Protokoll der Sitzung vom 08.11.2012

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich eröffne die 20. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste und Zuhörer sowie die Medienvertreter sehr herzlich.

Erstmals begrüße ich heute den neuen Staatssekretär der Senatswirtschaftsverwaltung Guido Beermann. – Herzlich willkommen und auf gute Zusammenarbeit!

[Allgemeiner Beifall]

Dem entpflichteten Staatssekretär von Knobelsdorff möchte ich im Namen des Hauses für die geleistete Arbeit danken.

[Allgemeiner Beifall]

Am 30. Oktober hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einen neuen Fraktionsvorstand gewählt. Stellvertretend für den gesamten Vorstand gratuliere ich der Fraktionsvorsitzenden Ramona Pop zur Wiederwahl sowie der neu gewählten Fraktionsvorsitzenden Antje Kapek. – Herzlichen Glückwunsch!

[Allgemeiner Beifall]

Dann habe ich wieder Geschäftliches mitzuteilen: Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/0478, Sicherung der Versorgung durch Hebammen und Entbindungspfleger – Umsetzung der Ergebnisse des Hebammen-Gutachtens, ist in der 18. Sitzung am 27. September dieses Jahres federführend an den Ausschuss für Gesundheit und Soziales und mitberatend an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie überwiesen worden. Nunmehr wird vorgeschlagen, die Überweisung an den Jugendausschuss aufzuheben. – Widerspruch höre ich nicht, dann verfahren wir so.

Am Montag sind folgend fünf Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:

1. Antrag der Fraktion der SPD zum Thema: „Wachsende Metropole Berlin: Verkehrsfluss sicherstellen, Baustellen koordinieren, Verkehrsinfrastruktur ausbauen“,

2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Wachsende Metropole Berlin: Verkehrsfluss sicherstellen, Baustellen koordinieren, Verkehrsinfrastruktur ausbauen“,

3. Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Thema: „BER: Wowereit und Schwarz keine 444 Millionen Euro nachtragen!“,

4. Antrag der Fraktion Die Linke zum Thema: „Berliner Senat muss Geisterfahrt beim Personalabbau in den Bezirken beenden“,

5. Antrag der Piratenfraktion zum Thema: „Flüchtlingsproteste und die Umsetzung der Versammlungsfreiheit in Berlin“.

Zur Begründung der Aktualität erteile ich zunächst einem Mitglied der Fraktion der SPD das Wort. – Herr Kreins, bitte schön!

Vielen Dank! – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die jüngste Verkehrsprognose mit Blick auf das Jahr 2030 zeigt Berlin als wachsende Metropole. Die Einwohnerzahl Berlins wird sich bis zum Jahr 2030 um rund 250 000 erhöhen. 3,7 Millionen Menschen werden in dieser Stadt leben. Allein in den letzten zwölf Jahren ist die Einwohnerzahl um 120 000 gestiegen. Ursächlich für diese positive Entwicklung sind anhaltendes Wirtschaftswachstum besonders im Bereich des produzierenden Gewerbes und der Dienstleistung. Damit sind Arbeitsplätze, gute Bildung, Aufstiegschancen für Menschen verbunden. Berlin bietet Zukunft.

Das bedeutet, dass wir auch bei der städtischen Infrastruktur nachlegen müssen, bei Kitas, Schulen, der öffentlichen Verwaltung, aber auch zur Absicherung breiter Mobilitätschancen. Mobilität in der Stadt sicherstellen heißt, einen zuverlässigen und bezahlbaren ÖPNV zu organisieren, aber auch die Mobilität beim motorisierten Individualverkehr zu gewährleisten. Der ÖPNV und das Straßennetz müssen leistungsfähig bleiben.

Mit dem Antrag zur heutigen Behandlung „Wachsende Metropole Berlin, Verkehrsfluss sicherstellen, Baustellen koordinieren, Verkehrsinfrastruktur ausbauen“ nehmen sich die Koalitionsfraktionen eines ganz alltäglichen Problems der Berlinerinnen und Berliner an. Es sind nicht ganz 100 000 Baustellen in der Stadt, wie jüngst etliche Zeitungen berichteten, aber zu oft sind Baustellen gleich Staustellen. Damit gehen wir ein ganz alltägliches, sehr konkretes Problem der Berlinerinnen und Berliner im Straßenverkehr an. Dieses betrifft nicht nur Autofahrer, sondern auch Fußgänger und Radfahrer gleichermaßen.

Die Koalition hat sich auf die Ertüchtigung der Verkehrsinfrastruktur verständigt. Das meint nicht nur die Fortführung begonnener Vorhaben wie den Bau der S-Bahnlinie 21, den Anschluss der U 55 an das Berliner U-Bahnnetz oder die Vollendung des Flughafens Willy Brandt, sondern auch Lückenschlüsse im Radwegenetz, die Umsetzung der Fußverkehrsstrategie, den Bau der tangentialen Verbindung Ost und die Verlängerung der A 100 bis zur Elsenbrücke in Treptow.

Auch im öffentlichen Personennahverkehr wird das Wachstum Berlins zu merken sein. Die Anzahl der jährlichen Fahrgäste der BVG wird von im letzten Jahr ungefähr 937 Millionen auf über 1 Milliarde im Jahr 2014

steigen. Schon heute erreichen Buslinien nicht nur in der Innenstadt ihre Kapazitätsgrenzen. Dem müssen wir Rechnung tragen.

Senator Michael Müller hat kürzlich konkrete Maßnahmen vorgeschlagen, wie Baustellen besser zu koordinieren sind. Erstens Straffung des Genehmigungsverfahrens, zweitens eine institutionalisierte Koordination auf Landesebene bei der Verkehrslenkung Berlin, drittens verbindliche Rückmeldefristen für die Leitungsbetriebe. Eine vierte Maßnahme, ein Anreizsystem für zügige Baumaßnahmen, haben wir auf der Avus schätzen gelernt. Das bedeutet die Verringerung von unnötigem Stau, fließende Verkehre, weniger Lärm, weniger Feinstaubbelastung, weniger ausgestoßenes Kohlenstoffdioxid, weniger verbrauchte Ressourcen, weniger gesundheitsschädliche Abgase und gleichzeitig weniger stressige Fahrwege, mehr Zeit, mehr Sicherheit für Fußgänger und Radfahrer, mehr Ruhe und Gesundheitsschutz für die Berlinerinnen und Berliner. Darüber hätten wir gerne heute mit Ihnen gesprochen. Das ist unser Anliegen. Das betrifft die Stadt. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Vielen Dank! – Für die CDU-Fraktion Herr Friederici!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Koalition aus SPD und CDU möchte heute in der Aktuellen Stunde eine verkehrspolitische Wachstumsbilanz ziehen und mit der Opposition über deren Gegenentwurf reden. Es gibt eine Vielzahl von Erfolgen der Koalition seit einem Jahr der gemeinsamen Zusammenarbeit.

[Lachen bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Darüber sollte hier im Abgeordnetenhaus ein fundierter Austausch stattfinden. Die Menschen in Berlin freuen sich über das Wachstum in Berlin. Nur die Opposition will das hier nicht erkennen, und deshalb ist die Zeit gekommen, dies Linken, Grünen und Piraten heute zu erklären.

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Die Lautstärke der hilflos nörgelnden Opposition derzeit macht es umso nötiger, die Erfolge, Chancen und Möglichkeiten der Koalition hier und heute in der Aktuellen Stunde darzustellen. Denn die Opposition hat immer nur Fragen, aber eben keine Lösungen.

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Berlin und sein Umland sind eine der Wachstumsregionen in Europa, nicht nur aufgrund der strukturpolitischen Konsolidierungserfolge der unionsgeführten Bundesre

gierung, und das trotz weltweiter Wirtschafts- und Finanzkrise. Diese positive Entwicklung ist begründet im konsequenten Arbeitsprogramm der Koalition aus SPD und CDU für Wachstum, Beschäftigung und die Förderung der Infrastruktur für Berlin. Wir haben in Berlin endlich wieder über 3,5 Millionen Einwohner. Berlin wird immer stärker als Wirtschafts- und Tourismusstandort international bekannt. Kein deutsches Bundesland hat einen so starken Zuwachs an sozialversicherungspflichtigen Anstellungsverhältnissen wie Berlin. Und unsere Stadt hat neben dem höchsten Wirtschaftswachstum auch den höchsten Rückgang der Erwerbslosigkeit aller deutschen Bundesländer zu verzeichnen.

Das sind die Erfolge der Berliner SPD-CDU-Koalition, die heute in der Aktuellen Stunde beredet werden sollten. Diese erfolgreichen Wirtschaftskennzahlen basieren auf dem klaren Infrastrukturfahrplan der Berliner Landesregierung. Wir wissen ganz genau: Um Wohlstand und Arbeitsplatzsicherheit zu garantieren, bedarf es einer leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur. Die Darlegung der erfolgreichen verkehrspolitischen Entwicklung in Berlin sollte daher heute hier in der Aktuellen Stunde beleuchtet werden. Da hier Gelächter war, darf ich kurz erklären: Zu diesen Erfolgen gehört stetige Erhöhung des Schlaglochsanierungsprogramms, eine bessere Finanzausstattung der Bezirke mit je zweimal 50 Millionen Euro, der Ausbau des Straßen- und des Schienennetzes. Dazu gehört auch, dass der Berliner Hauptbahnhof noch besser angebunden wird. Hier erwähne ich den Baubeginn der S 21 und die Schaffung einer vor Ort stattfindenden leistungsfähigen Straßenbahnanbindung.

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Der Senat aus SPD und CDU wird sich um eine verbesserte Baustellenkoordinierung kümmern

[Udo Wolf (LINKE): Wird Zeit!]

und hat sich in der Koalitionsvereinbarung darauf verständigt, den Verkehrsfluss auf den Hauptstraßen weiter zu fördern durch bessere Baustellenkoordinierung – neulich auch noch mal dokumentiert durch Senator Müller –, durch verstärkte Busvorrangschaltung und die sinnhafte Überprüfung der Tempo-30-Abschnitte auf Hauptstraßen, damit der Wirtschafts-, der BVG- und der Individualverkehr weniger im Stau stehen. Die Vielzahl von verkehrs- und strukturpolitischen Einzelmaßnahmen in diesem Gesamtkonzept sollen in der heutigen Aktuellen Stunde erörtert werden. Von großen Projekten wie dem Bau der U 5, dem konsequenten S-Bahn-Fahrplan für mehr Züge und die rechtssicheren Ausschreibungsmodalitäten, dem Erfolg, dass die A 100 nun gerichtsfest ist und, und, und. Die Koalition sorgt für die leistungsfähige Infrastruktur in der wachsenden Metropole Berlin in vielen beispielhaften Projekten der Stadt- und Verkehrspolitik.

[Uwe Doering (LINKE): Davon merke ich aber nichts! Ich stehe jeden Tag im Stau!]

Die Koalition findet, dass diese Bilanz der struktur- und verkehrspolitischen Erfolge von SPD und CDU hier und heute in die Aktuelle Stunde des Berliner Abgeordnetenhauses gehört. Denn ohne leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur geht es nicht. Die Koalition aus SPD und CDU ist bereit, das Programm des unumkehrbaren stadtverträglichen Mehrverkehrs und die damit einhergehenden vereinbarten erfolgreichen Strukturentscheidungen für die Menschen in Berlin und Brandenburg hier und heute in der Aktuellen Stunde darzulegen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU und der SPD – Uwe Doering (LINKE): Nicht reden, einfach mal machen!]

Danke schön! – Für die Fraktion Die Grünen Frau Kollegin Pop – bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Friederici, lesen Sie gelegentlich mal Zeitung?, fragt man sich nach diesem Beitrag. Gleich mehrere negative Topmeldungen über Berlin haben in den letzten Tagen bundesweit wieder für Kopfschütteln gesorgt. Dieser Senat hat es tatsächlich mal wieder geschafft, täglich neue Nachrichten von unerhörten Pannen und politischem Unvermögen zu produzieren. Dabei meine ich nicht nur den Flughafen, über den wir heute mit dem Nachtragshaushalt zu entscheiden haben werden, damit meine ich genauso die ungeheuerlichen Vorgänge um das Schreddern von Rechtsextremismusakten beim Berliner Verfassungsschutz. Noch im Juni dieses Jahres wurde der Aktenschredder angeworfen, zu einem Zeitpunkt, zu dem bereits seit Monaten die gesamte Republik angesichts der Verbrechen der NSU-Mordserie entsetzt den Atem anhielt. Und nun wird treuherzig versichert, es sei – mal wieder – eine Panne gewesen. Und man fragt sich schon: An wie viele Zufälle sollen wir eigentlich hier noch glauben?

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Auch am Pariser Platz harren seit Wochen Flüchtlinge im Hungerstreik am Brandenburger Tor aus. Selten habe ich ein so billiges politisches Schauspiel gesehen wie das von Mittes Bezirksbürgermeister Hanke, der den Leuten ohne jedes Mitgefühl härteste Auflagen durchsetzen ließ und Decken, Isomatten und Schirme selbst bei miesestem Wetter wegnahm, um sich dann aber im zweiten Akt als Retter zu inszenieren. Das ist tatsächlich Schmierenkomödie – und das inmitten unserer Stadt.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Und dann kommt diese Koalition und will zu später Stunde möglichst unauffällig einen millionenschweren

Nachtragshaushalt beschließen, der vor allem aufgrund der Flughafenpleite notwendig geworden ist.

[Zurufe von der CDU und der SPD]

1,2 Milliarden Euro insgesamt, davon 444 Millionen soll der Berliner Steuerzahler für das Versagen von Rainer Schwarz und Klaus Wowereit nun zahlen. 444 Millionen, die an anderer Stelle in unserer Stadt durchaus gebraucht würden. Mit diesem Geld könnte man das ICC sanieren, man könnte den Sanierungsstau auf den Berliner Straßen beheben, Herr Friederici, oder die zusätzlichen 200 Polizisten 56 Jahre lang bezahlen.

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Stattdessen sollen wir heute hier als Parlament für das unternehmerische Versagen von Wowereit und Co. einfach so einen Blankoscheck ausstellen. – Ja, unternehmerisches Versagen ist es tatsächlich gewesen. Kommen Sie nicht mit der Geschichte, der Flughafen sei doch faktisch schlüsselfertig bis auf die Brandschutzanlage.