Protokoll der Sitzung vom 02.10.2014

Tarifsteigerungen werden über die Reduzierung der Mittel für künstlerische Arbeit kompensiert. Künstlerinnen und Künstler können ihre Ateliers und Produktionsräume aufgrund von Mietsteigerungen nicht mehr zahlen. Museen haben keine Ausstellungsetats. Honoraruntergrenzen bei Künstlerinnen und Künstlern können trotz Anspruch auf Mindestlohn nicht garantiert werden.

Die Jurys der freien Gruppen und der Konzeptförderung müssen mit viel zu wenigen finanziellen Mitteln einigermaßen gerechte Förderentscheidungen fällen. Eine Wahl zwischen Pest und Cholera, so hat es die Jury letztes Mal bei der Konzeptförderung genannt. Hinzu kommt, dass durch die Wirtschaftskrise Drittmittel aus der Wirtschaft, von Stiftungen und Privaten massiv weggebrochen sind und hier für die gesamte Kulturszene Berlins Finanzlücken aufklaffen.

Wie in unserer Großen Anfrage zur Kultur deutlich wurde, hat der Senat hier weder den Überblick über das Ausmaß an Bedrohung noch sieht er einen Handlungsbedarf. Das ist ignorant und verantwortungslos.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Offensichtlich ist, es fehlt Geld im System. Durch Mehreinnahmen aus der City-Tax hätten wir die finanzielle Situation im Kulturbereich verbessern können. Stattdessen haben die Koalitionsfraktionen entschieden, dass der Kulturbereich nicht davon profitiert.

[Torsten Schneider (SPD): Ist noch gar nicht entschieden!]

Aber, liebe Piraten, dieses haushälterische Versagen der Koalition können wir nicht mit einem Notfalltopf kompensieren. Die Idee von Notfalltöpfen ist im Übrigen nicht neu. Im Hauptstadtkulturfonds sollte es eine Reserve geben, die schnell im Sinne einer Feuerwehraktion Projekten zugutekommt, die sonst nicht realisiert werden können. Auch die Freien Projekträume haben einen ähnlichen Topf gefordert. Hintergrund ist aber immer ein temporärer Projektbezug.

Notfalltöpfe sind nicht geeignet für eine strukturelle Absicherung und schon gar nicht für Immobilienfragen. Hier brauchen wir andere Instrumente und vor allem endlich ein anderes kulturpolitisches Handeln des Senats und der Regierungskoalition.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Wir brauchen eine Liegenschaftspolitik, die der Kultur zugutekommt und ihr nicht schadet. Wir brauchen endlich Kulturkompetenz im Portfolioausschuss bei Finanzen. Wir können nicht warten, bis die Einrichtungen kulturpolitisch kaputtgespart worden sind, um sie dann mit großer Geste über einen Notfalltopf vor dem Aus zu bewahren. Letztendlich fordert der Piratenantrag eine Reserve im Kulturhaushalt, die ein solches Vorgehen legitimiert. Das lehnen wir als Grünen-Fraktion strikt ab.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Wir brauchen hier auch kein neues Entscheidungsgremium, denn wir als Parlament verantworten den Haushalt und die Finanzierung der Kultur, und dieser Verantwortung sollten wir endlich alle mal gerecht werden.

Die Idee der Kostenneutralität und der Vergabe von zinsgünstigen Darlehen ist vor dem Hintergrund der finanziellen Situation der Kulturlandschaft ebenso absurd wie politisch naiv. Die Möglichkeit zur Rücklagenbildung und langfristigen Haushaltsplanung hat nur ein Bruchteil der Kultureinrichtungen, aber selbst die Rücklagenbildung funktioniert nicht mehr. Lesen Sie doch die aktuelle rote Nummer zur finanziellen Entwicklung der landeseigenen Theater- und Orchesterbetriebe! Hier haben wir aktuell ein Defizit von 9,767 Millionen. Im letzten Jahr betrug das Defizit noch 1,778 Millionen. Unglaublich, aber der Senat bewertet diese dramatische Entwicklung als unproblematisch. Ich bin gespannt, wie sich das Parlament bei der Beratung dazu äußert.

Im Antrag werden auch die Kultureinrichtungen der Bezirke angesprochen. Das ist richtig, denn hier sind etliche bedroht. Aber die Ursachen hier sind doch vollkommen anders. Durch die Kosten-Leistungs-Rechnung sind die Kultureinrichtungen der Bezirke zu einem finanziellen Verlustgeschäft geworden, obwohl sie Teil der Daseinsvorsorge und infrastrukturell in einer modernen demokratischen Gesellschaft unverzichtbar sind. Und auch hier hilft kein Notfalltopf. Auch hier brauchen wir keine Feuerwehrlösung, sondern eine strukturelle Neuausrichtung.

Wir müssen uns fragen: Erkennen wir Notsituationen frühzeitig? Wie aussagekräftig sind Instrumente wie CiK? Und wie läuft die senatsinterne Kommunikation bei Immobilienverkäufen? Genau hier liegt für das Theater Hans Wurst Nachfahren und das Theater Morgenstern das Problem. Die verschleppte Kommunikation zwischen Kulturverwaltung und Finanzen ist ursächlich für den Verlust ihrer Spielstätten. Wir brauchen keinen Notfalltopf, sondern wir müssen die gesamte Struktur reformieren, um die Förderpolitik für Kultur in Berlin zeitgemäß zu gestalten. Wir brauchen eine Kulturförderpolitik, die zuverlässige und transparente Strukturen für alle Kulturakteure gewährleistet, und zwar von Anfang an und nicht erst, wenn es brennt. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Wolfgang Brauer (LINKE)]

Vielen Dank, Frau Bangert! – Für die CDU-Fraktion hat nun das Wort der Herr Abgeordnete Schlede. – Bitte sehr!

(Sabine Bangert)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Bangert, vielleicht erst ein Wort zu Ihnen! Das Stichwort Notfallfonds zu nutzen, um vom Thema derart abzuweichen, wie Sie es getan haben, und grundsätzlich die gesamte Kulturpolitik nicht nur schwarzzumalen, sondern gleichzeitig eine völlige Umkehr sozusagen in der Kulturpolitik zu fordern, gibt doch zu denken.

[Wolfgang Brauer (LINKE): Eben! Das ist ja die Absicht!]

Was Herr Magalski für die Piraten gefordert hat, war mit Sicherheit weitaus weniger. Also bleiben wir doch mal beim Thema! „Notfallfonds für gefährdete Kultureinrichtungen“ hat er gesagt, ohne jetzt etwa die gesamte Kultur in Berlin ins Negative abgleiten zu sehen. Ich möchte Ihrem Bild einfach nur entgegenhalten – das wissen auch Sie, Sie kennen die Zahlen, Frau Bangert –: Etwa 70 Prozent der Berlin-Besucher kommen wegen der kulturellen Bedeutung Berlins und der kulturellen Ausstrahlung dieser Stadt, und zwar von den großen Leuchttürmen bis hin zur freien Szene. Das gilt auf jeden Fall auch heute noch. Das wollen wir sozusagen als Basis für unsere Diskussion nehmen.

Nun komme ich zu Ihrem Thema, Herr Magalski: Notfallfonds – Frau Lange hat es schon gesagt – ist ja schon mal erwähnt worden im Zusammenhang mit einem Feuerwehrtopf. Sie haben hier Beispiele genannt, die ich ohne Weiteres noch ergänzen könnte, nicht nur Fête de la Musique, Morgenstern, Hans Wurst, Robato beispielsweise, sondern ich kann auch das Englische Theater nennen, das z. B. aus der Finanzierung fiel. Es wäre theoretisch ein Notfall, weil die plötzlich aufgrund von Juryentscheidungen keinen Zuschuss bekommen haben. Da liegt aber genau genommen der Hase begraben. Ist es ein Notfall, wenn eine Einrichtung, die einer Juryentscheidung unterworfen wird, nun plötzlich nicht mehr bezuschusst wird? Und muss dann aus einem derartigen Notfall- oder Feuerwehrtopf subventioniert werden oder nicht? – Eher wohl nicht!

Sie wollen ja an deren Stelle etwas setzen, das einer Jury gleichkommt, ein Gremium, das bisher noch nicht definiert ist. Da steht: Senat, Abgeordnete und Vertreter der Kultureinrichtungen. Aber die sind ja nichts anderes als das, was wir derzeit haben. Der Senat und auch das Abgeordnetenhaus stützen sich in ihren Entscheidungen im Wesentlichen auf Juryentscheidungen von berufenen Mitgliedern, mehr oder weniger berufenen, sagen wir mal, nicht dass wir immer damit einverstanden wären. Ein Notfalltopf oder ein Feuerwehrtopf müsste von daher, denke ich, Kriterien haben, die noch sehr eng zu fassen wären.

Ich bin auch nicht so sicher, ob wir in diesem Fall Hans Wurst mit heranziehen können oder beispielsweise das Theater Morgenstern. Da geht es um Immobilien. Da

können wir mit irgendeinem Notfalltopf überhaupt nicht helfen. Die werden uns im Rahmen einer solchen zusätzlichen Finanzierung wahrscheinlich weiterhin durch die Lappen gehen.

Genau genommen müsste man eigentlich darauf hinweisen, dass sich von all den Dingen, die Sie nennen, eigentlich die freie Szene in der Notfallsituation befindet. Denn all diejenigen, die in der freien Szene tätig sind, sind nicht auskömmlich finanziert oder, wie man das neudeutsch sagt, eher prekär finanziert. Der größte Teil der in diesem Zusammenhang arbeitenden und tätigen Künstlerinnen und Künstler ist mit Sicherheit nicht auskömmlich finanziert und ist oftmals darauf angewiesen, sich durch eine völlig andere Betätigung existenziell über die Runden zu bringen.

Ich bin der Auffassung, wir sollten im Ausschuss noch einmal konkret darüber reden, wie wir den speziellen Akteuren in der freien Szene – und das sind die im wesentlichen Betroffenen, die nur sehr kurzfristig planen können, die kein finanzielles Polster haben – im Eventualfall, falls sie ihre Existenz gefährdet sehen, mit einem derartigen Feuerwehrtopf zur Hilfe kommen können. Ich glaube, das ist eine Überlegung für die kommenden Haushaltsberatungen wert, dass wir zusätzlich zu dem Wiederaufnahmefonds und der Basisfinanzierung noch so etwas wie einen Feuerwehrtopf versuchen einzurichten, aber dann mit sehr engen Kriterien, was nicht darunter fallen und – genauso positiv – was darunter fallen kann. Ansonsten wird ein solcher Feuerwehrtopf nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein, wenn man alle mit eingemeindet, die in Berlin aufgrund ihrer Entwicklung womöglich gefährdet sein könnten. Insofern sollten wir im Kulturausschuss konstruktiv eine Diskussion vorbereiten, die dann womöglich im kommenden Jahr in eine Haushaltsdiskussion für die Jahre 2016 und 2017 mündet. – Schönen Dank!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Vielen Dank, Herr Schlede! – Das Wort zu einer Zwischenbemerkung hat nun die Abgeordnete Bangert. – Bitte sehr!

Lieber Herr Schlede! Mit Ihrer Äußerung haben Sie mir gerade bestätigt, dass zumindest Sie, aber auch die Kollegin von SPD und Ihre Fraktion wirklich keine Ahnung haben, wie es kulturpolitisch in Berlin aussieht, vor allem finanziell.

Es ist nicht nur das Thema der freien Szene, sondern es ist auch das Thema der institutionell geförderten Einrichtungen. Ich empfehle Ihnen dringend, die rote Nummer

0065 K des Hauptausschusses – die finanzielle Entwicklung der landeseigenen Theater- und Orchesterbetriebe – zu lesen. Da tut sich in diesem Jahr ein Finanzloch von über 9 Millionen Euro auf. Im letzten Jahr waren es noch 1,7 Millionen Euro. Hier haben wir auch mittlerweile sehr fatale finanzielle Entwicklungen, denen wir begegnen müssen. Da wird kein Feuerwehrtopf nützen.

Sie müssen die Kulturfinanzierung insgesamt auf eine neue Basis stellen. Sie hinken der Entwicklung hinterher. In den letzten Jahren ist nichts passiert. Sie fördern einfach weiter wie bisher, nutzen dann als Zwischenfinanzierung auch mal Lottomittel. Das ist eine unerträgliche Situation für die Einrichtungen und so auch nicht akzeptabel. Ich bitte Sie ebenso herzlich wie dringend: Gehen Sie mal raus, schauen Sie, wie es eigentlich in dieser Stadt kulturpolitisch aussieht, und dann überlegen Sie sich, was Sie nächstes Mal sagen!

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Vielen Dank, Frau Bangert! – Herr Schlede! Sie möchten replizieren – bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrte Frau Bangert! Ich schaue mir den Kulturhaushalt an, und dann komme ich noch einmal dazu, dass ich selbstverständlich auch strukturelle Probleme in der Finanzierung sehe. Aber das ist doch gar nicht unser heutiges Thema!

[Sabine Bangert (GRÜNE): Doch! Das ist das Thema! Das ist die Konsequenz!]

Nein! Frau Bangert, Sie haben es dazu gemacht! Sagen Sie es doch so, wie es ist!

Wir haben die Frage zu erörtern, ob wir hier so etwas wie einen Notfallfonds mit der entsprechenden Kriteriensondierung und mit der entsprechenden personellen Unterfütterung werden einrichten können – nicht mehr und nicht weniger. Dass wir uns in den kommenden Haushaltsberatungen womöglich auch über Strukturfragen werden auseinandersetzen müssen und dass dort Dinge einfließen können und müssen, die Sie unter anderem genannt haben, kann ich Ihnen – ohne dass ich Ihr Bild von der Kulturlandschaft Berlins auch nur ansatzweise teilen würde – ohne Weiteres zugestehen. Aber hier – Schuster bleib‘ bei deinen Leisten! – wollen wir erst einmal das beantworten, was infrage steht. – Danke!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Vielen Dank, Herr Schlede! – Für die Linksfraktion hat nun das Wort der Herr Abgeordnete Brauer. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! – Herr Schlede! Das waren eben zu viele Konjunktive in einem Satz, dem Satz, den Sie vorhin gebraucht hatten: „Womöglich, eventuell, falls“, und dann wollen Sie sich auch noch den Kulturhaushalt anschauen. Schauen Sie sich bitte in dieser Stadt genau um, und nehmen Sie bitte die Kulturlandschaft Berlins nicht nur fragmentarisch zur Kenntnis!

Den Weichzeichner auf dem Objektiv, den Frau Kollegin Lange gebraucht hat, kann man nicht guten Gewissens benutzen. – Frau Lange! Sie wissen es: Die Welt ist nicht so schön, nicht so pastös gemalt, wie Sie es dargestellt haben.

[Brigitte Lange (SPD): Das ändert doch nichts an den komischen Forderungen!]

Wir haben ganze Segmente des Kulturbereichs, die unter erheblichen Problemen leiden.

Ich sehe auch den Anlass, der die Piratenfraktion umgetrieben hat, diesen Antrag vorzulegen, aber – mit Verlaub, Herr Magalski – ordnungspolitisch ist er ziemlich unsinnig, weil: Es stimmt tatsächlich, dass die Finanzierung der Kultureinrichtungen im Haushaltsplan geregelt ist. Sie schlagen Wirtschaftspläne für bestimmte Krisenmomente vor. Ja, aber ab einer gewissen Größe der Institute ist ein Wirtschaftsplan zwingend. Dass diese Wirtschaftspläne allerdings – und jetzt kommen wir auf Ihr Problem – häufig eher in den Bereich der Märchenbuchsammlung der Staatsbibliothek gehören, als einem Realitätstest standzuhalten, ist eher – Herr Peymann hat uns das vor einiger Zeit sehr schön geschildert; er leidet allerdings nicht so dolle Not – der Forderung der Senatsverwaltung für Finanzen respektive der Koalitionsmehrheit im Hauptausschuss zu verdanken, dass sie diesen Zustand haben, also nicht aufgehen können.

Eine Kultureinrichtung ist entweder ausreichend finanziert, oder sie ist es nicht. Ist sie es nicht, muss ihre Zuwendungssumme korrigiert werden – ganz einfach, ganz banal.

[Torsten Schneider (SPD): Das ist Kommunismus!]

Aber natürlich, Herr Schneider! Wenn Ihre Kolleginnen und Kollegen und auch Sie selbst sich bei den diversen Haushaltsberatungen nicht verhalten würden wie die berühmten „heiligen Affen“, dann hätten wir auch im Kulturbereich einen anderen Zustand unserer Etats.

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

(Sabine Bangert)