Protokoll der Sitzung vom 19.02.2015

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Schutz von Whistleblowern hat in jüngster Zeit in der öffentlichen Debatte einen gänzlich neuen Stellenwert erfahren. Da ist die Veröffentlichung der Dokumente der NSA durch Edward Snowden, durch die die Welt Einblick in die nahezu flächendeckende Überwachung des Internets und die Langzeitspeicherung von Metadaten und Kommunikationsvorgängen bekommen hat. Damit ist letztlich auch eine Debatte um die Gefährdung von Demokratie und individueller informationeller Selbstbestimmung im Zeitalter von digitaler Globalisierung losgetreten und bis heute auch nicht beendet worden. Es wird eine Reihe weiterer Namen, Chelsey Manning ist sicherlich noch einer der bekanntesten.

Aber wir kennen das: Whistleblowing wird vornehmlich dann begrüßt, wenn es anderenorts stattfindet. In den eigenen Sphären ist das schnell Nestbeschmutzung oder Gefährdung des Staatswohls. Wir erinnern uns an die Präsidentschaftswahlkampfreden von Präsident Obama, der damals gesagt hat, man muss die Whistleblower richtig schützen. Wir wissen auch noch, was Präsident Obama gesagt hat, als Edward Snowden dann mit dem Stick mit den Unterlagen dann nach Honkong entschwunden war. Aber wir brauchen überhaupt nicht bis in die Vereinigten Staaten zu gucken.

Lieber Kollege Zimmermann! Wir dürfen nicht vergessen, dass ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aufgrund eines Berliner Vorgangs ergangen ist. Mit anderen Worten: So zu tun, als ob die Berliner Verwaltung grundsätzlich rechtstreu sei, was im Übrigen die NSA auch behauptet, damit ist es allein noch nicht getan. Sie haben selbst darauf hingewiesen: Wir brauchen Vorkehrungen, die sichern, dass wir dann, wenn es Verletzungen gibt, auch entsprechende Möglichkeiten des Eingreifens haben. Inge Hannemann, Jobcenter Hamburg, ist noch einmal ein weiteres Thema. Auch da sieht man: Es gibt auch durchaus in Deutschland Fälle, wo Menschen aus der Verwaltung heraus etwas erzählen. Und es muss auch nicht immer um Korruption gehen, es muss auch nicht immer um Bestechung gehen. Manchmal geht es einfach um ganz allgemeinpolitische Missstände. Insofern ist das Ansinnen des Antrags der Grünen richtig.

Richtig ist auch, dass der nachhaltige Schutz von Whistleblowern bundesgesetzlicher Regelungen bedarf. Der rechtliche Schutz in Deutschland, das kann man, glaube ich, so festhalten, ist in weiten Teilen unklar, intransparent und auch stark beschränkt.

Die Linken und die Grünen haben im Bundestag entsprechende Anträge eingereicht, die Grünen sogar einen Gesetzentwurf. Sie zeigen Wege auf, was getan werden könnte und getan werden müsste. Trotzdem bleibt es richtig: Wir müssen auch die landespolitischen und landesgesetzlichen Spielräume nutzen.

Herr Zimmermann und Herr Behrendt haben darauf hingewiesen: Wir haben ein Korruptionsregister, wir haben einen Vertrauensanwalt für die Korruptionsbekämpfung, wir haben jetzt – nach fünf Jahren, lange hat es gedauert! – endlich auch das elektronische Hinweisgebersystem. Trotzdem denke ich, dass die Anträge der Grünen zu diskutieren sind, auch gründlich zu diskutieren sind. Sie haben natürlich in erster Linie klarstellenden Charakter,

[Benedikt Lux (GRÜNE): Ach!]

denn es gibt jetzt die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Die sollte der Maßstab sein für klarstellende Regelungen sein. Wir können das da, wo es denkbar ist, durchaus ins Landesrecht übernehmen.

[Benedikt Lux (GRÜNE): Danke!]

Es spricht überhaupt nichts dagegen, das entsprechende Urteil auch in Landesrecht zu implementieren.

Kurz zu den einzelnen Vorschlägen: Berliner Beamtinnen und Beamte sollen durch eine standardmäßige Einstellung eines möglichen Disziplinarverfahrens gegen Hinweisgeber geschützt werden. Das ist gut und richtig. Man muss allerdings, anders als in dem Antrag behauptet, sagen: Daraus ergibt sich noch kein allgemeines Anzeigerecht für Beamtinnen und Beamte. Die strafrechtliche Gefahr bleibt, und auch ein Disziplinarverfahren wird erst einmal eingeleitet. Wir wissen, dass das nicht so einfach ist: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat ein kompliziertes Geflecht der Abwägung der unterschiedlichen Interessen, auch der widerstreitenden Interessen, entwickelt. Insofern muss es in irgendeinem Verfahren auch geprüft werden. Es wird diese Verfahren also erst einmal geben.

Der zweite Punkt: Wir müssten tatsächlich noch einmal darüber diskutieren, ob die Änderung des Landesbeamtengesetzes in dem Zusammenhang möglich und sinnvoll ist. Das sollten wir in den Ausschussdebatten tun. Im Antrag der Grünen ist das bisher so nicht enthalten.

Der dritte Punkt, die Hinweisregelung an den Ausschuss für Verfassungsschutz – okay, gut. Das sollte dann auch anonym erfolgen können. Die Frage, die ich mir stelle, ist: Warum nur dort? Es gibt auch andernorts in der Ver

waltung sensible Bereiche. Man muss darüber reden, ob es nicht auch in einem solchen Fall sinnvoll ist, quasi eine Petitionsmöglichkeit zu geben. Da sind wir dann natürlich bei den anderen sensiblen Bereichen, wo wir die parlamentarische Kontrolle stärken, fast schon beim Einstieg in die Funktion des Abgeordnetenhauses als Ombudsstelle. Aber das muss man diskutieren, das muss ja nicht per se falsch sein.

Vierter Punkt: Hinweisgebersysteme bei Landesunternehmen via Landeshaushaltsordnung, bei beauftragten Unternehmen via Vergabegesetz – ich finde das gut.

Der fünfte Punkt bezieht sich auf den zweiten Antrag, Anwendungstarifvertragsänderungen – Regelungen für die nichtverbeamteten Beschäftigten. Ich bin kein Arbeitsrechtler, ich weiß nicht, ob das tatsächlich ein tauglicher Gegenstand tarifvertraglicher Regelungen ist. Erst einmal klingt das aber ganz überzeugend zu sagen, wenn da Verschwiegenheitsregelungen geregelt werden, müssen auch solche anderen Regelungen da enthalten sein können.

[Benedikt Lux (GRÜNE): Genau!]

Aber das können wir prüfen.

Lange Rede, kurzer Sinn: Über die offenen Fragen sollten wir uns im Ausschuss verständigen. Dass ein effektiver Schutz von Whistleblowern nötig ist, daran besteht für die Linksfraktion allerdings kein Zweifel. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Vielen Dank, Kollege Dr. Lederer! – Für die CDUFraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Juhnke, und ich erteile ihm das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht geht es ja auch eine Nummer kleiner. Ich kann ja verstehen, dass die ganze Debatte Whistleblowing, Snowden und NSA reizvoll ist, um sie zu verhandeln. Sie ist allerdings nicht Gegenstand des Berliner Parlaments.

Zur Frage der grundsätzlichen Rechtstreue der Berliner Verwaltung schließe ich mich den Ausführungen von Herrn Zimmermann vollumfänglich an. Auch ich glaube, dass das Thema bei uns grundsätzlich in guten Händen ist.

Korruption ist ein Thema, das volkswirtschaftlich schädlich ist.

[Benedikt Lux (GRÜNE): Das auch bei Ihnen in guten Händen ist!]

(Dr. Klaus Lederer)

Sie ist auch grundsätzlich schädlich für die Demokratie als solche. Deswegen ist es wichtig, an diesem Thema zu arbeiten. Es gibt einige Säulen – in dem Zusammenhang wurde schon manches genannt –, ich verweise noch auf die Zentralstelle für Korruptionsbekämpfung, den Vertrauensanwalt, die Spezialabteilung bei der Staatsanwaltschaft, auch die Antikorruptionsarbeitsgemeinschaft der Berliner Verwaltung und das Korruptionsregister. Es ist schon einiges in dem Zusammenhang unternommen worden. Trotzdem ist es natürlich verdienstvoll, sich darüber Gedanken zu machen, wie man den Bereich noch erweitern, wie man ihn noch rechtssicherer gestalten kann. An Herrn Behrendt insofern grundsätzlich erst einmal Anerkennung der Arbeit, die da drinsteckt. Schaut man sich das im Einzelnen an, ist sicherlich nicht alles Gold, was glänzt, das ist auch klar.

Ich gehe kurz die einzelnen Punkte durch: Artikel 1 – Disziplinargesetz. Darüber kann man sich vielleicht unterhalten, das muss man aber auch mit Beamtenrechtlern noch einmal im Detail klären. Artikel 2 – Gesetz über den Verfassungsschutz: Ich glaube, da ist wieder so ein bisschen die Ideologie mit Ihnen durchgegangen. Da steckt mir ein etwas zu starkes pauschales Misstrauen der Behördenleitung gegenüber drin. Sie konnten sich jetzt auch den polemischen Seitenhieb zum Thema Olympia nicht verkneifen. Ich glaube, das ist unter diesem Aspekt unterzubringen. Die Punkte 3 und 4 – Landeshaushaltsordnung, Ausschreibungs- und Vergabegesetz: Ich glaube, da muss man einfach klären, ob das tatsächlich relevant und notwendig ist. Das werden wir im Ausschuss tun.

Ich weiß, es gibt eine Zwischenfrage. Ich bin aber auch gleich am Ende mit meinen Ausführungen.

Ich frage zumindest, ob Sie sie gestatten.

Ja, gerne!

Bitte, Herr Dr. Lederer, Sie haben das Wort!

Lieber Kollege Juhnke! Bezüglich Ihrer Aussagen zur Rechtstreue insbesondere in den repressiven Verwaltungen: Sind Ihnen schon die im Kontext der NSU-Untersuchungen ermittelten, zum Teil wirklich extremen Verfahrensweisen von V-Leuten bekannt? Oder sollte ich Ihnen da tatsächlich noch einmal das Buch von Laabs und Aust zum NSU-Komplex empfehlen? Da kriegt man, völlig unabhängig von der Frage Ideologie oder keine Ideologie, schon Zweifel daran, dass in den Bereichen

alles mit rechten Dingen zugegangen ist, und zwar in Größenordnungen und systematisch.

[Beifall von Carsten Schatz (LINKE)]

Gut, ich kenne ja Ihre grundsätzliche Einstellung zu der Frage V-Personenwesen. Deshalb weiß ich auch, dass Sie das mit einer ganz anderen Brille betrachten.

[Carsten Schatz (LINKE): Das war nicht die Frage!]

Ich glaube, dass man an dieser Stelle durchaus auch die Richtlinien und Grundsätze überarbeiten und anpassen muss. Daran arbeitet der Senat, das ist auch schon parallel passiert, bevor wir diesen Antrag verabschiedet oder andere Dinge gemacht haben. Ich finde es allerdings unangebracht, das hier mit einem Antrag, der sich aus meiner Sicht im Wesentlichen mit der Frage der Korruptionsbekämpfung und anderem beschäftigt, zu vermengen. Darüber werden wir zu reden haben, es werden sich ja einige Ausschüsse damit beschäftigen.

Damit bin ich auch fast schon am Ende meiner Ausführungen. Ich glaube, das wird auch das Entscheidende sein: Es ist kein Thema, über das wir uns politisch entzweien müssen und entzweien werden. Im Grundsatz sind wir alle dabei, wenn es um die Bekämpfung von Korruption und die Frage geht, wie man auf Dinge hinweisen kann. Es ist schon genannt worden: In dieser Woche ist das elektronische Hinweisgebersystem aktiviert worden. Es ist übrigens falsch: Nicht nur der Polizeipräsident, auch der Innensenator selbst hat darauf hingewiesen und es publik gemacht. Sie sehen daran, dass das Thema ernst genommen wird. Wir wollen es auch zu einem Erfolg führen. Alles, was dazu führt, dass es ein Erfolg wird, ist sicherlich gut. Ob die Vorstöße, die hier gemacht werden, eins zu eins tatsächlich dazu führen, werden wir diskutieren. Ich glaube es nicht hundertprozentig, wir werden die Debatte aber abwarten. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Juhnke! – Für die Piratenfraktion erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Dr. Weiß. – Bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben das wichtige Thema Whistleblowing heute nicht zum ersten Mal im Plenum auf der Tagesordnung. Es ist auch gut, dass von allen Seiten noch mal auf den Stellenwert dieses Themas hingewiesen worden ist und auf die wichtige Rolle, die Menschen spielen, die

(Dr. Robbin Juhnke)

Missstände – welcher Art auch immer – ans Licht der Öffentlichkeit oder an zuständige Stellen bringen.

Heute geht es nicht um Bundesrecht, sondern es geht in den beiden Anträgen, die die Grünen vorgelegt haben, um die landesrechtlichen Spielräume. Dementsprechend geht es vor allem um Hinweisgeber und -geberinnen, die Missstände der öffentlichen Verwaltung und des verwaltungsnahen Bereichs aufdecken. Da gibt es – ich glaube, alle meine Vorredner haben darauf hingewiesen – einiges im Bereich insbesondere der Korruptionsbekämpfung, was jetzt schon existiert. Der Vertrauensanwalt, der seit einigen Jahren im Land Berlin tätig ist, ist ebenso wie das elektronische Hinweisgebersystem angesprochen worden, das schon in der letzten Legislaturperiode Beschlusslage war und uns in dieser Legislaturperiode begleitet hat; jetzt existiert es auch tatsächlich.

Neben den existierenden Anlaufstellen für Menschen, die sich dort hinwenden wollen, muss man in diesem Kontext aber natürlich auch darüber sprechen – und das ist einfach ein zweiter, danebenstehender Aspekt –, wie man diese Menschen vor möglichen Benachteiligungen schützen kann. Ich kann dazu den Vertrauensanwalt Herrn Partsch zitieren, als er vor einer Weile im Rechtsausschuss zu seiner Tätigkeit angehört wurde. Er hat da gesagt:

Hinweisgeber sind überdurchschnittlich intelligente Leute, die sehr genau abwägen, was sie tun. Die wägen auch ab, ob sie das Risiko eingehen, für ihren Hinweis Nachteile zu erfahren …

Das bedeutet: Da besteht, wenn wir solche Hinweise erhalten wollen, auch für uns die Pflicht, zu schauen, wie wir entsprechende Nachteile abwenden können, insbesondere wenn es im Bereich der Verwaltung selbst passiert. Dementsprechend ist der Antrag, den die Grünen vorgelegt haben, zu begrüßen, und die einzelnen Punkte sind zu prüfen.

Ich will zu einigen Punkten noch etwas sagen. Einer betrifft die disziplinarrechtliche Seite. Herr Zimmermann hat vorhin von einer Lockerung gesprochen. Ich glaube, das ist nicht das passende Wort. Die Grünen haben in ihrer Antragsbegründung selbst zu Recht darauf hingewiesen, dass es eigentlich nur um eine Klarstellung geht, um eine Konkretisierung des existierenden Rechts. Denn auch jetzt müsste ein Disziplinarverfahren eigentlich eingestellt werden, wenn die Voraussetzungen, die dort beschrieben sind, eintreten würden. Das heißt nicht, dass diese Klarstellung nicht trotzdem sinnvoll ist, denn es geht ja auch darum – auch das ist ein wichtiger Aspekt –, potenziellen Hinweisgebern und -geberinnen ein Signal zu senden, dass ihre Hinweise gewünscht sind und sie keine Nachteile befürchten sollten.

Wichtig ist auch der Aspekt der Vergabe. Das ist ja dem Wesen der Sache nach ein korruptionsanfälliger Bereich. Es geht darum, auch die Landesunternehmen einzubeziehen. Da gibt es den Punkt im Antrag, dass Hinweisgeber

systeme in allen landeseigenen Unternehmen und Beteiligungen eingeführt werden sollen. Das ist in der Tat eigentlich eine normale Maßnahme des Compliance Managements. Ich weiß aus einer Anfrage von mir aus dem Jahr 2013 und einigen neueren Anfragen meines Kollegen Delius auch, dass die meisten Landesunternehmen Anlaufstellen für Whistleblower und Whistleblowerinnen haben, allerdings nicht alle. Was man sich im Zuge der Beratung dieses Antrags vielleicht einmal genauer angucken müsste, ist, wie die eigentlich arbeiten und unter welchen Bedingungen. Dann kann man vielleicht auch noch konkretisieren, was hier gefordert ist.