Protokoll der Sitzung vom 12.01.2012

Das Land Berlin muss endlich erkennen, dass die Befreiung von öffentlichen Daten eine Voraussetzung für eine fortschrittliche Informationsgesellschaft darstellt. Das Projekt Berlin Open Data ist ein erster Schritt in die richtige Richtung.

[Beifall bei den PIRATEN und der LINKEN – Udo Wolf (LINKE): Wer hat es gemacht? – Rot-Rot! – Martin Delius (PIRATEN): Offensichtlich!]

Offensichtlich, ja! – Sie hatten es im Rahmen eines Masterplans VOeBB24.de eingeführt. Dort können Nutzer der öffentlichen Bibliotheken online Bücher ausleihen. Im Grund ist es eine schöne Sache, aber auch nur dann, wenn sie auch wirklich nutzbar ist. Alle LinuxBenutzer, die zu Beginn das Angebot auch nutzen konnten, sind nunmehr ausgeschlossen und nicht mehr in der Lage, die mit einem Digital Rights Management – DRM – belegten kopiergeschützten Bücher online auszuleihen, da die entsprechenden Programme nicht mehr in einer aktuellen Version zur Verfügung gestellt werden. Wenn Sie der Meinung sind, in dieser Richtung weiter Politik machen zu können, haben Sie sich geschnitten.

Auf Initiative der Piraten ist ein neuer Ausschuss zustande gekommen. Dieser Ausschuss für digitale Verwaltung, Datenschutz und Informationsfreiheit ermöglicht, gerade diese Themen konzentriert und mit Sachverstand zu behandeln. Seien Sie sich sicher, der vom Ausschuss zum Vorsitzenden gewählte Pirat Alexander Morlang und die gesamte Piratenfraktion werden Ihnen sehr genau auf die Finger sehen und auf die Sprünge helfen, falls Sie sich hier in eine Richtung bewegen, die eher auf eine ShowPolitik hinausläuft und sich gut als Titelgeschichte in der Presse eignet, aber keine sinnvolle Entwicklung für Berlin erkennen lässt.

[Beifall bei den PIRATEN – Beifall von Regina Kittler (LINKE)]

Im Koalitionsvertrag stellen Sie im Zusammenhang mit dem Neubau der Zentral- und Landesbibliothek ganz richtig fest,

Wissen und Information sind ein öffentliches Kulturgut.

Wir fordern Sie auf: Nehmen Sie diese Feststellung ernst und verhindern Sie die geplante Plagiatssoftware an Berliner Schulen! Berlin muss gerade im Bildungswesen den freien Fluss von Wissen fördern. Ein mögliches Verviel

fältigen unterrichtsrelevanter Materialien darf kein Anlass zum Überwachen von Lehrkörpern und Ausspionieren von Schulcomputern sein. Sie sind vielmehr zu begrüßen.

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Etwa 10 Millionen Euro wurden im vergangenen Jahrzehnt in Berlin jährlich allein aus öffentlichen Geldern in die Anschaffung proprietärer Schulbücher investiert. Zusätzlich wurden die Eltern jährlich mit insgesamt weiteren 13 Millionen Euro zu tätigenden Ausgaben für Schulbücher belastet. Warum nutzen Sie das Geld nicht zur Erstellung freier Lehrmaterialien? Diese dürften beliebig oft reproduziert werden und würden Begehrlichkeiten nach überwachungstechnischen Maßnahmen von vorneherein ausschließen. Zudem könnten private Haushalte deutlich entlastet werden. Im Sinne einer modernen Bildungspolitik wäre ein Umdenken in diese Richtung längst notwendig gewesen.

[Beifall bei den PIRATEN – Beifall von Anja Kofbinger (GRÜNE)]

Wie es zu bewerten ist, dass Sie die Vernetzung der Schulen und deren Ausstattung mit digitalen Medien ausbauen möchten, hängt also auch vor allem davon ab, wie Sie dies im Detail tun werden. Es bieten sich hier Möglichkeiten von einem datenschutzfreundlichen freien Austausch von freien digitalen Unterrichts- und Lehrmaterialien zwischen Schulen und Lehrkörpern bis hin zu hohen Investitionen in mit Überwachungssoftware ausgelieferte proprietäre und nicht zu vervielfältigende Medien. Welchen Weg Sie einschlagen werden, bleibt abzuwarten.

Bereits bekannt ist allerdings, dass Sie persönliche Merkmale aller Schüler in der Schülerdatei erfassen möchten, um – so wörtlich –

die Planungssicherheit zu erhöhen und transparente Schülerzahlen zu erhalten.

Dieses Verständnis von Vernetzung und Transparenz teilen wir nicht. Während Sie die Schüler mit einer derartigen persönlichen digitalen Erfassung konfrontieren, unterdrücken Sie zugleich deren demokratische Partizipationsmöglichkeiten.

Mit Bedauern haben die Piraten wahrgenommen, dass sich die SPD und die CDU bei den Koalitionsverhandlungen nicht auf eine Herabsetzung des Wahlalters zur Abgeordnetenhauswahl einigen konnten. Interessant ist dabei die Tatsache, dass Sie sich bei diesbezüglichen Abstimmungen trotz offenbar unterschiedlicher Auffassungen einheitlich verhalten möchten. Wenn Sie sowohl jüngeren Bürgern ein Mitbestimmungsrecht absprechen als auch ein Koalitionszwang gegenüber dem individuellen Eintreten für ideologische Überzeugungen priorisieren, offenbaren Sie gleich auf zweifache Weise ein abstruses Demokratieverständnis.

[Beifall bei den PIRATEN]

Bei der Herabsetzung des Wahlalters werden Sie früher oder später eine Einigung finden müssen. Die SPD hat dem Wähler versprochen, das Wahlalter auf 16 Jahre zu senken. Gemeinsam mit den Piraten, mit den Grünen und den Linken, denen dies ebenfalls ein wichtiges Anliegen ist, käme die hierfür erforderliche Zweidrittelmehrheit zur Änderung des Wahlalters auch zustande.

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]

Ich habe gehört, auch bei den Linken bestehe durchaus die Bereitschaft, dem zuzustimmen. Sie haben vorhin auch gesagt, Herr Saleh, lassen Sie uns fraktionsübergreifend Dinge angehen. – Das wäre zum Beispiel ein Projekt, das sich dazu anbietet.

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN – Heidi Kosche (GRÜNE): Macht nur mit! – Martina Michels (LINKE): Jetzt hätte er klatschen müssen!]

Es wird also spannend sein zu beobachten, ob die SPD das Versprechen ihren Wählern gegenüber auch einhalten wird oder, obwohl sich die im Abgeordnetenhaus vertretenen Fraktionen und die Wählerinnen und Wähler selten in einer Frage so einig sind, zugunsten des Koalitionspartners einknicken wird.

[Beifall von Martin Delius (PIRATEN)]

Wir werden Ihnen dabei nicht viel Zeit lassen und hier bald einen entsprechenden Antrag zur Senkung des Wahlalters einbringen.

[Karlheinz Nolte (SPD): Das ist gut so!]

Die Ressorts Inneres und Justiz wurden beide an die CDU vergeben. Bürger- und Freiheitsrechten stehen in Berlin damit dunkle Jahre bevor.

[Oh! von der CDU]

Und tatsächlich beabsichtigen Sie bereits, den Unterbindungsgewahrsam auszuweiten, Videoaufnahmen bei Versammlungen zu ermöglichen, die Speicherdauer von Überwachungsvideos in Bussen, Bahnen und Bahnhöfen zu verdoppeln und das Netz der Videoüberwachung auf den Anlagen der S-Bahn weiter auszubauen. Dank einer von der BVG in Auftrag gegebenen und anschließend zunächst unter Verschluss gehaltenen Evaluationsstudie wissen wir, dass Videoüberwachung keinen objektiven Zugewinn an Sicherheit bietet. Das ist hier also offensichtlich solch eine Symbolpolitik, die nicht zu konkreten Verbesserungen für die Berliner führt.

[Beifall bei den PIRATEN und der LINKEN]

Im Übrigen ist das auch ein Beispiel, wo man nichts mehr überprüfen muss oder Prüfaufträge vergeben muss, sondern gleich schon die entsprechende Entscheidungsgrundlage zur Hand hat. Es handelt sich bei Ihrem Vorhaben daher lediglich um die Weiterführung einer populisti

schen Sicherheitspolitik, die aber den weiteren Abbau von Freiheitsrechten garantieren wird.

Sozialen Belangen wird in Ihrer Regierungsrichtlinie leider kaum Bedeutung beigemessen. Sie schaffen es, in einer 33-seitigen Beschlussfassung sämtliche Fragen dieses Bereiches problemlos auf nicht mehr als einer Seite abzuhandeln. Die sozialdemokratische Partei überlässt auch dieses Feld augenscheinlich dem Koalitionspartner und erhält damit kaum etwas von ihrem verbliebenen sozialstaatlichen Restimage.

[Beifall bei den PIRATEN]

Sie sprechen bezüglich des zukünftigen Umgangs mit Sozialleistungen von Effizienz, Optimierung und Qualitätsmanagement, meinen jedoch den Ausbau kostenintensiver Bürokratie und Kontrolle. Die Jobcenter werden sich in der kommenden Legislaturperiode mit weiteren zermürbenden Prüfungen und Kontrollen auseinandersetzen und die Leistungsempfänger sich womöglich für ihre Duschgewohnheiten rechtfertigen müssen. Es ist jedoch zu bezweifeln, dass Leistungen für Unterkünfte durch intensive Überprüfungen der eingereichten Betriebs- und Nebenkostenabrechnungen, die Sie einführen wollen, eingespart werden können, vor allem da dieser bürokratische Mehraufwand erneute hohe Kosten verursachen wird.

Ob Schüler einen sonderpädagogischen Förderbedarf aufweisen, soll zukünftig nicht mehr an den Schulen selber, sondern in einer überbezirklichen zentralen Abklärungsstelle diagnostiziert werden. Dies führt dazu, dass der bisher in einem Vertrauensverhältnis zwischen Eltern und Lehrern getroffenen Entschluss zu einem Förderprogramm zukünftig von dem Ermessen eines Gutachters abhängig sein wird.

[Lars Oberg (SPD): Das ist es jetzt schon!]

Ja, Sie wollen das ja ausbauen, Sie wollen das verstetigen, diese Entwicklung.

[Lars Oberg (SPD): Sind Sie gegen sonderpädagogische Förderung?]

Es ist abzusehen, dass eine Förderung somit nicht mehr nach dem tatsächlichen Bedarf, sondern entsprechend der Kassenlage und verfügbarer Sonderpädagogen gewährleistet wird.

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Um die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen umzusetzen und es auch beeinträchtigten Schülern zu ermöglichen, ein selbstverständlicher Teil der Gesellschaft zu sein, werden Sie um entsprechende Investitionen nicht herumkommen. Für dieses Ziel müssen deutlich intensivere Anstrengungen unternommen und konkretere Ziele genannt werden, als Sie das in Ihren Richtlinien getan haben.

[Beifall bei den PIRATEN – Beifall von Wolfgang Brauer (LINKE)]

Bemühen Sie sich ernsthaft darum, dass eine inklusive Bildung für alle Betroffen möglich sein wird! Wie willkürlich und beliebig Sie bei der Besetzung der Senatsverwaltung vorgehen, offenbarte sich bereits wenige Tage nach der Vereidigung Ihres Senats. Nachdem sich die öffentliche Aufmerksamkeit auf die zwielichtigen Geschäfte des mittlerweile begrüßenswerterweise entlassenen Senators Michael Braun richtete,

[Zuruf von den GRÜNEN: Zurückgetretenen!]

war schnell klar, dass dieser aufgrund seiner bisherigen Laufbahn als Notar für sogenannte Schrottimmobilien kaum in der Lage gewesen wäre, sich glaubhaft für den Schutz der Verbraucher stark zu machen. Herr Braun war zudem nicht nur in die Verkäufe wertloser Immobilien involviert. Zusammen mit dem Kollegen LehmannBrauns hat er massenhaft Abmahnungen im Auftrag der Euro-Cities AG verschickt. Die Euro-Cities AG ist die Betreiberin von stadtplandienst.de. Deren Geschäftsmodell scheint sich unter anderem darauf zu konzentrieren, gegen Wettbewerber vorzugehen, die ohne Lizenz deren Kartenmaterial verwenden. Zwar handelt es sich dabei juristisch gesehen um legitimes Vorgehen gegen die Urheberrechtsverletzung. Leider werden bei solchen Praktiken meist Gesetze aus einem anderen Jahrhundert missbraucht, um veraltete Geschäftsmodelle nicht an die heutige Zeit anpassen zu müssen und trotzdem Kasse mit den alltäglichen Nutzungsgewohnheiten der digitalen Generation machen zu können.

[Beifall bei den PIRATEN und den GRÜNEN]

Bestätigt wird das fragwürdige Vorgehen durch die Urteile des Landgerichts Berlin sowie des Amtsgerichts München, welche die Beträge der Abmahnung als deutlich zu hoch werteten. Wer das Kopieren digitaler Karten massenweise mit überhöhten Abmahnungen als Geschäftsmodell verfolgt, statt sich für die Verbraucherinteressen im 21. Jahrhundert starkzumachen, wäre als Verbraucherschützer für uns nicht infrage gekommen. Wie Sie für die Besetzung der Senatsverwaltung für Verbraucherschutz ausgerechnet auf die Personalie Braun zurückgreifen konnten, ist mir immer noch schleierhaft.

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]

Aber kurioserweise nutzt übrigens auch das Hauptstadtportal des Landes Berlin noch immer das Kartenmaterial von besagtem Webportal stadtplandienst.de, statt, wie soeben angesprochen, auf freie Karten zurückzugreifen. Welche Lizenzkosten fallen eigentlich für die Nutzung der Karten von stadtplandienst.de an? Warum werden nicht die sehr viel detailreicheren Karten von openstreetmap.org genutzt?

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]