Protokoll der Sitzung vom 03.07.2014

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Titel Ihrer Aktuellen Stunde ist von zeitloser Schönheit: Bündnisse und Beschleunigungen.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Das klingt ein wenig nach BER und Herrn Mehdorn: Wir werden fertiger und fertiger.

[Beifall bei der LINKEN – Zuruf von den PIRATEN: Und früher!]

Die Mieten in Berlin werden nach dieser Logik auch immer billiger. Die Realität sieht leider anders aus. Ungeachtet dessen findet sich die Koalition so großartig, dass sie sich alles zutraut und den Berlinerinnen und Berlinern alles zumutet. Berlin kann Olympia, findet der Senat.

[Beifall von Christopher Lauer (PIRATEN)]

Und der Berliner Polizeipräsident kann Politik, findet er selbst. Der Innensenator als sein Chef ließ ihn gewähren und setzte damit die unselige Senatspolitik des Wegduckens und der Verantwortungslosigkeit fort. Flüchtlingselend und ein ganzer Kiez tagelang im Polizeigewahrsam und der Senat macht es sich einfach und zeigt mit dem Finger auf den Bezirk. Für eine humane Flüchtlingspolitik muss das Land einstehen, im praktischen Einzelfall und in der politischen Auseinandersetzung auf Bundesebene.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Und es ist das Land, namentlich der Innensenator Henkel, der seinen gesetzlichen Handlungsspielraum zugunsten der Flüchtlinge nutzen kann und muss.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Es ist erbärmlich, wie die Flüchtlinge zum Spielball partei- und machtpolitischer Ränkespiele missbraucht wurden und werden.

[Beifall bei den PIRATEN – Martin Delius (PIRATEN): Das ist mein Satz!]

Wir fordern, ihnen den Aufenthaltsstatus aus humanitären Gründen umgehend zu gewähren.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Innen- und zugleich Sportsenator Henkel erklärt dagegen markig, der Staat könne sich ja nicht erpressen lassen. Und er schwadroniert über Olympia und blockiert zugleich die parlamentarische und stadtöffentliche Auseinandersetzung darüber.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Was ist das für ein politisches Selbstverständnis dieser Koalition? Der Senat beschließt am letzten Dienstag de

(Matthias Brauner)

facto, sich um Olympia zu bewerben. Der Antworttermin beim Deutschen Olympischen Sportbund liegt in der Sommerpause. Es wäre das Mindeste gewesen, dass der Senat zumindest in der letzten regulären Sitzung vor der Sommerpause in der Aussprache dazu Rede und Antwort steht, gerade weil seine aktuelle Vorlage zum Thema an Inhaltslosigkeit kaum zu überbieten ist – aber dazu später mehr!

[Beifall bei der LINKEN – Zurufe von den PIRATEN]

Frau Kollegin! Sie kommen auch wieder zum Thema?

Ja! Es geht um die Aktuelle Stunde, und das ist alles aktuell.

[Lachen bei der CDU]

Über den wirklichen Zustand der Koalition kann ich nur mutmaßen. Ob Finanzsenator und Justizsenator wieder direkt statt über Anwälte miteinander kommunizieren, darf nach der Chefintervention angenommen werden.

[Christopher Lauer (PIRATEN): Die sitzen ziemlich weit auseinander!]

Dass den Senat die Beschlüsse der SPD-Vorstandsklausur zur Wohnungspolitik vom letzten Wochenende interessieren, ist nach bisherigen Erfahrungen zu bezweifeln. Wie die Koalition mit ihren offenkundigen Differenzen in den kommenden Monaten umgeht, haben Sie gestern wieder in Ihrer Klausur wieder getestet, und wir werden es ja erleben.

Heute wollen Sie offenbar Einigkeit und Tatendrang demonstrieren, mit dem gefühlt hundertsten Abfeiern Ihrer wohnungsbaupolitischen Großtaten – also, ich komme jetzt zu Ihren pluralen Bündnissen und Beschleunigungen,

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN – Beifall von Christopher Lauer (PIRATEN)]

ganz aktuell – ich habe es gar nicht mitbekommen, ehrlich gesagt – das Verbändebündnis von gestern. Ich habe gerade hineingeguckt, und darin steht nichts – ich wiederhole: nichts – Neues.

[Beifall bei der LINKEN]

Noch aktuell ist das kürzlich mit den Bezirken unterzeichnete Neubaubündnis, wobei „aktuell“ auch hier relativ ist, weil dessen Inhalt seit dem letzten „Herbst der Entscheidungen“ – war das eigentlich voriges Jahr oder schon 2012? – mantraartig vorgetragen wird. Nun ist es also endlich unterschrieben, und wir dürfen gespannt sein, ob es Wirkung entfaltet. Ich weise bei der Gelegenheit erneut darauf hin, dass Neubau allein das Woh

nungsproblem nicht lösen wird, und schon gar nicht in seiner sozialen Dimension.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Christopher Lauer (PIRATEN) und Andreas Otto (GRÜNE)]

Zusätzliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die bezirklichen Bauplanungs- und Genehmigungsbehörden sind eine gute Sache. Es bleibt allerdings Ihr Geheimnis, warum Sie den Personalzuwachs auf zwei Jahre befristen. Wächst die Stadt dann nicht mehr? Brauchen wir dann keine Planung mehr?

Überhaupt – der Mythos der wachsenden Stadt, der auch Gegenstand Ihrer gestrigen Klausur war: Die Berliner Verwaltung, vor allem die Bezirke, sind noch immer auf Sparen programmiert, ob bei der Zahl der Beschäftigten, bei der Daseinsvorsorge, bei der Flächenvorhaltung, bei der Planung, bei der baulichen Unterhaltung oder eben auch bei den Investitionen. Der Senat verweist nicht zu Unrecht auf die Notwendigkeit eines intensivierten Wohnungsneubaus – das ist auch gar keine Kunst. Aber Stadt ist eben mehr als Wohnen. Wohnungsbau ohne eine funktionierende wohnungsnahe Infrastruktur schafft keine lebenswerte Stadt. Und die im Bündnis mit den Bezirken formulierte vage Absicht zu Infrastrukturentwicklungen hilft da gar nicht. Was eine in Berlin eine schon sprichwörtliche Bemühenszusage wert ist, wissen wir aus leidvoller Erfahrung.

Also hören Sie endlich auf, sich selbst etwas vorzumachen und die Öffentlichkeit in die Irre zu führen! Wenn Berlin mit dem zu erwartenden Bevölkerungswachstum angemessen umgehen soll, dann müssen die dafür erforderlichen Strukturen und Ressourcen auf Bezirks- und Landesebene gezielt gestärkt werden. Dabei geht es bei Weitem nicht zuallererst um Zuwachs, es geht um Substanzerhalt und Substanzverbesserung. Es geht um die Schaffung bzw. Aktualisierung der planerischen Grundlage. Es geht um Flächenvorsorge. Es geht um die Qualifizierung und das einheitliche Handeln aller beteiligten öffentlichen Stellen. Da haben Sie wahrlich genug zu tun!

[Beifall bei der LINKEN]

Neuerdings hören wir von beiden Koalitionspartnern diffuse Aussagen über einen möglichen Wachstumsfonds, in den ein Teil der Haushaltsüberschüsse fließen und der für eben diese Infrastrukturentwicklung verwendet werden soll. Ergänzt wird auch gern die Ansiedlung dieses Fonds in einem Sondervermögen außerhalb des regulären Haushalts. Dazu fällt mir ehrlich gesagt nichts mehr ein.

[Zuruf von der CDU: Gut!]

Die Linke fordert schon seit Langem, die Erfolge der Haushaltssanierung endlich auch für Substanzerhalt und Substanzverbesserungen bei der öffentlichen Infrastruktur, bei den öffentlichen Leistungen, auch für den öffentlichen Dienst zu nutzen, und natürlich gehören solche

Ausgaben in den Haushalt und in die Investitionsplanung. Wohin denn sonst?

[Beifall bei der LINKEN]

Nebenbei ist es schon erstaunlich, wie viel und wofür Sie plötzlich alles Geld finden. Bekanntermaßen bauen weder der Senat noch die Bezirke Wohnungen, was ich im Falle des Landes bedauerlich finde – was ein Blick nach Wien uns zeigt. Sie können bislang nur die Rahmenbedingungen dafür schaffen und verbessern, dass andere bauen, und zwar das, was die Stadt braucht und was die Leute bezahlen können. Bisher haben hier Private den Ton angegeben. Der spärliche Neubau der letzten Jahre fand ausschließlich im Hochpreissegment statt. Zu 80 Prozent waren es Eigentumswohnungen, die im Durchschnitt über 100 Quadratmeter groß waren. Das ist es wohl nicht, was die Stadt braucht. Es hilft auch nichts, für solchen Wohnungsbau wertvollen städtischen Boden zu verbrauchen oder ihn irgendwie so hoch wie möglich übereinander zu schichten.

Nun sollen die städtischen Wohnungsbaugesellschaften ihren großen Auftritt haben und den bedarfsgerechten Wohnungsneubau im erforderlichen Umfang bereitstellen. Das begrüßen wir im Grundsatz. Dumm nur, dass sie dafür kaum Unterstützung ihres Gesellschafters erhalten. Bis auf den Wohnungsbaufonds mit seiner bescheidenen finanziellen Ausstattung und seiner unzureichenden inhaltlichen Ausrichtung gibt es nichts. Im Gegenteil: Die eigenen Wohnungsunternehmen sollen aus ihrem Eigenkapital 175 Millionen Euro mobilisieren, und sie dürfen – sie dürfen! – im Umfang von 600 Millionen Euro zusätzliche Schulden aufnehmen. Dazu sagt der SPD-Fraktionsvorsitzende im Ernst, dieses Geld habe man ihnen zusätzlich zur Verfügung gestellt. Was für eine Traumtänzerei!

[Beifall bei der LINKEN]

Unter diesen Umständen ist es kein Wunder, aber natürlich zu kritisieren, dass die städtischen Gesellschaften die Mieterhöhungsspielräume im Bestand so weit ausreizen wie irgend möglich und bei Modernisierungsmaßnahmen höchstmögliche Umlagen kalkulieren. Wie wir miteinander schon lange diskutieren: In diesem Fall ist das Mietenbündnis des Senats mit den Städtischen absolut wirkungslos.

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Was noch wichtiger ist: Wohnungsneubau löst nicht das Problem des zunehmenden Mangels an bezahlbarem Wohnraum für kleine und mittlere Einkommen. Selbst wenn der berühmte Sickereffekt zum Tragen käme – die Bestandswohnungen werden teurer neu vermietet und schrauben zusammen mit den Neubaumieten den nächsten Mietspiegel in die Höhe. Sie brauchen also schleunigst einen Plan für den Schutz und die Ausweitung des preiswerten Wohnungsbestandes.

Und kommen Sie nicht wieder mit dem Argument, Sie hätten alles getan, was auf Landesebene möglich sei! Es fehlt noch immer die Umwandlungsverordnung. Es fehlen schlagkräftige Bezirksbehörden, die gegen Zweckentfremdung und Mietwucher vorgehen könnten. Es fehlt ein Konzept zur gezielten Bereitstellung städtischer Grundstücke für bezahlbaren Neubau an Städtische, an Genossenschaften, an gemeinwohlorientierte Projekte. Es fehlen Strategien zum Umgang mit dem alten sozialen Wohnungsbau und zum Umgang mit privaten Investoren. Es fehlt ein Finanzfonds, mit dem kommunales Vorkaufsrecht in den Bezirken gezielt ausgeübt werden könnte. Es fehlt eine soziale Wohnraumförderung, die diesen Namen verdient. Es fehlt eine strategische Flächenvorsorge für die wachsende Stadt, und, und, und. Genug zu tun also und wenig Grund für Eigenlob! – Danke!

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Benedikt Lux (GRÜNE), Stefan Gelbhaar (GRÜNE) und Heiko Herberg (PIRATEN)]

Vielen Dank, Frau Kollegin! – Für die Piratenfraktion jetzt Herr Prieß – bitte schön, Herr Kollege!