Protokoll der Sitzung vom 12.01.2012

Besonders dort, wo jetzt Weichenstellungen nötig sind, heißt es bei Ihnen: prüfen, prüfen, prüfen. Ein Prüfauftrag ist in Koalitionsverträgen der Tod des Machbaren. Allein in den sechs kurzen Absätzen zur öffentlichen Daseinsvorsorge taucht das Wort dreimal auf. Wir brauchen jetzt aber Entscheidungen. Es geht darum, was man künftig für Strom, Fernwärme und Wasser zahlen muss. Als das Bundeskartellamt die Wasserbetriebe wegen überhöhter Preise abgemahnt hat, haben Sie nicht gesagt, welchen Weg Sie gehen wollen. Die Aussagen des Koalitionsvertrages zu den Berliner Wasserbetrieben sind auch vage und unkonkret. Ich fürchte, dass Sie den Druck des Kartellamtes nicht an die Privaten weitergeben werden, ich fürchte, dass die Rekommunalisierung der privaten Anteile den schleichenden Tod durch Prüfauftrag stirbt. Und was das Allerschlimmste ist: Die durch das Kartellamt erzwungene Preissenkung wird von Ihnen vermutlich einseitig auf Kosten der Steuerzahlerinnen und -zahler umgesetzt. Das ist ein Skandal!

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Alexander Spies (PIRATEN)]

Die Netzkonzessionen von Gas beziehungsweise Strom und Fernwärme laufen 2013 beziehungsweise 2014 aus. Deshalb sind zügige Entscheidungen notwendig. Um einen ökologischen Umbau der Energieversorgung voranzubringen, muss die Entwicklung dieser Netze politisch gesteuert werden. Das kann aber nur geschehen, wenn das Land Berlin diese Netze betreibt. Die Entscheidung von SPD und CDU, keine Entscheidung zu treffen, lässt nur den Schluss zu: Es soll vertagt werden, bis es zu spät ist, um eine kommunale Netzgesellschaft zu gründen. Dann werden die bisherigen Betreiber wieder zum Zug kommen. Im Fall des Strom- und Fernwärmenetzes wird dies Vattenfall sein. Das heißt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD: mit fossilen Großkraftwerken über Jahre weitere riesige Gewinne an den Großkonzern. Ökologischer Umbau und Energiewende sehen anders aus.

[Beifall bei der LINKEN]

Die Gründung eines kommunalen Energieversorgers Berlin Energie wird – Sie ahnen es – geprüft. Dabei sind die Vorarbeiten zum unmittelbaren Start bereits erledigt.

Und dann noch das alte Thema S-Bahn. Das Kaputtsparen der Berliner S-Bahn mit den negativen Folgen für die Fahrgäste und die Mitarbeiter hat bei der Koalition nicht zu der Einsicht geführt, dass die Profitorientierung im Bereich der öffentlichen Verkehre zu schlechten Leistungen führt. Da braucht man nicht mehr viel zu prüfen. Wir benötigen kommunale Verantwortung für die S-Bahn.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Andreas Baum (PIRATEN)]

Herr Wowereit! Mit einem einfachen Gespräch mit Herrn Grube kommen Sie nicht heraus aus der Nummer. Das klingt ja gerade so, als hätten Sie sich eine bestellte Absage abholen wollen,

[Uwe Doering (LINKE): Genau!]

nur um den falschen Weg der Teilausschreibung zu rechtfertigen.

[Beifall bei der LINKEN]

Liebe Grüne! Die In-House-Direktvergabe an einen kommunalen Träger ist möglich, das ist auch unumstritten. Das kann man machen.

[Joachim Esser (GRÜNE): Ist es nicht!]

Das sehen wir anders, Herr Esser. – Wir haben erst kürzlich hier im Haus darüber diskutiert. Mit Ihren Richtlinien erfahren die Berlinerinnen und Berliner lediglich, dass neue, zusätzliche S-Bahnwagen bestellt werden müssen, die das Land irgendwann vielleicht kaufen kann. Na bravo! Das nennt man Stagnation auf niedrigem Niveau. Da war die SPD auch schon einmal weiter.

Ich gebe zu: In Sachen Sozial- und Arbeitsmarktpolitik habe ich keine große Hoffnung, wenn überzeugte HartzIV-Parteien miteinander reagieren. Jetzt sagt der Regierende Bürgermeister, Mietenpolitik werde ein Schwerpunkt dieser neuen Koalition. Aufgewacht, die Sonne lacht!

[Beifall bei der LINKEN]

Berlin hat längst einen angespannten Wohnungsmarkt. Verdrängung findet statt. Als wir 2008 darauf hingewiesen haben, hat die SPD das geleugnet. Alle Versuche, hier etwas auf die Reihe zu bekommen, sind im Senat durch das Stadtentwicklungsressort blockiert worden. 2011 und heute wieder hat sich der Regierende Bürgermeister diesen sozialen Missstand als Zeichen wirtschaftlichen Aufschwungs schöngeredet. In Ihren Leitlinien heißt es nur lapidar: Berlin wächst und benötigt zusätzlichen Wohnraum. – Das weiß jeder. Von bezahlbar ist da aber nicht die Rede. Die Mietenproblematik wird aber die Frage sein, an der sich entscheidet, wohin sich Berlin entwickelt. Berlin braucht zweifellos und dringend eine wohnungspolitische Strategie, die bezahlbare Mieten und eine soziale Mischung in allen Teilen der Stadt sichert. Selbstverständlich ist das eine der zentralen Aufgaben dieser Legislaturperiode. Schön, dass Sie das jetzt endlich einsehen.

[Beifall bei der LINKEN]

Aber was tun Sie? Der Beschluss, dass die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften in Zukunft bei den Miethöhen stärker differenzieren können, darf nicht zu einer zusätzlichen Beschleunigung der Mietsteigerungen führen. Er muss vielmehr genutzt werden, Wohnungen mit günstigen Mieten in allen Quartieren zur Verfügung zu stellen. Die Verlautbarungen der Koalition lassen aber vermuten, dass es weniger um eine sozial ausgleichende Querfinanzierung gehen soll, sondern vielmehr um eine Verbesserung der finanziellen Situationen der Wohnungsbaugesellschaften. Die Folge wäre eine noch schnellere Mietpreissteigerung in stark nachgefragten Kiezen und Stadtteilen. Ein wenig Hoffnung gibt da die Ankündigung von Michael Müller, den Wohnungsgesellschaften ihre Mieterhöhungsersuchen nicht so einfach durchgehen zu lassen.

[Beifall bei der LINKEN]

Aber was sagt Herr Nußbaum dazu? – Wieder soll nur ein Zweckentfremdungsverbot geprüft werden. Die Bezirke bleiben also weiter auf sich allein gestellt und müssen mit Hilfskonstruktionen, zum Beispiel mit dem Gewerberecht, gegen die Umwidmung von Wohnraum in Ferienwohnungen vorgehen. Doch um das Angebot an bezahlbaren Mietwohnungen nicht weiter zu verknappen, müssen Umwandlungen in Eigentumswohnungen unter Genehmigungsvorbehalt gestellt werden. Die Kündigungsfristen sind auf zehn Jahre zu verlängern. Auch hierzu hat die neue Koalition nichts vereinbart. Ein Konzept in Wohnungsfragen haben Sie nicht.

[Beifall bei der LINKEN – Torsten Schneider (SPD): Aber Sie!]

Seit Anfang 2009 haben wir, Die Linke, mit unserem damaligen sozialdemokratischen Koalitionspartner darüber gestritten, dass die Kostensätze für Wohnraum von Menschen, die Hartz IV oder Grundsicherung im Alter beziehen, angepasst und heraufgesetzt werden müssen. Die SPD wollte eine Anpassung, die bereits vom Landessozialgericht angemahnt worden ist, nicht mittragen. – Herr Czaja, das müssten Sie eigentlich wissen! – Er ist auch nicht da. Die fehlen alle bei der Regierungserklärung des Regierenden Bürgermeisters. Sapperlot! – Aber Herr Czaja müsste auch wissen: In der Regierungsrichtlinie von SPD und CDU ist zur notwendigen Anpassung der Kosten der Unterkunft nichts zu finden. Im Koalitionsvertrag wird sogar angedroht, den Druck auf die Leistungsbeziehenden noch zu erhöhen, als hätten die Menschen nicht schon genug Druck.

[Uwe Doering (LINKE): Genauso ist es!]

Wenn Sie hier nicht zur Vernunft kommen, werden in Zukunft noch mehr sozial Bedürftige aus ihren Wohnungen und Kiezen gezwungen, werden noch mehr Klagen beim Sozialgericht landen. Zwangsumzüge werden auch dazu führen, dass es zu einem starken Anstieg von Neuvermietungen kommt. Das hat Wirkungen auf den Miet

spiegel. So wird das gesamte Mietniveau in der Stadt nach oben getrieben. – Herr Wowereit! Sorgen Sie für eine Rechtsverordnung „Wohnen“, die Zwangsumzüge wirklich verhindert. Wenn Sie das nicht hinkriegen, gefährden Sie massiv den sozialen Zusammenhalt der Stadt.

[Beifall bei der LINKEN]

Der Weiterbau der A 100 ist von SPD und CDU politisch gewollt. Diese scheinbar einfache Entscheidung wird aber kein sinnvolles Verkehrskonzept für den Berliner Südosten ersetzen können. Die Linke lehnt den Weiterbau der A 100 aus verkehrs-, finanz- und stadtentwicklungspolitischen Gründen ab. Das augenscheinlich von der CDU durchgesetzte Bekenntnis zum weiterführenden 17. Bauabschnitt erscheint allein vor dem Hintergrund der immensen Kosten als – ich formuliere es vorsichtig – Fieberfantasie.

Die Vereinbarungen zum Lärmschutz am künftigen Flughafen BBI sind so nichtssagend, dass man auf sie auch hätte verzichten können. Warum gehen Sie nicht mit dem mit, was das Bundesumweltamt vorschlägt? Schützen Sie die Berlinerinnen und Berliner am Wannsee und am Müggelsee vor dem Fluglärm! Wir, Die Linke, setzen uns weiter für Lärmschutz und für ein konsequentes Nachtflugverbot ein.

[Beifall bei der LINKEN]

Rot-schwarzer Stillstand droht Berlin jetzt auch in der Wissenschaftspolitik. Mit der Trennung der Bereiche Wissenschaft und Forschung haben Sie sich ein Ding geleistet. So etwas gibt es nirgends sonst in dieser Republik. Die Aufteilung der politischen Verantwortung für Wissenschaft und Forschung in unterschiedliche Senatsverwaltungen ist einfach Quatsch.

[Beifall bei der LINKEN]

Sie wollen mit dem Bund ein Modell für zielgerichtete und konzentrierte Förderung der Spitzenforschung errichten. Welche der Senatorinnen wollen Sie denn zu den Verhandlungen fahren lassen? Wer ist denn dafür zuständig? Die Wissenschaftssenatorin, die Wirtschaftssenatorin, oder sind jetzt immer alle beide unterwegs? Sie können ja wegbleiben. Es sind ja genügend Staatssekretäre da, die die Arbeit machen. Sie haben mit dieser einzig dem machtpolitischen Proporz innerhalb des Senats geschuldeten Entscheidung der Wissenschaftspolitik in dieser Stadt einen Bärendienst erwiesen. Machen Sie diesen Unsinn einfach rückgängig!

[Beifall bei der LINKEN]

Ansonsten schreiben Sie mangels eigener Akzente wenigstens die bisherige Politik – das ist schon angesprochen worden – mit der Fortsetzung des Hochschulpaktes und der Schaffung weiterer Studienplätze, die dringend notwendig sind, fort. Dass es auch weiterhin keine Studiengebühren in dieser Stadt geben wird, ist gut und zeigt: Die Linke wirkt auch hier nach.

[Lars Oberg (SPD): Das mussten wir nicht von Ihnen lernen!]

Sie haben kein tragfähiges Konzept für den öffentlichen Dienst und die dort Beschäftigten vorgelegt. Seit Jahren fordert Die Linke, dass der Einstellungskorridor zu verbreitern ist. Es muss dringend etwas gegen die Überalterung des öffentlichen Dienstes getan werden. Die Bezirke brauchen dringend mehr Personal. Bereits jetzt kommt es zu personellen Engpässen in den Bürgerbüros und zu unzumutbar langen Bearbeitungszeiten, beispielsweise bei Wohngeldbewilligungen, aber auch in vielen anderen Leistungsbereichen.

Was die Polizei betrifft, Herr Henkel: Sie können sich gern für die 50 zusätzlichen Beamten feiern. Wir hatten 2011 noch 200, Sie haben jetzt 50 – die Berliner CDU hat es echt drauf.

[Beifall bei der LINKEN]

Die positive Entwicklung der Berliner Polizei hin zu Bürgerfreundlichkeit und absoluter Rechtstaatlichkeit ist das Entscheidende, und die darf nicht aufs Spiel gesetzt werden. Oberstes Ziel muss die Grundrechtswahrung und die Sicherheit aller Menschen in Berlin bleiben.

Beim Thema innere Sicherheit sieht man aber schon das schleichende Gift der Reideologisierung der Innenpolitik durch die Regierungsbeteiligung der CDU. Im Koalitionsvertrag steht unter der Überschrift Extremismusbekämpfung ein Satz zur NPD und ein ganzer Absatz zur Bekämpfung des Linksextremismus. Lieber Herr Saleh! Meine Damen und Herren! Und das geschieht, nachdem ein Großteil der angeblich linksextremistisch motivierten Autobrände nachweislich von völlig unpolitischen Einzeltätern begangen wurde. Aus politisch-ideologischer Blindheit wird ein handfester politischer Skandal, wenn Tag für Tag Neues über ein rechtsextremes Terrornetzwerk und die Verstrickung verschiedener Verfassungsschutzbehörden anderer Länder ans Licht kommt. Da geht es um eine unglaubliche Mordserie, und Sie blasen zum Kampf gegen den Linksextremismus mit einer verquasten Extremismusklausel und pseudowissenschaftlicher Begleitung. Das ist so absurd und abseitig, dass man nur sagen kann, liebe SPD: Machen Sie diesen skandalösen Blödsinn nicht mit!

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Weil wir gerade beim Thema Inneres und Demokratie sind: Die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre ist wohl mit dieser Koalition bis auf Weiteres gestorben. Oder nicht? Will die SPD – Herr Saleh, ich nehme Ihr Angebot gern auf – ihr Wahlprogramm in diesem Punkt doch endlich einmal durchsetzen? Ich bin mir sicher: Mit den Grünen, den Piraten, und mit uns, der Linken, dürfte das klappen.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Beifall von Nicole Ludwig (GRÜNE)]

Es wird Sie nicht wundern, wenn ich zum Schluss noch etwas intensiver auf die Arbeitsmarktpolitik der rotschwarzen Koalition eingehe, insbesondere, was Fragen wie Langzeitarbeitslosigkeit und Mindestlohn betrifft. Dass der Regierende davon wenig Ahnung hat, weiß ich schon seit mindestens drei Jahren. Aber das, was ich von Ihnen, Frau Kolat, in den letzten Tagen zur Arbeitsmarktpolitik gehört und gelesen habe, zieht mir die Schuhe aus. Das ist ein politisches Armutszeugnis.

[Beifall bei der LINKEN]

Was will denn die SPD? Will sie doch etwas für Langzeitarbeitslose tun, den ÖBS doch nicht abschaffen, sondern ihn nur in ÖGB oder BerlinArbeit umbenennen, in der Hoffnung, dass es dem Koalitionspartner nicht auffällt – Raider heißt jetzt Twix, sonst ändert sich nix –, obwohl der doch eigentlich alles mitmacht? Warum, Frau Kolat, sagen Sie nicht einfach, dass öffentlich geförderte Beschäftigung zu existenzsichernden Bedingungen ein gute Sache ist?

[Beifall bei der LINKEN]

Der Name „öffentlich geförderter Beschäftigungssektor“ war zugegebenermaßen unter werblichen Gesichtspunkten ein bisschen sperrig, aber das ist nicht der Punkt, sondern die Frage des Mindestlohns, denn den lehnen Sie bei öffentlich geförderter Beschäftigung ab. Sie wollen Langzeitarbeitslose für sinnvolle Arbeit im Gemeinwesen nicht existenzsichernd bezahlen, dass sie endlich unabhängig werden von Hartz IV. Sie wollen nur noch zu Konditionen von Bürgerarbeit zahlen. Sie sorgen dafür, dass die Menschen wieder abhängig sind und das Amt wieder die Miete zahlt. Das fördert Niedriglöhne, und genau das versuchen Sie hinter den merkwürdigen Formulierungen zu verstecken. Das ist unsozial und darüber hinaus haushaltspolitisch nicht besonders schlau.

[Beifall bei der LINKEN]