, dass das die beste Integrationsmaßnahme ist. Was haben Sie hier? Da sind Sie blank, und das ist wirklich sehr bedauerlich.
Sie werden sicherlich die Stellungnahme der Wohlfahrtsverbände bekommen haben. Der Dialog mit ihnen war ja leider nicht ganz ernst gemeint mit der einen Veranstaltung. Eine Stelle hat mich wirklich nachdenklich gemacht. Ich teile die Ansicht der Wohlfahrtsverbände, dass das Thema und die Frage der Vermittlung von Werten nicht allein im Sicherheitsteil Ihres Masterplans behandelt werden sollte.
Gemeinsame Werte und Normen, die Grundpfeiler unseres Zusammenlebens, der Rechtsstaat, die Gleichberechtigung von Männern und Frauen – das sind doch allumfassende Themen, die nicht allein unter dem Sicherheitsaspekt betrachtet werden dürfen.
Jetzt komme ich zu einem Punkt, der gestern richtig aufgefallen ist, als ich mir angeschaut habe, was in der Se
natspressekonferenz verkündet worden ist – einige von den Pressevertretern werden da gewesen sein –, als von einem großen Finanzpaket die Rede war, von 390 Millionen, davon 150 Millionen Euro, die vom Bund kommen sollen. Nun schaut man sich um und stellt fest, das Integrationsgesetz, das gestern beschlossen worden ist – darüber kommt kein Geld vom Bund. Die Ministerpräsidentenkonferenz, die zu dem Thema tagt, ist vor ein paar Wochen ergebnislos auseinandergegangen. Der nächste Termin ist für den 16. Juni avisiert. Nun frage ich mich, woher die 150 Millionen Euro Bundesmittel kommen, die hier für die nächsten beiden Jahre fest eingeplant sind, die schon öffentlich abgefeiert worden sind von der Koalition. Das ist Geld, das es noch gar nicht gibt, und das ist unredlich! Das muss man hier auch so deutlich sagen.
Wir wissen alle, was für eine Herausforderung in den nächsten Jahren vor uns liegt. Wir stehen vor einem Jahrzehnt der Integration. Und wir wurden in den letzten Monaten auch alle gemeinsam nicht müde zu beteuern, dass wir nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen dürfen, dass wir mit der Integration früh beginnen wollen und dass Integration eben nichts sei, was eben so nebenher passiert. Wie soll das eigentlich gehen mit dieser Regierung, in der nicht nur jeder in eine andere Richtung schaut, sondern auch zieht? – Man muss sich das heutige Papier nur anschauen. Es ist die übliche GroßeKoalitions-Logik, schon in der Überschrift: Integration und Sicherheit. Liebe CDU! Es ist im Wahlkampf vernünftig, seine Kernthemen nach vorne zu positionieren. Aber haben Sie sonst nichts anderes, und erwarten uns dann demnächst Überschriften à la Smart City und Sicherheit, Lebensmittelretter, Verbraucherschutz und Sicherheit, Altenpflege 80 plus und Sicherheit? Ich kann Ihnen nur sagen, als Single-Issue-Partei hat es noch keiner richtig weit gebracht. Das zeigt auch den ganzen Koalitionsjammer, in dem Sie stecken.
Da gibt es keine gemeinsame Idee. Jeder macht bei Ihnen seins, und zum Schluss kostet es uns alle viel Geld.
Es wird viel Zeit brauchen und auch Anstrengung. Ja, die Integration wird uns allen einiges abfordern, und wir – Alteingesessene und Neuankömmlinge – werden die Fähigkeit, die Bereitschaft und auch die Geduld haben müssen, Gemeinsames zu schaffen. Man muss sich aber trauen. Integration in Berlin ist eine Zukunftsaufgabe, der diese Koalition nicht mehr gewachsen ist. Integration in Berlin braucht einen Politikwechsel, und dieser wird ziemlich sicher kommen.
Um noch mal zum Thema zurückzukommen und konkreter nachzufragen, wie die Zeitfolgen gewesen sind: Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie bereits im Januar im Rahmen der Senatsklausur, wie Sie es soeben formuliert haben, den Namen Lutz Diwell mit McKinsey besprochen hatten und dann die Beauftragung von McKinsey im März mit dem Wissen erfolgte, dass der Name des externen Beraters Lutz Diwell gefallen ist? Und finden Sie nicht, dass das ein Geschmäckle hat, wenn Sie das in dieser Zeitabfolge betrachten von Januar bis zum Vertragsabschluss im März?
Ich möchte genauer nachfragen. Wenn Sie sich der Verantwortung bewusst sind, die Sie als Regierung gemeinsam tragen: Worüber wird denn heute und in den nächsten Tagen konkret gestritten, über welche Wahlkreise und Standorte? Teilen Sie meine Ansicht – ich meine, das bei Ihnen auch herausgehört zu haben –, dass es gerade in dieser Frage immanent wichtig ist, dass eine Regierung gemeinsam handlungsfähig ist, um eben nicht denjenigen in die Hände zu spielen, die dieses Thema auf der rechtspopulistischen Seite skandalisieren?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das war ja von der Sorte „meine schönsten Erlebnisse des letzten Jahres“ – Stammtische, Schulen, Städtepartnerschaften –, was uns hier vorgetragen wurde. Und das Wort „Stabilität“, was dann doch noch im Wortschatz auftauchte – früher öfter mal genutzt,
Kollege Saleh! Das Wort „Stabilität“ habe ich fast vermisst, das kam ja doch noch zum Schluss, da bleiben Sie sich selber treu.
Dieser Doppelhaushalt, den Sie heute hier verabschieden werden, ist die letzte müde Amtshandlung einer zerstrittenen und handlungsunfähigen Koalition. Und auch diesen Haushalt hätten SPD und CDU nicht miteinander gestemmt, wenn die wirtschaftliche Lage nicht so gut wäre wie seit Langem nicht mehr und die Steuereinnahmen nicht kräftig sprudeln würden.
Vielmehr noch hat diese Koalition die Haushaltsberatung regelrecht dazu gebraucht und auch missbraucht, um ihre Streitereien und Konflikte mit Geld zu befrieden. Und dabei hat die Faustformel immer gelautet: Je größer und tiefer der im Streit ausgehobene Koalitionsgraben gewesen ist, desto mehr Geld brauchte es, um diesen Graben auch zu füllen.
Ein Wahlkampfhaushalt ohnegleichen wird heute von SPD und CDU verabschiedet. Waren im Senatsentwurf für den Doppelhaushalt noch 1,3 Milliarden Mehrausgaben verzeichnet, beträgt der stattliche Zuwachs in dem, was heute vorgelegt wurde, bereits satte 2,4 Milliarden Euro mehr. Heute liegt uns die Beschlussempfehlung des Hauptausschusses als Ausweis dieser Politik auf dem Tisch. 75 Seiten Änderungsantrag hat es noch nie gegeben. Das ist fast ein Telefonbuch.
Manche Städte haben dünnere Telefonbücher als dieser Änderungsantrag.
Und ich würde mich beim Länderfinanzausgleich nicht so freuen, Herr Saleh! Und vor allem würde ich nicht die falsche Botschaft in die Welt setzen, die Sie ja bereits in die Welt gesetzt haben, man würde 500 Millionen Euro mehr kriegen, die Sie auch schon wieder in Ihrer Maschinerie verteilen wollen. Wir bleiben, wenn wir Glück haben, bei dem was wir haben, weil die Stadtstaatenwertung tatsächlich nicht angegriffen worden ist. Aber die Verhandlungen sind noch längst nicht am Ende. Und da sollten wir uns jetzt nicht rühmen und Geld ausgeben, das
wir noch lange nicht eingefahren haben. Da sollten Sie sich mal zurückhalten.
Jedes Koalitionsproblem mit Geld zugeschüttet, und die beste Aktion dieser Art haben Sie uns ja noch einmal selbst ins Gedächtnis gerufen. Nach der Regierungserklärung zur Flüchtlingspolitik vor vier Wochen hing der rotschwarze Haussegen ja gewaltig schief. Gut, dass die neueste Steuerschätzung aber damals mehr Geld in Aussicht stellte, so konnten die Fraktionsspitzen von SPD und CDU schnell einen dreistelligen Millionenbetrag zur Demonstration von Handlungsfähigkeit schnüren. Herr Saleh, das war wirklich eine rührende Geschichte, die Sie erzählt haben, von der Familie mit dem Mindestlohn und wie schwer das alles ist und so weiter. Es wäre nur schön, wenn Sie nicht nur schöne Geschichten erzählen,
sondern auch tatsächlich rechnen könnten. Wenn Sie in die Kitagebührentabelle schauen, müssen Sie feststellen, dass Menschen mit diesem Einkommen – –
Könnten Sie vielleicht Herrn Schneider ein bisschen zur Räson rufen, er ist so laut?
Familien mit einem Mindesteinkommen, Herr Saleh, und die Kitagebührentabelle Ihrer Senatsschulverwaltung hilft Ihnen da sicherlich weiter, zahlen 20 Euro im Monat für einen Ganztagsplatz, neun Stunden in der Krippe. Das ist die Wahrheit, die Sie hier verschwiegen haben, genauso wie Sie offensichtlich verschwiegen haben, dass – – Ich sage lieber nichts zum Thema Diäten und was sonst noch zusätzlich dazukommt bei dem einen oder anderen hier im Hause. Sie haben diese Kitagebührenbefreiung für Besserverdienende – und das ist sie tatsächlich – gegen die eigene Partei, gegen den eigenen Regierenden Bürgermeister, gegen den Elternwillen – der Landeselternausschuss schickte noch Mails am heutigen Morgen und sagt, sie wollen das gar nicht, sie würden dieses unwillkommene Geschenk gerne umtauschen, Herr Saleh – als Egotrip hier durchgesetzt. Und das kostet alle 80 Millionen Euro zum Schluss, damit Sie hier rührende Geschichten erzählen können, die hinten und vorne nicht stimmen.
Und ja, es geht noch weiter. Ich will auch an dieser Stelle, weil es sich so gut eignet, mit einer Legende aufräumen,
die, wie das bei Märchen so oft der Fall ist, jeder realen Grundlage entbehrt. Sicherlich wird der Kollege Graf sie gleich wieder zum Besten geben und sich hier zum Hüter der Haushaltsdisziplin hochstilisieren. Seit die CDU in Berlin regiert, würden keine neuen Schulden mehr gemacht, lautet diese Legende.
Ich sage Ihnen, ich kenne nur eine einzige Fraktion hier im Hause, die in der Vergangenheit die grundsätzliche Notwendigkeit der Konsolidierungspolitik infrage gestellt hat, nur eine Fraktion, eine einzige, die Fundamentalopposition gegen jede Form der Haushaltssanierung betrieben hat, und das war die CDU-Fraktion, die sich in die Büsche geschlagen hat.
Für meine Fraktion kann ich sagen: Trotz Opposition haben wir uns nicht vor der Gesamtverantwortung für die Stadt gedrückt. Wir haben uns im Unterschied zu Ihnen verantwortlich gezeigt. Zur Erinnerung: Als 2001 die Berliner CDU aus dem Senat rausflog, gab Berlin 162 Prozent der Steuereinnahmen allein für Sachkosten und Personal aus. Sie überstiegen um ganze 6 Prozent die gesamten Einnahmen des Landes Berlin. Da war noch keine Investition getätigt, die Zinsen waren auch noch nicht bezahlt, und damals war wirklich Land unter. Die entscheidenden beiden Vorhaben zur Konsolidierung, nämlich den Solidarpakt im öffentlichen Dienst und den Ausstieg aus der alten Wohnungsbauförderung, haben wir nicht in jedem Detail, aber im Grundsatz immer unterstützt. Ganz anders die CDU-Fraktion. Die schrie damals Zeter und Mordio und propagierte den Westberliner Staatssozialismus à la Landowsky, als das schon längst keiner mehr bezahlen konnte. Es gibt also keinen Grund, sich hier mit fremden Federn zu schmücken, Herr Graf. Das finde ich tatsächlich unerhört.
Meine Damen und Herren von der SPD! Sie können sich tatsächlich gutschreiben, die harte Arbeit der Konsolidierung gemacht zu haben, als es notwendig gewesen ist. Allerdings die Methode, mit der das durchgezogen wurde, das Sparen bis es quietscht, was nichts anderes als Rasenmähermethode bedeutete, dieses Vorgehen rächt sich jetzt bitter.
Ja, der Solidarpakt im öffentlichen Dienst war zu einer gewissen Zeit notwendig, aber an der von SPD und Linkspartei beschlossenen Zielzahl von 100 000 Stellen im öffentlichen Dienst haben Sie alle miteinander ohne Sinn und Verstand so lange festgehalten, bis nun kaum noch etwas in den Verwaltungen funktioniert. Insofern beklagen Sie, die den 100 000er-Beschluss gefasst und daran festgehalten haben, Zustände, die Sie selbst zu verantworten haben. Das ist durchsichtig.
Und Sie alle miteinander haben die Personalentwicklung des Landes Berlin verschlafen, vernachlässigt und liegengelassen – jahrelang. Die Bürgerinnen und Bürger zahlen für diese Unfähigkeit inzwischen die Zeche: auf dem Bürgeramt, wo es keine Termine mehr gibt; im Jugendamt, wenn sie einen Kitaplatz beantragen; in der KfzStelle, wenn sie ihr Auto ummelden wollen. Das Land Berlin ist kaum noch in der Lage, seine gesetzlich vorgeschriebenen Dienstleistungen für Bürgerinnen und Bürger zu erbringen. Was für ein Armutszeugnis für die selbsternannte Smart City!
In seiner ersten Regierungserklärung vor knapp einem Jahr hat der Regierende Bürgermeister versprochen, hier auch Abhilfe zu schaffen. Er hat uns keine großen Visionen, aber konkretes Handeln und Arbeiten für die Stadt in Aussicht gestellt. Herr Müller, Sie haben Folgendes gesagt, wenn ich zitieren darf:
Was ich mit dem guten Regieren meine: konkret das Handeln, das zuallererst das Leben der Menschen in dieser Stadt besser machen soll.
Die Stadt muss wieder funktionieren, das ist richtig. Die Wahrheit ist aber: Diese Koalition bekommt inzwischen nicht einmal mehr die alltäglichen Probleme in den Griff – weder die in den eigenen Reihen noch die der Stadt. Dieser Senat hat es geschafft, dass die Berlinerinnen und Berliner bei allen großen und kleinen Themen unserer Metropole das Wort „Problem“ mitdenken: Verwaltungsproblem, Flüchtlingsproblem, Verkehrsproblem, Flughafen: Problem, Staatsoper: Problem, Termine auf dem Bürgeramt: Problem,
Schultoiletten: Problem, S-Bahn: Problem, Herr Saleh, und zwar ein andauerndes Problem, das uns noch lange begleiten wird. Anstatt die notwendige Ausschreibung bereits 2012 vorzunehmen, hat der Berliner Senat mit ideologischer Unterstützung der SPD-Fraktion unter all den Verkehrssenatoren – Junge-Reyer, Michael Müller und Andreas Geisel – kostbare Jahre verloren, was uns jetzt alle mit dem Monopolisten Deutsche Bahn teuer zu stehen kommen wird. Denn anstatt schon 2017 mit neuen S-Bahnen zu fahren, müssen wir die alten Kisten bis mindestens 2021 aushalten, die notdürftig und dazu noch auf Kosten des Steuerzahlers aufgearbeitet werden.
Wenn die alten Kisten überhaupt noch zuverlässig fahren werden, denn mit Zuverlässigkeit und Qualität hat die S-Bahn nicht gerade von sich reden gemacht.
Mehrkosten in Milliardenhöhe und ein drohendes S-Bahnchaos für mindestens fünf weitere Jahre, das ist die traurige Bilanz der SPD-Verkehrspolitik in Berlin,
ach ja, und auch der Deutschen-Bahn-Politik in Berlin, sage ich mal in Ihre Richtung, Herr Friederici. Mit Großprojekten kann die SPD auch nicht mehr richtig punkten, die große Koalition insgesamt nicht mehr. Da brauchen wir nur einen Blick auf die Kostenexplosion bei der Staatsoper oder beim Irgendwann-Hauptstadtflughafen BER zu werfen. Der Finanzsenator hat das ja schon richtig formuliert: Man kann sich zwei Großprojekte in der Legislaturperiode leisten. Sie leisten sich die immerwährende Staatsoper und den Nimmermehr-Flughafen und nichts Vernünftiges, nach vorne Gerichtetes für die Stadt.
Doch das größte Desaster – ich finde es schon erbärmlich, dass Sie dazu nichts gesagt haben, Herr Saleh –, weil es eben keine Frage von Geld oder Image alleine ist, sondern weil das Menschen betrifft, die vor Krieg und Gewalt geflohen sind und bei uns Schutz und Hilfe suchen, das größte Desaster findet in der Turmstraße 21 am LAGeSo statt.
Es ist nicht wirklich was zum Klatschen, aber es ist tatsächlich die traurige Wirklichkeit in Ihrer Aufzählung, wo Sie überall gewesen sind, nicht vorgekommen. Und wenn Sie von Stabilität und gemeinsamem Handeln hier so schön gesprochen haben, da frage ich mich, wo das gemeinsame Handeln eigentlich in der Frage ist. Der Regierende Bürgermeister hat vor vier Wochen hier eine sogenannte Rücktrittsrede – das war der freudsche Versprecher – als Ruckrede wurde sie bezeichnet, eine Rücktrittsrede wurde dann daraus, gehalten. Das Bauernopfer folgte gestern mit dem Rücktritt des LAGeSo-Präsidenten Allert. Heute Morgen folgte schon auf dem Fuße die Reaktion der CDU-Fraktion, das sei eine öffentliche Hinrichtung gewesen. So ist also der Stil in Ihrer Koalition. Besser wird die Lage dadurch aber alleine nicht.
Denn nach wie vor drängen Tag und Nacht Hunderte Menschen auf das Gelände, und besonders am späten Abend und am frühen Morgen spielen sich dort dramatische Szenen ab. Familien mit Kindern, erschöpft von den Strapazen der Flucht, müssen bis tief in die Nacht warten, um überhaupt in eine Unterkunft zu finden. Völlig übermüdete, weinende Kinder, erschöpfte Helferinnen und Helfer, die trotz allem noch die Menschen mit Decken und Essen versorgen – das sind Zustände, die man in der deutschen Hauptstadt nicht für möglich gehalten hätte. Flüchtlinge übernachten im Freien, in der Kälte, weil sie schlichtweg keine Kostenübernahmen mehr für eine Unterkunft bekommen, obwohl sie vorgeladen worden sind. Und morgens, wenn man 2 Uhr überhaupt als morgens
bezeichnen kann, stellen sich schon wieder die Ersten an, manche mit Terminzetteln, die das Papier nicht wert sind, auf dem sie vermerkt sind. Und wenn dann morgens um 4 Uhr geöffnet wird, kommt es regelmäßig zum totalen Chaos. Alle drängen verzweifelt rein, in der Hoffnung, möglichst weit vorne anzukommen. Vorgestern Nacht musste ein Mann mit Herzproblemen wiederbelebt werden – leider kein Einzelfall! Knochenbrüche und andere Verletzungen sind ebenfalls nicht selten.
Heute, am Tag der Menschenrechte, gilt, glaube ich, umso mehr: Das LAGeSo ist eine Schande für Berlin und Deutschland, meine Damen und Herren von der Koalition! Die Zustände am LAGeSo sind menschenunwürdig, das grenzt inzwischen an eine humanitäre Katastrophe. Inzwischen ist das LAGeSo in den bundesweiten Medien, in den „Tagesthemen“, im „Morgenmagazin“ nahezu täglich Thema. Selbst die „New York Times“ berichtet über die chaotischen und inzwischen lebensgefährlichen Zustände. Die Liste der Probleme kennen wir alle. Wir kennen sie alle, wir kennen auch alle die Zitate der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am LAGeSo, die vom Chaos sprechen, die davon sprechen, dass sie wissentlich 500 Terminzettel ausstellen, obwohl nur 200 bearbeitet werden können. Wir wissen um die Rechnungen für die Träger, die liegengeblieben sind. Die Träger arbeiten inzwischen an den Grenzen ihrer finanziellen Kapazitäten. Neuerdings hat sich noch hinzugesellt, dass man Weihnachten zumacht und die Flüchtlinge nicht registriert und dass Duschen in Tempelhof auch über Weihnachten ausfallen soll.
Das ist wahrlich nicht christlich, da hat der Kollege Birk recht. Vielleicht sollten Sie sich mal klar machen, Herr Czaja, Herr Müller: Da kommen Menschen und keine Verwaltungsvorgänge!
Wenn bald auch noch das Thermometer unter null Grad sinkt, dann stehen erst recht Menschenleben auf dem Spiel. Ich frage mich: Will man es eigentlich so weit kommen lassen? Warum gibt es dagegen eigentlich noch keinen Plan?
Sie müssen mit der Legende der andauernden Überforderung aufhören. Niemand hier hat jemals behauptet, dass es eine leichte Aufgabe ist. Wir alle wissen um die große Herausforderung in der Flüchtlingsfrage. Doch es war seit Anfang des Jahres bekannt, dass die Zahlen steigen. Andere Bundesländer haben Vorsorge getroffen. Ich möchte den THW-Chef Brömme, den ehemaligen Branddirektor des Landes Berlin, also gut mit der Stadt vertraut, zitieren. Er sagte vor einigen Tagen: „Wir hätten uns besser vorbereiten können. Praktisch hat Berlin auf ganzer Linie versagt.“
Über die Posse rund um Tempelhof, das Gesetz, das dringlich war und jetzt nicht mehr dringlich ist, und den Blindflug bei der Gründung des neuen Landesamtes will ich hier gar nicht mehr sprechen. Desaströs ist das alles. Was wir hier erleben, ist ein unerhörtes Regierungs- und Verwaltungsversagen, und dafür muss man als zuständiger Senator auch die Verantwortung übernehmen, Herr Czaja!
Ich hätte nicht gedacht, dass ich mal Bayern lobe, aber ich will es trotzdem anbringen.
Bayern ist nicht deswegen besser als Berlin in der Registrierung, weil es ein Flächenland ist, Bayern ist besser, weil man dort kein halbes Jahr braucht, um neue Menschen einzustellen und eine Stelle zu besetzen, wie es in Berlin immer noch der Fall ist.
Berlin hat mit Abstand die meisten Altfälle in der Bundesrepublik, mindestens 15 000 Flüchtlinge, die noch nicht mal registriert sind. Dadurch kann die Verteilung der Flüchtlinge auf andere Bundesländer nach dem Königsteiner Schlüssel nicht stattfinden. Die nicht registrierten Flüchtlinge bleiben in Berlin und erhöhen den Druck auf die Notunterkünfte. Das kann und das darf nicht sein, da kann man nicht sagen: Über Weihnachten machen wir eine Registrierungspause.
Das Traurige ist – jetzt kriegen Sie auch Ihren Seehofer –: Berlin liefert inzwischen die Bilder für all diejenigen, die die Geschichten von der Überforderung in der Flüchtlingspolitik erzählen wollen. Es gibt nur eine dünne Linie zwischen dem „Wir schaffen das“ und dem „Wir schaffen das nicht“. Wir dürfen es nicht zulassen, dass aus der international hoch gelobten deutschen Hilfsbereitschaft die deutsche Überforderung wird.
Herr Regierender Bürgermeister! Welche Haltung Sie haben, haben wir vor vier Wochen sehr deutlich erfahren. Für Ihre Klarheit, an der Seite derjenigen zu stehen, die diese Herausforderung mit Mut und Zuversicht anpacken wollen, wurde Ihnen hier im Haus große Unterstützung zugesagt. Nun haben Sie gestern selbst eingegriffen und den Präsidenten des LAGeSo des Amtes enthoben. Auf der anderen Seite haben Sie selbst auch versprochen, für eine Besserung der Situation zu sorgen. Wenn Sie die Lage am LAGeSo tatsächlich verbessern wollen und wenn es schon so weit ist, dass der Regierende Bürgermeister in eine einzelne Verwaltung eingreifen und dort
für Ordnung sorgen muss, dann muss man sich fragen, ob es nicht an der Zeit wäre, denjenigen zu entlassen, der politisch für diese Situation verantwortlich ist. Wenn Sie die Zustände am LAGeSo verbessern wollen, dann reicht das Bauernopfer Allert nicht, dann muss auch die politische Führung, nämlich der Sozialsenator Czaja, entlassen werden, wenn es besser werden soll.
Wir stehen vor großen Herausforderungen, und nicht allein die Keilerei der letzten Tage rund um das LAGeSo hat gezeigt, dass die Gemeinsamkeiten von Rot-Schwarz längst aufgebraucht sind. Wenn Sie nicht mehr gemeinsam agieren – wie soll das denn überhaupt noch in der Stadt funktionieren? Sie praktizieren Regieren auf kurze Sicht und sind nicht mehr in der Lage, große Aufgaben anzupacken.
Es ist illusorisch, dass eine Regierungskoalition, in der der eine Partner auf das Ende im September hofft und der andere sich vor dieser Wahl fürchtet, noch Visionen für unsere Stadt entwickelt.
Die wichtigste neue Aufgabe für die kommenden Jahre ist zweifellos, die Integration und Aufnahme all der Menschen zu organisieren, die zu uns kommen. Wir dürfen die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen und die Integration in Bildung, Ausbildung, Arbeitsmarkt und Wohnungsmarkt auf die lange Bank schieben.
Wir müssen bei den Kleinsten anfangen und Kita- und Schulplätze bereitstellen.
Aber auch für die Jugendlichen, die zu uns kommen, ist eine zügige Unterbringung an Schulen für Schulabschlüsse, an die sich eine Berufsausbildung anschließen kann, dringend notwendig. Die Berliner Wirtschaft hat zugesagt, dass sie uns, die Politik, dabei unterstützt, was gut und richtig ist. Andererseits muss Politik dann aber auch ihre Hausaufgaben machen und endlich dafür sorgen, dass aus der Schule, aus der Ausbildung heraus keine Jugendlichen mehr abgeschoben werden, die gerade dabei sind, hier bei uns ein neues Leben anzufangen.
Berlin hat in den vergangenen Jahren genügend Haushaltsüberschüsse aufgebaut, um die Kosten für die Unterbringung und Integration der Geflüchteten ohne Steuererhöhungen und ohne neue Schulden zu bewältigen. Wir können und wir wollen das schaffen, und wir tragen das
Konzept der Koalition auch mit, jährlich mindestens 600 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt für Unterbringung, Lebensunterhalt, Bildung und Integration für Neuankömmlinge zur Verfügung zu stellen. Allerdings glauben wir, dass die zusätzlich bereitgestellten 22 Milli- onen Euro für die Integration der Geflüchteten nicht ausreichend sind. Um die gesellschaftliche, die schulische und die berufliche Integration der Geflüchteten und ihrer Kinder zu gewährleisten, erhöhen wir die dafür vorgesehenen Mittel um weitere 50 Millionen Euro.
Unser Anspruch ist auch in dem vorliegenden Antrag zum Haushalt formuliert. Wir glauben, dass wir eine wichtige Aufgabe vor uns haben. Wir müssen beweisen, dass wir uns den Schutz der universellen Menschenrechte nicht nur auf die Fahnen geschrieben haben, sondern diesen auch wirklich leben, und dass wir unsere Versprechen unter allen Umständen auch einlösen werden. Wir wissen zudem aus historischer Erfahrung – Herr Saleh, da gebe ich Ihnen recht –: Die Strahlkraft von Demokratie und Freiheit zu erhalten und auszubauen, ist der wichtigste Beitrag, um Diktatur und Terror nachhaltig zu bekämpfen.
Doch nicht nur Flüchtlinge kommen in unsere Stadt. Wie kaum eine andere Stadt zieht Berlin bis heute Menschen aus aller Welt an, die hier ihre neue Heimat finden. „Berlin ist zweigeteilt“, kommentierte allerdings kürzlich der „Tagesspiegel“ und fuhr sogar fort mit der Überschrift: „Berlin – Hauptstadt des Versagens“. Und weiter:
Wie paradox: Jedes Jahr ziehen Zehntausende in das weltweit ausstrahlende, attraktive Berlin – um hier eine geteilte Stadt zu finden. Hier das vor Kreativität und Lebenslust vibrierende Berlin, dort grauester DDR-Amtsstubensozialismus.
Beschweren Sie sich beim „Tagesspiegel“, wenn es Ihnen nicht passt! –
Spätestens bei diesen Gegenüberstellungen muss jedem klar werden, dass es nicht reicht, sich auf dem Ruf der Stadt und der guten wirtschaftlichen Entwicklung, auf der Kreativität der Menschen und dem ungebremsten Zuzug nach Berlin auszuruhen. Berlin wächst und verändert sich täglich. Wie kaum eine andere Metropole in Europa bietet unsere Stadt noch die Möglichkeiten, sich auszuprobieren und noch Freiräume zu haben. Daraus erwachsen Kreativität und Engagement vieler Menschen, Initiativen und Start-ups, auf die wir zu Recht stolz sind. Dieses Potenzial gilt es zu fördern und zu heben und nicht auszubremsen. Kultursenator Müller hat versprochen, diese Freiräume zu erhalten. Getan hat er dafür wenig. Genauso verhält es sich mit der hochgelobten vielfältigen Kultur
szene unserer Stadt; wenn es an die Finanzierung der freien Szene geht, duckt sich der Senat weg.
Unsere Stadt profitiert von den Berlin-Machern, also von denjenigen, die einfach loslegen und Berlin besser machen. Deswegen sagen wir ganz deutlich: Unser Berlin, unsere Stadt, muss eine Stadt der Möglichkeiten bleiben.
Es kommt in den nächsten Jahren besonders darauf an, dem Wachstum unserer Stadt eine Richtung zu geben. Unser Ziel muss sein, dass alle Menschen in unserer Stadt von der Dynamik profitieren, dass Berlin nicht mehr die Hauptstadt der prekären Beschäftigung ist – im Übrigen auch im öffentlichen Bereich, Stichwort: Musikschulen und Co. –, sondern dass Arbeitsplätze und Einkommen endlich mit der wirtschaftlichen Entwicklung Schritt halten hier bei uns in der Stadt. Wir müssen es schaffen, dass auf dem umkämpften Wohnungsmarkt nicht weiter massive Verdrängung von Geringverdienern und von Familien mit Kindern stattfindet. Wir müssen vor allem das erhalten, was Berlin lebenswert macht: die Offenheit und die Freiheit, aber auch das viele Grün und das gesunde Wasser.
Jahrzehntelang haben wechselnde Senate – da hat sich keiner vom anderen unterschieden – die Infrastruktur kategorisch auf Verschleiß gefahren – egal, ob Verkehrswege, Schulen, Kitas oder Krankenhäuser. Unterlassene Instandhaltung ist eine besonders teure Form der Verschuldung. Diese Einsicht ist inzwischen bei allen gereift. Jedes Schlagloch ist ein Haushaltsloch, und jedes kaputte Schuldach ist zugleich ein Haushaltsdefizit, das wir unseren Kindern hinterlassen. Über das Umsteuern in der Investitionspolitik sind wir froh. Wir haben als Grüne lange dafür gestritten. Und auch bei der letzten Haushaltsberatung hat Torsten Schneider – jetzt ist er leider gerade draußen – an der Stelle besonders laut geschrien. „Finanzpolitischer Irrsinn“, „Blindflug“ und ähnliche Worte kamen hier vorne an. Seinerzeit sind wir für den Vorschlag gescholten worden, die Hälfte der Jahresüberschüsse in Investitionen zu stecken. Heute heißt das SIWA, und die Koalition ist stolz wie Bolle darauf, als ob sie es allein erfunden hätte. Damit ist es aber noch lange nicht getan. Abgesehen davon, schaffen Sie es nicht, das Geld, das Sie da eingestellt haben, auszugeben. Wir brauchen aber eine nachhaltige Investitionsstrategie, die mehr ist als die momentane Wohlfühlpolitik termingerecht zum Ende der Legislaturperiode.
Die 75 Seiten der Nachträge, wo man auf jeder Seite ungefähr die Wahlkreise einzelner Abgeordneter aus der Koalition erkennen kann, die alle noch ein Pölsterchen gekriegt habe, habe ich leider nicht mit zum Rednerpult genommen. Diese Gießkannenpolitik der großen Koalition ist uns aber wohlbekannt. Stattdessen bräuchte es Investitionen in eine vernünftige, nachhaltige Infrastruktur für die Energie, das Wasser, die Abfallwirtschaft, eine
moderne Mobilität und nicht den S-Bahnmurks, für eine energetische Modernisierung und mehr Stadtgrün. Bei SPD und CDU ist das Fehlanzeige. „Und täglich grüßt das Murmeltier“ heißt es im Übrigen auch, wenn zwischen SPD und CDU mal wieder in der Energiepolitik die Fetzen fliegen. Schlimmer noch: Nachhaltige Investitionen in eine ressourcensparende und klimaverträgliche Infrastruktur sind für Sie tatsächlich Neuland.
Die Berliner Wirtschaft hat vor einigen Wochen einen Green New Deal für die Stadt abgeschlossen – und zwar ohne Beteiligung der Politik, denn der Senat hält sich bei dem Thema lieber raus. Mit der Energiewende, der Digitalisierung und dem Internet der Dinge stecken wir mitten in einer großen industriellen Revolution, die sich rasend schnell vollzieht und bei der Infrastruktur und Verkehrspolitik nicht nur mithalten müssten, sondern eigentlich vorne sein müssten, um die richtigen Impulse zu geben. Davon ist Berlin trotz der digitalen Agenda der letzten Woche noch sehr weit entfernt. Aber ich glaube, dass Berlin die große und einmalige Chance hat zu zeigen, dass nachhaltige Technologie und Ressourcennutzung in einer modernen Großstadt nicht unmöglich ist, sondern zum Motor von ökonomischer Renaissance werden kann und sogar zu einem grünen Wirtschaftswunder für die Stadt werden könnte.
Nicht nur an diesem Thema, sondern an der gesamten Regierung in Berlin sieht man durchaus, dass es keineswegs egal ist, wer regiert. Es geht um zentrale Fragen der Zukunftsgestaltung: Stillstand oder Dynamik, Streit oder Zuversicht, Abschottung oder Offenheit. Die Berlinerinnen und Berliner werden spätestens im September 2016 ihre Wahl treffen. Da bin ich mir sicher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Regierender Bürgermeister! Eine Regierungserklärung Ihrerseits zur Flüchtlingspolitik in diesem Hause war längst überfällig. Ich freue mich, dass Sie klare Worte gefunden haben, klare Worte des Willkommens, aber auch populistischen Vorschlägen, die herumgeistern, eine klare Absage erteilt haben und denjenigen, die nicht nur insgeheim, sondern auch offen denken und sagen, das wollen wir gar nicht schaffen, klar gesagt haben: Das kann nicht sein! – Vielen Dank dafür!
Ich hoffe auch, dass das heute ein Startsignal für eine aktive Politik des Senats in dieser Flüchtlingssituation gewesen ist, denn wenn auch alle Städte und Kommunen in Deutschland vor dieser großen Herausforderung der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen stehen, so sind es dann doch die täglichen Erlebnisse – und nicht nur reine Medienbilder –, aber auch Bilder und Nachrichten aus unserer Stadt, die zeigen, dass statt kraftvollem Krisenmanagement in Berlin immer noch zu viel Chaos und Planlosigkeit herrschen.
Herr Regierender Bürgermeister! Sie haben es selbst schon angesprochen: Das LAGeSo ist inzwischen zum Inbegriff für die katastrophale Flüchtlingsversorgung in Berlin geworden. Immer noch ist zu sehen, dass abends Familien mit kleinen Kindern bis tief in die Nacht entweder auf ihre Unterbringung warten oder sogar dort übernachten müssen. Ich finde nicht, dass in der Hauptstadt Deutschlands Kinder und Familien draußen nächtigen sollten, erst recht nicht im Winter. Dafür schäme ich mich.
Da wir gerade auch den Haushalt beraten: Es ist tatsächlich keine Frage des Geldes. Es gibt eine deutliche finanzielle Entlastung durch den Bund und durch die unverändert gute wirtschaftliche Lage in Deutschland. Auch in Berlin sind die öffentlichen Kassen gut gefüllt, und die Wirtschaftswissenschaftler sagen, dass es mit dem wirtschaftlichen Aufschwung auch so weitergehen wird, und zwar wegen, nicht trotz der Flüchtlinge, wie es gesagt wird. Es kann nicht deutlich genug gesagt werden: Wirtschaftlich sind wir stark und werden es auch weiter bleiben. Das sage ich deutlich insbesondere in Richtung
(Regierender Bürgermeister Michael Müller)
derjenigen, die auf dem Rücken der geflüchteten Menschen widerwärtige Politik machen und Ängste schüren.
Es ist also keine Frage des Geldes, dass der Berliner Senat im Vergleich zu vielen anderen Städten, auch zu München oder Hamburg, das Krisenmanagement immer noch nicht so gut hinbekommt.
Einiges von dem, was wir hier erleben, ist hausgemacht. Es rächt sich jetzt, dass der Sozialsenator sich nicht wirklich für Soziales interessiert. Beispiele hierfür gibt es nicht nur in der Flüchtlingspolitik. Ich habe Ihre Ansage sehr wohl vernommen, Herr Regierender Bürgermeister, dass es an der Spitze der Verwaltung in Sachen LAGeSo so nicht weitergehen kann. Diese Meinung teilen nicht nur wir, sondern diese Meinung teilt, glaube ich, die ganze Stadt.
Wir brauchen eine tatkräftige Politik, die anpackend und konstruktiv ist, die Abläufe gut organisiert und das Chaos bitte nicht auch noch weiter vergrößert, wie es allzu oft der Fall gewesen ist. Da haben die letzten Wochen wenig Grund zur Hoffnung gegeben, Ihre Rede heute schon, muss man sagen. Wenn man sich anschaut: Die Gesundheitsversorgung, ein Dauerthema, ist bis heute nicht gut gelöst. Die Eröffnung des Gebäudes der ehemaligen Landesbank Berlin in der Bundesallee sollte eine Erleichterung sein. Anstatt der 1 000 Registrierungen finden aber heute nur rund 200 täglich statt, weil es an IT, an Personal, an Unterkünften usw. fehlt und weil die Organisation nicht stimmt.
Das aktuellste Beispiel ist der Brandbrief der GdP an den Innensenator zur der Unterbringung von Flüchtlingen in der Polizeisporthalle, wo sich die Polizei plötzlich selbst als Betreiber wiedergefunden hat, weil die Sozialverwaltung offensichtlich vergessen hat, für diese Polizeisporthalle einen Betreiber zu organisieren. So kann es nicht gehen.
Sie haben es angesprochen: Die Bezirke melden durchaus Immobilien, haben aber das Gefühl, dass sie bislang in einem schwarzen Loch versacken, oder sie bekommen sehr schnell die Antwort, dass es gar nicht gehe, sodass man den Verdacht hat, es wurde gar nicht richtig geprüft.
Herr Regierender Bürgermeister! Lange haben wir auf konkrete Maßnahmen und Lösungen warten müssen. Ich bin froh, dass Sie uns heute eine ganze Liste vorgelegt
haben. Wir werden darüber diskutieren, das sage ich Ihnen zu. Wir werden darüber konstruktiv miteinander diskutieren, das müssen wir auch, da haben wir eine Verantwortung. Ich will nur ein Beispiel herausnehmen: Ich bin froh darüber, dass die ASOG-Änderung, die wir heute eingebracht haben, die es in Hamburg bereits als Gesetz gibt, heute klargestellt worden ist. Es handelt sich um leer stehende Immobilien, um Gewerbeimmobilien. Man wird darüber reden müssen, gerade mit Blick auf Sport- und Turnhallen, ob wir nicht besser leere Gewerbeimmobilien sicherstellen, beschlagnahmen wie das Gebäude in der Bundesallee, anstatt immer nur auf die Turn- und Sporthallen zu gehen. Für diese Notfälle soll dieses Gesetz gelten, und auch darüber würde ich gerne in diesem Hause konstruktiv diskutieren.
Herr Regierender Bürgermeister! Nicht nur wir, auch diejenigen, die seit Monaten freiwillig und ehrenamtlich engagiert sind und helfen, warten auf konkrete Lösungen, auf konkrete Verbesserungen, denn es kann nicht sein – um ein Beispiel herauszupicken –, dass die Helfer und Helferinnen ihren eigenen Laptop mitnehmen, um zumindest eine Erstregistrierung oder irgendwas in der Art vorzunehmen, weil es vor Ort keine Software gibt. Wir sind unendlich dankbar für das, was die Helfer und Helferinnen täglich leisten. Sie werden nicht müde, es zu tun. Sie leisten unglaublich wertvolle Arbeit. Ich möchte ihnen danke sagen, das kann man nicht oft genug tun. Ihrem Dank möchte ich mich anschließen und mich darüber freuen, dass sie da sind und mit uns weitermachen wollen, denn es war in den letzten Monaten nicht leicht. Vielen Dank!
Wir sehen an der überwältigenden Hilfsbereitschaft, die sich quer durch alle Gesellschaftsschichten zieht, quer durch die Stadt, vom Westend bis Hellersdorf, von Reinickendorf bis Treptow vor allem eins: Berlin steht zusammen, und diejenigen, die Hass und Menschenverachtung säen wollen, haben in Berlin keinen Platz, denn wir anderen sind viel, viel mehr. Das ist unser Berlin, und das soll auch so bleiben!
Diese Klarheit, die wir hier in Berlin haben, vermisse ich zunehmend in der Bundespolitik. Wir wissen alle um die Herausforderung, die niemand hier leugnet. Sie haben die Zahlen genannt, wir kennen sie. Aber gerade in schwierigen Zeiten und in Krisensituationen sollten wir uns auf das besinnen, was unsere Gesellschaft zusammenhält. Das ist an erster Stelle unsere Verfassung, unser
Grundgesetz. Und unsere Grundrechte wie das Grundrecht auf Asyl sind eben nicht nur für gute Zeiten und Sonntagsreden gedacht. Sie haben ihren Bestand auch und gerade in Krisenzeiten. Das scheinen einige aus dem Blick verloren zu haben, insbesondere, wenn man in Richtung Bundesregierung schaut. Der Innenminister überfällt uns und die Regierungskoalition nahezu täglich mit neuen Vorschlägen zur Abschreckung von Flüchtlingen und Aushöhlung von Grundrechten. Ob die DublinVerordnung mal eben durch die Hintertür eingeführt wird, der schäbige Vorschlag, den Schutzstatus für Flüchtlinge aus Syrien zu verschlechtern,
oder die Idee, den Familiennachzug zu beschränken – man hat den Eindruck, wenn man auf die CDU/CSU schaut: Das C kann man streichen, denn christlich ist das wahrlich nicht, das S auch, denn sozial ist es auch nicht. Und bei der Zerstrittenheit kann man auch noch feststellen: Eine Union ist das auch nicht mehr.
Vor einigen Tagen haben wir den 9. November begangen. Es war unerträglich zu sehen, wie in diesem Jahr am 9. November BÄRGIDA und andere Rechte mit Reichsfahnen und Reichskriegsflaggen an der Synagoge in der Rykestraße vorbeigezogen sind. Es ist eine Frage wert, wie das eigentlich so ungestört passieren durfte, wo doch ansonsten über alles und jeden hier in der Stadt informiert wird. Nur an der Synagoge in der Rykestraße durften sie am 9. November vorbeiziehen.
Dieser 9. November erinnert an dunkle Stunden von 1938, aber auch an den Glücksmoment des Mauerfalls von 1989. Nicht nur anlässlich dieses Datums fragen wir uns, wie wir heute mit dieser größten Herausforderung seit der Wiedervereinigung umgehen wollen und umgehen können. Es ist vielleicht kein Zufall, dass diejenigen, die wie die Bundeskanzlerin oder wie der Bundespräsident in ihrem Leben bereits eine tiefgreifende Veränderung erlebt haben, diese Herausforderung von heute mit Mut und optimistischer Entschlossenheit angehen. Die Angst vor Veränderung ist offensichtlich bei denjenigen geringer, die selbst gravierende Lebensumbrüche erlebt haben und gestalten konnten und für sich gesehen haben: Es ist gut geworden. Das sind diejenigen, die heute mit Offenheit und Tatkraft anderen Mut machen: Wir schaffen das! Das ist richtig so!
Das „Wir schaffen das!“ gilt im Übrigen auch für unzählige Migrantinnen und Migranten. Da kann ich meine eigene Lebensgeschichte zu Rate ziehen. Ich kam 1988 in ein Land, das in Integrationsdingen damals noch nicht so ganz geübt gewesen ist. Trotz meiner guten Sprachkenntnisse war es spürbar, dass ich irgendwie nicht dazugehör
te, und es dauerte etwas länger, bis ich dazugehörte. Der Satz „Integration ist mehr als nur ein Sprachkurs“ stimmt absolut, das kann ich aus eigenem Erleben sehr deutlich sagen.
Wir sollten alle miteinander klug genug sein, nicht die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen, nicht zu versäumen, frühzeitig mit Integration, mit Teilhabe und Partizipation zu beginnen. Und dazu gehört, die Realität anzuerkennen, dass viele der Menschen, die zu uns kommen, auch dauerhaft hier bleiben werden. Sie werden sich verändern, und wir alle miteinander werden uns verändern, weil das so ist in offenen Gesellschaften und weil das gut so ist. Wer auch immer einem vorgaukelt – das haben wir auch im letzten Plenum wieder hören dürfen –, nichts ändere sich oder dürfe sich ändern, der lebt nicht in dieser Welt, das sage ich ganz deutlich.
Ich möchte hier die „FAZ“ zitieren, unverdächtig des Linksseins. Der Kommentar von Volker Zastrow lautet:
In modernen Staatswesen findet ein unaufhörlicher Veränderungsprozess statt. Sie sind offen, weil sich technologische, ökonomische und soziale Entwicklung, also der Fortschritt, nur in geschlossenen Systemen verhindern lässt …
Genauso ist es. Eingefrorene Gesellschaften gibt es nur hinter Mauern oder in totalitären Systemen. Und beides wollen wir nicht.
Wir haben aber die Verantwortung, diese Veränderung zu gestalten und sie nicht einfach laufen zu lassen.
Und heute heißt die größte Herausforderung, auch wenn wir über winterfeste Notunterkünfte sprechen müssen, aber die Herausforderung, die Chance heißt eben Integration. Dabei sind alle gefordert, wir, die Politik, die Gesellschaft und die Migrantinnen und Migranten. Es geht um Integration auf dem Wohnungsmarkt, in Bildung, Arbeit und in Rechtsordnung dieser Bundesrepublik. Und gerade bei Letzterem möchte ich noch mal auf die Wiedervereinigung schauen. Wenn Menschen vor Diktatur und Unterdrückung fliehen und in Freiheit und Sicherheit mit ihren Kindern leben und aufwachsen wollen, ja, auch wenn das Menschen sind, die Demokratie und Rechtsstaat vielleicht nicht aus eigenem Erleben bislang kennen, weil sie diese einfach noch nicht erlebt haben, sie haben aber die Unfreiheit gesehen, was Diktatur und fehlende Rechtssicherheit bedeuten. Warum fehlt uns eigentlich der Glaube, dass sie sich für Demokratie, Freiheit und Rechtsstaat begeistern lassen könnten? Ich bin überzeugt, dass das anders ist.
Und ja, wir haben viele Aufgaben auf dem Wohnungsmarkt vor uns. Wir freuen uns ja, dass die Stadt wächst: 40 000 Menschen, die zu uns kommen. Und dazu kommt noch die Aufgabe der 50 000 Flüchtlinge, die auch zu uns kommen und auch aus den Unterkünften rausmüssen, weil wir wollen, dass sie sich integrieren, dass sie inmitten der Stadt und unter uns wohnen, dass sie selbst für sich sorgen können durch Arbeit, dass sie hier Ausbildung und Bildung erfahren, damit sie tatsächlich diesen Integrationsmotor spüren. Es geht also um bezahlbare Wohnungen, und zwar für alle hier in der Stadt. Dazu werden wir heute auch noch über das Wohnraumversorgungsgesetz debattieren.
Es geht um Bildung, es geht um die unbegleiteten Minderjährigen, die endlich auch in die Schulen kommen müssen, und es geht um den Arbeitsmarkt. Ich glaube, dass wir da noch viel tun müssen. Wir wissen alle, dass es Landesunternehmen gibt, Betriebe, Verbände, die sich inzwischen in der Integration sehr engagieren. Sie bieten Ausbildungs- und Arbeitsplätze an. Aber nichtsdestotrotz wird es nicht reichen. Wir werden uns da noch mehr anstrengen müssen. Was ich bislang da kenne, sind nicht mehr als Papiertiger. Ich glaube, ohne eigene Arbeitsmarktprogramme oder eine klare Fokussierung auf Flüchtlinge – dazu werden wir als Fraktion auch einen Vorschlag vorlegen – wird es in der nächsten Zeit nicht gehen.
Alles in allem müssen wir, glaube ich, das tun, was die Notsituation erfordert: konstruktiv miteinander die Dinge gestalten, aber ohne das andere, die Integration, zu lassen. Das ist eine doppelte Herausforderung; die gilt es aber zu meistern, damit es gelingt und damit Berlin das ist und bleibt, was es ist: eine offene und unverwechselbare Stadt.
Wie einige andere hier im Raum habe ich selbst eine Zuwanderungsgeschichte, eine europäische Ost-WestGeschichte, kann man sie vielleicht nennen. Und aus meiner persönlichen Erfahrung heraus weiß ich um die Schwierigkeiten, aber auch um die Chancen und um die Möglichkeiten, die wir nutzen sollten, um Integration voranzutreiben. Es gibt also viel zu tun. Unsere Unterstützung haben Sie, wenn es darum geht, das zu tun, was wirklich hilft. Das kann ich Ihnen zusagen. – Vielen Dank!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die ersten Flüchtlinge aus Ungarn sind Sonntagnacht in Berlin eingetroffen. Es waren die ersten von vielen, die noch kommen werden. Mich persönlich haben die Bilder aus Budapest, aus dem überfüllten Bahnhof, sehr bewegt, denn ich kenne diesen Weg: Im Jahr 1988 bin ich mit meiner Familie über Budapest und Wien nach Deutschland eingereist; ich war damals zehn Jahre alt. Ich kenne noch das Europa von Mauern, Grenzen und Schlagbäumen und dass man als Kind hoffnungsvoll geguckt hat, dass sie endlich hochgehen. Ich erinnere mich auch noch an meine kindliche Angst vor unfreundlichen Grenzern, die auch vor den Koffern eines Kindes nicht haltmachten und sie durchwühlten und erst mit Westwaren und Valuta besänftigt werden konnten oder mussten.
Dieses geteilte und feindselige Europa haben wir hinter uns gelassen – Gott sei Dank, kann ich nur sagen –, und es soll auch der Vergangenheit angehören.
Wir haben im letzten Jahr den Fall der Berliner Mauer und das Ende der Teilung unserer Stadt gefeiert. Was hier in Berlin mit der friedlichen Revolution und dem Fall der Mauer begonnen hat, führte nicht nur zur Wiedervereinigung Deutschlands, sondern zur Wiedervereinigung ganz Europas. Vor dem Hintergrund meiner eigenen Lebensgeschichte ist mir die Europäische Union, die europäische Wertegemeinschaft, die auf Freiheit, Frieden und Menschenrechten beruht, ein Herzensanliegen. Umso bitterer – da haben Sie recht, Kollege Saleh –, dass Ungarn – das Land, das als erstes den Eisernen Vorhang durchtrennt hat – heute neue Grenzzäune baut.
Ja, wir müssen unser europäisches Versprechen von Frieden, Freiheit und Menschenrechten immer wieder neu mit Leben füllen – auch in solch schwierigen Situationen wie aktuell. Die Bewährungsprobe für Europa – und das ist eine – wird nur gelingen, wenn alle Mitgliedsstaaten ihrer Verantwortung auch gerecht werden. Ich stimme hier
ausdrücklich dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx, zu, der kürzlich an uns alle appellierte: Wir müssen alles tun, um das Sterben an Europas Grenzen zu beenden!
Weltweit sind so viele Menschen auf der Flucht wie noch nie. Wir kennen die Ursachen und sehen die Bilder: die furchtbaren Bürgerkriege in Syrien, Afghanistan und Irak, der untergehende arabische Frühling – das alles findet in einer globalisierten Welt nicht irgendwo anders statt. Die Auswirkungen sind auch bei uns zu spüren, vor allem durch die Menschen, die vor Krieg, Not, Verfolgung, Gewalt und Unterdrückung flüchten. Sie kämpfen um ihr Überleben. Sie haben alles verloren und viele von ihnen alles aufgegeben, um der Hölle ihrer Heimat zu entkommen. Und Berlin hilft – weil wir es wollen, weil wir es müssen und, weil wir es können.
Wir alle erleben die überwältigende Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung: Unermüdlich sind die Helferinnen und Helfer unterwegs – am LAGeSo, in Wilmersdorf, in Hellersdorf, in Reinickendorf und an vielen anderen Stellen in der Stadt. Ihnen allen möchte ich Danke sagen: Danke für die Hilfe und den Einsatz für Menschen in Not!
Denn noch nie haben so viele Menschen geholfen, gespendet, mit angepackt. Das ist das Gesicht Deutschlands; das ist das wahre Gesicht unserer Stadt und nicht diejenigen, die dumpfe Parolen und Schimpfwörter kreischen. Jeden Tag zeigen Tausende Menschen eindrucksvoll, dass unser Land, unsere Stadt Flüchtlinge willkommen heißt.
Aber Engagement kann und darf nicht dauerhaft staatliche Strukturen ersetzen, weil der Staat die Situation über lange Dauer nicht in den Griff bekommt. Ich finde es auch beschämend, welche Bilder von den Zuständen am LAGeSo in die Welt hinausgingen – Bilder davon, dass in der Hauptstadt Deutschlands über Wochen Menschen im Freien, nur notdürftig mit Essen und Trinken versorgt und medizinisch kaum betreut, ausharren müssen. Das finde ich tatsächlich beschämend.
Mehr Personal, das jetzt kommen soll, dezentrale Stellen für die Erstaufnahme und eine Software, die nicht mehrmals die Woche vom ITDZ bereits um 16 Uhr abgeschaltet wird – das alles würde doch schon helfen. Auch die lang angekündigte Einführung der Gesundheitskarte würde die Gesundheitsversorgung der Flüchtlinge deutlich verbessern und vor allem auch das Personal am LAGeSo endlich entlasten. Denn auch die arbeiten inzwischen bis zur Erschöpfung und darüber hinaus, und auch ihnen sagen wir Danke.
(Raed Saleh)
Vor einigen Wochen hat der Senat ein Flüchtlingskonzept verabschiedet. Man kann als Opposition natürlich immer sagen: Das geht uns nicht weit genug; da hätte man sich mehr gewünscht. – Was wir allerdings erwarten, ist, dass sich der Senat wenigsten an seine eigenen Beschlüsse hält und beispielsweise das Studieren für Flüchtlinge ermöglicht, wie es im Senatsbeschluss ja auch steht und den im Senat wohl alle mitgetragen haben. Denn wir wollen doch hoffentlich alle, dass die Integration der Menschen, die jetzt zu uns kommen, möglichst schnell gelingt.
Langsam kommt es auch bei allen an, dass es sich nicht um ein vorübergehendes Phänomen handelt, sondern dass Menschen zu uns kommen, die hierbleiben, und wir miteinander vor einer großen Aufgabe stehen. Kollege Saleh hat es gerade schon gesagt: Unsere Geschichte ist reich an Migrationsbewegungen. Deutschland und Berlin waren schon immer von Flucht, Einwanderung und Vermischung geprägt. Das zerbombte Deutschland nahm zwölf Millionen Flüchtlinge und Vertriebene auf. Das deutsche Wirtschaftswunder wäre ohne die sogenannten Gastarbeiter aus dem Süden Europas und der Türkei undenkbar gewesen. Die dreieinhalb Millionen Spätaussiedler kamen nicht nur aus der ehemaligen Sowjetunion, sondern wir gehörten auch dazu oder die Hunderttausende, die während des jugoslawischen Zerfallskriegs nach Deutschland flüchteten. Nun sind es die Flüchtlinge aus den Kriegen des Mittleren und Nahen Ostens, die sich auf die beschwerliche, gefährliche und lange Reise nach Europa und Deutschland begeben.
Wir sehen mit großer Sorge, dass einige die Situation und die Zahlen ausnutzen, um fremdenfeindliches und rassistisches Gedankengut zu verbreiten. Es gibt sie – diejenigen, die unsere Demokratie und unsere Freiheit, unsere Menschenrechte und die Würde des Einzelnen verachten und ablehnen, und es gibt sie, die Rassismus und Menschenfeindlichkeit predigen, Gewalt propagieren und auch ausüben. Sie wollen unser Miteinander, unsere Vielfalt, unsere Menschlichkeit zerstören. Vorgestern gab es wieder einen Anschlag auf eine Unterkunft in Marzahn – welch eine abscheuliche Tat! Ich kann nur sagen: Lassen Sie uns heute gemeinsam deutlich machen, dass jetzt die Stunde der Pragmatiker und nicht die der Panikmacher gekommen ist!
Wir sind auch alle in der Verantwortung, echte Lösungen statt Symbolpolitik zu präsentieren. Wir alle sind in der Verantwortung, auf unsere Worte zu achten und nicht leichtfertig damit umzugehen. Es sei allen, die sich darüber echauffieren, dass da welche für 140 Euro im Monat Taschengeld nach Deutschland kommen, angeraten, in sich zu gehen und sich zu fragen: Wer verlässt schon seine Heimat? Welche Verzweiflung muss einen antrei
ben, dass man diesen schweren und gefährlichen Weg auf sich nimmt – im Zweifel auch noch mit Kindern auf dem Arm? – Vor diesem Hintergrund finde ich diese Debatte schlichtweg unwürdig, und ich bin froh, dass unsere Verfassung solchen Überlegungen deutliche Grenzen setzt.