Protokoll der Sitzung vom 02.10.2014

[Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]

vor allem, weil jetzt noch verschiedene Gruppen gegeneinander ausgespielt werden: Asylbewerber mit Rechtsanspruch, Asylbewerber ohne Rechtsanspruch, in anderen Bundesländern, zurück nach Italien. Dann geht es wieder um EU-Ausländer. Dann geht es darum, dass die Menschen aus Serbien und Montenegro hier den richtigen Flüchtlingen, wie es immer so heißt, die Plätze wegnähmen. Da werden verschiedene marginalisierte Gruppen gegeneinander ausgespielt. Das, finde ich, können wir uns in dieser Stadt nun wirklich nicht leisten.

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]

Dann sind Sie noch auf Hostels eingegangen, als wenn wir jetzt der Meinung wären, wir wollten alle Flüchtlinge in den nächsten Jahrzehnten in Hostels unterbringen.

Natürlich nicht! Das ist doch kein Zuhause. Waren Sie schon einmal in einem Hotel oder in einem Hostel? Ja, aber wahrscheinlich nur für ein paar Tage, weil es einfach zu Hause schöner ist. Die Menschen wollen in einer richtigen Wohnung wohnen. Sie wollen ganz normal wie jeder andere Mensch ein Zuhause haben. Natürlich sind wir nicht dafür, dass Leute dauerhaft in Hostels untergebracht sind, sondern in Wohnungen.

Und da kommen wir zu dem Punkt, wo Sie mir vorhin Milchmädchenrechnungen unterstellt haben. Sie haben mich gestern im Ausschuss auch „Schlaumeier“ genannt, nur weil ich gesagt habe, Sie hätten mal schneller reagieren sollen. Ihre Wortwahl – das müssen Sie selbst wissen, aber ich habe doch ganz klar gesagt: Die Prozentzahl ist zurückgegangen. Wir haben 17 200 Menschen, die nach Asylbewerberleistungsgesetz leistungsberechtigt sind. Diejenigen, die in Wohnungen wohnen, sind von 85 Prozent auf 45 Prozent gesunken, die prozentuale Zahl ist gesunken, während die Gesamtzahl gestiegen ist, Herr Senator. Aber wenn jetzt z. B. die Anzahl der Kids, die hier einen Schulabschluss machen, von 85 Prozent auf 45 Prozent sinken würde, dann würden Sie auch nicht sagen, ja, aber die Gesamtzahl der Schüler an den Schulen ist gestiegen, sondern da würden Sie sagen, da muss sich etwas tun. Oder sehe ich das falsch?

[Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN, bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Das war doch ein gutes Beispiel, oder?

Sie müssen bitte zum Schluss kommen!

Jetzt das obligatorische Lob an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Landesamt. Natürlich sind wir denen alle zu Dank verpflichtet. Natürlich machen die einen guten Job am Rande ihrer Kapazität. Wir können das gerne auch jedes Mal in die Debatte mit einbauen. Ich denke aber, dass wir uns hier auch alle einig sind. Der Aufstockung der Personalkapazität im Landesamt haben wir alle zugestimmt,

Sie müssen jetzt bitte wirklich zum Schluss kommen!

insofern gehe ich davon aus, dass man das eigentlich auch nicht jedes Mal extra sagen muss – ich sage es trotzdem gerne: Danke für die Arbeit!

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN]

Vielen Dank, Herr Reinhardt! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es wird die Überweisung an den Ausschuss für Gesundheit und Soziales sowie an den Hauptausschuss empfohlen. Gibt es hierzu Widerspruch? – Ich höre keinen Widerspruch, dann verfahren wir so.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4.4:

Priorität der Piratenfraktion

Tagesordnungspunkt 21

Ein Notfallfonds für bedrohte Kultureinrichtungen

Antrag der Piratenfraktion Drucksache 17/1841

In der Beratung beginnt die Piratenfraktion. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Magalski. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die schlechten Nachrichten aus dem Berliner Kulturbetrieb haben sich in letzter Zeit stark gehäuft. Gerade haben wir die Entscheidung der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin – DKLB – zur Kenntnis nehmen müssen, dass es für die Fête de la Musique keine zusätzlichen 16 000 Euro geben wird, um die Erhöhung der GEMA-Gebühren durch die Neubewertung der Fête als Konzert aufzufangen. 16 000 Euro bei einer so festen Größe des Berliner Kultursommers! Über solche Zahlen reden wir an dieser Stelle normalerweise gar nicht. Das ist eine Institution, auf die sich Zehntausende freuen, und die gerät in Existenznot. Wie will der Kultursenat die Veranstaltung für das Jahr 2015 in Berlin sicherstellen? Das ist eine wichtige Frage.

Schon etwas weiter zurück liegen die Ankündigungen von Hans Wurst Nachfahren, den Spielbetrieb nach Verlust der Spielstätte am Winterfeldplatz einzustellen, oder die Nachricht, dass das Theater Morgenstern seinen angestammten Platz im Rathaus Friedenau aufgeben muss. Die Zukunft auch hier – ungewiss.

Ein anderes Jugendtheater findet sich in einem Streit um Sozialabgaben für Darstellende wieder, der finanziell existenzbedrohend ist. Im Mai zog die Mittelknappheit bei der Förderung freier Gruppen eine Schlinge um den Hals von seit Jahren erfolgreich agierenden freien Institutionen, denken wir nur an die Tanzcompagnie Rubato, die Vierte Welt bzw. Lubricat oder nicht zuletzt an die Zeitgenössische Oper, aber eben auch an viele andere.

Sie mögen jetzt einwenden, es gebe doch genügend Fördertöpfe, der Hauptstadtkulturfonds leistet gerade im Bereich der freien Szene wertvolle Arbeit, da das Land

z. B. nicht bereit ist, Frau Sasha Waltz angemessen und verlässlich mit eigenen Mitteln auszustatten...

Von der City-Tax etwas abzuknapsen, ist mühsam, das hat überhaupt nicht funktioniert. Die bis dato 15 Millionen Euro, die über die Bettensteuer reingekommen sind, werden auch bis zum Ende des Jahres nicht die 25 Millionen Euro erreichen, die ggf. erwartet wurden, um überhaupt etwas – ein Drittel des Darüberliegenden – für die Kultur einzubringen.

Dann gibt es noch die DKLB. Deren Zuwendungsentscheidungen können getrost als langer Arm des Senats bezeichnet werden, immerhin sitzen im Stiftungsrat drei Vertreter des Senats, dann noch zwei der Koalition. Nur eine Stimme vertritt die Opposition, weshalb es nicht so weit hergeholt ist, an dieser Stelle von einem langen Arm, sprachbildlich, zu sprechen.

Während Herr Hallervorden seinen Einfluss bei Senat und Koalition geltend machen konnte und vom DKLBStiftungsrat immerhin 600 000 der 800 000 Euro erhielt, die er eingefordert hat, liegt die Zukunft der Fête de la Musique im Ungewissen. Herr Hallervordens Lautstärke und seine Beziehungen zu den richtigen Stellen in Medien und Politik dürfen hier nicht unwesentlich dazu beigetragen haben. Das hat einen faden Beigeschmack.

Ein großer Schluck aus Tim Renners Popbrause hilft nur bedingt, diesen Beigeschmack herunterzuspülen, denn dem guten Mann sind an der Stelle die Hände gebunden. Aber diesem, von den Piraten eingebrachten, zunächst einmal auch als Prüfantrag gestellten Antrag wird auch er seine grundsätzliche Unterstützung schwerlich entziehen können.

Der Berliner Kulturbetrieb ist strukturell und chronisch unterfinanziert, das ist kein Geheimnis. Darüber können auch Rang und Namen vieler seiner Institutionen nicht hinwegtäuschen. Das bedeutet allerdings auch, dass, sobald etwas Unvorhergesehenes passiert, eine Einrichtung schnell mal vor dem Aus stehen kann, insbesondere wenn sie kleiner ist und sich von Förderantrag zu Förderantrag hangeln muss.

Mit unserem Antrag wollen wir diesen Drohszenarien etwas entgegensetzen. Es geht nicht darum, den Kulturbetrieb dauerhaft auf eine Krisenfinanzierung einzustellen. Wir haben jedoch in den letzten Monaten viel zu oft gesehen, dass die chronische Mittelknappheit eine ständige Existenzbedrohung für Berlins prekäres Kulturleben darstellt, zumal für die kleinen Akteure und, das ist besonders augenfällig, für die Einrichtungen, die sich an Kinder und Jugendliche wenden. Das darf nicht sein, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Mütter, liebe Väter!

Wir brauchen eine Anlaufstelle, an die sich im Notfall alle Kultureinrichtungen wenden können. Und ja, wir brauchen dafür klare Kriterien, die einen Notfall definieren. Wir brauchen Mittel, die für einen solchen Fall zügig und mit möglichst wenig bürokratischem Aufwand zur Verfügung gestellt werden können. Wir brauchen auch Transparenz in den Entscheidungen um die Mittelvergabe. Förderentscheidungen müssen nachvollziehbar und klar begründet sein. Das ist bei den Fördermaßnahmen nur teilweise der Fall.

Wir haben für einen Fonds bewusst keine Höhe vorgegeben, selbst wenn wir allein für dieses Jahr wohl eine sechsstellige Summe brauchten, um alle genannten Institutionen zumindest nothilfetechnisch zu unterstützen. Mit dem Antrag wollen wir vor allem den Rahmen für eine weitere, hoffentlich fruchtbare Diskussion vorgeben, zum Nachdenken anregen und für die Kulturszene dieser Stadt das Beste herausholen. Abgesehen von den gesetzten Förderungen für die großen Kultureinrichtungen hat Berlin gerade im freien und kleinteiligen Bereich eine große Vielfalt, die es effektiv zu stützen und zu bewahren gilt. Deswegen freuen wir uns darauf, mit Ihnen gemeinsam weiterzudiskutieren und hoffentlich ein neues, wirkmächtiges Instrument auf den Weg zu bringen, um damit den Kulturbetrieb dieser Stadt ein Stück weit aus seiner Abhängigkeit von Vitamin B, gutem Willen und dem Gesetz des Stärkeren zu befreien. – Vielen Dank!

[Beifall bei den PIRATEN – Beifall von Dr. Turgut Altug (GRÜNE)]

Vielen Dank, Herr Magalski! – Für die SPD-Fraktion hat nun das Wort Frau Abgeordnete Lange. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Herr Magalski! Mit dem Notfallfonds – das ist mir jetzt erst klar geworden – fordern Sie eine Einrichtung, die aus Juryentscheidungen herausgefallenen Gruppen eine erneute Juryentscheidung aufgibt.

[Philipp Magalski (PIRATEN): Nein!]

Dann wäre es doch sinnvoll, wenn wir das Geld hätten, dass man dieses gleich den entsprechenden Jurys gibt, damit die dann direkt entscheiden können.

[Christopher Lauer (PIRATEN): Nein!]

So habe ich das verstanden. Sie sagen außerdem, Sie fordern die Unterstützung von in Not geratenen Kultureinrichtungen. Da ist mir auch unklar, welche Sie meinen. Sie haben nun einige genannt. Ich gehe mal davon aus, dass Sie insgesamt frei arbeitende Gruppen und Initiativen meinen. Das Anliegen ist ehrenwert, finden wir, nur leider haben Sie den richtigen Zeitpunkt verpasst, wir

haben nämlich zurzeit keine Haushaltsberatungen. Der Haushalt für dieses und nächstes Jahr ist beschlossen.

[Christopher Lauer (PIRATEN): Echt?]

In den letzten Haushaltsberatungen haben wir sehr viel für freie Gruppen und Initiativen erreicht. Mit dem Haushalt stärken wir innovative Kunstformen und Künstlerinnen und Künstler mit einem Aufwuchs von jährlich 2,5 Millionen Euro. Wir haben u. a. erstmalig einen Kofinanzierungsfonds mit insgesamt 400 000 Euro ausgeschrieben. Für einen Wiederaufnahmefonds und die Basisförderung stehen jeweils 300 000 Euro zur Verfügung. Für die Bezirke gibt es zusätzlich 350 000 Euro für die kommunalen Galerien. Wie dieses Geld eingesetzt wird, konnte man an einem der letzten Wochenenden sehen. Da gab es eine Bustour zu den kommunalen Galerien. Und das ist ein wirklich erfolgreiches Programm.

Ich weiß natürlich, dass diese Beschlüsse für die Protagonisten der freien Szene nicht weit genug gehen, aber ich denke, wir sind auf einem guten Weg. Wir finden auch, dass wir einen sogenannten Feuerwehrtopf brauchen, um schnell und unbürokratisch freien Gruppen helfen zu können, die vorübergehend in Not geraten sind, ihre Miete nicht zahlen können etc. und die dann, wenn es ihnen wieder besser geht, dieses Geld auch zurückzahlen können.

Sie sehen, das Anliegen ist unterstützenswert. Wenn ich mir aber Ihren Antrag ansehe, stelle ich fest, dass Sie ein bürokratisches Monster aufgebaut haben. Entschuldigen Sie diesen Ausdruck! Aber wenn man es liest, weiß man gar nicht, wo man zuerst anfangen soll. Aus all diesen Gründen werden wir Ihren Antrag ablehnen, aber es steht Ihnen ja frei, diesen oder einen ähnlichen nächstes Jahr während der Haushaltsberatungen einzubringen, vorausgesetzt natürlich ist, dass es die Piratenfraktion noch gibt.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Vielen Dank, Frau Lange! – Für die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen hat jetzt das Wort Frau Abgeordnete Bangert. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Grundgedanke hinter dem Antrag der Piraten ist richtig. Wir haben eine Notsituation in der Kulturfinanzierung. Wir haben eine Schieflage zwischen dem, was in der Stadt an kreativem Potenzial da ist und eine öffentliche Förderung braucht und verdient, und dem, was wir mit öffentlichen Mitteln fördern. Das Problem sind aber nicht nur temporär in Not geratene Einrichtungen, die Grenzen sind überall erreicht, von der Opernstiftung bis zu den frei produzierenden Künstlerinnen und Künstlern, Einrichtungen und Strukturen in freier Trägerschaft.

(Philipp Magalski)

Tarifsteigerungen werden über die Reduzierung der Mittel für künstlerische Arbeit kompensiert. Künstlerinnen und Künstler können ihre Ateliers und Produktionsräume aufgrund von Mietsteigerungen nicht mehr zahlen. Museen haben keine Ausstellungsetats. Honoraruntergrenzen bei Künstlerinnen und Künstlern können trotz Anspruch auf Mindestlohn nicht garantiert werden.