Protokoll der Sitzung vom 19.06.2014

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Vielen Dank! – Für die CDU-Fraktion hat jetzt Herr Dr. Lehmann-Brauns das Wort. – Bitte schön, Herr Kollege!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Brauer! Die Sicherheit, mit der Sie in die historischen Zusammenhänge greifen, ist ebenso erstaunlich wie abstoßend.

[Beifall bei der CDU – Zuruf: Unerhört! – Weitere Zurufe]

Der Antrag, den Sie gestellt haben, wird nämlich der komplizierten historischen Gemengelage nicht gerecht. Natürlich ist die Begründung der damaligen Vergabe der Ehrenbürgerschaft aus heutiger Sicht nicht mehr nachvollziehbar. Aber sie erfolgte nicht 2014, sondern im April 1933. Um das Ergebnis bewerten zu können, müssen wir uns mindestens in das Jahr 1932 zurückversetzen, ein schreckliches Jahr für Deutschland: Das Bruttosozialprodukt war nur noch halb so hoch wie 1929. Ein Millionenheer von Arbeitslosen bevölkerte die Straßen. Fünf Wahlkämpfe fanden statt.

[Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Wollen Sie erklären, wie sinnvoll es war, dass das Nazi-Regime an die Regierung gekommen ist?]

Ist das eine Zwischenfrage? Dann stellen Sie sie bitte!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zwischenfragen werden angemeldet!

Ich bitte nur, Herr Präsident, mir das nicht von der Redezeit abzuziehen!

Möchten Sie denn die Zwischenfrage des Kollegen Höfinghoff zulassen?

Ich lasse sie gerne zu, wenn er eine stellt.

Bitte schön, Herr Kollege Höfinghoff, dann haben Sie das Wort!

Danke schön! – Herr Lehmann-Brauns! Es macht gerade stark den Eindruck, als wollten Sie uns erklären, wie nachvollziehbar es ist, dass das Nazi-Regime damals in Deutschland an die Macht gekommen ist. Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie das gerade über die sozialen Bedingungen der damaligen Zeit tun wollen?

In dieser Annahme gehen Sie überhaupt nicht recht! Ich bin gerade dabei, Ihnen die Situation zu schildern, in der damals die Ehrenbürgerwürde vergeben wurde. Das war eine andere Situation und eine andere Diskussion als 2014.

[Beifall bei der CDU – Zurufe]

Diese Differenzierung muss man, wenn man versuchen will, ein halbwegs objektives Geschichtsbild zu haben, anerkennen. – Damals fanden, Sie wissen das, fünf Wahlkämpfe statt – mit Aufmärschen, Schlägereien, Morden, Schießereien. Sie brachten keine Ergebnisse, mit denen die Weimarer Republik hätte fortgesetzt oder gar gerettet werden können. Der Reichstag wurde beherrscht von einer Mehrheit von Nationalsozialisten und Kommunisten. Dieses Extreme hatten zwar keine politischen Übereinstimmungen, aber sie einte eins: der Hass auf die Demokratie und der Wille, sie zu zerstören.

[Beifall bei der CDU]

Otto Braun, der preußische Ministerpräsident, rief den Kommunisten damals warnend zu: Merken Sie denn nicht, dass Sie die Geschäfte der Nazis besorgen? Sie werden die Gehenkten sein! – so Otto Braun.

[Zurufe von der LINKEN – Zuruf von Oliver Höfinghoff (PIRATEN)]

Dich henken Sie als Ersten!, grölten die Kommunisten zurück. Selbst überzeugte Demokraten hatten damals an

(Sabine Bangert)

der Fortsetzung der Weimarer Republik erhebliche Zweifel. Hindenburg, so Golo Mann, war kein entscheidender Akteur zugunsten Hitlers. Seine abwertende Beurteilung des von ihm so genannten „böhmischen Gefreiten“ ist bekannt. Zweimal hatte sich Hindenburg zugunsten der Demokratie um das Reichspräsidentenamt beworben, zugunsten der politischen Linken und der Mitte, jeweils gegen Nazis und Kommunisten. Bei seiner zweiten Kandidatur 1932 konnte er Hitler nur fürs Erste verhindern.

Bis dahin war er als Präsident ehrlich und loyal mit der Republik umgegangen, die sich dank Stresemann und anderer bis 1929 günstig entwickelt hatte. Die Sozialdemokraten forderten im Wahlkampf damals die Wähler auf „Schlagt Hitler – darum wählt Hindenburg!“

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bangert?

Bitte schön!

Frau Kollegin Bangert!

Herr Lehmann-Brauns! Können Sie mir denn den Widerspruch erklären, dass Hindenburg schon 1932 – wie Sie richtig sagen – in Presseerklärungen ganz eindeutig die Gefahr, die von den Nationalsozialisten und von Hitler ausging, erkannt hat, aber 1933 die Verordnung zum Schutz von Volk und Staat unterzeichnet hat – wohlwissend, was das für Konsequenzen hat?

Ich komme gleich dazu; ich bin auch gleich am Ende! – Ich folge nochmals Golo Mann, dem wichtigsten deutschen Historiker, in der Feststellung, dass es eine Tatsache ist, dass der greise Hindenburg Hitler nicht zum Kanzler erheben wollte. Isoliert von seinen Beratern, bedrängt, verwirrt, seines ermüdeten Geistes kaum noch mächtig, gab der 85-Jährige dem Druck der Ratgeber schließlich nach.

[Zuruf von Wolfgang Brauer (LINKE)]

Die Formulierung des Antrags ist offensichtlich von derselben selektiven roten Geschichtswahrnehmung geprägt, die Sie 45 Jahre den Ihnen in der DDR Unterworfenen verabreicht haben!

[Beifall bei der CDU – Wolfgang Brauer (LINKE): Jetzt werden Sie unverschämt!]

Sie verschweigt, dass Hindenburg der deutschen Demokratie zweimal loyal gedient hat – sieben Jahre lang mit Erfolg. Die politischen Umstände – die Nazis, die Kommunisten, das wirtschaftliche Chaos, die Zerrissenheit der Nation – hatte er nicht zu vertreten. Sie waren ihm von der Geschichte und den deutschen Wählern auferlegt worden. Ihn jetzt aus der Erinnerung der nationalen Geschichte wie einen böswilligen Brandstifter zu verjagen, hält meine Fraktion für unangemessen.

[Beifall bei der CDU]

Ich hoffe, die Antragsteller nehmen die Diskussion auch zum Anlass, das Verhalten der deutschen Kommunisten, wofür sie 1933 schwer bezahlen mussten, heute kritisch zu reflektieren. Dann hätte die Neuauflage dieser Diskussion auch einen Sinn gehabt. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Für die Piratenfraktion jetzt der Kollege Höfinghoff – bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich habe hier eine Rede vorbereitet – aber auf dieses Ausmaß an Geschichtsklitterung war ich tatsächlich nicht gefasst; darauf habe ich mich nicht vorbereitet.

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]

Herr Lehmanns-Brauns hat in seinen Ausführungen, bei all seinem antikommunistischen Bashing, das er der Linken um die Ohren haut, offensichtlich vergessen, dass die Zentrumspartei damals im Reichstag maßgeblich an der Machtergreifung der Nazis beteiligt war – eine der Vorgängerorganisationen der Christlich-Demokratischen Union.

Herr Lubawinski! Tatsächlich hat Ihre Rede gerade noch einmal nachträglich eine Begründung dafür geliefert, warum die Kommunisten in der damaligen Zeit gerufen haben: Wer hat uns verraten? – Sozialdemokraten!

[Zuruf: Unverschämtheit!]

Ja, es ist eine Unverschämtheit, was für Redebeiträge Ihre beiden Fraktionen hier abgeliefert haben!

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]

Ich komme zu dem inhaltlichen Teil, den ich vorbereitet habe, denn es gibt auch so noch genügend Gründe, Paul von Hindenburg die Ehrenbürgerwürde dieser Stadt endlich zu entziehen. Es gibt genügend Beispiele in Deutschland, wo es geklappt hat: Augsburg hat es geschafft;

(Dr. Uwe Lehmann-Brauns)

Dortmund, Leipzig, München, Köln, Rostock und sogar Tübingen haben es geschafft, schon im letzten Jahr.

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]

Sie sind offensichtlich alle von Kommunisten beherrscht. Dieses Jahr zog Kiel nach. Sie alle haben einem Mann die Ehrung verweigert, die nicht in die heutige Zeit passt, und die, Herr Dr. Lehmann-Brauns, niemals in keine Zeit hätte passen dürfen.

[Beifall bei den PIRATEN und der LINKEN]

Hindenburg und Hitler wurden am 20. April 1933 – wir haben es bereits gehört –, an Hitlers Geburtstag, einen Monat nach der Inamtsetzung Hitlers durch Hindenburg, zu Ehrenbürgern Berlins erklärt. Es sind die Nummern 58 und 59 auf dieser ansonsten überwiegend recht ehrenhaften Liste. Beide wurden für ihre Verdienste um die nationale Wiedergeburt der Stadt Berlin mit dieser Ehrung versehen. Das war nichts anderes als die Zerschlagung der Weimarer Republik. Dafür kann und darf eine weltoffene, demokratische Stadt wie Berlin niemand mehr ehren – im Gegenteil! Der ehemalige Regierende Bürgermeister Walter Momper hat noch vor einigen Jahren für die Beibehaltung der Ehrenbürgerschaft von Hindenburg plädiert. Dem will ich – gerade im hundertsten Jahr seit dem Beginn des Ersten Weltkriegs – entschieden widersprechen. Die SPD ist offensichtlich nach dem Redebeitrag von Herrn Lubawinski wieder in der Tradition eines Gustav Noske und bismarckiger als Bismarck. Weil wir als Piratenfraktion wie die Stadt Kiel und viele andere Städte sehen, dass solche Würdigungen politische Zeichen sind, sehen wir auch, dass es ein ebensolches Zeichen ist, die Ehrung zurückzunehmen und sie verdientermaßen posthum zu verweigern.

Wir schließen uns da als Piratenfraktion dem auch an, was der Kollege Brauer schon in der „Berliner Zeitung“ gesagt hat: